Du bist was du isst
Krebskrank und dennoch modisch und geschminkt?!
Abgemagert, mit einer alten Wollmütze auf dem Kopf, in Jogginghose, mit Cortison-Mondgesicht, in dem es weder Augenbrauen noch Wimpern gibt, liegt die Krebspatientin auf dem Sofa und starrt traurig in die Luft. Diese stereotype Szene aus vielen Filmen kam mir früher beim Stichwort „Krebs“ auch in Kopf. Jetzt, selbst Krebspatientin, weiß ich, dass man trotz Chemo- oder Strahlentherapie gestylt sein kann und nicht sterbenskrank durch die Welt tingeln muss.
Sich mit dem neuen Aussehen anfreunden
Die Etappen einer Krebserkrankung, egal ob Operation, Chemotherapie, Bestrahlung oder andere Behandlungsformen sind ohne Frage mit starker körperlicher Anstrengung wie einer Alpenwanderung, einer kilometerlangen Mountainbiketour oder einem Marathonlauf gleichzusetzen. Leider werden wir Betroffenen für diese Strapazen nicht mit roten Backen, von der Sonne gebleichte Haare oder gestählten Muskeln belohnt, die unserem Gegenüber lobende Worte à la „Na, du siehst ja erholt und gesund aus.“ entlocken. Stattdessen hat man es mit einem kahlen Kopf, ausgedünnten oder komplett fehlenden Wimpern und Augenbrauen, gereizter Haut, zu tun. Logischerweise müssen die meisten erst einmal mit ihrem neuen Erscheinungsbild klarkommen, das ihnen da aus dem Spiegel entgegenblickt. .
Das ging mir nicht anders. Als Krebs-Neuling stand ich nach der Diagnose etwas ratlos vor dem Kleiderschrank. Zwar sah man mir äußerlich noch nichts an, aber ich fühlte mich anders und fragte mich: “Welche meiner Kleidungsstücke passen auch jetzt als Krebspatientin noch mir?” Beim ein oder anderen Teil dachte ich: „Nee, das ist mir zu schade, um es jetzt zu tragen.“ Oder „Das will ich nicht anziehen, weil es mich dann immer an den Krebs erinnert.“ Ich machte mir Stapel mit Krebs-Klamotten und denen, die ich nicht anziehen wollte. Diese Stapel gibt es zwischenzeitlich nicht mehr. Ich ziehe auch nach der gestarteten Chemotherapie mit einhergehenden äußerlichen Veränderungen weitaus mehr „Nicht-Krebs-Klamotten“ an als zunächst gedacht. Einfach, weil dieser Krebs jetzt zu mir gehört, weil ich mich in meine neue Rolle reingefunden habe und weil ich akzeptiert habe, dass er zu mir gehört, dass er mein Leben länger begleiten und wohl auch nach Ende der Therapien nie ganz verlassen wird.
Ich finde, es gibt absolut keinen Grund, sich zu verstecken oder nur noch zu gedeckten Farben, langweiligen Klamotten zu greifen und ungeschminkt zu bleiben. Im Gegenteil: Ich halte es für äußerst wichtig, etwas für sich zu tun und nett zu sich zu sein. Schließlich leisten Körper und Geist von uns Betroffenen extrem viel und dürfen präsentiert werden, auch wenn wir vielleicht nicht immer catwalkverdächtig hübsch sind.
Eins steht für mich fest: Auch wenn Krebs und Corona mich aktuell ziemlich ans Haus fesseln und Cafébesuche, Treffen mit Freundinnen und Freunden, Besuche von Verwandten daheim ausfallen, steige ich nicht auf den „Jogginghosen-ungeschminkt-Look“ um. Das setze ich gleich mit „Aufgeben“, „Sich gehen lassen“ und ist nicht zuletzt im in Bezug auf meine Kids das absolut falsche Zeichen. Auch Logischerweise stolziere ich aber auch nicht im Ballkleid und Pumps durchs Haus. Ich trage oft Jeans und Sweater oder Shirt. Und wenn es doch mal die Jogginghose ist, dann ist sie auf keinen Fall ausgeleiert!
Aber an Tagen, an denen es mir richtig mies geht, brezle ich mich oft besonders auf und lege die teure Kette um, tausche Jeans gegen Stoffhose oder schminke mich etwas stärker. Und was soll ich sagen? Meistens funktioniert der Trick. Zwar wird Tag dadurch nicht besser, was die körperlichen Zipperlein anbelangt und ich bin nicht plötzlich freudestrahlend und supergut gelaunt. Aber zumindest fühle ich mich schöner, fühle mich wohler und das ist doch schon viel Wert.
Ein neuer Style entsteht.
Es gibt tatsächlich Kleidungsstücke, die ich nach wie vor links liegen lasse. So fühle ich mich beispielsweise in Röcken oder Kleidern unwohl, weil ich finde, dass die mir mit Beanie auf dem Kopf nicht so gut stehen wie sonst und ich seltsam verkleidet aussehe. Ob sich das bis zum Sommer hin noch ändert oder ob ich lieber in Hosen bleibe, wird sich zeigen.
Mir fällt auf, dass ich mich durch den Krebs ein Stückweit auch anders kleide, ich probiere was Neues, was Anderes aus. So gefalle ich mir in zerrrissener Jeans und Rockstar-Shirt in Kombi mit einem Beanie echt gut und mein Sohnemann findet mich „Echt cool.“ so. Schnell war mir klar, dass ich Farbtupfer wie z.B. eine rote Hose oder ein gelben Gürtel anstelle von schwarzem Pulli oder grauer Hose setzen muss. Das hat eindeutig Auswirkungen auf meine Psyche und zaubert aus Trauerkloßstimmung flugs Fröhlichkeit oder zumindest etwas bessere Laune, wenn man alles tiefschwarz verhängt ist. Aktuell haben es mir sämtliche Rot-/Rosatöne angetan, die ich früher eher weniger auswählte, weil ich fand, dass mir blau oder grün besser standen.Außerdem greife ich gern zu karierten Blusen.
Mit Motto-Shirts gegen depressive Vibes.
Zwischen meiner Diagnose und der ersten Chemotherapie, als ich zwischen Niedergeschlagenheit, Wut und Traurigkeit hin und herschwankte, halfen mir Shirts mit witzigen Sprüchen dem Schlamassel mit Humor und Sarkasmus entgegenzutreten. Ich hatte schon immer ein Faible für solche Shirts hatte und konnte sofort das ein oder andere Shirt aus meinen Schrank holen, als dieser Krebs plötzlich da war.
So fühlte ich mich in Shirts, die mich zur „Powerful und fearless- Woman“ oder zum „Cosmic Girl“ machten, gleich viel stärker, als ich in den ersten Tagen nach der Diagnose nicht so recht wusste, wohin mit mir und irgendwie auf Beistand aus dem Universum hoffte. Am Tag der Operation gab mir mein „Girls will save the world“-Shirt Gewissheit, dass ich hundertprotzentig aus der Narkose erwachen würde, immerhin hatte ich ja danach noch einen Auftrag in der Welt zu erfüllen. Ich wähle oftmals bewusst Motto- Shirts aus, wenn besondere Krebs-Events wie eine Chemotherapiesitzung oder ein Arztbesuch anstehen. Ich ging beispielsweise im „Heldin“-Shirt zum Vorgespräch für die Chemo, hänge gern im „Gedanklich-am-Meer“-Hoodie am Infusionsständer. Nach den ersten Chemos machte ich mich im„Couch-Potatoe“-Shirt lustig über mich selbst, wenn ich völlig fertig herumlag. Auch das „Sunny days“-Shirt an doofen Depritagen, an denen ich Gott und die Welt und meinen Krebs insbesondere in Frage stelle, produziert gute Laune oder zumindest etwas bessere Stimmung. Und wenn es mal ganz schlimm ist, dann erinnern mich die Sätze „N`oublie pas de vivre. Don´t forget to live.“ auf einem anderen Shirt daran, dass ich mich nicht komplett in die Trauerkloß-Nummer verabschieden, sondern mich lieber aufs (Über-)Leben konzentrieren sollte.
Ich habe mir seit der Diagnose schon zig neue Shirts zugelegt und es werden bestimmt noch weitere in meinen Kleiderschrank wandern. Aber seid mal ehrlich,: Meine neueste Errungenschaft, ein Shirt mit dem Slogan „Life´ s too short to wear boring clothes.“, passt doch wie die Faust aufs Auge, wenn du eine potentiell lebensverkürzende Krankheit hast, oder?
Wer ist die Schönste im Land?
Ich war eigentlich noch nie eine sonderlich aktive Schminkerin und bin es nach wie vor nicht. Aber angesichts von noch blasserer Haut als sowieso schon, zugeschwollenen Augen nach Chemo-Cocktails oder durchwachten Nächten und einem ohne Haare irgendwie kleiner aussehenden Gesicht, habe ich die Vorteile von kosmetischen Hilfsmitteln für mich entdeckt, auch wenn ich nach wie vor ein „Wimperntusche-Kajal und allerhöchstens mal ein bisschen Lidschatten.“-Typ bin.
Damit ich nicht doch zu einem blassen Chemo-Zombie mutiere, hab ich in meine Tagescreme ein paar Spritzer Make-Up gerührt und somit immer eine recht gesunde Gesichtsfarbe, auch wenn Chemoübelkeit, Schlafmangel oder depressive Phasen eigentlich andere optische Folgen haben.
Meine Augenbrauen und Wimpern sind im Laufe der Chemotherapie schnell spärlicher geworden. Schminktechnisch war Experimentierfreude angesagt, da ich bisher – mit buschigen Augenbrauen gesegnet – noch nie einen Augenbrauenstift verwendet habe. Das war Anlass zu einem Ausflug in die Kosmetikabteilung beim örtlichen Drogeriemarkt zusammen mit meiner großen Tochter. Schöner Nebeneffekt: Mutter-Tochter-Quality-Time. Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe ich den Augenbrauenbogen raus und komme mit meinen absoluten Liebling, Kombiteil aus Stift und auffüllendem Puder mit Schwammpinseldings, bestens zurecht.
Beim Beautyeinkauf legte ich auch einen künstlichen Wimpernkranz in den Einkaufskorb. Der wird allerdings in unsere Fasnachts-Verkleidungskiste wandern, da ich – toi, toi, toi! – noch Wimpern habe, die ich ganz vorsichtig jeden Tag tusche, um sie optisch etwas fülliger zu schummeln.
Lippenstift hab ich noch nie gemocht und verwende ich auch jetzt nie. Damit komme ich mir dann doch etwas overdressed vor. Aufgrund der chemo-getrockneten Lippen verwende ich aber immer einen Lippenpflegestifte. Dabei gibt es auch solche, die leicht getönt sind wie beispielsweise “bebe zartrosé” oder “Nivea colour & care”), Diese zaubern schnell etwas Frische in mein Gesicht.
Alle meine Fingerlein…
Meine Fingernägel sind infolge der Chemotherapie leicht brüchig und die Haut reißt an den Kuppen sehr leicht ein. Bei manchen Erkrankten verfärben sich diese ja auch oder fallen teilweise ganz aus. Obwohl ich vor dem Krebs überhaupt kein Fan von Nagellack war und meist völlig nagellackfrei oder nur mit Nude-Varianten am Start war, nutze ich derzeit Nagellack total gerne, um die Unzulänglichkeiten zu kaschieren und meinen Händen und Füßen ein gepflegtes Erscheinungsbild zu geben. Ich fühle mich damit außerdem so herrlich weiblich, was mit Glatze und Narbe an der Brust plus Port-Erhöhung an schlechten Tagen, manchmal doch schwerer fällt, als ich zugeben möchte. Auch bei den Nagellacken setze ich auf Farbe. Ich empfehle medizinische Lacke wie z.B. die Toleriane-Nagellacke von La Roche-Posay oder die “5 free”-Serie von Terra Natur , die neben der kosmetischen Wirkung die Nägel zugleich auch noch pflegen und frei von krebserregenden Schadstoffen sind. Da gibt´s auch einen Lack von zwei Mädels, Alex und Paula, deren Brustkrebs-Podcast “2 Frauen, 2 Brüste” ich verfolge und der natürlich schon Einzug in meine Nagellacksammlung gehalten hat.
https://www.medpex.de/nagellack/roche-posay-toleriane-nagellack-alex-paula-p16837510?ai=350&gclid=EAIaIQobChMIuLnizY357wIVS_7VCh2QUAz_EAQYAiABEgIOCvD_BwE
Total oberflächlich oder niveauvoll?
Ist es oberflächlich, angesichts einer so gravierenden Krankheit wie Krebs über Klamotten und Schminke nachzudenken und sich in einem ganzen Blogbeitrag darüber auszulassen? Manch eine oder einer mag das so sehen.
Ich nehme mir täglich ganz bewusst eine “me-time” vorm Kleiderschrank und im Bad. Auch wenn ich es nur ungern tue, weil das im Moment doch jeder macht, kennzeichnen die Stichworte “Selbstliebe”, “Achtsamkeit”, “Im Jetzt” und “Bei mir sein” dieses Viertelstündchen Exklusivzeit.
Außerdem zeige ich so meinem Umfeld allen voran meinem Mann und meinen Kindern, die mich schließlich jeden Tag sehe und all meine Krebs-Zipperlein mitertragen müssen, dass ich trotzallem „Ja“ zum Leben sage.