Bin ich eine MUTmacherin?!
Immer wieder bekomme ich zu hören: Du bist eine MUTmacherin…. Eine, die ihre Krebserkrankung parademäßig gemeistert hat. Eine, die mit Krebsaktivitäten andere Betroffene erMUTigt. Eine, die ihre Nach-Therapie-Wehen MUTig und offen anspricht.
Das alles mag sein. Aber ich fühle mich oft alles andere als MUTig. Sondern sehr klein, sehr schwach, sehr müde. Dann läuft die Angst dem MUT den Rang ab. Dann beginnt ein schwerMÜTiges Gedankengruselwusel. Was wäre, wenn…?
Mein Körper macht sich bemerkbar
Über die Sommermonate wurde dieses „Was wäre wenn“ immer lauter, weil ich verstärkt Beschwerden im Unterleib bekam. UnMUT machte sich breit. Ich war sauer, unleidig. Mein Körper sollte doch jetzt einfach mal gesund funktionieren!
Nachdem ich im vergangen Schuljahr ja noch dreiwöchig meine Antikörperinfusionen erhalten hatte und wegen der Port-OP im Krankenhaus gewesen war, war ich – zumindest in meinem Empfinden – doch noch nicht die komplett gesunde Frau Holl gewesen. Aber jetzt, jetzt sollte doch ein Schuljahr kommen, in dem ich voll durchstarten würde.
Aber ich verMUTete etwas. Als ich dann leichte Blutungen bekam, war ich beunruhigt. Ich wollte ich nicht auf meinen nächsten Nachsorgetermin warten, sondern kontaktierte meine Gynäkologin. Die schob mich nach Schilderung der Symptome kurzfristig ein. Topservice! Das Untersuchungsergebnis entMUTigte mich: Sie wollte eine Abklärung im Brustzentrum. Auch hier: Topreaktion. Ich bin froh, medizinisch so gut umsorgt zu sein.
Aber das alles machte mich MUTlos. Vorbei war es mit überMÜTiger Lebensfreude und MUTmachendem Austausch. Stattdessen Kopfkino der Extraklasse bei mir. Und auch Gedanken beim Teeniemädchen, dem ich davon erzählte. Die Frage: „Hast du wieder Krebs?“ verursachte Gänsehaut pur!
Ich hirnte, durchdachte, zerlegte. Mir war nach Einigeln, nach Weinen unter der Bettdecke, nach mich-Bemitleiden. Aber auch nach leichtMÜTiger Ablenkung im Alltag und in schreiberischen Aktivitäten.
Eine Woche später hatte ich dann den Termin bei meiner Herzensärztin. Im Pulli mit der Aufschrift „MUTig“ und meinem MUTlöwin-Armband sprach ich mir selbst MUT zu. So konnte ich ein klares, offenes Gespräch mit meiner Ärztin führen.
Der Befund: Infolge von Tamoxifen habe ich eine hoch aufgebaute Gebärmutterschleimhaut. Ich tue also etwas gegen den Brustkrebs, produziere aber im schlimmsten Fall einen anderen Krebs. Das ist doch wirklich Mist! Ich finde: Es ist wahrlich genug mit MUTationen!
Dem Ultraschall nach sieht aber alles gutartig aus und ich reagiere verMUTlich einfach „vorbildlich“ auf den Tamoxifenwirkstoff. Aber man muss man natürlich genau hinschauen. Deshalb steht nun in Bälde eine Ausschabung an.
Als Zusatz-Gimmick könnte sich leider meine Kaiserschnittnarbe entpuppen. Deshalb hat meine Herzensärztin, Frau Dr. Fr. bei der Untersuchung sofort den Spezialisten für solch “knifflige Angelegenheiten” geholt, der mich nun operieren darf. Für den ist es ein Routineeingriff und er meinte: „Frau Holl, wegen ihrer OP werde ich sicherlich keine schlaflose Nacht haben.” Das freut mich natürlich. Aber ich stehe auf der anderen Seite. Bin die Patientin. Die, die betäubt wird. Die, die in der Klinik übernachten muss. Sicherlich nicht MUTig, sondern eher zitterig.
Dennoch bin ich erleichtert: Mein Bauchgefühl war richtig. Ich bin aber auch gewarnt: Die histologische Untersuchung steht ja dann nach dem Eingriff noch aus.
Mutig in mein weiteres Leben
Die letzten Tage haben mich deMÜTig gemacht. DeMÜTig vor dem Leben. Ich habe die Zeit nach meiner Akuttherapie Revue passieren lassen und mich gefragt: Habe ich wirklich so viel besser und mehr gelebt? Bin ich nicht schon wieder viel zu sehr in meinem alten Hamsterrad aus Terminen, Verpflichtungen und “mach-ich-später” drin?
Ich verspürte aber auch DeMUT vor mir und meinen Gefühlen. Es ist ok, absolut ok, mehr als ok zu motzen, zu meckern und mich zu ärgern wegen diesem Mist. Es ist wichtig, richtig und gut wenn ich Schwäche zulasse, Angst empfinde und MUTlos bin. Das alles lässt mich eine Weile später wieder gestärkt und MUTig die nächsten, noch ungewissen Schritte gehen.
Ich verspürte auch ein wenig WUT (Lieber Mut, bitte verzeih mir, dass ich deinen Anfangsbuchstaben auf den Kopf stelle!): Wem hatte ich etwas getan? Was hatte ich falsch gemacht? Warum kann es nicht einfach normal weitergehen? Dieses Gefühl schob ich aber schnell beiseite, weil diese Gedanken absolut nichts bringen und nur schlechte Laune produzieren. Es ist niemandes Schuld und schon gar nicht meine! Es ist wie es ist. Fertig.
Aber eines wurde mir noch viel, viel klarer, als es mir seit meiner Krebserkrankung schon war: Ich muss mein Leben leben. Jetzt. Hier. Sofort. Durch meine durchlaufene Krebserkrankung ist meine Zeit hier auf Erden für immer in ein vages, ungefähres Glück gehüllt.
Deshalb werde ich häufiger überMÜTig sein. Ich werde ohne viel zu überlegen noch viel MUTiger Dinge einfach machen. Aber bei allem nie hochMÜTig werden. Denn schon morgen kann alles anders sein. Das Leben ist schön. Aber auch endlich.
Der Kreis schließt sich
Ich fühle mich nicht als MUTmacherin. Ich bin ein Mensch. Mit verschiedenen Gefühlen. Darunter eben auch dem MUT. Aber der steht nicht im Vordergrund meines Tuns. Also warum sollte ich eine MUTmacherin sein?
Packt man allerdings „Krebs“ und „MUTmacherin“ in die Googlesuche, dann kommt man zu wundervollen Aktionen. Beispielsweise von YesWeCanCer oder der DKMS. Dort erzählen Menschen von ihrer Krebserkrankung und sprechen offen vom Guten, aber auch vom weniger Guten, von den schönen und den weniger schönen Momenten in ihrem Leben mit und nach dem Krebs.
So eine MUTmacherin bin ich sehr gerne und deshalb schon seit der Bestrahlung mit einem Foto dabei.
Ich hoffe außerdem, dass ich für meine Goldschätze eine ähnliche Mutter war und bin wie die Mama im Buch von Anne Spiecker. Deren Tochter Klara bescheinigt ihr nämlich „Mut im Hut“, als sie an Brustkrebs erkrankt. Ich hoffe, ich konnte meinem Teeniemädchen, meinem Mittelstürmer und meinem Goldkind ebenso MUT machen, als ich noch meine Beanies trug und lebe ihnen jetzt im normalen Alltagsfamilienwahnsinn „MUT mit Strubbelkopf“ vor.
Doch auch hier sehe ich den Tatsachen lieber etwas weniger blumig und dafür MUTig direkt ins Auge. Ich glaube, es reicht mir schon, wenn meine drei Goldschätze so wie Klara von mir sagen würden: „Ja, ich bin wirklich sehr froh, dass meine Mama lebt. Auch wenn sie ziemlich nerven kann.“
Ganz ehrlich: In dieser Liebeserklärung fehlt mir das Wort MUT überhaupt nicht.
MUTig voran
Ihr Lieben, dieser Text war wohl in weiten Teilen wenig MUTmachen. Aber – verzeiht mir den Scherz – so ist es nun mal, wenn man sich auf einem Krebsblog aufhält. Da kommen Lachen und Weinen oft recht schnell zusammen.
Damit wir alle nun nicht MUTlos in den weiteren Tag gehen, plädiere ich entschieden dafür, dass wir alle viel öfter einen MUTausbruch haben. So habe ich mich vorher bei der Fahrt zum Kindergarten kurzerhand dazu entschieden, den Autoradiosender zu wechseln. Von jetzt an höre ich Radio Bob, Deutschlands Rockradio. VerMUTlich zum großen Entsetzen meiner pubertierenden Mitfahrer. Aber damit müssen sie wohl leben oder es machen wie das Goldkind und einfach mit der Mama mitgrölen. Rock on!
Lasst uns nun MUTig und unerschrocken sein. Lasst uns neue Dinge ausprobieren und frohen MUTes in ungewisse Situationen gehen. Lassen wir uns inspirieren vom Mädchen mit den großen Schuhen, den roten Zöpfen, der unfassbaren Kraft und dem riesengroßen MUT: