Ihr fragt… Annette
Ihr fragt… Annette
Was aus einer spontanen Idee entstand, als mich eine Bloggerin um einen Gastbeitrag auf ihrem Blog bat und ich sie dann kurzerhand zu einem Interview überredete, hat sich zu einem großen Projekt entwickelt
Ich darf mit Stolz verkünden, dass sich sage und schreibe 50 Frauen und Männer meinem Fragenhagel in meinem Interviewprojekt „Annette fragt“ gestellt haben. Ich bin dankbar und glücklich und fühle mich geehrt, dass sie mir ihre ganz persönlichen Geschichten erzählt haben und ich diese auf meinem Blog in die Welt hinaustragen darf.
Jedes einzelne Interview ist wundervoll. Offen. Ehrlich. Authentisch. Ich ziehe meinen Hut vor eurem Mut. Schön, dass ihr mit mir zusammen dem Krebs ein Gesicht gebt. Jedes eurer Interviews hilft auf seine ganz eigene Art anderen da draußen, die diesen Mist erlebt haben oder gerade drin stecken. Ich ziehe meinen Hut vor eurem Mut. Schön, dass ihr mit mir zusammen dem Krebs ein Gesicht gebt.
Zur Feier des 50. Interviews habe ich den Spieß umgedreht und auf Social Media und auch über WhatsApp dazu aufgerufen, mir Fragen für ein Interview mit mir zu schicken. Danke an alle, die dies getan haben.
Hier kommt nun, exklusiv und in Annette typischer Langform, das große Jubiläumsinterview. Es hat mir wirklich Spaß gemacht, dieses Interview mit mir selbst zu führen. Es enthält “Feel-Good-Themen” und zaubert dir vielleicht ein Lächeln ins Gesicht. Aber es geht auch ganz schön in die Tiefe und lässt dich an der ein oder anderen Stelle vielleicht auch schlucken.
Aber jetzt, lange genug der Vorrede: Lest euch hinein in das Interview von euch für mich und mit mir.
Ich frage: Wie und wo ist “Annette fragt“ entstanden?
Annette: Es gab tatsächlich nicht den Moment einer bewussten Entscheidung für “Annette fragt”, sondern das ganze Projekt entstand irgendwie aus einer spontanen Eingebung heraus, die aber eine längere Vorgeschichte hat.
Und zwar hat mich vor drei Jahren die liebe Kirsten Metternich von Wolff kontaktiert. Sie hat einen Blog mit dem wunderhübschen Namen Herzwiese. Dort geht´s ihr um alles, an dem ihr Herz hängt, wie sie so schön schreibt. Das ist Fashion, das ist Beauty, das ist gesunde, zuckerfreie Ernährung und das ist das Thema „Frauengesundheit“.
Kirsten und ich teilen das Schicksal einer Brustkrebserkrankung.
Sie fragte mich vor rund drei Jahren, ob ich nicht Lust hätte, einen Gastbeitrag auf ihrem Blog zu veröffentlichen und sie umgekehrt einen auf meinem. Ich sagte ja. Die Idee klang interessant. Als ich dann anfing zu schreiben, wusste ich irgendwie gar nicht so recht, was ich schreiben sollte. Einfach nur meine Geschichte zu erzählen, fand ich irgendwie zu langweilig.
Im Rahmen meiner Autorinnentätigkeit hatte ich schon das ein oder andere Interview schriftliche Interview für einen Verlagsblog gegeben und ich schlug Kirsten vor, dass wir das doch auch machen könnten. Gesagt, getan und so tüftelte ich ein paar Fragen für sie und sie andersherum auch ein paar Fragen für mich aus. (Lest euch gern mal mein Interview auf Kirstens Blog durch. Und schaut euch dann bei der Gelegenheit gleich ein wenig dort um. Es lohnt sich!
Ja und diesem Interview gab ich dann auf meinem Blog den Titel “Annette fragt… Kirsten Metternich von Wolff“.
Schon während des Emailkontakts mit Kirsten und beim Schreiben des Interviews poppte in meinem Kopf der Gedanke auf, dass ich doch eigentlich auch gerne ein paar Fragen an die eine oder den anderen aus der Krebsbubble, aus meinem persönlichen oder dem Selbsthilfegrupenumfeld oder auch an Fachleute hätte, die mit Krebspatient*innen zu tun haben. Das alles wäre doch sicherlich nicht nur interessant, sondern hätte immensen Nutzwert und ganz hohes Mutmachpotential.
Und so entstand dann das Interviewprojekt und ich begann jedes mit derselben Überschrift wie beim allerallerersten Interview mit Kirsten. Eben “Annette fragt”
Sideinfo: Das Foto von mir im gelben Shirt mit Mikrofon, das ich auf meinem Social-Media-Posts immer neben den/die aktuelle Interviewpartner*in packe, hab´ ich übrigens ganz spontan gemacht, bevor ich mich mit einer Freundin zum Abendessen getroffen hatte. Im Nachhinein hätte ich vielleicht auf dieses oder das oder die Belichtung oder die Frisur geachtet. Im Nachhinein ist es vielleicht aber auch genauso genau richtig. Ein spontanes Foto zu einer spontanen Idee, die sich irgendwie von selbst weiterentwickelt hat, weil ich spontan diese frage, ob sie Lust hätte dabei zu sein oder mich spontan jener fragt, ob er nicht mitmachen könne.

Ich frage: Würdest du im Rückblick bezüglich der Therapie irgendwas anders machen?
Annette: Hm, das ist eine Frage, die ich mir so eigentlich nie ernsthaft gestellt habe.
Ich hatte unfassbares Glück, dass das Universum mir Ärzt*innen an die Seite gestellt hat, die mir fachlich versiert erschienen, mit denen ich menschlich gut klarkam und die im Gesamtpaket zu mir und meiner Einstellung passten.
Ich stieß immer auf offene Ohren, wenn ich eine Frage hatte. Ich konnte bei all ihren medikamentösen Vorschlägen mitgehen und hatte immer das Gefühl, dass ich als mündige Patientin gesehen wurde, die auch mal “Nein” oder “Ich würde aber gerne nochmal darüber schlafen.” sagen konnte.
Ich stellte tatsächlich nie in Frage, dass eine Therapie für mich nicht die richtige für mich sein könnte. Nennt es blauäugig, nennt es gutgläubig, ich nenne es schlichtweg “für mich lebensrettend”.
Wie meine Herzensärztin sagte, hatte ich ja den “Sechser in der Brustkrebslotterie”. Mein Tumor war zwar hochgradig aggressiv, aber mir standen und stehen aufgrund seiner Beschaffenheit sämtliche Therapieoptionen offen, die es gibt: Chemotherapie, Bestrahlung zur direkten Bekämpfung. Parallel und noch fast ein Jahr über die Akuttherapie hinaus erhielt ich Antikörperinfisionen. Zusätzlich begann ich direkt nach der Bestrahlung und parallel zur Antikörpertherapie noch mit der Antihormontherapie.
Ich gebe zu, dass ich ziemlich damit zu hadern hatte, dass ich auch in meinem Leben nach Krebs weiterhin Patientin bleiben würde, obwohl die Chemo und die Strahlung vorbei waren, die Haare wuchsen, der Krebs doch weg und ich wieder zurück im Berufsleben war.
Doch dann kapierte ich, dass ich durch meine tägliche Tablette und die Spritze, die ich dreimonatlich erhalte, kann ich auch nach Abschluss der Akuttherapie aktiv etwas gegen ein Rezidiv oder eine Neuerkrankung tun.
Im Gegensatz zu anderen (Brust-)Krebspatient*innen, die nach der Akuttherapie ohne medikamentöses Rettungsnetz dastehen, ist das grandios und ein absoluter medizinischer Segen. Eben der sogenannte “Sechser”, von dem meine Herzensärztin ganz zu Beginn sprach und dessen Bedeutung sich mir erst im Laufe der Zeit erschloss.
Diese Erkenntnis war für mich der Schlüssel, um meinen Frieden mit den Medikamenten zu machen. Ich nehme die medizinischen Helferlein und die leidigen Nebenwirkungen dankbar in Kauf, um mein aktives, buntes, schönes Leben leben zu können. Aus “Ich muss” oder “Ich soll” habe ich ein “Ich darf Medikamente nehmen” gemacht und das Ganze fühlt sich dadurch leichter an.
Ich würde meinen Therapieweg also nochmal so gehen. Aber mir ist wichtig hier zu betonen, dass dies mein Weg und meine Art war, damit umzugehen. Sollte jemand sich unbehaglich fühlen oder das Gefühl haben, nur unzureichend aufgeklärt worden zu sein oder sich mit seiner Therapie überhaupt nicht wohlfühlen, dann rate ich immer dazu, dies anzusprechen und ggf. eine Zweitmeinung einzuholen und/oder auch die Ärztin/den Arzt zu wechseln.
Ich frage: Mit deiner Diagnose begann deine Zeit im Krankenhaus, in Arztpraxen und am Infusionsständer. Wie war es für dich, krank zu sein und nichts mehr “leisten” zu können?
Oh, das ist eine spannende Frage. Wenn du mit der Leistung die berufliche meinst, dann war dies zunächst ganz komisch für mich.
Nachdem ich meine Diagnose erhalten hatte, stand ich völlig verwirrt im Regen auf dem Klinikparkplatz. Mein erster Anruf galt meinem Mann und der zweite meiner damaligen Schulleiterin. Ich meinte: „Du, ich habe Krebs. Ich komme morgen erstmal nicht in den Unterricht.” Rückblickend betrachtet eine völlig unsinnige Idee. Denn natürlich kam ich nicht nur morgen, sondern das komplette Schuljahr nicht mehr in den Unterricht.
In den Tagen zwischen Diagnose und Beginn der Therapien habe ich wie wild geworden Schulmaterialien zusammengesucht und meinen Kolleginnen vorbeigebracht. Da war der Gedanke in mir: „Wie soll das denn gehen ohne mich?”
Ich fühlte mich doof, vielleicht sogar ein bisschen schuldig, weil ich durch meinen Ausfall zusätzliche Arbeit fürs Kollegium bringen würde. Und so packte ich eine riesengroße Kiste für sie zusammen, damit alles möglichst so laufen konnte wie ich es geplant hatte. Irrsinn Nr. 1!
Außerdem kontaktierte ich die Redakteurin eines Verlages, die gerade ein Buchprojekt von mir betreute. Ich entschuldigte mich, dass ich wohl etwas später dran wäre mit der Abgabe.
Auch in diesem Moment fühlte ich mich doof oder auch schuldig, weil ich einen Termin nicht einhalten konnte. Und so korrigierte ich noch im Krankenhausbett ein Manuskript. Irrsinn Nr. 2!
Du siehst, liebe St., ich hatte zunächst durchaus ein Problem mit dem Verlust meiner Leistungsfähigkeit.
Doch dann starteten die Therapien und parallel die totale Lockdownzeit. Schule und pädagogische Ratgeber rückten für eine Weile total aus meinem Blickwinkel. Ich war Patientin, Mutter und Ehefrau.
Und ich begann mich in eine andere Welt einzufinden. Ich las Bücher von anderen Krebspatient*innen, hörte Podcasts, tauchte in die Social-Media-Krebsbubble ab, startete meinen Blog. Zudem schärfte ich durch viel Reflexion, durch die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit und auch durch therapeutische Begleitung (die bis heute anhält) mein Mindset.
Dies alles änderte meinen Blick auf das Wort “Leistung” und auf meine eigene Leistung.
Eine wichtige Erkenntnis aus meiner Erkrankung ist, dass ich kapiert habe, dass ich ersetzbar bin. Dass jeder ersetzbar ist. Nicht zuletzt weiß ich jetzt, dass weder Kolleg*innen, noch Vorgesetzte, noch überhaupt irgendjemand etwas von dir verlangt, wenn du eine schlimme Diagnose erhältst. Jeder Termin, jede Vereinbarung lässt sich verschieben oder pausieren.
Wichtig finde ich, offen zu kommunizieren, was möglich ist und was nicht, was man leisten kann und was eben nun mal (gerade oder überhaupt) nicht (mehr). Das ist für mich eine weitaus höhere Leistung als sich gegen die eigenen Kräfte noch durch Hefte zu korrigieren oder Projekte im Büro zum Abschluss zu bringen, weil man sich nicht traut, sich und anderen einzugestehen, dass dies gerade nicht geht.
Mittlerweile bin ich gesund und wieder voll drin im Leben. Und ja, ich leiste wieder viel. Aber, aber ich habe einen weitaus milderen Blick auf mich und meine Leistung behalten. Ich weiß, was ich kann. Ich weiß, was ich leisten kann. Ich weiß aber auch, dass ich nicht immer leisten muss.
Das nimmt Termindeadlines und übervollen To-Do-Listen etwas von ihrer Bedrohlichkeit. Denn eigentlich ist doch immer alles zu schaffen. Vielleicht braucht es für ein Jubiläumsinterview doch länger als geplant. Na und: Dann kommt es eben zwei Tage später auf den Blog.
Ich kann mich mittlerweile selbst loben. Und ich bin stolz auf das, was ich schon erreicht habe und das, was ich täglich leiste, beruflich und privat.
Ich frage: Hast du noch irgendwelche Nach-/ Nebenwirkungen durch die ganzen Therapien und wie gehst du damit um?
Annette: Meine Antihormontheraie läuft weiterhin. Ich nehme Tamoxifen und mir wird Trenantone gespritzt.
Fakt ist: Diese Medikamente sind keine Gummibärchen und haben logischerweise Nebenwirkungen. Ich möchte mich hier nicht groß darüber auslassen.
Ja, ich habe ab und zu Schmerzen in den Gelenken, teilweise verkrampfen sich meine Finger. Ich habe nachts Schweißausbrüche und schlafe sowieso nie richtig gut. Nach einer Knochendichtemessung weiß ich, dass ich mich in der Osteopenie (Vorstufe zur Osteoporose) befinde. Meine Haut und auch meine Haar sind trockener, die Schleimhäute im Intimbereich sowieso. Und meine Augen auch. Die Psyche lahmt tageweise und dann bin ich im Kopf wie benebelt und auch recht traurig unterwegs.
Was mich extrem nervt, ist dass meine Augen stetig schlechter werden. Ihr könnt mich bald Maulwurf nennen.
Vielleicht hab ich sogar noch die ein oder andere Sache vergessen. Ist eigentlich egal. Ich möchte hier nicht lamentieren. Dank dieser Medikamente lebe ich. No more words needed, oder?
(Falls es dich gaaaaanz genau interessiert, dann lies meinen Blogtext “Gesund?“” vom Mai diesen Jahres, da hab ich mich recht ausführlich darüber ausgelassen, wie es sich so anfühlt im Jahr 5 nach der Diagnose.)
Was mache ich nun, um mit den Nebenwirkungen klarzukommen?
Zuallererst: Ich mache sehr viel Sport. Es ist erwiesen, dass Bewegung Nebenwirkungen lindert, gar nicht erst so gravierend entstehen lässt und nicht zuletzt hilft er dabei, vor einem Rezidiv zu schützen.
Wer weiß, wie heftig meine Beschwerden wären, wenn ich nicht vor der Erkrankung, während der Erkrankung und nach der Erkrankung so sportlich unterwegs gewesen wäre.
Für mich ist Sport genauso wie ein guter Laufschuh ein notwendiges und absolut zielführendes Tool: Er macht meinen Kopf frei und führt bei mir dazu, die körperlichen Nebenwirkungen minimal zu halten.
Zudem nehme ich täglich Vitamin D, Selen, Magnesium und mittlerweile auch Hyalouronsäure und Kollagen zu mir (Danke an Carolin Kotke für diesen wertvollen Tipp!) . Ich schwöre auf ein Glas LaVita jeden Tag (Werbung unbezahlt, aber aus absoluter Überzeugung).
Außerdem verwende ich täglich Augentropfen.
Ich trinke keinen Alkohol und esse kein Fleisch und keine Wurst mehr. Eine Zeitlang verzichtete ich auch auf Kuhmilch und hab mich durch Milchalternativen getestet. Aber mir schmeckt die “echte Milch” tatsächlich zu gut und deshalb gönne ich sie mir im Kaffee. Und um ausreichend Calcium zu mir zu nehmen, was in Bezug auf die schwächer werdenden Knoche von Vorteil ist, baue ich auf Quark. Viel Gemüse und Salat ist für mich Standardprogramm.
Zudem habe ich mich sehr viel mit dem Thema „Mindset“ beschäftigt und gehe regelmäßig zur Psychotherapie. Nicht zuletzt bin ich Leiterin einer Selbsthilfegruppe und kann dort meine Sorgen und Ängste mit anderen teilen. Und das Schreiben über mein Lebne mit und nach Krebs hilft mir sehr bei der Verarbeitung und auch beim Klarkommen mit den Therapienebenwirkungen und dem Kopfkino, was wohl im Leben nach Krebs immer mal wieder Spielzeit hat.
Ich vertraue darauf, dass die Kombination aus allem – Medikamente, Bewegung, Ernährung und Mindset – mir ein gesundes Leben nach Krebs ermöglicht.
Und bitte, bitte, liebe Leserin und lieber Leser meines Interviews: Es ist mir hier an dieser Stelle gaaaaaanz wichtig zu betonen: Nur, weil es mir so gut geht, nur weil mir diese Mittelchen helfen, nur weil ich durch Sport gut mit der Sache zurechtkomme, heißt das nicht, dass das bei dir genauso ist!
Vielleicht nehme ich manche Nebenwirkungen nicht wahr. Vielleicht geht es mir tatsächlich gut, weil ich schon vor der Erkrankung so sportlich war. Vielleicht habe ich auch einfach ein anderes Schmerzempfinden als du. Oder vielleicht habe ich auch einfach nur verdammtes Glück.
Auf jeden Fall: Was mir hilft, hilft dir vielleicht nicht. Was mir ausreicht, reicht dir vielleicht nicht. Ich werbe hier für keine Nahrungsergänzungsmittel. Jede und jeder muss ihren und seinen ganz eigenen Weg finden. Und für diesen wünsche ich dir alles, alles Gute.
Ich frage: Du tanzt auf verschiedensten Hochzeiten, woher bitte nimmst du eigentlich deine Energie?
Annette: Tja, ich war schon immer ein wuseliger Mensch, hatte immer schon mehrere Dinge gleichzeitig laufen. Während der Schulzeit gab ich noch Schwimmkurse. Im Studium übernahm ich noch ein Tutorinnenamt. Als ich dann Lehrerin war, begann ich “nebenher” mit dem Schreiben von Zeitschriftsartikeln und später dann von Unterrichtsratgebern. Mit dem Krebs kamen der Blog und dann noch die Selbsthilfe dazu. Meine family, den Haushalt und meinen Sport bringe ich auch irgendwie auch noch unter. Der Tag hat schließlich 24 Stunden und die nutze ich voll aus, hihi.
Ob ich besonders energiegeladen bin oder mehr Energie habe als andere, weiß ich nicht. Mir macht tatsächlich jede einzelne Sache so viel Freude und ich bin so im Flow, dass ich von meiner eigenen Begeisterung getragen werde und dadurch ganz viel Energie entsteht.
Nähme man mir einen Aufgabenbereich weg, so wäre das für mich definitiv negative Energie. Ich bin dankbar, mit so vielen Talenten gesegnet zu sein und das Privileg zu haben, sowohl in meinem Brotjob als Lehrerin, in meinem Nebenjob als Autorin, meinem Ehrenamt in der Selbsthilfe und meiner Liebhaberei, dem Krebsblog, meine Freude zu finden. Selbstverständlich ist mein Familienleben mit all seinen Pflichten und Aufgaben auch noch da. Und ja, wenn es um das Rausbringen der Biomülltonne, die Streitereien mit den Teeniekids und den Wäscheberg geht, dann erfüllt mich das nicht mit Seelenfrieden. Aber wenn ich dahinterblicke und erkenne, dass ich diese Aufgaben ja habe, weil ich das Glück habe, drei gesunde Kinder, ein großes Haus und ein finanzielle gutes Leben zu haben, dann gibt das definitiv auch positive Energie.
Insofern: Ich packe mir die Tage lieber voll, meckere in regelmäßigen Abständen darüber und entschlacke sie trotzdem nicht, hahahaha.
Ich frage: Du bist als berufstätige Dreifachmama zeitlich gut ausgelastet. Wie schaffst du es, deinen Sport, der dir sehr wichtig ist, in den Alltag einzubauen?
In Bezug auf den Sport war und bin ich total klar: Der ist mir wichtig und den packe ich – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – in jeden Tag.
Egal, ob es regnet, heiß ist, ich wenig Zeit habe oder im Urlaub bin. Ein Zeitfenster fürs Joggen, Moutainbiken, eine Runde Krafttraining oder eine Indoorausdauerrunde auf dem Crosstrainer schaufel` ich mir immer frei. Zur Not ganz früh am Morgen oder auch später am Abend. Manchmal auch nur ´ne gute halbe Stunde zwischen einem und dem nächsten Termin.
Wer mich kennt, weiß, dass ich mit Sportklamotten einkaufen gehe (weil ich grad aus dem Fitnessstudio komme oder vom Supermarkt aus dorthin fahre) oder auch mal mit nassen Haaren irgendwo aufkreuze, weil es mir wichtiger war, etwas länger zu joggen und deshalb die Zeit im Bad etwas knapper ausgefallen ist. Der wundert sich auch nicht, wenn im Kofferraum eine Tasche mit Sportklamotten liegt, weil ich mich nach einem Kaffeedate schnell umziehe und mal an einem anderen Ort laufen gehe.
Wisst ihr, schon immer war Sport mir wichtig. Mittlerweile hat er fast etwas Heiliges für mich. Der Crosstrainer und mein Mountainbike sind quasi meine bewegten Therapeuten, meine Laufschuhe und die Hantel alternativmedizinische Helferlein. Beim Sporteln heule ich, denke ich nach, höre ich Musik oder Podcasts oder einfach nur Stille. Beim Sporteln freue ich mich, singe ich, komme ich zu mir oder lasse ich die Welt weit hinter mir.
Und für diese heilenden Momente zwacke ich gerne jeden Tag ein bisschen meiner Zeit ab.
Ich frage: Ich weiß, dass du deine Ernährung umgestellt hast. Sicherlich ist gesunde Ernährung auch aufwendiger in der Zubereitung, wie schaffst du das in deinem vollen Familienalltag?
Ich wage zu behaupten, dass ich mich – von meiner Begeisterung für Schokolade abgesehen – noch nie äußerst ungesund ernährt habe.
Nach dem Ende meiner Therapien habe ich mich dazu entschieden, Vegetarierin zu werden bzw. um genau zu sein, Pescetarierin, denn Fisch esse ich nach wie vor. Während der Chemo hatte ich noch extremen Heißhunger auf Fleischwurst und liebte es, ab und zu ein dickes Cordonbleu zu essen (bis mich der Geschmack dann zum Ende hin komplett verließ und mir eigentlich sowieso nichts mehr schmeckte). Damals hätte ich mir noch nicht träumen lassen, dass ich mal fleischfrei leben würde, aber mittlerweile fühle ich mich so viel besser und gesünder. Und es fehlt mir absolut nichts. Ich war schon immer ein riesengroßer Salatfan, das weiß jeder, der schon mal mit mir essen war, haha.
Ich finde übrigens nicht, dass die Zubereitung “gesunder Ernährung” aufwendiger ist. Aufwendiger ist höchstens, dass ich mittlerweile meistens zwei Gerichte oder Essensangebote mache. Denn der eine Teil der Familie isst fleischig, ich mache mir immer eine Alternative. Aber auch hier: Es ist mir wichtig, deshalb mache ich es. Zeit hin, Zeit her.
Wie hältst du die Balance zwischen all diesen Aufgaben? Was ist dein Balance-Tipp?
Ja, es ist richtig. Mein Leben ist sehr breitgefächert oder sagen wir lieber “herrlich bunt“, das hört sich doch besser an, oder?
Ich bin vom Typ her noch nie ein Paradebeispiel für Tiefenentspanntheit und seelisches Gleichgewicht gewesen. Ich war und bin eine Hans-Dämpfin-in-vielen-Gassen und manchmal überfordert mich das, weil das alles viele, viele und noch mehr Termine mit sich bringt. Aber dennoch fühle ich mich recht ausbalanciert.
Wie vorher schon gesagt, mache ich alles, was ich mache (vom Wäschezusammenlegen, Biomülltonnerausbringen und anderen Haushaltspflichten mal abgesehen), mit intrinsischer Begeisterung und das lässt mich innerlich recht gelassen mit den ganzen Anforderungen umgehen.
Nein! Ich singe und frohlocke nicht 24/7, sondern bin oft genug am Mosern, am Rennen, am Stressen. Aber, aber das alles ist für mich okay. Das alles ist für mich richtig so, weil ich nun mal liebe, was ich tue.
Mein “Problem“ ist, dass es mich gar nicht stört, wenn ich z.B. meinen Feierabend damit verbringe, einen Blogtext zu schreiben, im Urlaub an einem Manuskript zu arbeiten oder am Sonntagvormittag in der Schule zu werkeln. Robbie Williams würde singen „Love my life“ und ich singe lauthals mit ihm.
Insofern: Verzeih, liebe Fragenstellerin, wenn ich an dieser Stelle keine Atemübung oder einen Buchtipp aus der Abteilung für “Lebenshilfe“ parat habe. Auch kann ich an dieser Stelle nicht von Reiseabenteuern berichten. Nein, schlicht und ergreifend: Ich liebe tatsächlich meinen Alltag.
Aber klar, auch ich hab´ Freizeit, auch ich mache mal Pause.
Was mir dann gut tut und mich aus dem ständigen Werkel-Aktivsein-Modus herausholt, sind kleine private Vergnügungen. So gehe ich gerne mit Freundinnen essen und supermegagerne gehe ich auf Konzerte. Die beamen mich binnen Sekunden in einen absoluten Wohlfühlmodus und ich vergesse Schreibtisch, Lehrerinnenpult und das Einloggen in meinem Blogaccount. Dieses Jahr war ich tatsächlich schon auf 6 Konzerten, das letzte war ein Once-in-a-lifetime-Moment mit Ed Sheeran. Ein weiteres kommt noch in der Adventszeit (Juchuh, liebe P. ich freu mich auf einen österreichisch-dialektal eingefärbten Abend mit dir, hihi). Und fürs nächste Jahr hab´ich tatsächlich auch schon Karten für ein Openair-Konzert im Schrank liegen. (“Heut´, ja heut´ist alles gut”)
Nicht zuletzt muss ich auch bei dieser Frage wieder auf meinen geliebten Sport zurückkommen. In der Bewegung komme ich zu mir und zur Ruhe. Sport ist mein Rettungsanker, der mich in Balance bringt und vielleicht auch hält.
Ich frage: Was ist deine erste Kindheitserinnerung?
Hui, das ist eine coole Frage. Da fällt mir spontan eine Brezel ein, die bei meiner Oma in der Küche über dem Wasserkessel hing und einen leichten Duft von Bäckerei im Raum verbreitete. Da meine Oma kein Auto besaß und der nächste Laden recht weit weg von ihrem Haus war, hatte sie immer eine Ladung Backwaren in ihrer Gefriertruhe. Verbrachte ich dann die Ferien bei ihr und sie wollte mir etwas besonders Gutes tun , dann gab es eben eine Brezel, die fast wie frisch vom Bäcker schmeckte, wenn sie noch leicht warm war. Dazu gab es dann noch eine Tasse warmen Kaba. Und schon war Klein-Annette im vollen Schlemmerglück.
Ich frage: Was sind deine ganz persönlichen Feel-Good-Tipps, wenn du dich selbst aufmuntern willst bzw. ein Tag mal nicht so rosa war?
Annette: Welche herrliche Wortkreation ist das denn bitte, “Feel-Good-Tipps“ – da geht´s mir ja direkt besser, wenn ich das Wort nur lese. Danke, liebe C., das wird mein zukünftiges Codewort, wenn ich schlecht gelaunt bin oder irgendwie nichts läuft. Dann rufe ich einfach dreimal „Annette, feel good!“ und fühle mich hundertprozentig direkt besser.
Aber nun zur Frage.
Zunächst mal finde ich es gar nicht schlimm, wenn manche Tage eher schwarz und grau sind. Ich nehme das mittlerweile viel gelassener hin als früher. Dann ist es eben so und ich motze mal aus voller Inbrust oder lasse mich auch bewusst und komplett ins Selbstmitleid hineinfallen. Der Spruch “All vibes welcome“ trifft es für mich.
Aber ich weiß, dass es wenig zielführend ist, wenn ich mich zu lange im Trauerkloßgefühl suhle. Denn das ändert die Situation auch nicht, verstärkt aber die schlechte Laune meinerseits und die hat dann Auswirkungen auf mein gesamtes Umfeld.
Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, mir an so vielen Stellen wie möglich, künstlich das Glück in meine Tage zu installieren. Und das ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man mal genauer hinschaut.
So trage ich wahnsinnig gerne Mottoshirts oder auch Mottosocken. Wenn ich z.B. weiß, dass auf meine Socken “Blablabla“ steht, dann lässt mich das innerlich schon viel gelassener in ein Nachgespräch zu einer Mammografie gehen.
Außerdem helfen mir mein Tattoo mit dem Kleeblatt und das mit der Mutlöwin sehr. Ein Blick darauf und ich weiß, dass das Glück in mein Leben gehört und dass ich stark genug bin, auch mit einem Feel-Not-Good-Day zurechtzukommen. Wenn ich dann noch einen Blick auf mein Sternchentattoo werfe oder daran denke, dass ich (hihi, Überraschung) seit Kurzem auf dem Rücken noch Engelsflügel habe, dann weiß ich, dass der grauschwarze Tag schon bald wieder universumsglücklichregenbogenfarbig leuchten wird.
Ein Schlüssel zu guter Laune ist für mich außerdem Musik. Entweder packe ich mir an solchen Bad-Mood-Days dann ganz bewusst Tränendrüsensongs auf die Ohren, um die schlechte Laune so richtig zu zelebrieren oder ich versuche mit Feel-Good-Music gegenzusteuern, auf die Gefahr hin, dass ich dann laut singe und im Haus herumhüpfe und meinen Kindern unendlich peinlich bin, hihi.
Wenn alle Tricksereien nichts geholfen haben und ich dann nach einem trüben, doofen Tag doch so richtig genervt bin, dann ziehe ich mich zurück. Und zwar mit Schokolade (am liebsten die 3 in 1 Sorte aus einer lilafarbigen Verpackung mit milchgebendem Tier) und einer großen Tasse Früchtetee (eine Kreation wie “Heißer Holunder“ oder “Süßer Apfel“ kommt mir dann gerade recht), den ich aus einer unserer riesigen Tassen mit Weihnachtsmotiv trinke. Allein die zaubert ruckzuck wieder Feel-Better-Stimmung bei mir.
Beim Schnabulieren lese ich dann gern noch einen Feel-Good-Roman (laut Dr. Google “ein Roman über die kleinen und großen Dinge, die das Leben lebenswert machen”) Die blasen mir dann etwas Nord- oder Ostseewind ins Schlafzimmer, zaubern Parisflair hier im Schwarzwald oder entführen mich in zauberhafte Cafés. Wundervoll.
Was mir auch bestens hilft, um trübe Gedanken zu vertreiben, ist der Podcast “Leicht gesagt” von und mit Nicole Staudinger. Darin geht es um Kommunikationsprobleme größerer und kleiner Art, die im Alltag auftauchen und denen The Kwien of Schlagfertigkeit unfassbar humorvoll begegnet. Nach einer Episode geht es mir definitiv besser, ich habe etwas für meine eigene Kommunikationsfähigkeit getan und mindestens einmal leise, wenn nicht sogar zweimal laut gelacht.
Und ab und zu da greife ich tatsächlich auch zur Fernbedingung und suche mir eine nette FEel-Good-Serie auf Netflix oder einem anderen Streaminganbieter. In letzter Zeit fand ich “Valéria”, “Süße Magnolien”, “Nobody wants this” und “Virgin River” toll zum Wegträumen aus meiner doofen eigenen Welt hin in eine schöne andere.
Übrigens: Ich habe bei uns im Supermarkt Toilettenpapier mit dem Namen „Glücksblatt“ entdeckt. Das musste natürlich mit in der Hoffnung, dass ich so den Feel-Good-Modus nur noch ganz selten verlasse, denn ich komme doch mehrfach am Tag mit dem Glücksblatt in Berührung.
Vielleicht auch eine Idee für dich, liebe Leserin oder lieber Leser? Schau´ doch morgen gleich mal im Laden bei dir nach (*Werbung unbezahlt, aber von Herzen gerne in Umlauf gebracht)
Ich frage: Was war dein Kindertraum, den du dir vielleicht erst als Erwachsene erfüllen konntest?
Haha, das ist nicht schwer: Ein eigenes Haus, in dem ich nur mit meiner Familie wohne. Ich wuchs nämlich in einem Mehrfamilienhaus auf. Zwar gehörte dies meinen Eltern, aber dennoch musste ich es mit anderen Mieter*innen teilen.
Mein Bruder und ich hatten die Vision, unsere Eltern vom Bau und/oder Umzug in ein schnuckeliges Einfamilienhäuschen umzuziehen. Wir zeichneten Pläne, erstelten sogar mal ein Modell mit Pappe und viel Tesafilm. Leider, leider blieb es aber bei der (durchaus sehr großen!) Altbauwohnung.
Mit meinem Mann erfüllte ich mir dann 2019 den Traum vom eigenen Haus. Wir wohnen in einem wunderschönen Holzhaus und ich liebe es einfach.
Ich frage: Kannst du es dir erlauben auch mal “schwach” zu sein? Wenn ja? Bei allen Menschen?
Hm, wenn für dich “schwach sein“ bedeutet, Gefühle zu zeigen, Ängste zu benennen, meine Wut oder Genervtheit an Not-Feel-Good-Tagen rauszulassen und am Ende eines Tages schlicht und ergreifend festzustellen, dass ich einen Teil der Dinge, die ich erledigen wollte, nicht erledigt habe oder dass ich manches an diesem Tag alles andere als gut gemacht habe, dann rufe ich laut: „Ja, ich erlaube es mir, schwach zu sein!”
Vor meiner Erkrankung und auch noch eine ganze Zeitlang nach meiner Erkrankung war ich der Typ, der immer sagte „Das krieg ich schon alles hin.“ Und dann hab` ich immer gemacht, gemacht, gemacht. Habe alles, was privat, beruflich und überhaupt an Aufgaben an mich herangetragen wurde, pftlichtschuldigst erledigt. Kam an meine Grenzen, habe mich beklagt, aber habe dennoch immer weitergewurstelt…. „Ach, das geht schon.“
Zwar kann ich nicht behaupten, dass ich nun yogimäßig geerdet und total beseelt durch die Welt gehe. Nein, ich bin weiterhin ein absoluter Wusel und durch die äußeren Umstände meines Lebens sind da nun mal viele Baustellen, auf denen es Dinge für mich zu tun gibt, die ich auch nicht einfach nicht machen kann (Jeder, der Kinder hat und arbeitet, weiß, was ich meine.).
Anders als früher, gehe ich aber häufiger in die Metaebene: Ich erkenne, dass ich im Strudel bin, dass ich versuche, die Starke zu mimen, obwohl ich innerlich müde, frustriert, schwach bin. Dann benenne ich dies vor mir, gehe in den Rückzug (siehe “Schokolade und Feel-Good-Roman“), nutze meine Selbsthilfekontakte und lasse nicht zuletzt meinen Gedanken beim Schreiben ihren Lauf.
Außerdem bin ich froh, eine Psychotherapeutin gefunden zu haben, deren Art für mich die absolut passende ist. Ihre Impulse sind Gold wert und machen mein Leben um einiges leichter.
Du fragst, ob ich mir zugestehe, vor allen Menschen schwach zu sein. Das ist spannend… Im ersten Moment wollte ich schreiben „Logisch, warum denn nicht?“ Aber dann wurde mir klar, dass ich im beruflichen Kontext und vor allem in meiner Rolle als Mutter weiterhin lieber mehr Stärke zeige. Ich denke, dabei geht es mir um das Gefühl der Sicherheit, der Professionalität und der Zuverlässigkeit, das ich vermitteln möchte. Das halte ich in diesen Bereichen für überaus wichtig.
Aber: Auch hier habe ich mich geändert. Anders als früher bin ich Redakteuren gegenüber offener, wenn ich z.B. einen Hänger beim Schreiben habe oder stehe ich dazu, wenn ich meinen Kindern gegenüber mal lauter werde oder einfach übers Ziel hinausschieße und somit nicht die taffe Mama, sondern die schwache Nörglerin bin. Meine Drei können das aber ab und wissen, dass die Mama dann sowieso kurz darauf vor ihrer Zimmertür steht und sich entschuldigt 😉
Ich frage: Sollten sich Krebsbetroffene deiner Meinung nach mit dem Thema “Tod” beschäftigen.
Danke, danke, liebe L. für diese Frage und fürs Aufgreifen dieses Themas. Das ist leider bei so vielen so tabubehaftet, dass sie es ganz in die hinterste Ecke schieben, es verdrängen und ganz weit von sich weisen. Ich denke, dies geschieht aus Angst, Scham und nicht zuletzt auch Selbstschutz. So nach dem Motto „Was ich nicht anspreche oder woran ich nicht denke, das ist nicht da.”
Bei Thema “Tod” halte ich das für völlig fatal. Denn der ist nun mal der Schlusspunkt eines jeden Lebens. Und sicherlich ist der Tod das, was wohl den meisten von uns ziemlich direkt in den Kopf geschossen ist, als wir unsere Krebsdiagnose erhalten haben, oder? Also bei mir war die Frage “Werde ich sterben?” von Anfang an sehr präsent.
Ich finde es mehr als wichtig, sich mit dem Tod, seinem eigenen Tod, auseinanderzusetzen, wenn man eine Krebsdiagnose erhält.
Ja, keine Frage: Es kann gut gehen. Aber, aber, aber wir müssen der traurigen Krebswahrheit ins Gesicht blicken: Es kann eben auch nicht gut ausgehen. Krebs ist potentiell tödlich, da müssen wir uns nichts vormachen und da nützt auch noch so viel “positives Denken” leider nichts.
Liebe Leserin, lieber Leser, ich bin absolut der Meinung, dass man zuversichtlich und mit einem positiven Mindset in die Akuttherapie einsteigen soll. Sich an den kleinen Dingen erfreuen soll, den Moment wertschätzen und die Zeit mit seinen Liebsten genießen soll. Denn die Möglichkeiten der Medizin sind so weit vorangeschritten, dass man krebsfrei aus dem ganzen Mist herauskommen kann. Und auch Metastasen müssen heutzutage nicht zwangsläufig den sofortigen Tod bedeuten. Es gibt so viele positive Beispiele, an denen man sich festhalten darf. Nicht zuletzt bin ich selbst so ein leuchtendes, mutmachendes Beispiel – zumindest in der Momentaufnahmen. Denn auch für mich kann sich schon nächste Woche – da habe ich einen Mammografietermin – die andere Seite der Krebsmedaille zeigen und ich stehe da mit einem Rezidivbefund.
Das kann man sich nicht schönreden. Das ist wie es ist einfach ein Fakt. Genauso wie es ein Fakt ist, dass Krebs dich umbringen kann. Egal, wie vielversprechend die Therapien mitunter starten, wie gut die Prognosen zunächst sind.
Bitte versteht mich nicht miss! Der Tod sollte nicht als das Unausweichliche gesehen werden, nicht als das, was einem unweigerlich, bevorsteht wenn eine Krebsdiagnose ins Leben hereingebrochen ist. Aber als eine Seite der Krebsmedaille. Nicht mehr, aber auch nicht weniger und definitiv nicht mit einer anderen Prozentzahl. 50:50.
Auch wenn die Ärzte*innen von Statistiken sprechen. Jeder Fall ist ein Einzelfall. Jede Diagnose eine Einzeldiagnose. Mein Heilungsweg nicht deiner, liebe Leserin und lieber Leser. So gemein das auch ist. Weil meine Chemo angeschlagen hat, muss es deine nicht zwingend tun, auch wenn unsere Tumore ganz ähnliche Parameter haben.
Ich finde den Spruch “Wenn nichts sicher ist, ist alles möglich.” ganz hervorragend. Der lässt beide Möglichkeiten zu und zwar ohne höhere Gewichtung der einen Seite.
Ich finde es sinnvoll, ganz nüchtern und ganz konkret an das Thema “Tod” heranzugehen. Das nimmt im ein Stückweit die Schwere und macht es fassbarer: Wie möchte ich beerdigt werden? Wie soll meine Beerdigung ablaufen? Was möchte ich auf keinen Fall und was ist mir für diesen Tag immens wichtig? Vielleicht gibt es ein Lied, das du gerne hören möchtest. So war es beim Tod meines Bruders damals “Abschied nehmen”.
Ich könnte mir orstellen, dass bei meiner Beerdigung mal “Engel” von Johannes Oerding läuft. Das enthält für mich so viel Hoffnung. Denn ich bin davon überzeugt, das wir nicht weg sind, auch wenn wir nicht mehr hier sind. (Unter “Schicksal, Engel und Co.” habe ich meine vielleicht für den ein oder anderen von euch leicht verspleenten, aber für mich total logischen Gedanken zu “dem hier unten” und “dem da oben” niedergeschrieben.)
Ich war im Rahmen meines Engagements für Jung und Krebs e.V. schon zweimal auf der Messe “Leben und Tod” . Einen Besuch dort kann ich jedem wärmstens empfehlen. Egal, ob krebskrank, putzmunter, ob jung oder alt. Dort kann man sich in wundervoller Atmosphäre Särge oder Urnen anschauen, kann sich eine Erinnerungskiste besorgen, die man dann zu Hause bestückt. Dort kommt man in den Austausch mit Bestatter*innen, erhält tolle Ideen für etwas andere Beerdigungszeremonien (Ich könnte mich z.B. mit einer Bestattung an einem Strand in Holland anfreunden.) und nicht zuletzt gibt es dort die Möglichkeit, tolle Vorträge anzuhören. Ja, dort es um das große Ganze, eben um Leben und Tod. Aber auf eine ganz wundervolle Art und Weise, die dem Tod sehr viel von seinem Schrecken nimmt.
Für mich bedeutet die Beschäftigung mit dem eigenen Tod das genaue In-den-Blicknehmen des eigenen Lebens. Dabei ist für mich die zentrale Frage “Würde ich zufrieden und mit einem guten Gefühl gehen, wenn heute mein letzter Tag auf Erden wäre?”
Ich meine hier nicht das Schreiben von Bucket Lists, nicht das Zelebrieren eines grandiosen letzten Tages auf Erden”, in dem alles steckt, was man eigentlich sonst im Leben nie macht. Ich meine, das Glück oder besser die Zufriedenheit im eigenen kleinen Alltag. Wenn man sich darüber bewusst ist, dann verlieren manche Dinge, die man so tut vielleicht an Wichtigkeit und man kann sie loslassen. Und andere gewinnen an Bedeutung und man praktiziert sie umso lieber und häufiger.
Wie du siehst, liebe Fragestellerin: Ich für mich bin total fein mit dem Thema “Tod” und bin mir der Endlichkeit meines Lebens sehr bewusst. Ich für mich bin dem Thema gegenüber sehr offen, bin mir meiner Sterblichkeit und meines durch den Krebs potentiell erhöhten Risikos für ein eventuell früheres Ende bewusst. Mir macht das keine Angst.
Mir ist aber klar, dass dies nur die eine Seite ist. Denn ich kann durch meine Einstellung die Ängste meiner Liebsten nicht mindern. Für die ist mein Tod womöglich, nein sicherlich, mit Abwehr verbunden. Ich kenne auch die andere Seite. Ich habe erfahren, wie schnell ein Leben zu Ende sein kann, als mein Bruder mit knapp 30 Jahren von einem Haus stürzte und tot war. Es brauchte damals keine Krebsdiagnose, um das Thema “Tod” ganz plötzlich ganz nah an mich herankommen lassen zu müssen. Und zwar als Angehörige.
Ich weiß wie meine Eltern nach dem Tod meines Bruders gelitten haben, sehe seine Frau vor mir, die ihren Mann verloren hat, erinnere mich an meinen Schwesterschmerz. Diese Bilder haben sich eingebrannt. Und. manchmal, in düsteren Nächten, spielt mein Kopfkino diese Bilder mit meinem Porträtbild ab. Dann hat der Tod auch für mich etwas beklemmendes und beängstigendes.
Aber man kann ihm etwas davon nehmen, wenn man in seinen Gedanken den blick auch über sich selbst hinaus wendet. Ich finde ich es wichtig, sich zu überlegen, was man seinen Liebsten, seinen Freund*innen und warum nicht der Welt im Ganzen gerne von sich dalassen möchte. Wie möchte man in Erinnerung bleiben? Was sollen andere Menschen nach dem Tod mit mr in Verbindung bringen? Sind es gemeinsame Erlebnisse, sind es gemeinsame Projekte bei der Arbeit, vielleicht ein spezielles Gericht oder auch ein bestimmter Kleidungsstil?
Für mich hat mein Blog, haben meine Social Media Posts und haben meine Bücher im Zuge meiner Krebserkrankung immens an Bedeutung gewonnen. Wenn ich eines Tages gehen muss, dann bleibe ich durch meine geschriebenen und gedruckten Zeilen in Kombination mit den vielen Fotos für meine Liebsten greifbar, auch wenn ich mich in einem anderen Sein befinde.
Mein Blog als mein Vermächtnis. Hört sich tief an. Ist es wahrscheinlich auch. Aber für mich hat es etwas herrlich Leichtes und absolut Beruhigendes: Ich werde noch da sein, auch wenn ich nicht mehr da bin. Das nimmt meinen Liebsten hoffentlich etwas von der Schwere des Themas.
Nach meinen langen Ausführungen nochmal kurz und knackig: Ja, ich bin absolut dafür, den eigenen Tod in den Blick zu nehmen. Und zwar nicht nur all diejenigen Menschen, die sich mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sahen oder sehen. Nein! Der Tod gehört doch zu einem jeden Leben und deshalb sollte sich meiner Meinung nach jede und jeder von uns damit beschäftigen.
Ich frage: Was ist in 5 Jahren mit „Annette fragt“?
Annette: Hm, spannende Frage, die ich mir so wie die Eingangsfrage noch nie gestellt habe.
“Annette fragt” ist aus einer Laune heraus entstanden und ich habe keinerlei Plan, wo es mit “Annette fragt“ hingehen wird. Ich lasse das – wie eigentlich alles, was ich seit meiner Erkrankung so mache – einfach laufen. Im Vertrauen, dass ich schon merken werde, wenn es den Leuten reicht, wenn es mir reicht oder wenn es Zeit für etwas Neues oder Anderes sein sollte.
Doch solange sich Leute bei mir melden, die mir ihre Geschichte erzählen möchte, solange ich selbst noch Wünsche habe, wen ich gerne mal interviewen möchte, solange ich es zeitlich unterbekomme und nicht zuletzt solange meine Interviews von euch da draußen gelesen werden, solange mache ich von Herzen gerne weiter.
Ens ist klar: Ich mache “Annette fragt” aus Herzensüberzeugung, absolut freiwillig und komplett unbezahlt. Insofern halte ich es mir offen, das Projekt mal in den Pausemodus zu schieben oder ganz zu beenden, wenn sich etwas Privates in den Vordergrund drängt, ein berufliches Ereignis mich fordert oder sich mir das Leben unerwartet anders präsentiert.
Wer weiß, vielleicht bin ich also in 5 Jahren bei 100 Interviews angelangt? Vielleicht habe ich aber auch nach 54 aufgehört. (Hier spoilere ich, denn 3 weitere Interviewpartnerinnen habe ich tatsächlich schon gewinnen können, hihi.)
Vielleicht lade ich in 5 Jahre auch alle Interviewpartner*innen zu einem Interviewrevival ein und frage mal nach, wie es ihnen so ergangen ist im Leben. Das Ganze könnte dann den Titel “Annette fragt nach“ bekommen. (Gibt es vielleicht schon potentielle “Hier-ich-bin-dabei-Schreier unter meinen ehemaligen Interviewgästen, hihi?)
Ich sag mal so: Ich bin offen für vieles, was “Annette fragt“ anbelangt. Wer weiß, was dieses Interview hier möglicherweise anstoßen wird?
Und selbst wenn “Annette fragt” in 5 Jahren Pause macht, die bis dahin veröffentlichten Interviews werden weiterhin öffentlich zugänglich sein. Ich fühle mich geehrt, dass ich so viele Geschichten teilen darf und dass einige meiner Interviewgäste meinen Blog sogar als erste Plattform gewählt haben, um offen über ihre Erkrankung zu sprechen. Ich werde die Interviews auf ewig in Ehren halten.
Nach dem Schreiben dieses ganz persönlichen Jubiläumsinterviews jedenfalls bin ich supermotiviert, gut gelaunt voller Vorfreude “Auf das, was da noch kommt”. Und deshalb höre ich nun auf zu tippen, stelle stattdessen mein Handy auf volle Lautstärke und höre mir Lotte und Max Giesinger an, die ihre Vorfreude in einen schönen Song gepackt haben.
Hast du, liebe Leserin und lieber Leser Bock auf etwas Musik? Dann klick doch direkt auf den Link und summe mit. Und geh´dann herrlich vergnügt hinaus in deinen Tag.
Liebe Grüße an euch alle von eurer Annette