Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Haben Sie sich verletzt, Frau Lehrerin?

Grundschulkinder sind von Natur aus neugierig. Die Schule ist ein Raum, an dem sie neugierig sein dürfen. Und die Lehrerin ist häufig die erste Ansprechperson an der Schule für diese Kinder. Auf der einen Seite müssen Arbeitsanweisungen mindestens drei Mal wiederholt, visualisiert und am Besten mit einer Geste verbunden werden, damit die Aufgabe von der Hälfte der Klasse verstanden wird. Auf der anderen Seite merken sie sich jede noch so kleine Aussage, jegliche kurze Unaufmerksamkeit oder gar das Vergessen eines Namens vor allem auf emotionaler Ebene.

Als ich mit der Wiedereingliederung an der Grundschule startete, war mir bewusst, dass die einzelnen Stunden nach einem Jahr Pause, einem Jahr in dem ich nur für mich und meine Heilung verantwortlich war, schwer fallen würden.

Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war das seltsame Gefühl gesehen zu werden. Kinderaugen schauen einen bis auf die Seele hinab an. Sie korrigieren kleine Versprecher gern, nicht aus Böswillen, sondern aus Korrekturwillen. Warum dies für mich als Krebskämpferin besonders anspruchsvoll und aber auch bereichernd und goldwert ist, illustriere ich an den folgenden Beispielen:

  1. “Frau…, warum gehen Sie eigentlich am Stock? Sie hatten doch letztes Jahr einen Fahrradunfall.” “Ja genau, da hast du gut aufgepasst. Aber ich hatte auch Krebs und danach eine große Operation. Jetzt muss ich wieder gerade laufen lernen. Im Moment tut das ohne Stock noch sehr weh.”
  2. “Dann seh ich Sie ja die Herbstferien über gar nicht mehr?”, in Gedanken an die Nachsorgeuntersuchung in den Ferien antwortete ich: “Genau, und die Woche danach vielleicht auch nicht.” “Doch. Wir müssen doch noch die Herbstgedichte fertig schreiben,” meinte die Drittklässlerin und umarmte mich stürmisch.
  3. “Mein Papa und ich haben Sie gestern in der Stadt gesehen. Er hat gefragt warum Sie an Krücken laufen.” “Ich laufe im Moment noch schief, weil ich eine Operation hatte. Aber bald gehe ich wieder gerade.” “Achso. Der Stock ist aber cool.”
  4. “Mein Opa hatte auch Krebs. Er ist gestorben.” “Liebe …, das tut mir sehr leid.” “Wirst du auch sterben?” “Ich…nein. Ich habe den Krebs besiegt und bin sehr glücklich hier mit dir im Englischunterricht zu sein.”

Ich könnte endlos so weitermachen. Mein Herz wird warm beim Schreiben dieser Worte, obwohl wir einige dieser Momente ordentlich die Kehle zuschnürten.

Was ich aber aus den ersten Wochen im Schuldienst als Lehrerin mit Behinderung gelernt habe ist Folgendes:

  1. Ich sollte mich am Anfang einmal richtig vorstellen. Erklären, warum ich am Stock gehe und wie sie als Kinder damit umgehen können. Dann können sie die Fragen einmal stellen und der Elefant ist aus dem Raum, sodass ich nicht von den Kindern im regulären Unterrichtsalltag immer wieder an mein Defizit erinnert werden muss.
  2. Es war die richtige Entscheidung an die Grundschule und nicht an das Gymnasium zu gehen, da die Kinder mir so viel Ehrlichkeit, Lebensfreude und Willen geben.
  3. Es ist wichtig, dass die Kinder diese Erfahrung mit einer Lehrerin machen, die eine Autorität im Klassenzimmer hat, aber trotzdem jemand ist, den man schützen muss und den man nicht umrennen darf. Sie lernen, dass helfen (wie das Tragen von Material für die Frau mit Stock) etwas Wunderschönes sein kann.

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