Gesund?!?
Vier Jahre Leben nach Krebs. Ich fühle mich gesund und munter. Aber manchmal da fühle ich mich wie in einem dunklen Tunnel und es tauchen Kopfgeister und ein großes leuchtendes Fragezeichen auf. Das verunsichert mich und schürt Ängste.
Ist es okay, wenn ich mich in gesunder Sicherheit wiege oder sollte ich lieber gleich mein Testament machen, weil es sowieso nur eine Frage der Zeit ist, bis der Krebs wiederkommt? Angesichts von sich häufenden Nachrichten von Rezividen und Metastasen in meinem Umfeld treibt mich diese Frage und ich gehe ihr in diesem Blogtext nach.
Ich bin gesund
Es ist das vierte Jahr nach meiner Brustkrebsdiagnose. Ich bin in der Antihormontherapie, habe regelmäßige Nachsorgetermine und bin in einer Selbsthilfegruppe. Auch wenn ich wie Sarah Connor ( (ja – In einen echten Annette-Blogtext gehören Songlinks aus, ist doch logisch) von Herzen gerne “vergessen [will], wer ich bin, und das Mädchen von damals sein [möchte]”, weiß ich, dass mir das nicht gelingen wird.
Denn mein Leben nach Krebs läuft nicht genauso ab wie damals, “bevor alles kam, wie es kam.” Im Leben nach Krebs fühle ich mich nicht genauso wie davor. Ich habe zwar weiterhin “Wilde Nächte”, aber das liegt wohl eher an der Schlaflosigkeit und den Hitzewallungen infolge der Medikamente und nicht daran, dass ich “um die Häuser ziehe” und auf der “Tanzfläche knutsche”.
Und doch … und doch… Ich stecke nicht mehr im laaaaaaangen dunklen Tunnel aus körperlichen Beschwerden, dem Hadern mit meinen Narben und meiner Haarlosigkeit, gruseligen Ängsten und mentaler Tiefs.
Nein, eigentlich lebe ich mittlerweile ein Leben wie jede andere berufstätige verheiratete Frau und Mutter auch. Ich habe Haushaltspflichten und Alltagskram zu erledigen, mich um meine eigenen und die vielen Termine der drei Goldschätze zu kümmern, dafür Sorge zu tragen, dass bei mir im Unterricht alles rund läuft, ich meine Bücher pünktlich abgebe und hier und da und dort dies oder das oder jenes zu tun.
Ich lebe ein volles, wuseliges, absolut lebendiges, sportliches und teilweise sogar wildes Leben.
Und das kann ich so tun, weil es mir gut geht. Weil meine Therapien und Medikamente ordnungsgemäß ihren Dienst getan haben bzw. ihn weiterhin brav tun. Nicht zuletzt auch, weil ich alles mache, was ich selbst zum Gesundbleiben machen. Ich ernähre mich vegetarisch, trinke keinen Alkohol, mache täglich Sport, achte auf die Vitamin-D-Selen-Calcium-Zufuhr.
Kurzum: Ich spreche einen Toast aus auf die medizinischen Möglichkeiten und lobe mich an dieser Stelle selbst für meine Tatkraft und meinen Willen, das alles so durchzuziehen, auch wenn ich manchmal schon gerne einen Aperol trinke oder in ein Stück Fleisch beißen. Auf meinen Sport würde ich auch ohne Krebserfahrung nicht verzichten. Das war und ist schon immer mein Lebenselixir gewesen und ist es nun in vergoldeter Form.
Fakt ist: Mir geht es gut. Ich fühle mich gesund. Und bin sogar so mutig und streiche sogar zwei Wörter aus diesem Satz und füge ein anderes ein: Ich fühle mich bin gesund.
Und als gesunde Frau mache ich mir Gedanken über unsere Familien-Städtereise an Ostern 2026.
Als gesunde Frau packe ich berufliche Veränderungen an und starte zum Schuljahresbeginn neben meiner Tätigkeit als Lehrerin in das Abenteuer Lehrerfortbildung und habe schon die Zuweisung meiner Ermäßigungsstunden für das Schuljahr 2026/27 bekommen.
Als gesunde Frau schließe ich Verträge mit der Bank ab, wird Photovoltaik auf unserem Haus geplant usw.
Als gesunde Frau mit Hang zur Sprache bilde ich Sätze in der Futur-Form. „Ich werde…“
Als gesunde Frau freue ich mich, dass ich mich eines Lebens 2.0 erfreuen darf.
Darf ich das?
Und dann…. Dann kommt ein Tag wie vorgestern, an dem der Regisseur meines Kopfkinos seinen neuesten Film startet und mir in der Preview leise, aber durchaus unüberhörbar zuraunt:
„Annette, hege nicht so realitätsferne Gedanken…. Du kennst doch aus deiner Instagram-Krebsbubble und im echten Leben, ja sogar in einer Familie, so viele Leute mit einem Rezidiv oder mit Metastasen …“
An solchen Tagen steh´ ich dann von 100 auf Null da, hab´ “in meinen Augen ‘n Ozean voller glitzernder Tränen, die vor [mir] auf den Boden fallen” und steh´ doch wieder in einem dunklen Tunnel “gefangen im Gedanken-Labyrinth” so wie die Protagonistin in einem weiteren Song von Sarah Connor. Ich bin alles andere als “Stark“. Im schattigen Tunnel sehe ich irgendwo ganz hinten ein Fragezeichen aufblitzen. Und beginne alles, was ich mir da im Oberstübchen so schön zusammengetüftelt und im ersten Teil dieses Textes blumig beschrieben habe, infrage zu stellen.
Frage mich warum es denn ausgerechnet bei mir gut gehen sollte? Warum sollte ich mit einem blauen Auge oder besser gesagt mit ein paar körperlichen wie seelischen Narben davonkommen, die ich doch mit Vitamintabletten, Mindsettricksereien, Selbsthilfegruppengesprächen und Krebsbloggeraktivitäten mittlerweilse echt im Griff habe?
In solchen dunklen Tunnelmomenten höre ich dann gar nicht mehr leise die Frage in meinem Kopf und spüre ein Rumoren in meinem Bauch: Darf ich mich gesund fühlen? Darf ich an Heilung denken? Oder fühle ich mich zu sicher und beschwöre damit die bösen Geister im Universum?
Manchmal haut mich das um. Ich werde kleinlaut. Werde nachdenklich. Ängstlich. Fühle mich irgendwie schuldig.
Warum bin ich gesund und so viele andere nicht? Ich müsste es doch eigentlich wissen, dass es nur eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis der Krebs wiederkommt, oder?
Habe ich doch erst letzte Woche wieder von einem Rezidiv bei einer Bekannten erfahren, deren Diagnose im selben Zeitraum war wie meine. Stehe ich doch in engem Kontakt mit einer Person, die unter derselben Medikamentieung wie ich Metastasen entwickelt hat. Ist doch meine eigene Schwiegermutter zum dritten Mal an Krebs erkrankt. Wurde nicht bei meiner aktuellen Interviewpartnerin bei “Annette fragt“ bei der Nachsorgeuntersuchung des einen Tumors gleich zwei einer anderen Krebsart entdeckt.
Zweifel tun sich auf. Wie wahrscheinlich ist es, dass ausgerechnet bei mir alles gut gehen wird?
An dieser Stelle erscheint in meinem geistigen Ohr ein unheilschwangeres Geräusch oder ein Moment der bedeutungsschweren Stille.
Aber mittlerweile ist dieser Moment nicht mehr lang, denn vor meinem geistigen Auge bildet sich ein Satz und der lautet:
Ja, ich darf!
Lange Zeit knickte ich angesichts der schlagenden und mental durchaus schmerzhaften Argumente von Rezidiven, Metastasen und Zweit- oder gar Dritterkrankungen und dem Schreckensadjektiv “palliativ” ein. Ich schob Panik und spürte depressive Stimmungen. Aber mittlerweile biete ich dem blöden Kerl, der sich als Chef meines Kopfkinos aufzuspielen versucht, Paroli.
Denn Statistiken sagen, dass ich der Regelfall bin. Dass ich aufgrund meiner Krankengeschichte und meines Lebensstils gute Chancen habe, zu den 88% der Brustkrebspatientinnen zu gehören, die 5 Jahre nach der Diagnose noch leben und vielleicht sogar zu den 83% gehören zu dürfen, die dies nach 10 und mehr Jahren noch immer tun dürfen.
Und um mein Paroli-Bieten noch aussagekräftiger zu machen, führe ich mir hier nochmal vor Augen, warum es bei mir klappen könnte.
- Mein Knoten wurde frühzeitig entdeckt. War noch miniklein, nicht tastbar.
- Meine Lymphknoten waren nicht befallen.
- Der Krebs hatte nicht gestreut.
- Der Tumor war nach OP, Chemotherapie und Bestrahlung vollständig verschwunden.
- Ich befinde mich in der Antihormontherapie.
- Ich achte auf einen gesunden Lebensstil.
Dies alles senkt mein Rezidivrisiko nachweislich. Und ich erlaube mir, dies auch zu glauben und auf mich zu beziehen.
Falls du liebe Leserin oder lieber Leser noch zweifelst oder dich nicht traust, es zu glauben, dann klicke dich direkt weiter zu einem knackig-prägnanten Artikel mit dem Titel „Brustkrebs – Heilungschancen und Prognosen“ oder einer aussagekräftigen Kurzmitteilung der Deutschen Krebsgesellschaft auf dem Onko-Internetportal oder bemühe einfach die Ki, die da sagt:
„Brustkrebs ist in den meisten Fällen heilbar, insbesondere wenn er frühzeitig erkannt und entsprechend behandelt wird. Die Heilungschancen liegen bei über 90%, wenn der Brustkrebs im frühen Stadium diagnostiziert wird.“ (22.5.2025 um 15:56)
Mir persönlich reichen an meinen guten Tagen und nach den Erfahrungen aus vier Jahren Leben nach Krebs die Fakten aus:
Stand heute bin ich gesund. Und solange mir keiner das Gegenteil beweist, darf ich mich gesund fühlen. Darf ich Vertrauen ins Leben haben. Darf ich an meine Heilung glauben.
Um dieses gute, gesunde, vertraute, heilsame Gefühl zu unterstreichen, lasse ich an dieser Stelle erneut Sarah Connor sprechen bzw. singen. Denn egal, was gestern war, egal, was morgen kommt,
“Heut’, ja, heut’, heut’ ist alles gut, heut’ ist erstmal alles gut Oh, heut’, ja, heut’ heut’ ist alles gut und ich hab’ wieder bisschen Mut”
Aber es gibt dennoch ab und an die weniger guten Tage, an denen die Kopfkinovorstellung in Dauerschleife läuft und ich denke „So schlimm wie jetzt war es noch nie“. Die Momente, in denen schlechte Krebsnachrichten aus dem engen, weiteren oder prominenten Umfeld mich triggern. Für diese Phasen, in denen meine mentale Heilung ins Stocken gerät, habe ich mir von der wundervollen Annarosa Liesenfeld ein Armband mit der Aufschrift HEAL-Heilung machen lassen. Das hilft mir, mich wieder auf das Positive zu fokussieren: Ich bin gesund, ja. Heute bin ich gesund. Punkt.
(Insidernews am Rande: Eine gute Bekannte von mir, die liebe Michaela Theede, auch schon mal im Interview bei “Annette fragt” dabei war, fand das Armband und die Message so toll, dass sie es nun auch trägt. Und auch ihr hilft dieser Reminder in der Leben-nach-Krebs-Zeit. Das freut mich so sehr.)

Von der Sicherheit und dem Rahmen des Möglichen
Der Statistik nach kann ich also im Optimalfall urururururururururururualt werden.
Wenn es weniger optimal laufen sollte, dann aber auch nicht.
Aber je länger ich auf diesem Gedanken herumkaue, desto klarer sehe ich: Das hat doch keiner von uns in der Hand. Retreat, Therapie, Krankenwagen, OP-Tisch, Medikamentenberg, Allergieschock… das kann doch jeder und jedem von uns mal blühen. Krebs hin, Krebs her.
Ja, sollten sich die Weichen in meinem Leben mal wieder anders stellen, dann ist es so. Zeigt sich bei der nächste Nachsorgeuntersuchung ein Rezidiv, dann ist das so. Spüre ich nachher beim Duschen einen Knoten in der Brust, dann ist das so.
Hört sich abgebrüht an und ist es vielleicht aufgrund meiner lebensbedrohlichen Erfahrung auch. Vielleicht ist es aber auch gar nicht abgebrüht, sondern einfach realistisch.
Es ist doch schlicht und ergreifend so, dass ich nur 2 Möglichkeiten habe:
- Es ist möglich, dass ich zu den 90% gehöre, die quietschvergnügt und teilweise sehr, sehr lange und alle sehr, sehr gesund durchs Leben gehen dürfen.
- Es ist aber genauso möglich, dass ich zu den 10% gehöre, die wieder erkranken oder Metastasen entwickeln.
Wenn weder hundertprozentig sicher ist, dass der Krebs wiederkommt, dann ist es im Umkehrschluss auch nicht sicher, dass er wegbleibt.
Wenn also nichts sicher ist, dann ist alles möglich.
Und ein mehr als guter Spruch, oder?
So gut, dass dieser Spruch es auf eine Mutmacher-Postkarte von Jung und Krebs e.V. geschafft hat (by the way: der beste Verein der Welt!). So gut, dass ich ein Foto dieser Karte hier einfüge. So gut, dass ich diesen Spruch für mich in mein Lebensmuster integriere und sich dadurch zigzigzigzig neue Chancen für mich auftue und ich definitiv noch mehr Lust auf das Leben und all seine Möglichkeiten bekomme.
Wenn also nichts sicher ist, dann bleibt im Positiven wie im Negativen, im Gesunden wie im Ungesunden, alles im Bereich des Möglichen. Ein spitzenmäßiges Gefühl.

Zum Schluss bleibt mir noch die Dankbarkeit
Am Ende dieses Textes, am Ende meiner Gedanken komme ich wieder beim großen Wort an, das sich seit meiner Krebserkrankung immer wieder und immer öfter in meine Sätze, in mein Denken und mein Leben schleicht. Es bleibt mir die Dankbarkeit.
Die Dankbarkeit dafür, dass mir ein Leben 2.0 vergönnt ist. In dem ich gerade beruflich einen neuen Weg einschlagen darf. In dem ich meinen Goldschätzen beim Großweden zuschauen darf. In dem ich den Göttergatten mit meinem Dauerredefluss nerven darf. Indem ich joggen, Mountainbike und Hantel stemmen darf. In dem ich sein darf, mit allem, was ich kann und bin.
Ich wünsche mir natürlich, dass ich weiter heil bin. Dass ich noch mehr können und sein darf. Dass es mir vergönnt ist, mental noch weiter heilen zu dürfen, weil ich in die die Statistik passe.
Wäre es möglich, dann würde ich versuchen, die Zeit anzuhalten. Aber ich weiß, dass ich schon morgen aus der Statistik herausfallen könnte. Und ich weiß auch, dass viele von euch da draußen leider schon jetzt aus der Statistik herausfallen. Vielleicht stößt der einen oder dem anderen mein Text deshalb auch ein bisschen auf? Ich hatte Glück und ihr armen Seelen nicht.
Im vollen Bewusstsein der Dankbarkeit für mein unverschämtes Glück, beende ich diesen Text deshalb mit herzlichen Grüßen an alle jene da draußen, die dieses Glück nicht haben. Diejenigen von euch, die nicht gesund sind.
Seid gewiss: Ich sehe euch auf der anderen Seite der Krebsmedaille! Verzeiht mir, dass ich mich für mich freue. Ich tue dies aber nicht mit lauten Fanfaren, sondern beende diese mit einem ganz leisen: Danke, Universum. Danke, dass es mir gut geht. Danke, dass ich heute gesund bin.