Gefühle und Gedankenspielereien
01.11.25
Ich habe mich manchmal schon gefragt, wie es wäre, wenn ich gar nicht wüsste, dass meine Krankheit als unheilbar gilt.
Wenn ich einfach denke, es ist alles schon gut. Klar mit gewissen Risiko, weil man ja nie weiss, was noch kommt.
Was würde es ändern? Würde ich einfach wieder arbeiten gehen und so weitermachen, wie vorher? Wäre ich überhaupt in der Lage wieder zu arbeiten und so immer wieder an Grenzen kommen, weil mein Körper, mein Kopf, einfach nicht mehr der Gleiche ist?
Auch wenn ich es nicht ändern kann, lasse ich diese Gedankenspielereien manchmal zu. Denn wenn ich immer mal wieder so am Studieren bin, kommt die Wahrheit immer wieder mit einer Klarheit, die mich selber überrascht.
Ich würde so weitermachen wie vor dem Knockout, nach der OP und nach der Diagnosestellung.
Ich würde auf Biegen und Brechen versuchen wieder zur Arbeit zu gehen. Es ist eh schon so, dass es Menschen gibt, die auch wieder zur Arbeit gehen mit einer unheilbaren Krankheit. Ich bewundere diese Menschen, doch ich gehöre nicht mehr dazu. Es ist einfach so, auch wenn ich immer mal wieder das Gefühl habe, es könne ja gehen. Dann kommt der Knüppel zwischen die Beine wie programmiert.
Mittlerweile muss ich mir auch eingestehen, dass es entlasten kann, wenn man weiss, es geht ‘offiziell’ auch nicht mehr. Ich bekomme mit, wie andere beeinträchtigte Menschen, die nicht mehr arbeiten können, mit Versicherungen wie Krankentaggeld und IV kämpfen müssen. Bei mir ist es noch offen, doch aktuell gelte ich immer noch zu 100% krank geschrieben.
Ich wäre sehr, sehr gerne wieder gesund und ja, ich wünschte mir, der (Alp)Traum würde enden und ich wäre wie vorher, logo.
Darum spielen meine Gefühle auch immer mal wieder verrückt. Das Spektrum von schlechten Gefühlen ist grösser geworden, oder besser gesagt, ich fühle es überhaupt. Wie aus heiterem Himmel kommen Tränen, bin traurig, ich habe Wutgefühle und/oder Angst, ich bin reizbar, überfordert, müde, unsicher,…
Und dann kommt das Überraschende, ich fühle auch oft fast schon Glück, Zufriedenheit und Ruhe. Ich kann meine Tage selber organisieren. Ich werde wohl nie mehr an meine Leistungsfähigkeit anknüpfen können von früher, aber es geht noch was. Es mag manchmal nur ein Trostpflaster sein, doch immerhin gibt es das.
Ich werde mich wohl auch nie wirklich daran gewöhnen, dass ich irgendwann im Verlaufe des Tages dringend Pausen brauche. Wie ich auch schon schrieb, damit meine ich echte Pausen, also kein Handy, kein iPad, keine sonstigen Ablenkungen. Nur einfach Ruhe, Augen zu und relaxen. Ich stelle mir mittlerweile oft den Timer, damit ich nicht ganz einschlafe. Danach habe ich wieder mehr Antrieb und Lust, was zu tun. Zumindest meistens.
Auch die Medikamente ärgern mich, ich bin immer glücklich gewesen, wenn ich keine brauchte. Und jetzt muss ich täglich v.a. die Antiepileptika nehmen, die auch wieder Nebenwirkungen haben. Noch mehr Müdigkeit, noch mehr Kopfweh, Reizbarkeit, Magenbeschwerden. Aber ich habe keine Anfälle mehr, hoffentlich noch lange nicht!
Ja, ich habe mir diese Diagnose nicht gewünscht, wäre gerne wie früher, doch ich schaffe es nach wie vor, das Leben meist zu geniessen. Die Weichen haben sich für mich anders gestellt, doch der Zug rollt noch.
Ja, es ist wirklich so, wir müssen alle sterben, doch das Leben hat sich für mich komplett verändert. Und die offen ausgesprochene Diagnose hilft mir diese Veränderung angemessen auszuhalten und aktuell das Beste daraus machen zu können.
Accept what is; let go of what was; and have faith in what will be.
