Die ersten Haare gehen aus…
Die ersten Haare gehen aus…
So. 15.09.24
Abends kurz ein Einbruch wegen den Haaren. Bisher ist noch alles dran, aber ich habe echt Angst. Angst, dass ich mich nicht sehen kann, Angst dass mein Mann mich nicht mehr anschauen kann …
Nachdem der erste Chemo-Tag geschafft war, muss ich am nächsten Tag erst um 09:00 im Krankenhaus sein, ich verbringe also einen netten Morgen mit den Kids und bringe sie dann zur Oma. Die Nacht war ganz ok, die Tabletten gegen die Übelkeit haben die Nacht über geholfen. Morgens nehme ich gleich wieder ein Mittel gegen die Übelkeit und ich geh auch ein bisschen spazieren, bevor es nachher wieder heiß wird.
Zurück im Krankenhaus kommt die Visite. Ich gebe Bescheid, dass mir am Vorabend so schlecht war und wir vereinbaren, dass ich heute noch ein zweites Mittel gegen die Übelkeit zum anderen dazu erhalte, damit sollte es besser werden. Heute erwartet mich wieder Cortison, erneut eine Infusion Etoposid und ein neuer Wirkstoff – Dacarbazin – welcher sogar über 2 Stunden über den Infusomat läuft. Ich hänge also lange am Schlauch, darf aber wieder heim, wenn alles vorbei ist.
Wir haben die Lehrerin meiner Tochter informiert. Auch sie war natürlich sehr betroffen, wünscht uns alles Gute und bietet uns jegliche Unterstützung an, die wir brauchen. Sie hat auch ein Auge auf meine Tochter, und wird bei Zeiten auf sie zugehen und sie fragen, ob sie das Thema in der Schule ansprechen möchte oder nicht. Es kann sein, dass Kinder die Schule lieber als einen Ort haben möchten, wo es nicht um Mama’s Krankheit geht.
Die Nacht war wieder nicht so toll, aber am Vorabend ist es nicht so schlecht gelaufen mit der Übelkeit. Ich musste nachts aufstehen und was nehmen aber dann gings wieder. Nächsten Morgen bringe ich meinen Sohn in den Kindergarten bringen und mache mich wieder auf den Weg ins Krankenhaus. Heute ist erstmal Finaltag, allerdings lassen die Chemos auf sich warten, alles dauert ein bisschen länger. Mein Plan für heute: Cortison-Tabletten, Mittel gegen die Übelkeit, Etoposid für 60min und nochmal Dacarbazin für 120min. Dazwischen immer spülen. Ich werde spät fertig und komme erst um halb 7 nach Hause. Am Ende hatte ich das Krankenhaus und die Schläuche und die Menschen dort schon ziemlich satt. Ich habe am Nachmittag noch eine neue Zimmerkollegin bekommen, die hat auch wieder viel gewusst und alle erzählen ihre Geschichten. Abends läufts aber sonst ganz gut.
Am ersten Tag zuhause kann ich die Augen kaum offenhalten. Ich brauche 3x Schlaf und da falle ich fast ins Koma so fertig bin ich. Danach kann ich aufstehen und ein paar Dinge machen, dann bin ich wieder schwach. Kurz draußen mit meinem Sohn ein paar Bälle schießen, dann wars das schon wieder. Für den nächsten Zyklus notieren: am Tag nach der Chemo kann man mit mir nichts anfangen! Und Kaffee schmeckt nicht, bäh.
Abends habe ich mich gefangen, jetzt kommt die Leukozyten-Spritze. Nachdem die Chemotherapie mein Immunsystem komplett niedergemäht hat, hilft diese Spritze meinem Rückenmark, neue weiße Blutkörperchen zu bilden. Erst mit diesen weißen Blutkörperchen hat mein Körper Abwehrkräfte gegen Viren, Bakterien & Co. Alle sagen die Spritze ist kein Problem, das schafft man schon. Ich packe alles aus und setze an – und verzweifle! Das ist kein so ein Stift sondern eine richtige Spritze, die ich mir unter die Haut jagen muss. Mir kommen die Tränen, ich schaffe das nicht. Mein Mann ruft eine befreundete Krankenschwester an, die um 20:15 noch vorbeikommt, sie ist meine Rettung!
Ich hatte in der Nacht keine Probleme (bis auf den Schlaf natürlich), hab auf Schmerzen vom Rückenmark gewartet, aber da ist nix gekommen. Auch gut, nehm ich gerne so! Heute fühle ich mich nicht mehr so k.o., aber etwas wackelig auf den Beinen, etwas Atemnot und eng im Oberkörper. Aber ich hab mittags gekocht, hatte richtig Lust auf Ofentortellini mit Gemüse. Hat zwar nicht so geschmeckt wie erwartet, aber ich konnte es mir ungefähr vorstellen. Kaffee schmeckt auch wieder nach etwas. Müsli am Morgen war geschmacklos. Die Kids sind im Enkerlausflug und mein Mann und ich haben den Tag daheim. Wir machen Hausarbeit (ich ein bisschen), ruhen uns aus und haben eine schöne Zeit. Keine Schmerzen von der Spritze! Top!
Zwischendurch fühlt es sich immer mal wieder normal an, so als wäre gar nichts.
Die Schwellung am Hals ist zurückgegangen! Juhuuuu! Es kribbelt zwar noch immer auf der Brust beim Schlüsselbein und spannt daher auch noch, aber rund um den Hals ist es auf jeden Fall leichter geworden!
Abends kurz ein Einbruch wegen den Haaren. Bisher ist noch alles dran, aber ich habe echt Angst. Angst, dass ich mich nicht sehen kann, Angst dass mein Mann mich nicht mehr anschauen kann …
Und werde ich dicker?
2 Tage später startet die 2. Woche vom 1. Zyklus, gleichzeitig startet auch die Schule. Ich beginne mit einem 5-Tages-Antibiotikum, welches mich über Wasser halten soll, solange mein eigenes Immunsystem noch nicht wieder halbwegs hochgefahren ist.
Heute spielt meine Stimme verrückt, ich habe eine pelzige Zunge, einen komischen Geschmack im Mund und leichtes Sodbrennen. Die komischen Nebenwirkungen im Mund bleiben am nächsten Tag leider auch. Sodbrennen ist echt nervig. Ansonsten fühle ich mich, als wäre nichts. Am Mittwoch muss ich zur ersten Blutkontrolle in die Ambulanz. Das Ergebnis: leider sind die Blutwerte noch zu niedrig, Menschen meiden und am Freitag wieder kommen.
Am Nachmittag fahren mein Mann, meine Tochter und ich ins Perückenstudio, um eine Perücke für mich auszusuchen. Ich bin etwas nervös. Wir erfahren den Unterschied zwischen den Materialien (Kunsthaar vs. Echthaar vs. Mischhaar) und dass für lange Haare eh nur Echthaar infrage kommt. Wir treffen genau meinen Farbton, kann mich aber nicht zwischen 2 Perücken entscheiden. Es werden beide bestellt und beim nächsten Termin kann ich eine aussuchen. Das Schwierige ist der Scheitel und der Haaransatz und dass meine Haare zwar dick sind aber am Haaransatz doch eher platt. Mal sehen wie die das hinbekommen.
Freitag komm ich wieder zur Blutkontrolle, die Werte sind immer noch zu niedrig. Meine Onkologin nimmt sich Zeit und sagt, ich soll immer noch zu viele Leute meiden. Sie gibt mir aber das OK, dass ich zum Mentaltrainer-Kurs gehen darf – mit FFP2-Maske. Zur Sicherheit soll ich das Antibiotikum noch ein paar Tage länger nehmen. Offensichtlich erholt sich mein Körper nicht so schnell, d.h. sie wird bei der nächsten Chemo die Dosis etwas reduzieren. Auf die Frage, ob ich beim nächsten Mal 3 Tage Chemo statt 4 haben kann, meint sie erst, ich hätte doch einige Nebenwirkungen gehabt und da wären 4 Tage besser. Ich frage sie, ob es von den Nebenwirkungen dann anders wäre – sie meinte nein, es würde gleichbleiben. Am Ende kann ich sie überzeugen, dass ich nur 3 Tage kommen muss 😊
Beim Mentaltrainer-Kurs muss ich natürlich gleich die Katze aus dem Sack lassen, wo ich doch mit Maske in der Tür stehe. Alle sind sehr betroffen und wünschen mir alles Gute. Das Wochenende können wir aber dennoch relativ normal durchziehen. Ich bin überall dabei, nur am Freitag breche ich etwas früher ab.
Ich bekomme plötzlich die Knochen- und Gliederschmerzen, auf die ich seit einer Woche warte. Der Schmerz kommt aus dem Becken / unteren Rücken und zieht die Beine hinunter und um die Hüfte. Ich empfinde den Schmerz allerdings als angenehm, weil ich weiß, dass nun das Immunsystem hochfährt. Das Knochenmark und mein ganzer Körper arbeiten für mich und schauen, dass meine Blutwerte und somit mein Immunsystem wieder auf die Beine kommen.
Abends: die ersten Haare gehen aus……