Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Die Chemotherapie beginnt – der erste Schritt in Richtung Heilung

Di. 03.09.24

Krank werden ist keine Entscheidung, gesund werden aber schon; also Ärmel hochkrempeln und auf in den Kampf!

Am Tag nach der Diagnose muss ich zum Aufklärungsgespräch über die Port-OP. Der Arzt ist wirklich kein Menschenfreund. Sehr von oben herab, kurze Antworten, wenig Erklärungen, sehr oberflächlich. Ich versuche, so schnell wie möglich zu verschwinden. Eigentlich sollte der Port links, weil rechts durch die Hodgkin-Zellen eh schon alles geschwollen ist und schmerzt. Er sagt, rechts ist besser, da kommt man besser durch und der Weg ist kürzer. Ok für mich, dann bleibt wenigstens eine Brustseite frei zum Anlehnen und Kuscheln.

Am Nachmittag starte ich einen Erklärversuch bei den Kids. Ich wollte ihnen die Diagnose mitteilen, aber irgendwie sind sie gar nicht so drauf eingestiegen. Ich habe ihnen erklärt, dass ich wieder ins KH muss, dass ich ein kleines „Doserl“ in die Brust implantiert bekomme und dass ich am Montag für 3-4 Tage ins KH muss. Wir reden über gesunde Zellen, die Zellteilung und dass halt bei mir ein Fehler passiert ist und einige Zellen krank geworden sind. Wenn man nichts dagegen tut, werden die immer mehr und verdrängen die gesunden Zellen. Das haben beide verstanden – aber nicht nachgefragt. Na mal schauen, wann die ersten Fragen kommen.

Am Tag der Port-OP checke ich um 07:30 in meinem Zimmer 111 ein. Eine Dame ist im zweiten Bett. 60 Jahre, hat gerade den 4. Tag ihres ersten Chemoblocks, auch Lymphom. Sie spricht gebrochen Deutsch, aber wir können uns gut unterhalten. Mir wird wieder mal Blut abgenommen und ein Zugang gelegt. Und dann heißt es warten, bis ich in den OP kann. Ohne essen, ohne trinken. Ich bekomme Kopfweh, wahrscheinlich der Koffein-Entzug.

Es kommt ein Arzt vorbei, er markiert mich mit einem Edding. Kurze Zeit später kommt er nochmal mit dem Ultraschall. Er hat nochmal gelesen, dass beim CT stand, dass die Venen auf der rechten Seite recht komprimiert sind (wegen den Hodgkin-Zellen) und er Sorge hat, dass der Schlauch vom Katheder nicht richtig reinpasst. Wir sollten doch die linke Seite nehmen, die sieht er sich im Ultraschall an. Passt alles, Vene gut erkennbar, Markierung drauf und fort ist er.

Um halb 11 werde ich abgeholt, OP-Kittel an und los geht’s in den OP-Saal. In der Bettenwartezone muss ich noch über eine halbe Stunde warten. Als mich ein älterer Herr abholt, erkenne ich ihn wieder – er hat mich auch vor 2 Wochen bei der Lymphknoten-OP abgeholt. Ich glaube er erkennt mich auch. Wir verstehen uns. Er ist total einfühlsam und dann rollen die Tränen bei mir. Er stellt mir ein paar Routine-Fragen und tröstet mich. Wir sehen uns nur noch einmal, sagt er, nämlich dann, wenn der Port wieder rauskommt. Sonst will er mich hier nicht mehr sehen. Er wischt meine Tränen ab, wünscht mir alles Gute. So ein Netter!

Ich werde auf den OP-Tisch umgebettet und die Tränen rollen, rein in den OP, alle stellen sich vor – ich seh nur Augen und kann mir sowieso keine Namen merken. Ich bekomme eine Beruhigungsspritze – merke ich aber so gar nicht. Es werden alle möglichen Vorbereitungen getroffen: Check-fragen, Sauerstoff-clip, Verlängerung vom Zugang, Blutdruckmessgerät dran, Kopf richtig lagern, alles nochmal durchgehen damit ich gut liege, die linke Seite wird gut abgewischt und desinfiziert und dann werde ich mit Tüchern zugehängt und zugeklebt. Ich fühle mich ziemlich eingeschlossen. Der linke Arm wurde noch mit Tüchern eingeschlagen, damit er sich nicht bewegen kann. Und überhaupt darf ich mich ab jetzt nicht mehr bewegen. Alle sind sehr nett, fragen mich ständig ob alles passt und so. Im Raum ist es sehr kühl, meine Liege wird gewärmt. Das tut gut. Bis es endlich losgeht ist schon eine Zeit verstrichen.

Ich bekomme eine lokale Betäubung, die schon ziemlich schmerzt eigentlich. Dann geht’s los. Ich liege da, zugehängt mit Tüchern, Kopf nach rechts gedreht, sehe in meinem Blickfeld nur den Rand von ein paar Überwachungsgeräten. Ich versuche zu atmen, schöne Bilder zu visualisieren. Aber das bringt nicht viel. Ständig piept was und der Arzt sitzt neben meinem Ohr. Ich höre alles. Schere, Messer, ein Druckgefühl – ok, jetzt hat er aufgeschnitten. Er fordert nochmal die Schere, muss noch ein bisschen weiter schneiden. Alle Werkzeuge werden auf meinem Brustkorb abgelegt, ich spüre viele Druckbewegungen und fühle mich gar nicht wohl dabei, alles mitzukriegen. Nach einer gefühlten Ewigkeit wird mit dem Röntgen gecheckt, ob der Schlauch gut liegt. Nein noch ein bisschen rausziehen, wieder einen cm rein und jetzt liegt er gut. Passt. Ich denke es geht Richtung Ende. Dann wird gespült und der Arzt wird stutzig, da passt was nicht, die Spülung rinnt rein aber nicht raus. Es wird herumprobiert und kommentiert – alles neben meinem Ohr. Das Röntgen muss nochmal her. Ok, das dauert jetzt aber. Wir warten. Scheiße. Es stellt sich heraus, dass der Schlauch verrutscht ist – es hilft nichts, nochmal alles von vorne. Ich höre, wie der Arzt nach der Schere verlangt, um den Faden zu entfernen – war der echt schon am Zunähen? Jedenfalls geht’s wieder von vorne los. Neuer Schlauch rein, mit dem Röntgen checken, alter Schlauch raus, neue Kammer rein usw. Wieder Röntgen-Check. Ich bin schon ziemlich verzweifelt, die Tränen rollen und ich versuche, ein Schluchzen zu unterdrücken. Während dem Eingriff muss 2x nachgespritzt werden, weil ich Schmerzen verspüre. Was für eine Scheiße. Endlich heißt es: jetzt sitzt es perfekt. Ich bin erleichtert. Aber es muss halt noch alles zugemacht und zugenäht werden, was wieder eine gefühlte Ewigkeit dauert. Mein Popo ist eingeschlafen, das Steißbein schmerzt. Am Ende war ich 2 Stunden im OP, statt wie geplant 30min.

Am Abend, bevor ich zur ersten Chemotherapie ins Krankenhaus muss, wird meine Tochter ruhig, und traurig. Die Tränen kommen. Es fällt ihr schwer, mich ins KH gehen zu lassen. Sie will mehr zur Krankheit wissen und am Ende sitzen wir alle mit dem Buch „Wie ist das mit dem Krebs“ auf der Couch und sprechen die Krankheit durch. Wir reden über die Zellen, die Zellteilung, die Aufgaben der Zellen, kranke Zellen, über die Chemotherapie und ihre Nebenwirkungen und auch über die Haare. Das schockiert die Kids. Mein Sohn sagt gleich, dass er mich nicht ohne Haare sehen will. Auch meine Tochter kann sich das nicht vorstellen. Ich verspreche, dass sie mich nicht mit Glatze sehen müssen, wenn sie das nicht wollen. „Dann kann ich deine langen Haare nicht mehr bewundern“… das schmerzt auch mich ☹

Es ist Montag, mein erster Zyklus beginnt. Ich habe eine sehr kurze Nacht hinter mir, meine Gedanken sind auf Wanderschaft gegangen. Im KH angekommen wird erstmal der Port angestochen und Blut abgenommen. Warten.

Ich verfasse einen Text, um meine Freunde zu benachrichtigen. Mir ist es wichtig, dass ich sie persönlich informiere, wenn auch „unpersönlich“ über WhatsApp. So gibt’s weniger Berührungsängste und ich möchte auf jeden Fall offen damit umgehen.

Meine lieben Freunde!

Das Leben stellt einen manchmal ungefragt vor Herausforderungen. Meine Herausforderung heißt Hodgkin Lymphom, Lymphdrüsenkrebs. Wir wurden Anfang August mit dem Verdacht konfrontiert und es hat uns den Boden unter den Füßen weggezogen. Aber nur kurz – dann war klar: krank werden ist keine Entscheidung, gesund werden aber schon; also Ärmel hochkrempeln und auf in den Kampf! Heute starte ich mit dem ersten Chemoblock. Mir geht es gut und ich bin bereit für alles was kommt. Ich freue mich, euch bald zu sehen/hören/lesen, ich habe nämlich nicht vor, mich die nächsten Monate in Watte zu packen.

Ich erhalte so viele liebe Antworten, alle treiben mir die Tränen in die Augen. So schön!!!!! Ich bekomme Bewunderung für meine Offenheit und Stärke. Diese Worte brauche ich! Auch wenn alle fassungslos sind und ich sie alle mit reinziehe in die Sprachlosigkeit und Nachdenklichkeit – es ist so der bessere Weg.

Meine Onkologin kommt zu mir mit dem Aufklärungsbogen. Wir gehen potenzielle Nebenwirkungen durch, welche wahrscheinlich sein werden und welche eher selten. Sie sagt es immer wieder – einfach so normal wie möglich, und wenn was ist, einfach melden.

Nach dem Mittagessen bekomme ich erstmal eine Eiseninfusion, der Eisenwert liegt nämlich bei 5 und das ist unterirdisch. Zwischendurch zum Herz-Ultraschall – da ist alles ok.

Am Nachmittag bekomme ich eine Antikörper-Infusion, die Schwester bleibt bei mir, da es zu allergischen Reaktionen kommen kann. Alles gut, ich vertrage es super.

Meine Familie kommt mit einem Eis vorbei! Wir spielen Karten und quatschen. Den Abend verbringe ich recht produktiv mit Diplomarbeit schreiben, telefonieren, spazieren gehen und Fernsehen.

Am nächsten Tag fühle ich mich gerädert. Die Nacht war nicht recht berauschend; bin gut eingeschlafen, aber die Schwester hat 2x nachts nachgeschaut und dann war ich jedes Mal wach, länger wach.

Visite war kurz und schmerzlos, es sollte bald losgehen

Zum Zeitvertreib nimmt sich eine Freundin eine halbe Stunde Zeit für einen Spaziergang. Das tut gut, draußen ist es noch nicht allzu heiß und wir können gemütlich reden über alles. Sie erklärt sich auch bereit, mir am Freitag die Leuko-Spritze zu geben, falls ich Hilfe brauche. Auch sie ist beeindruckt von meiner positiven Einstellung und meiner Offenheit. Das freut mich sehr.

Am Vormittag hat mich die Psychologin erwischt. Sie hat mir folgende Tipps gegeben:

  • Nächtliches Wachsein: keine mentalen Techniken verwenden, sondern lieber mit einer leichten Muskelentspannung (z.B. nur die Fäuste), dann nachspüren und dann eine Atemtechnik. Das lenkt den Fokus auf etwas anderes
  • Eigene ToDo-Liste für die Krankheit: täglich der Krankheit einen Raum geben, 30-60min je nachdem; wenn während des Tages Gedanken kommen, diese auf der To-Do-Liste notieren und beim nächsten „Termin“ durchdenken
  • Sorgenstuhl: wenn die Gedanken/Sorgen kreisen, einen Sorgenstuhl auswählen (nicht das Bett! Auch nachts nicht!), sich dort hinsetzen und sich mit den Gedanken beschäftigen. Das soll auch nicht der gemütliche Esszimmerstuhl sein, sondern irgendwas anderes (Schreibtisch oder so)

Vor dem Mittagessen gibt’s Cortison-Tabletten und eine Infusion gegen die Übelkeit, danach Flüssigkeit, um die Nieren gut durchzuspülen. Es folgt eine Infusion mit einem Wirkstoff, der meine Blase vor der Chemotherapie schützen soll.  Soweit die Vorbereitung. Nach dem Mittagessen geht’s los mit der Chemo: Endoxan Baxter läuft problemlos, 30min. Es kommen noch zwei weitere Wirkstoffe: Doxorubicin für 30min und Etoposid läuft 60min in den Körper; diese Mischung aus verschiedenen Chemotherapien soll also die Krebszellen in die Schranken weisen! Die Schwester ist die erste Zeit neben mir, klärt mich über Nebenwirkungen auf und wir quatschen ein bisschen.

Mir geht es nach allen Infusionen gut, vielleicht fühl ich mich ein bisschen beduselt – aber das könnte auch an der schlechten Nacht liegen. Ich geh duschen, lasse die Wunde beim Port neu verpicken und mich dann abholen. Die Kids sind heute im Freibad und werden überrascht sein, wenn sie mich daheim antreffen.

Und wie sie überrascht waren 😊 Der Abend war dann leider nicht mehr so toll; mir wurde übel und ich hab ein Medikament eingenommen, leider nichts geholfen. Eine Stunde später mit einer stärkeren Tablette nachgelegt; es dauerte sehr lange, bis die geholfen hat. Jedenfalls konnte ich halbwegs gut schlafen (immerhin kann ich mich schon in beiden Seiten drehen, sehr angenehm).

Der erste Chemo-Tag liegt hinter mir, es kommen noch 2 weitere dazu. Ich bin gespannt, was die nächsten Tage so bringen werden.

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