Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Der Tag der Wahrheit

Mi. 28.08.24

Wir sitzen mit dem Kalender da und planen meine Chemotherapie – wie schräg ist das.

Nach der OP schlafe ich eher schlecht, ich kann mich nicht ordentlich hinlegen, schlafe fast im Sitzen. Die Mandeln tun weh, na prima. Die Narbe am Hals zieht ein bisschen (oder ist es das Pflaster). Mit Schmerzmittel geht’s aber. Den Nachmittag verbringen wir gemütlich daheim, gehen in den Pool, laden Oma&Opa zum Eis essen ein. Es fühlt sich alles ganz normal an – bis auf das große Pflaster am Hals und dass ich meinen Sohn immer wieder dran erinnern muss, dass er auf mich Rücksicht nehmen muss. Aber das macht er schon gut.

Meine Ärztin schreibt mir eine Mail. Ich kann mich jederzeit melden, einfach so zum Quatschen oder überhaupt wenn ich was brauche.

Am nächsten Tag muss ich ins KH zur HNO-Ambulanz – Verbandswechsel (also Pflastertausch). Ich musste nur kurz warten und war nur 2min im Untersuchungsraum. Pflaster runter – kurzer Blick in den Spiegel – Pflaster wieder drauf. Schaut alles gut aus. Die Wunde ist ziemlich lange, stelle ich fest. Und es ist alles noch ziemlich dick und wulstig auf der rechten Halsseite. Sobald ich mich dort berühre, fängt es umgehend zu jucken an, aber kratzen geht nicht, da juckts noch viel mehr. Also – aushalten.

Abends nach dem Duschen habe ich das Pflaster kurz getauscht und die Wunde hergezeigt, die Kids waren nicht begeistert. Mein Sohn hat gleich beschlossen, dass er so nicht mit mir ins Bett gehen will, sondern lieber mit Papa.

Am Wochenende fahren wir mit Freunden in den Tierpark. Ich erzähl es ihnen, sie sind sehr betroffen. Echt scheiße, dass man alle so mitreißt und bestürzen muss mit dieser Nachricht. Dabei mag ich es mir einfach von der Seele reden und ich mag, dass jemand nachfragt und Details wissen will, sich dafür interessiert. Kein Mitgefühl, das bringt mich nicht weiter.

Die Tage darauf kehrt die Nervosität zurück, leichte Panik macht sich breit. Aus dem Personalbüro meines Arbeitgebers habe ich erfahren, dass ich seit 12.08. bis open end krankgeschrieben bin. Das macht mich traurig irgendwie. Open End – doofes Wort in diesem Zusammenhang. Die Befundbesprechung im Krankenhaus rückt auch näher. Deswegen wahrscheinlich die Nervosität. Die Wunde heilt gut. Heute lauf ich mal ohne Pflaster herum, die Haut unter dem Kleber schmerzt. Versuch mich mit den Kids abzulenken. Hab keine Muße zum Kochen oder ähnliches.

Heute ruf ich im KH an und frage nach, ob schon alle Befunde da sind. Es hießt, ich soll erst in 1-2 Tagen kommen. Nach weiterem Rückfragen nach 2 Tagen heißt es, dass mein Lymphknoten in ein anderes Labor weitergeschickt wurde, weil im Haus nicht alle Untersuchungen gemacht werden können. Sie melden sich am Montag, ob ich am Dienstag kommen kann. Die Pathologie lässt noch fragen, ob wir Katzen haben……Hä??

Wir beschließen, Urlaub zu buchen! Ein von uns sehr geliebtes Kinderhotel hat von  Sa-Mo ein Apartment für uns frei. Juhuuu! Die Freude ist groß! Vor allem die Kids freuen sich so, dass wir doch noch auf Urlaub fahren. Bedeutet Urlaub doch für sie, dass wir alle zusammen sind und keiner andere Pflichten hat. Egal ob Kroatien oder Österreich.

Jetzt ist es 3 Wochen her, seit wir die vorläufige Diagnose Lymphom bekommen haben. Mit jedem Tag wird es unwirklicher, dass ich Krebs haben soll. Alle machen sich Sorgen und ich bin ruhig. Was ist da los? Ich bekomme erneut einen Anruf vom KH. Hoffentlich muss ich nicht umgehend kommen. Das würde ich nämlich NICHT machen, erst mal Urlaub! Eine Onkologin ist am Telefon, sie wollte sich mal persönlich melden, wo ich doch bisher immer nur mit der Stationsschwester telefoniert habe. Sie hat mich aufgeklärt, dass der Lymphknoten heute noch in ein Labor nach Graz geschickt wurde. Dienstag brauch ich also auch noch nicht aufkreuzen, sie glaubt eher Donnerstag oder Freitag nächste Woche. Bisher wurde noch nichts Bösartiges gefunden, nur die „Raumforderung“ vom ersten CT, mehr Wissen gibt es noch nicht. Auf meine Frage, ob denn das PET-CT unauffällig war, gibt sie mir nicht wirklich eine Antwort. Wir müssen aber weiterhin geduldig sein. Es ist ja ganz offensichtlich, dass mein Körper mit irgendwas kämpft. Nur mit was? Einer harmlosen Entzündung? Alles offen weiterhin … sind das gute Neuigkeiten? Keine Ahnung.

Wir verlängern unseren Urlaub und können bis Dienstag bleiben. Wir genießen die Zeit, sind die ganzen 4 Tage nur in der Hotelanlage unterwegs. Mit Pflaster gehe ich auch ins Wasser, schwimmen traue ich mir aber noch nicht zu. Gegen Ende des Urlaubs kommen die Gedanken nachts wieder zurück.

Am Mittwoch, 28.08. kehre ich in die Arbeit zurück, zumindest am Vormittag. Ich brauche dringend einen Tapetenwechsel und andere Menschen rund um mich. Ich erzähle den Kollegen alles Neue und lasse mich auch gerne von ihren Geschichten ablenken. Das tut mir sehr gut. Zu Mittag wendet sich das Blatt. Ich bekomme einen Anruf von einer Onkologin aus dem Krankenhaus, dass die Befunde da sind, ob ich in ca. 1 Stunde vorbeikommen kann.

Wir erfahren, dass sich der Verdacht bestätigt. Es handelt sich um ein Hodgkin Lymphom, Stadium 3 weil im PET/CT ersichtlich ist, dass auf der linken Halsseite auch bereits Krebszellen aufgeleuchtet haben. Die meisten tummeln sich aber auf der rechten Seite, wachsen unter dem Schlüsselbein bis hinter das Brustbein. Sonst sind keine Organe betroffen. Ob die Milz betroffen ist, kann man nicht sagen. Sollte sie bei der Chemo kleiner werden, dann wissen wir, dass sie auch betroffen ist.

Die Onkologin ist sehr nett, wenn auch sehr hektisch und ich bin froh, dass uns meine Ärztin schon so gut darauf vorbereitet hat. Auch, dass ich schon so viel gelesen habe und mir die Begriffe nicht mehr fremd sind. Ich werde BrECADD bekommen, ein relativ neuer Standard, der aber besser verträglich und weniger toxisch wie der bisherige Standard ist. Geplant sind 4-6 Zyklen, je nach Ergebnis des PET/CTs nach dem 2. Zyklus. Starten: so bald wie möglich. Wir reden noch kurz über Kinderwusch, möglicherweise ist das nachher vorbei. Aber viel Zeit bleibt uns nicht, wir schauen uns an und wissen beide, unter diesen Umständen möchten wir kein drittes Kind.

Sie erklärt uns, wie der Zyklus einer Chemo abläuft, dass man vorhersehen kann, welche Tage gut und welche schlecht sein werden. Dass es an den schlechten Tagen maximal darum geht, dass man müde und schlapp ist, als würde man gerade eine Grippe bekommen. Aber ansonsten versucht man mit Medikamenten, die vorab verabreicht werden, die Nebenwirkungen in Schach zu halten.

Sie erklärt uns auch den Port-a-cath und dass ich bereits übermorgen einen implantiert bekomme. Oh Gott, das geht zu schnell.

Wir sitzen mit dem Kalender da und planen meine Chemotherapie – wie schräg ist das. Wir schauen, dass der Geburtstag meines Sohnes in die guten Tage fällt, dass ich nach Möglichkeit die Mental-Trainer-Ausbildung fertig machen kann. Und entscheiden: am Montag 02.09. solls gleich losgehen.

Ich frage viel und fühle mich gut aufgeklärt, wenn auch überrumpelt. Ich muss morgen zum Aufklärungsgespräch, übermorgen Port implantieren und am Montag geht’s los.

Ich bin bereit!

Am Heimweg parken wir irgendwo und schnaufen durch. Können gar nicht klar denken. Uns schweben so viele organisatorische Dinge durch den Kopf. Wo die Kinder hin. Wann Urlaub, wann Pflegeurlaub. Wie geben wir es nun Bescheid, wer fährt noch einkaufen, wer holt die Kinder, was brauchen wir noch und überhaupt ist alles zu viel gerade.

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