Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Hoch die Tassen: Feiern im Leben 2.0

Eine echte Partylöwin bin ich nie gewesen. Geburtstage feierte ich im Kleinen. Seitdem ich Mama bin, empfand ich Weihnachten und Ostern oftmals als stressige Pflichtveranstaltungen. Seit meiner Krebsdiagnose und meinem Neustart in ein Leben nach dem Krebs habe ich aber einen anderen Blick auf Feste und Feiern bekommen. Schnappt euch ein Bier oder ein Glas Sekt und ein paar Häppchen, wahlweise eine schöne Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen und feiert in diesem Blogtext ein wenig mit mir! Aber ich warne euch: Gegen Ende des Textes nehme ich eine etwas weniger feierliche Haltung ein und distanziere mich vom positiven Dauergrinsen und der ewigen Dankbarkeit, die von uns Krebspatientinnen und -patienten nach der Genesung oftmals erwartet wird.

Mein erster Geburtstag im Leben 2.0

Klar, als Kind waren meine Geburtstage – wie wohl bei jedem bis 18 – megawichtige Fixpunkte im Jahreslauf. Aber je älter ich wurde, desto weniger Bedeutung hatten sie für mich. Ja, ich wählte an meinem Geburtstag immer ein festlicheres Outfit. Ja, ich freute mich über Anrufe, Geburtstagskarten, WhatsApps und Co. Ja, ich fand es schön, an diesem Tag auszugehen oder daheim ein wenig zu feiern. Und ja, ich freute mich selbstverständlich, wenn ich Geschenke bekam. Aber etwas mehr als „ein etwas hellerer Tag in der Woche“ war er eigentlich nicht. Manchmal nervte es mich sogar, weil der Advent sowieso so prall gefühlt ist und da auch noch mein Geburtstag sein muss.

Und nun kam der 10. Dezember 2021: Mein erster Geburtstag nach dem Ende der Akuttherapie. Gleich vorweg: Nein, ich feierte kein riesiges Lebensfest mit Hunderten von Menschen, wie ich es während der Chemo immer vor Augen hatte. Nein, es gab keine monströsen Geschenke. Nein, meine Goldschätze waren nicht extralieb. Nein, ich wurde nicht mit einem Candlenightdinner überrascht.

Stattdessen: Es herrschte noch immer beschränkte Pandemieatmosphäre. Ich hatte Unterricht, vertretungsbedingt sogar zwei Stunden länger als normal. Es fiel sehr viel Neuschnee, so dass der eigentlich geplante Ausflug ins Schwimmbad ausfallen musste und eventuelle Überraschungsgäste, die außerhalb meines Schwarzwaldkleinstadtkosmoses leben, sowieso abgesagt hätten. Es knallte zwischen dem Göttergatten und mir. Hilfe beim Spülmaschine ein- und ausräumen, Tischdecken oder Kochen blieben auch an meinem Ehrentag aus.

Aber: Auch wenn das alles absolut nicht in die Kategorie „Annettes bestes Geburtstagsfest ever“ passt, es war definitiv besser als mein Geburtstag ein Jahr zuvor. Der war der Tag vor meiner Port-OP und der Tag, an dem ich bei meinem Onkologen das Aufklärungsgespräch für die Chemotherapie hatte. Was soll ich sagen: Da nahm ich doch lieber etwas Pech gepaart mit schlechten Ehevibes, normalen Kindern und Wetterkapriolen. Versteht ihr, oder?

An meinem Ehrentag 2021 verspürte ich schon gleich beim Aufwachen von innen heraus ein ganz spezielles Geburtstagsgefühl. Ich verkündete meinen Schülerinnen und Schülern freudestrahlend, dass die Frau Holl heute Geburtstag hat, ließ mich von ihnen besingen und gab eine Ladung Süßigkeiten aus. Am Nachmittag zog ich Skiunterwäsche an und bot dem Winter auf einer kleinen Joggingrunde die mit Kältecreme versorgte Stirn. Ich freute mich über den spontanen Besuch zweier Freundinnen, die durch den knöcheltiefen Schnee zu mir gestapft waren, um mir persönlich zu gratulieren und ein Geschenkesammelsurium zu überreichen (Danke, liebe S. und liebe B.! Das Buch ist mittlerweile gelesen, die Schokolade gegessen, vom Tee nur noch ein paar Beutelchen übrig und das Badesalz schon längst im warmen Wasser versenkt.) Am Abend zitierte ich den leicht angeknirschten Göttergatten zu mir aufs Sofa und schenkte uns ein Glas Sekt ein.

Kurzum: Die “neue Annette” wartete nicht, bis irgendjemand für sie das große Geburtstagsfeuerwerk zündete, sondern entzündete dieses selbst. Ich war innerlich happy, war bei mir, trug stolz eine nicht sichtbare, aber für mich deutlich spürbare Geburtstagskrone auf dem Haupt.

Der Tag war einer dieser „Ich bin dankbar am Leben zu sein-Momente“, den wohl nur Menschen kennen, die den Tod schon mal als stillen Beifahrer mit in ihrem Lebensreisefahrzeug sitzen hatten.

Allerdings ist mein Leben ja keine Szene in einer Amazon-Exclusive-Serie, sondern pure Realsatire und so gestehe ich, dass ich nicht 24 Stunde lang honigkuchenpferdmäßig grinsend durchs Haus hüpfte, sondern durchaus auch Tränen vergoss.

Zunächst mal einfach vor Freude, ein Jahr nach meiner Krebsdiagnose am Leben sein zu können. Aber auch vor Enttäuschung, weil die Familie mich nicht sonderlich anders behandelte als in den Jahren zuvor. Und es gab auch ein paar Tränen vor Wut, als ich da allein in der Küche stand und das Raclette– bekannt für viele Schälchen, Teller und Brettchen, die es mit kulinarischen Kleinigkeiten zu füllen gilt– alleine vorbereitete.

Jetzt, da ich das mit dem Abstand von Monaten niederschreibe, stelle ich fest, dass doch eigentlich alle Tränen ein Grund zur Freude waren. Heißt es doch, dass für meine Familie eigentlich alles beim Alten, eigentlich alles normal war. Ein Jahr nach dem Tatbestand eines aggressiven, schnell wachsenden Tumors ein wunderbares Kompliment für meine drei Goldschätze und den Göttergatten (So sehr ihr alle mich manchmal auch nervt, ihr seid die Besten….!) Der Mittelstürmer brachte das in seiner Geburtstagskarte wunderbar auf den Punkt, wie ich finde: „Auch wenn wir uns manchmal streiten, liebe ich dich!“

Weihnachten: reduzierter, kalorienärmer, schön

Zwei Wochen nach dem Geburtstag stand dann das Weihnachtsfest vor der Tür. Als Mutter dreier Kinder wollte ich es natürlich schön, wollte ich es harmonisch, wollte ich es feierlich. Als ehemalige Krebspatientin hatte ich mir aber im letzten Jahr geschworen – als ich inmitten der Coronapandemie, von Lebensängsten begleitet und mit Chemomedikamenten gedopt, die Adventzszeit erlebte -,  dass die Weihnachtsfeste im Hause Holl von nun an eindeutig stressärmer und entspannter sein sollten.

An dieser Stelle sei gleich gesagt, dass meine Goldschätze nicht unter Mamas Krebserkenntnis „Es sind doch die kleinen Dinge, die das Leben ausmachen.“ zu leiden hatten. Denn ganz ehrlich, wenn es um Weihnachten mit Kindern geht, dann müssen es schon die großen, die bunten, die prallen, die lauten Dinge sein, oder? Es gab selbstverständlich Backnachmittage. Wir stellten selbstverständlich viel zu viel Dekoration im Haus auf (zumindest sieht der Göttergatte das jedes Jahr so). Wir verschickten mehr als 40 Weihnachtskarten. Wir hielten unsere „Jedes Jahr kauft die Mama jedem der Goldschätze einen neuen Weihnachtspulli-Tradition” aufrecht. Wir schauten x Weihnachtsfilme (Amazon Prime und Netflix sei Dank für so manchen tollen Familienmoment mit bunten Bildern, schönen Songs und gagigen Szenen.). Es wurde fleißig die “Stille Nacht” am Klavier gespielt, geflötet und trompetet und auch Herr Zuchowski durfte mit der “Weihnachtsbäckerei” und Co. hier bei uns seine Konzerte geben.

Aber alles in allem war die Weihnachtszeit für unsere Verhältnisse reduzierter und auf jeden Fall um ein Vielfaches entspannter als in den Jahren zuvor: Wir backten nur ein paar Plätzchensorten und ich gestehe, dass das Goldkind sogar zweimal gekauften Teig verarbeitete – was seiner Freude allerdings keinen Abbruch tat und meinen Nerven durchaus sehr entgegenkam! Als meine lieben Schwiegereltern am 1. Weihnachtsfeiertag vorbeikamen, gab es anstelle von Braten, für den ich stundenlang in der Küche stand, ein Vesperbrett mit lecker Wurst-Käse-Rohkost-Dip-Ausstattung und dem Highlight selbstgebackenem Brot. Der Besuch meiner Eltern am Folgetag wurde kulinarisch unterlegt von Essen, dass wir im Restaurant geholt hatten, was dazu führte, dass ich am Vormittag noch sporteln konnte anstatt wie sonst in der Küche zu stehen.

Unsere Feiertage waren weniger pompös, weniger „wie es der Form entspricht“, aber in meinem Empfinden lebendig, gemütlich und einfach gut so wie sie waren. Und das ist es, was für mich zählt. MIR ging es gut mit dieser Art der Feier. Ich spürte sie mit allen Sinnen – sah strahlende Kinderaugen, hört begeisterte „Genau das hab ich mir gewünscht!“-Rufe, schmeckte „die gute Schweizer Schokolade“ und fühlte die knisternde Wärme meines geliebten Schwedenofens.

Weihnachten "Feiern" ist das eine. Weihachten "Erleben" das andere.
- Franz Schmidberger, Deutscher Publizist 2942

Die Christmas-Dance-Tradition ist etabliert

Wer meine Blogtexte liest, weiß, dass ich am letztjährigen Heilig Abend einen Tanz-Moment hatte, als Rest der Familie beim Weihnachtsgottesdienst und ich allein zu Hause war. Dein superwichtiger Moment in meiner Chemo-Adventszeit, der sogar zum Titel für meinen Weihnachtstext hier im Kurvenkratzer-Magazin wurde. Ich hatte mir geschworen, genau das zu meiner Adventstradition zu machen: Zu tanzen, dass ich am Leben war!

Und so wurde die Tanz-Frequenz n der Adventszeit 2021 hier im Hause noch um ein Vielfaches erhöht. Ab dem 1. Advent liefen Christmas-Songs rauf und runter. Ich drehte den Volumeregler hoch und sang lauthals, schief, aber überglücklich mit und tanzte dazu. Das Goldkind und der Mittelstürmer waren oftmals meine Tanzpartnerin bzw. mein Tanzpartner und ein-,  zweimal gesellte sich sogar das Teeniemädchen zu uns (Freu, freu, freu!). Zu dritt bzw. viert sangen, tanzten, groovten, kicherten, headbangten und tobten wir durchs Haus. Einfach weil es Spaß machte, einfach weil es gut tat, einfach weil es Leben pur war.

Silvester: Das Corona-Krebs-Jahr ist vorbei

Bevor es hier um Raketen, Fonduekäse und schicke Partyoutfits geht, muss ich ein wenig privat (also so richtig privat) werden.

Treue Blogleserinnen und -leser wissen, dass ich keineswegs im Heia-Poppeia-Rosarot-und-alle-sind-happy-Stil schreibe. Deshalb sei gesagt, dass mein erstes Weihnachtsfest im Leben 2.0 in punkto Partnerschaft alles andere als drei Tage Harmonie pur war.

Ja, ich bin ganz ehrlich: Hier hier bei uns kam in voller Breitseite das Leben in seiner Negativform dazwischen. Zwischen dem Göttergatten und mir hatte sich schon in den Wochen vorher etwas aufgestaut und dann lag am 23.12. plötzlich alles auf dem Tisch. Wir kriselten parallel zum Glockenklang der Christmette, zum Knistern des Geschenkpapiers, zum Plätzchenduft und Kerzenschein.

Was soll ich sagen? Der Feiertagscrash kommt eben auch in den besten Familien vor und macht auch vor einer Familie, in der die Frau Krebs hat(te) nicht Halt. Ich denke, ihr versteht, dass ich die Gefühlswelt meines Göttergatten und unsere Ehedifferenzen hier auf keinen Fall breittreten werde. Das war unsere private Baustelle. Ich finde es aber wichtig, euch auch diese Seite meines Weihnachtsfestes zu zeigen. Es ist nicht immer alles fein, glänzend, glücklich, auch wenn man gesund ist und dass doch eigentlich das größte Geschenk ist. Das ist nun mal so!

Aber – jetzt kommt das große ABER: Wir hatten am 27.12. ein megasupergeniales Wow-Gespräch, bei dem am Ende klar war: Ja, wir sind seit 20 Jahren ein Team und ja die Krebszeit war kein Zuckerschlecken, hat Narben an mir, hat Narben an ihm, hat Narben an uns hinterlassen, ABER ja, wir sind „The best team ever“ und das wird sich nicht ändern.

Mein Schatz, ich liebe dich!”

Traute Zweisamkeit war also über die Feiertage aus und fröhlicher Spaß zu fünft nur auf Sparflamme möglich. An Silvester hingegen zelebrierten wir unser Familienglück umso mehr und holten quasi die am Weihnachtsfest verpasste Ausgelassenheit zurück. Wir warfen uns in Schale, dekorierten wie für eine Party mit zig Gästen, öffneten Glückskekse, ließen Konfetti regnen, genossen (Kinder-)Sektprickeln und ein Fondue mit allem Schnickschnack, gossen Blei, lachten laut, sangen falsch, tanzten ausgelassen und feierten uns als Familie. Wundervoll!

Hoch die Tassen: Feiern im Leben 2.0
Die fünf Holls in Partystimmung

Auf in den Kindergeburtstagsmarathon

Meine drei Goldschätze haben im Abstand von zwei bzw. drei Wochen Geburtstag. Da jedes Kind einen Geburtstag mit Freundinnen und Freunden und einen Geburtstag mit den Großeltern feiert sowie meist noch ein Extradate mit der Patentante veranstaltet, feiern wir jedes Jahr mehr oder weniger sechs Wochen am Stück durch. Das war schon seit jeher eine Mischung aus Genuss, Stress, Kreativität, Freude, Ärger und definitiv ganz viel Mama-Einsatz. Und so bekam auch im Leben 2.0 jeder der Goldschätze eine Party, die zu ihr/ihm passte. Allerdings nahmen diese mich und den Göttergatten relativ wenig in Anspruch, da ich alles etwas entschlackte, weniger strikt plante und lockerer anging.

Das Teeniemädchen packte eine Ladung Freundinnen in unser Auto, ich kutschierte die Gesellschaft zum Schwimmbad, wo sie sich mehr oder weniger alleine vergnügten und ich mich getreu der Devise „Nur ja nicht auffallen!“ aufs  Eintrittbezahlen und Bestellen des Pommes-Chicken-Cola-Menüs beschränkte und leise meine Bahnen schwamm. Absolutes Win-Win!

Der Mittelstürmer verzog sich nach einer kurzen Butterbrezelsause hier bei uns (Das isst das junge Gemüse doch eh am liebsten.) an seinem Ehrentag mit Freunden plus bester Freundin unter Begleitung des Göttergatten in den Trampolinpark. Ein ganzer Nachmittag lang Sport, kichern und zum Abschluss noch Burger satt für die Mannschaft. Ich hatte es ganz ruhig daheim mit dem Goldkind und einem Besucherkind, kann mich wahrlich nicht über zu viel Geburtstagstrubel eklagen.

Beim Goldkind-Geburtstag war ich dann deutlich geforderter. Sie bekam mit ihren fünf Jahren einen ganz klassischen Kindergeburtstag mit Topfschlagen, Reise nach Jerusalem und anderen Partykracher. Dazu reichten wir  – ich gestehe – gekaufte Muffins. Die hatten wir aber immerhin am Tag zuvor mit dem Nachbarsmädel selbst verziert!

Liebe Leserin, lieber Leser, nein, ich rannte auch in den diesjährigen sechs Geburtstagswochen nicht komplett tiefenentspannt, dauerlächelnd und im Liebestaumel durch die Gegend. Aber wie am Weihnachtsfest auch bemerkte ich, dass „die neue Annette“ eine andere Gangart draufhat.

Die Handbremse ist definitiv nicht angezogen, denn ich wusele noch immer an vielen Baustellen und ich will ich weiterhin, dass die Kindergeburtstage gut geplant, die Geschenke passend sind, die Dekoration schön, das Essen lecker ist. Aber ich denke, ich fahre in einer anderen Geschwindigkeit herum. Ich bin im Kopf entspannter, ich setze andere Maßstäbe und kann mich auf die Feiern einlassen, anstatt permanent darauf zu achten, dass alles läuft, dass alles gut aussieht, dass alles passt. Und: Ich kann mittlerweile abgeben und Hilfe annehmen.

So übernahmen die Großeltern z.B. bei allen Feierlichkeiten die Kuchenbäckerei. Der Zitronenkuchen der Schwiegervaters ist sowieso der beste überhaupt (so viel Zuckerguss macht nur der Opi drauf) und der Schokokuchen der Schwiegermutter hätte jedes Anti-Krebs-Diät-Fraktionsmitglied zusammenzucken lassen. So what! Ich hatte keinen Vorbereitungsstress und die Gaumen der Gäste waren happy (Ich selbst lasse Kuchen sowieso links liegen und bin von daher auch glücklich aus dem Tag rausgegangen). Die Patentante und eine supergute Freundin von mir unterstütze mich bei der Goldkind-Kindergeburtstagssause („Huhu – liebe K., ich danke dir nochmals von Herzen für deine Hilfe!”). Ich erlitt also weder einen Nervenzusammenbruch, noch fiel ich am Abend völlig ermattet aufs Sofa.

Ganz wichtiges Learning meiner Krebsreise: In der Regel stört es keine oder keinen, wenn sie er um Hilfe gebeten wird. Im Gegenteil: Oft zaubert die Frage „Kannst du das oder das übernehmen/für uns machen/für mich tun?“ sogar ein Lächeln ins Gesicht des/r Gefragten und hat in den meisten Fällen ein „Logo, das mach ich doch gerne.“ zur Antwort.

Mama-Geburtstags-Gedanken 

An den Geburtstagen meiner Goldschätze bemerkte ich eine tiefe innere Zufriedenheit und Demut inmitten der To-Dos, die da lauten Der-Geburtstagstisch-muss-schön – Der-Kuchen-lecker – Die-Gäste-zufrieden – Die-Kinder-schön-angezogen – Die-Stimmung-gut. und sonstige mehr oder weniger wichtige (innere) Vorstellungen.

Ich war zutiefst gerührt, dass ich diese Ehrentage miterleben, dass ich sie mitgestalten, dass ich Gäste hier bei uns in Empfang nehmen, dass ich die Geburtstage gesund, mit Haaren und klar bei Verstand mitfeiern konnte (das Chemobrain ist Gottseidank weg). Mein Mamaherz weinte, frohlockte und tanzte.

Anne Nieland, auch Brustkreblserin, beschreibt in ihrem Buch “Der Gewinn” dieses Mama-Frohlocken am Geburtstag ihrer Zwillingskinder „Heute könnte ich sie den ganzen Tag knutschen und festhalten! Denn ich darf dabei sein! Diese Momente sehe ich auf einmal mit anderen Augen. Während ich normalerweise jetzt schon mitten im Wuselwahn angekommen, sitze ich am Küchentisch und schaue beiden mit nassen Augen zu. Warum guckst du denn so?”, fragt Malte [ihr Sohn]. „Ach weißt du, ihr zieht mich einfach magisch an und macht mich turboglücklich.”, lächele ich ihn an. 

(Sideinfo: Diesse Buch erschien exakt einen Tag, nachdem ich meinen Blogtext zu Krebs-Büchern online gestellt habe. Es wird definitiv noch einen Nachtrag mit einer Rezension dazu geben. Es lohnt sich!)

Exakt so war es auch bei mir. Ich war so turboglücklich, dass anstelle der echten Geburtstagskinder ICH unsere Geburtstags-Tasse in Beschlag nahm und vor lauter Mama-Glückseligkeit tagelang daraus trank und ihr sogar en Ehrenplatz als Titelbild dieses Blogtextes freigeräumt habe.

Der Osterhase im Chillmodus

Als wäre es nicht genug, drei Mal drei Geburtstagsfeste zu feiern, kam zwischen dem Geburtstag des Mittelstürmers und dem des Goldkindes auch noch der Osterhase um die Ecke gehüpft. Wieder luden wir die beiden Großelternpaare ein. Wieder übertrug ich ihnen die Backaktivitäten. Wieder entschlackte ich die Vorbereitung und legte die Perfektionslatte etwas tiefer als gewohnt. Wieder wurden es dennoch oder gerade deshalb oder wie zu erwarten war schöne Feiertage.

Die Kinder und ich starteten am Karfreitag mit einem gemeinsamen Mittagessen in einem süßen Café. Danach ging´s ins Kino. „Die Häschenschule 2“ bescherte uns 76 unbeschwerte Minuten (wobei ich mir die Frage „Brauchen Hasen tatsächlich ein Handy und sollten sie sich um ihre Followerzahl scheren?“ verbat). So chillig darf ein Osterwochenende von mir aus immer beginnen.

Am Ostersamstag dann stachen mir plötzlich die Blumentröge ins Auge, die bei uns im Garten auf der Steintreppe stehen. Die hatte ich am Ostersamstag vor einem Jahr bei eiskalten Temperaturen zusammen mit dem Goldkind mit verschiedenen Kräutern bepflanzt.

Wer mich kennt, weiß, dass ich alles andere als einen grünen Daumen habe. Aber damals hatte ich genau das gebraucht, auch wenn meine Finger danach steifgefroren waren. Diese eine Stunde Werkeln im Garten erdete mich. Ich spürte mich, ich spürte das Leben, ich spürte Energie.

Ein Jahr später nun triggerte das Grün dieser Pflanzen etwas in mir. Ich wurde sentimental. Plötzlich war da ein ganz tiefes Gefühl der Dankbarkeit vor dem Leben, vor der Gesundheit, vor der Liebe. Mir wurde erneut bewusst, dass ich die Akuttherapie mit einem Happy End hinter mir gelassen hatte. Dass ich – auch wenn mein Körper hier und da noch etwas ruckelt – fit bin und dass meine Familie, mein Alltag und meine Arbeit mich krebsfrei wieder haben.

Der Ostersonntag begann traditionell mit der Ostereiersuche und brachte uns zusätzlich zu einem gut gefüllten Osternest für jedes Familienmitglied einen bunten Koffer in peppig bunter Farben, also quasi im Ostereierlook. Denn der Göttergatte und beste Papa der Welt  überraschte uns damit, dass wir eine Woche später irgendwohin fliegen würden (mittlerweile liegt der Trip zurück und das geheime Ziel hat sich als Hamburg entpuppt).

Am Ostermontag dann schalteten wir in den echten Feiermodus um, denn es rückten je zwei ältere Damen und Herren aka Omi, Opi und Oma, Opa hier an. Der selbstgemachte Hefezopf von Oma in Bärchenform war grandios und jedes Enkelkind erhielt seine obligatorische schokoladige Schokoosterhasenüberdosis wahlweise in lila oder goldiger Farbe. Der Abend brachte dem Göttergatten einen Sofafernsehabend mit einer neuen Tatortfolge und Sekt. Wer uns Beide kennt (oder meine Blogtexte fleißig liest) weiß, dass das UNSER Ritual ist und es schafft, aus einem So-là-là-Tag einen Feiertag zu machen. Wenn der Tag dann ohnehin schon ein Feiertag war, dann ist das Lebensglück perfekt.

Mein Herz hüpfte also zum Abschluss des Osterwochenendes im Osterhasenrhythmus – erneut ein schöner Lebensmoment.

Feiern in Dauerschleife?

Neben den familiären Feierlichkeiten war ich mittlerweile auch auf zwei, drei Geburtstagen von Freundinnen. Auch nahmen die Goldschätze und ich am närrischen Treiben teil, das dieses Jahr nach der coronabedingten Zwangspause ja endlich, endlich, wenn auch etwas abgespeckt, wieder stattfinden durfte (Hier ist das eine elementare Aufgabe, sich in maskierte Schale zu werfen, schmalziges Gebäck zu essen und „Narri Narro!“ zu brüllen). Neulich war Musikschulfest im kleinen Rahmen, heute geht’s zum Schulfest der Großen. Hier liegen Tickets für zwei Konzerte, auf die ich im Sommer gehen werde…Das Leben und das Feiern hat mich nach dem Krebs – und hat auch euch und uns alle nach den Lockdowns – wieder.

Bis hierher habe ich nun über viele Zeilen hinweg von überbordender Freude, überschwänglicher Freude, berauschender Gefühle, ergriffenen Momenten und frohlockender Jubelstimmung berichtet. Dennoch wehre ich mich ausdrücklich dagegen, dass ich durch meine Krebserfahrung geläutert wurde, dass ich in jeder Situation immer das Gute sehe, dass ich in jedem dunklen Moment noch positive Dinge erhaschen kann und nun jede Gelegenheit zum Feiern ergreife. Das verneine ich ganz klar.

Ja, ich weiß, dass es ein riesengroßes Geschenk ist, ein Jahr nach der Akuttherapie, gesund mit meinen Liebsten feiern zu können. Ja, ich weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, dass noch zwei Großelternpaare bei recht stabiler Gesundheit und geistiger Fitness zu Familienfeiern kommen. Ja, ich weiß, dass ich mich absolut glücklich schätzen kann, seit über zwanzig Jahren einen tollen Partner und mittlerweile auch drei wunderbare Kinder zu haben.

Dennoch sind Sprüche, die man beim Googeln mit den Schlagwörtern „Leben – Feiern“ findet und da lauten: „Man sollte das Leben nicht einfach nur leben, sondern auch feiern.“  oder „Lass uns das Leben jeden Tag feiern und jede Minute genießen.“ für mich utopisch und gehen an der Realität vorbei. Nur Übermenschen, Heilige oder sonstwie mit dem Universum verbundene Menschen können allüberall Dankbarkeit und Demut walten lassen. Ich muss euch enttäuschen: So jemand bin ich definitiv nicht. Ihr könnt mir den Heiligenschein sofort abnehmen oder am besten erst gar nicht aufsetzen!

Denn auch wenn ich den Krebs überstanden habe, bin ich nun kein grinsendes Honigkuchenpferd, das sich ständig wohlfühlt und alles genießt. Trotz geglückter Operation und abgeschlossener lebensversichernder Maßnahmen schwelge ich nicht in permanentem Glücksgefühl.

Silbermond treffen es eigentlich ganz gut, wenn sie behaupten, dass es sich an manchen Tagen wie das “Beste Leben” anfühlt und “alles wär so entspannt”. Dann ist

Heute schön, heut ist geborgen. (…) heute knallen Korken und ich schau in meine Lieblingsgesichter (…) Und deshalb muss ich’s euch sagen, ich liebe euch alle
Komm, wir bleiben, komm, wir feiern.”

Aber die liebe Stefanie Kloß singt dann auch ganz realistisch, dass es “Morgen vielleicht schon nicht mehr [schön ist].”

Vielleicht herrscht auch bei dir, liebe Betroffene oder lieber Betroffener, manchmal eher Katerstimmung oder du bist mit Aufräumräumen oder Umdenken in deinem Leben beschäftigt oder hast mit Nachwirkungen in Körper, Seele und Geist zu tun. Gesteh es dir unbedingt zu! Das ist normal! Das darf sein! Das muss wahrscheinlich sogar sein, um wieder richtig zu gesunden. Das alles führt zwangsläufig dazu, dass du nicht immer in Feierlaune bist.

Vielleicht gehörst du auch zu denen, die so langsam einfach wieder in ihren normalen Alltag hinüberrutschen so wie das bei mir mehr und mehr der Fall ist. Und in diesem Alltag ist nun mal nicht alles schön und harmonisch und feiernswert. Da gibt es Streit, da gibt es Schulden, da gibt es Probleme, da gibt es Computerabstürze, da gibt es lange Wartezeiten, da gibt es Autopannen usw. All das sind Tatsachen, in denen man manchmal einfach nichts Positives finden kann.

Und das ist meiner Meinung nach auch gut so! Ich bin da total bei Paula, die mir den schönen Begriff der „toxischen Positivität“ nahegebracht hat. Ich bin überzeugt davon, dass Stillstand entsteht, „(..) wenn man immer nur die guten Dinge lebt und sucht (…). Ausschließlich positives Denken schmälert die Tragik des Lebens und nimmt ihm Ernsthaftigkeit.“

(Sideinfo: Nimm dir in einer ruhigen Minute mal die Zeit und lies dir ihren wunderbar ernsthaften Text zu diesem Thema durch. Es lohnt sich!)

Jetzt mal ganz ehrlich und –in Paulas Hamburger Sprachjargon formuliert – “Butter bei die Fische”: Ja, die “Annette 2.0” war an allen erwähnten Feier-Tagen glücklich. Aber keineswegs 24 Stunden an jedem einzelnen Tag! Ja, die Annette 2.0 hat ein anderes Mindset als vor dem Krebs. Aber auch nach einer überstandenen Krebserkrankung gibt es Blöde-Stimmungs-Momente, Miesepeter-Tage, Heulattacken oder Angstmomente. Das Leben ist auch jetzt kein Ponyhof, kein Spaziergang und keinesfalls eine Dauerparty. Es scheint wahrlich nicht permanent die Sonne und herrscht nicht rund um die Uhr traute Familienidylle.

Was heißt das jetzt im Klartext? Ich schätze die kleinen Dinge wahrlich mehr wert, ich lasse mich tiefer auf schöne Momente ein, ich nehme Menschen bewusster wahr, bin achtsamer mir gegenüber und insgesamt zufriedener. Aber doch keineswegs 24/7!

Denn, ganz ehrlich: Was ist denn falsch daran, an manchen Tagen einfach “nur” zu leben? Als Person, die nun mal eine potenziell lebensverkürzende Krankheit in sich hatte (und keine Ahnung hat, welche Zellen im schlimmsten Fall womöglich noch irgendwo schlummern) ist diese Fähigkeit doch ein absolut bemerkenswertes Gut! Das Wörtchen “nur” ist also keinesfalls abwertend, kleinmachend oder negativ.

Manchmal aber, ihr Lieben, da lasse ich es so richtig krachen. Da streu ich eine Handvoll Konfetti auf den Tag, beschalle ihn mit Partymusik, versüße ihn mit Kuchen, bespritze ihn mit Proseccotropfen und mache ihn zur Disco, in der die Stimmung eskaliert. Bei meinem Arrangement nehme ich mir dann Paulas Tipp aus einem Instagram-Post zu Herzen. Die wirft das Konfetti, das sie vorsichtshalber immer in ihrer Hosentasche hat nämlich ausdrücklich dann, „wenn´s grad NICHT läuft.”, weil sie “fest [glaubt], dass es dann am allermeisten hilft. In alles andere wachsen wir rein.“

Ihr seid herzlich eingeladen, an meiner Lebensparty teilzunehmen! Und wenn ihr schon mal da seid, dann wird – bitte, bitte – auch getanzt!

Lasst uns mal bitte nicht knicken. Lasst uns tanzen, darf ich bitten? Auf dass der ganze Laden hier jetzt endlich eskaliert! Auf dass die ganze Party hier jetzt endlich explodiert! Darf ich bitten? Nehmt eure Beine in die Hand! Darf ich bitten? Zieht eure Köpfe aus dem Sand! Darf ich bitten? Werft die Gläser an die Wand! Darf ich bitten? Darf ich bitten?
- In Anlehnung an den Revolverheld-Song „Darf ich bitten“

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