Annette fragt… Anna Farris
Mama hat Krebs: Darf ich jetzt nicht mehr lachen?
Letztes Jahr im November zog ein komisches Wesen namens „Krebs“ in unsere Familie ein. Von einem Tag auf den anderen ging die Mama nicht mehr arbeiten. Oft schlossen die Eltern die Tür vom Arbeitszimmer und führten ernste Gespräche. Plötzlich weinte die Mama häufig. Ständig wollte sie die Kinder in den Arm nehmen.
Wie ich es anpackte, das komische Wesen „Krebs“ in unser Familienleben zu integrieren, bevor sie darüber rätselten, wohin ich jede Woche mit dem Taxi fahre und so müde zurückkommt, wie meine Kinder sich mit ihm anfreundeten, warum wir immer noch sehr viel lachen und was das alles mit dem Maultaschen-Boykott meiner Kinder zu tun hat, möchte ich euch in diesem Blogbeitrag beschreiben.
Abendessen mit Ötzi
Ich war allein bei meiner Ärztin, als ich die Brustkrebsdiagnose erhielt. Nachdem ich die Klinik verlassen hatte, rief ich meinen Göttergatten an. Sachlich-klar statt blumig-langatmatig brachte ich nur den einen Satz heraus: „Ich habe Brustkrebs.“ Für einen Bestseller wäre dieser als Einleitung absolut unwürdig, für ein Telefonat auf einem Klinikparkplatz aber erscheint er mir noch immer angemessen. Viel mehr als „Aha.“ und „Jetzt komm erstmal nach Hause.“ erwiderte der Göttergatte nicht.
Ich bat ihn, dass wir bitte das ganz normale Abendprogramm mit unseren Goldschätzen abzuspulen. Abendessen, Dusche, Schlafanzug, Gutenachtgeschichte und dann ab in die Heiabettchen.
Hätte ich beim Abendessen etwas vom komischen Wesen erzählen wollen, das unsichtbar schon mit am Tisch saß, so wäre ich überhaupt nicht zu Wort gekommen. Der Mittelstürmer war so begeistert von seinem aktuellen Sachunterrichtsthema „Steinzeit“ und vor allem vom Alpenwanderer Ötzi. Er sprudelte geradezu über: „Ihr ahnt nicht, was Ötzi als Letztes gegessen hat?“, „Wisst ihr, wie alt der Typ war?“, „Ihr glaubt ja nicht, was der anhatte!“. Wir verfolgten quasi live Ötzis letzte Lebensstunden mit. Wäre es möglich, hätte er diesen Kerl höchstwahrscheinlich zum Essen zu uns eingeladen.
Das Teeniemädchen brachte in einer kurzen Redepause des Bruders plötzlich mal das Wort „Klinik“ hervor. Sie wusste, dass ich dort einen Termin gehabt hatte, den Grund hatte ich aber nicht genannt. Mir zog die steinzeitliche Eiseskälte in den Magen, aber der Göttergatte schaffte es ganz galant, das Thema erstmal vom Tisch zu fegen. „Lieb von dir, das du fragst. Aber lass mich das bitte nachher erstmal kurz mit Mama besprechen.“
Wie sag ich es dem Kinde?
Meine Krebsdiagnose erhielt ich an einem Mittwoch. Meine Eltern und Geschwister, die Schwiegereltern und drei sehr gute Freundinnen informierte ich am Folgetag. Meinen drei Goldschätzen konnte ich es irgendwie noch nicht erzählen. Ich versuchte, die Tage normal und routiniert abzuspulen.
Mir war aber klar, dass ich es ihnen nicht allzu lange verheimlichen konnte. Das Teeniemädchen hatte schon ein paar Mal nachgehakt, was jetzt eigentlich mit der Mama sei. Sie hatte die Anwesenheit des seltsamen Wesen, das ich mit nach Hause gebracht hatte, wohl schon sehr deutlich gespürt. So überlegte ich mir, wie ich das Krebs-Outing am besten anpacken könnte. Ich las ein bisschen im Internet, hielt Rücksprache mit meinem Mann und ließ dann eigentlich mein Bauchgefühl handeln.
Am Samstag weihte ich das Teeniemädchen (damals 11) als erstes meiner Kinder ein. Ich tat es auf einem Fußmarsch Richtung Bäcker. Ich wählte bewusst ein festes Ziel, damit das Gespräch ein vorgegebenes Ende hatte. Außerdem wollte ich es außer Haus machen, weil ich einen Tränenausbruch meinerseits inklusive Versagen der Sprache befürchtete. Und da meiner Großen ja momentan alles und vor allem die Eltern sehr schnell sehr peinlich werden, war mir klar, dass ich mich dort im ungeschützten Raum zusammenreißen würde. Das Gespräch war aber erstaunlich einfach, erstaunlich nüchtern. Das Teeniemädchen hörte sich meine Erklärungen an, fragte wann ich in die Klinik müsse und dann interessierte sie sich für den Kuchen, den sie an der Theke auswählen durfte.
Der Mittelstürmer (damals 9) setzt sich gerne mal auf meinen Schoß oder kuschelt mit mir. Deshalb gesellte ich mich am Sonntag zu ihm ins Zimmer, legte mich neben ihn ins Bett und erzählte von meinem Krebs. Er stellte interessierte Nachfragen: „Woher kommt der?“, „Was kann man dagegen tun?“ „Wie lange dauert das?“
Dem Goldkind (damals 3) erzählte ich am Abend im Beisein der beiden Großen, dass in meinem Busen ein Knoten drin ist, der raus muss, weil es der Mama sonst ganz schlecht geht. Sie durfte meinen Busen anfassen und den Knubbel fühlen, der seit der Biopsie deutlich zu spüren war.
Nun hatte das komische Wesen also eine Gestalt und einen Namen bekommen: Der Krebs war endgültig bei uns eingezogen.
Die drei Gespräche waren sehr wertvolle Momente für mich. Ich glaube, ich habe für jeden meiner Goldschätze die richtige Form gefunden. Die erste Begegnung mit dem krebsigen Wesen war ernsthaft und ehrlich, aber nicht bedrohlich und traurig. Auf das genaue Erklären des Krebses, also wie er entsteht, woher er ggf. kommt, bin dabei nicht eingegangen. Die Ausbildung zu kleinen Krebsexpertinnen und –experten begann erst in den nächsten Tagen und Wochen. Mir war es wichtig, zunächst bei mir und meiner Diagnose, dem möglichen anstehenden Therapieweg zu bleiben und aufzuzeigen, was das alles für uns als Familie im Alltag bedeuten könnte (Ich würde häufiger weg sein und wohl auch Mithilfe einfordern müssen usw.).
Was kann ich anderen Krebserkrankten für das/die Gespräche mit ihrem/n Kindern mitgeben?
- Warte nicht allzu lange mit dem Gespräch. Ein Kind spürt, dass etwas „in der Luft liegt“. Erhalten Sie keine Erklärungen dafür, ersinnen sie eigene. Möglicherweise entstehen so Unsicherheit, Unruhe, mitunter auch Sorge oder gar Angst.
- Überlege dir, ob du das Gespräch alleine oder in Anwesenheit deiner/s Partnerin/s führen möchtest. Mach das auch davon abhängig davon, wie es ihr/ihm mit deiner Erkrankung geht. Ist sie/er vielleicht selbst überfordert mit der Situation, hat große Angst um dich und wäre dir im Gespräch eher eine zusätzliche Belastung als eine Stütze?
- Ich rate dazu, mit jedem Kind einzeln zu sprechen. Zum einen kannst du so altersgerechte Erklärungen geben und das Ganze typgerecht gestalten. Jedes Kind hat die Möglichkeit, seine ganz persönlichen Nachfragen zu stellen. Außerdem läuft es so nicht Gefahr, vor dem Geschwisterkind weinen zu müssen und sich dann evtl. bloßgestellt zu fühlen. Und ganz lapidar: Du hast nur zwei Arme und mit denen solltest du dein Kind im Laufe oder am Ende oder während des kompletten Gesprächs ganz fest drücken können.
- Wähle einen Ort, an dem du und auch dein Kind sich wohlfühlen.
- Setze dich zeitlich nicht unter Druck, weil du im Anschluss an das Gespräch noch einen Termin hast. Dein Kind sollte die Möglichkeit haben, noch Fragen zu stellen oder sich in deinen Armen ausweinen zu dürfen, ohne dass du plötzlich wegrennen musst.
- Zeig deinem Kind, das dir das Gespräch mit ihm wichtig ist: Lege dein Handy unbedingt weg und ignoriere Anrufe. Gibt es noch ein sehr kleines Geschwisterkind, sollte dies entweder von deiner Partnerin/deinem Partner betreut sein oder deine Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen, weil es plötzlich gewickelt oder gestillt oder von einem Schrank, auf den es hinaufgeklettert ist, heruntergeholt werden muss.
- Falls du nicht weißt, wie du in das Gespräch einsteigen sollst oder es nicht schaffst, direkt deine Geschichte zu erzählen, kann es hilfreich sein, den Einstieg über ein (Bilder-)Buch zu machen.
- Vielleicht gibt es in eurer Familie oder im Freundeskreis auch eine Person, die dein Kind gut kennt und die eine Krebserkrankung hatte oder hat. Dann kannst du zunächst von dieser berichten und dann auf dich sebst zu sprechen kommen.
- Sei ehrlich in Bezug auf deine Diagnose, aber mach deinem Kind keine Angst. Lass evtl. ganz heftige Details (zunächst) weg. Du kannst das Gespräch in ein paar Tagen wiederaufnehmen.
- Sag ein paar Worte zur bevorstehenden Behandlung, sofern du diesbezüglich schon Genaues weißt: Musst du für eine Operation ins Krankenhaus? Steht zuerst eine Chemotherapie an? So habe ich erzählt, dass ich erst nach der Operation weiß, wie es weitergehen wird, aber dass auf jeden Fall ein recht langer Therapieweg vor mir liegt.
- Berichte kurz, was ggf. mit dir passieren wird, also dass eine Chemotherapie dich z.B. sehr müde machen wird oder du die Haare verlieren wirst.
- Inwieweit du das Thema „Tod“ ansprechen möchtest, würde ich von deiner Diagnose und der damit verbundenen Lebenserwartung sowie vom Alter deines Kindes abhängig machen. Ich habe bei den Großen durchaus erwähnt, dass ein Krebs eine potentiell tödliche Krankheit ist, aber dass die Ärztinnen und Ärzte alles dafür tun werden, damit ich wieder ganz gesund werde.
- Stelle eindeutig heraus, dass niemand und schon gar nicht dein Kind und/oder sein Verhalten etwas für deinen Krebs kann. Er entsteht nicht, weil jemand „nicht brav zur Mama war“, „den Teller nicht leergegessen hat“ oder „ein Trotzkopf ist.“
- Lass deinem Kind unbedingt Zeit für Fragen und beantworte diese so gut du kannst. Sei ehrlich, wenn du etwas nicht weißt und stelle ihm in Aussicht, dass du dich, vielleicht sogar in gemeinsamer Recherche mit ihm, um eine Antwort kümmern wirst.
- Akzeptiere, wenn dein Kind das Gespräch recht schnell beendet. Signalisiere ihm eindeutig, dass du immer für es da ist, wenn es etwas wissen möchte.
Wer sollte es noch wissen?
Ich habe die Klassenlehrkräfte, die Erzieherinnen sowie die Mütter der Freundinnen und Freunde meiner Kinder, von denen ich wusste, dass wir sie als Unterstützerinnen und Untersützer benötigen würden, kurz nach meiner Diagnose informiert. Wer von den anderen Freundinnen und Freunden oder den Klassenkameradinnen und –kameraden über meinen Krebs Bescheid wissen darf, habe ich den Kindern selbst überlassen. Das Teenimädchen war hier sehr zurückhaltend und erzählte es keiner weiteren Person. Der Mittelstürmer hingegen war anderen Kindern gegenüber war er sehr offen, was das Thema anbelangte. Das Goldkind sprach von Anfang an darüber: „Weißt du, die Mama hat doch Krebs.“
Ich würde anderen Krebsbetroffenen auf jeden Fall raten, Schule und Kindergarten darüber zu informieren. So können die Pädagoginnen und Pädagogen sich eventuell auftretende Veränderungen im Verhalten eurer Kinder erklären und euch darüber schnell Rückmeldung geben. Außerdem werden sie so nicht vor den Kopf gestoßen, wenn eurer Kind im Morgenkreis plötzlich irgendwas von „Chemo“ oder „Krankenhaus“ erzählt und die Klasse/Gruppe irritierte Nachfragen stellt. Bei mir haben die Zuständigen sehr freundlich reagiert und waren dankbar für meine Offenheit.
Netztipps:
Hier bei Kurvenkratzer.com im Magazin sowie auf den Internetseiten der Deutschen Krebshilfe, dem Krebsinformationsdienst sowie der Deutschen Krebsgesellschaft finden Betroffene viele brauchbare Tipps für Gespräche mit Kindern sowie Lehrkräften und Erziehern. Außerdem finden sich unter https://www.krebshilfe.de/blog/kindern-krebs-erklaeren/ Videos, die Kindern die Krankheit Krebs wirklich gut erklären. Eine gute Anlaufstelle ist auch der Verein Flüsterpost e.V. (www.kinder-krebkranker-eltern.de). Dort gibt es Erklärfilme, ein Forum sowie verschiedene kindgerechte Infomaterialien zu bestellen.
Leseratten?!
Ich wage zu behaupten, dass es in unserer Kinderbüchersammlung wohl kaum ein Thema gibt, zu dem wir nicht mindestens zwei Bücher haben. Ich kann kein Kindergeburtstagmotto, keine kindliche Entwicklungsphase, kein aktuelles Kindersachinteresse ohne entsprechendes Buch vorbeiziehen lassen. Überhaupt kann ich an keinem Buchladen vorbeigehen, ohne „nur mal schnell hineinzuschauen“ und dann mit einem Arm voller Bücher wieder herauszukommen.
Deshalb habe ich meinen Kindern auch ein paar Bücher zum Thema „Krebs“ sowie Infobroschüren besorgt, sie den Kindern vorgestellt und dann offen ausgelegt. Während der Mittelstürmer zunächst mit mir zusammen und später auch alleine sehr viel im Kinder-Sachbuch „Was ist Krebs?“ gelesen hat, haben das Teeniemädchen die Bücher überhaupt nicht interessiert. Sie hat allerdings eine Broschüre für Jugendliche mit in ihr Zimmer genommen. Ich habe nicht nachgefragt, ob sie sie gelesen hat.
Dem Goldkind habe ich aus dem Buch „Mut im Hut“ vorgelesen, aber das Gefühl, dass es noch etwas zu früh für sie war und sie es weder richtig verstanden noch in irgendeiner Form auf sich und unser Leben übertragen konnte.
Ich selbst fand in den Büchern und Broschüren viele nützliche Informationen. Wie kann ich Kindern die Krankheit Krebs erklären? Wie kann ich ernsthaft, aber dennoch kindgerecht mit ihnen ins Gespräch kommen? Wie kann ich ihre Gefühle ernst nehmen, ohne sie zu dramatisieren?
Ganz viel Leben im Haus
In den Wochen bis zu meiner Operation und in der kurzen Pause bis zum Start der Chemoterapie hatte ich das Bedürfnis nochmal ganz viel Leben im Haus zu verspüren. Ich wollte viele Besucherkinder hier, zum Spielen, zum Mittagessen, zum Playstation spielen, zum Backen, zum Basteln. Ich hatte das Gefühl, dass mir mit der Chemo das Ende eines normalen, unbeschwerten Lebens ins Hause stand. Deshalb wollte ich meinen Kindern nochmal die Chance geben auf schöne Momente mit ihrer Mama, die noch Kraft, die noch Motivation und auch noch Haare hatte.
Als dann aber die ersten Chemo und die darauffolgenden Tage, die mich komplett ausgeknockt hatten, vorbei waren, bemerkte ich, dass da noch ganz viel Leben, noch ganz viel Kraft, noch ganz viel Motivation übrig war. Und von Chemo zu Chemo verstärkte sich das Gefühl: Die Tage, die chemo-unbelastet waren, konnten normal und alltäglich sein. Für mich, für meine Goldschätze und vor allem für mich mit meinen Goldschätzen. So sind hier weiterhin Besucherkinder unterwegs, so wird hier weiterhin gebastelt, weiterhin Eis geschleckt, aber auch weiterhin gestritten und getrotzt. So fahre ich weiterhin Mamataxi, renne in den Gartencenter, weil die Große für Bio „unbedingt heute, Mama, unbedingt heute, Mama!“ einen Blumentropf braucht oder sitze weiterhin mit der Jüngsten im Kinderzimmer, auf dem kein Quadratzentimeter Boden mehr zu sehen ist und sortiere Puzzleteile und Bügelperlen. Das normale Leben mit Kindern eben und das tut mir gut, weil es das Leben ist, das ich spüre!
Weil am Krebs ein ganzer Rattenschwanz an Terminen und an Veränderungen im Alltag und nicht zuletzt an mir hängt, ist es mir wichtig, dass weiterhin so viel normales, ritualisiertes Familienleben wie möglich herrscht. Vielleicht zelebriere ich das manchmal einen Tick zu extrem, wenn ich einfach so einen Racletteabend mache, Rinderrouladen kredenze, den Kindern Schokolade bei ihrer Abend-Fernsehserie erlaube, obwohl es doch am Nachmittag schon Eis gab oder der Göttergatte den Grill anfeuert an einem schwarzwaldmäßig-kalten Tag. Man lebt nur einmal und das richtig, oder?
Weihnachten, Silvester, Geburtstage, Ostern: Die Feste kamen und sie wurden gefeiert. Trotz Chemo, trotz Glatze, trotz Krebs und Corona. Manches war ganz traditionell: Weihnachtsplätzchen, Ostereier, langes Aufbleiben, Geburtstagskuchen, Dekoration, Topfschlagen und Geschenke (Hiervon erreichten „die armen Kinder der krebskranken Mutter“ eine Viel-Viel-Vielzahl! Danke an alle großzügigen Schenkenden!). Manches musste gestrichen werden: Großelternbesuch, Kindergeburtstage mit vielen Gästen und tollen Partyspielen. Manches war neu: Am Christbaum hingen Playmobilfiguren und Fillypferde, jedes Kind feierte seinen Geburtstag je zwei Mal mit einem Gast, virtuell kamen über Videos aber noch viele weitere Gäste hinzu.
Aber auf jeden Fall war es in jedem Fall das pralle Leben: Wir waren zusammen, wir aßen und tranken, wir lachten, wir tanzten, wir waren glücklich.
Ich rate allen Krebserkrankten hier, schafft euch und euren Kindern krebsfreie Zonen an den Tagen, an denen kein Arztbesuch und keine Chemo ansteht, an denen es euch gut (oder zumindest passabel) geht. Genießt die Zeit mit euren Kindern, eurer Partnerin oder eurem Partner und lasst euch auf das Leben ein!
Dem Krebs ein Gesicht geben
Zwischen den guten Tagen gibt es aber auch die anderen. Die, an denen das Familienmitglied „Krebs“ sich bemerkbar macht. An denen die Mama im Krankenhaus ist, an denen sie zur Chemo muss und danach komatös auf dem Sofa liegt und schläft oder an denen sie leicht benebelt durch die Gegend rennt und sehr reizbar ist.
Ich versuche, mich und meinen Krebs nicht in den Vordergrund zu stellen, verstecke mich aber auch nicht. So habe ich meinen Goldschätzen von allen Staging-Untersuchungen und deren Ergebnissen erzählt. Aus der Klinik, wo sie mich pandemiebedingt nicht besuchen durften, schickte ich ihnen per Handy Fotos von meinem Zimmer, von meiner Aussicht und natürlich vom leckeren und äußerst opulenten Menü. Als ich wieder zu Hause war, zeigte ich ihnen die Narben an meiner Brust, unter der Achsel und später dann auch den Port.
Für das Goldkind stellt mein Port, diese Erhebung an meinem Brustkorb, durch der die Chemoinfusionen in mein Venensystem laufen, den Krebs dar. Solange sie noch da ist und ich jede Woche noch irgendwo hinfahre, bin ich noch nicht gesund. Wo ich hinfahre, kann ich meinen Goldschätzen leider auch nicht live zeigen. Deshalb gab es auch von der Chemo-Ambulanz Fotos per Handy. Schließlich verbringe ich seit einem guten halben Jahr sehr viel Zeit dort und anders als die Schule, an der ich arbeite und an der sie schon zigmal waren, ist ihnen dieser Ort ja völlig fremd. Nach einer Chemo erzähle ich immer wieder kleine Anekdoten, die ich mit andern Patientinnen und Patienten oder den Angestellten hatte, um das alles für sie etwas vorstellbar zu machen.
Außerdem hängt bei uns ein vom Mittelstürmer und dem Goldkind gebastelter Chemo-Kalender, auf dem sie abhaken, wenn wieder eine Sitzung vorbei ist. So wird auch der Therapieverlauf des Krebses für die Goldschätze greifbar. Ich denke, wenn die Bestrahlung startet, werden wir wieder so eine Art Laufzettel gestalten, auf dem ich Termin für Termin abstreichen kann.
Da im Prinzip während meiner kompletten Chemotherapiezeit über Homeschooling angesagt war/ist und das Goldkind wegen Corona und der Infektgefahr weiterhin nicht in den Kindergarten geht, sprachen und sprechen wir am Vorabend sehr offen den Ablauf des Chemotages und bei den ersten auch den der Folgetage durch: Wann holt mich das Taxi ab? Welche Aufgaben stehen auf dem Stundenplan? Was macht die Kleine in der Zeit, wenn die Große eine Videokonferenz hat? Wann darf der Papa im Homeoffice nicht gestört werden, wann kann er auch mal aus dem Arbeitszimmer raus? Wann hat er vielleicht ganz frei? Und vor allem: Was gibt es zu essen?
Mit der Zeit spielte sich alles ein. Auch wenn ich am Anfang tagelang ausgeknockt war: Die Aufgaben waren und sind immer erledigt und die Bäuche wurden und werden immer gefüllt. Allerdings muss es wohl ein paar Mal zu oft „Gebratene Maultaschen mit Ei“ gegeben haben. Bringt der Göttergatte diesen Essensvorschlag, herrscht Stille am Tisch. Obwohl er dieses Essen liebt, muss er wohl eine Zeitlang den Maultaschen-Boykott im Haus ertragen.
Die drei Goldschätze wissen zwischenzeitlich genau, wie es mir am Chemotag geht und lassen mich dann kommentarlos mein Nickerchen machen. Und wenn ich an den Folgetagen noch etwas vernebelt bin, dann nehmen sie das gelassen hin. Sie haben wohl schon genug gesehen und lassen sich von einer 20 Minuten am Stück aus der Nase blutenden Mama nicht mehr schocken, sondern reichen ihr kommentarlos die Taschentücherbox, wundern sich nicht, wenn die an einer Paprika mit Kräuterquark rummümmelt, während der Papa ihnen Spagetti Bolognese kredenzt und haben auch überhaupt nichts dagegen einzuwenden, wenn ich mich früh ins Bett verabschiede und der Papa mit ihnen gemeinsam einen Film anschaut, „den die Mama uns nie gucken lassen würde.“
Meiner Meinung nach darf der „Krebs“ also auch mal lauter und präsenter sein, solange er die Kinder nicht übertönt und traurig macht oder gar ängstigt. Man sollte sie in das Geschehen mit einbeziehen, aber nicht überfordern und ihnen auch ein „Nein“ zugestehen.
So hatten meine beiden Großen Lust, das Titelbild für diesen Beitrag auszuwählen, wollten aber damals beim Haareabrasieren nicht dabei sein. So habe ich meinem Teenimädchen den Link zu einer Plattform für Jugendliche mit Müttern mit Brustkrebs vorgestellt (pink-kids.de). Ob sie dort tatsächlich mal vorbeisurft, überlasse ich aber ihr. So möchte das Goldkind meinen Port ständig anfassen, während die Große das noch kein einziges Mal machen wollte.
Sehr wichtig finde ich auch, dass der Krebs in irgendeiner Form für die Kinder fassbar wird und man sie ins Leben mit dem Krebs einbindet.
Sei es durch das gemeinsame Packen der Kiste mit Mamas Notfallmedikamenten, wie ich es mit dem Mittelstürmer gemacht habe.Sei es durch einen Besuch in der Klinik oder ein Mal Probesitzen im Chemo-Stuhl, wie ich es jedem Betroffenen raten würde, der nicht von Corona-Maßnahmen eingeschränkt wird. Sei es durch das Posen vor dem Spiegel mit Mamas Beanies, wie mein Goldkind es gerne macht oder durch eine Mitfahrt im “Chemo- oder Strahlen-Taxi”. Dieses Highlight-Krebs-Erlebnis durfte mein Sohn neulich genießen, als er für einen Präsenzunterrichttag zur selben Zeit wie ich für meine Chemo das Haus verlassen musste und er ein Stück bei mir im Taxi mitfahren durfte. Was für ein Glück, dass die Mama Krebs hat, kann man da nur augenzwinkernd sagen, oder?
Perfekte Instagram-Mutter oder krebskranke Mama?
Eines ist klar: Egal, wie du dein Mamasein vor deiner Krebserkrankung gelebt hast, du wirst Abschied nehmen müssen von einem perfekt organisierten Alltag, von täglich frisch gekochten Mahlzeiten, von herrlich aufgeräumten Zimmern, adrett gekleideten Kindern und klebstoffspurenfreien, unzerknitterten Basteleien und einem immer verständnisvollen, säuselnden Ton.
Du hast Krebs und keinen Magen-Darm-Infekt! Und da ist es ganz ok, wenn du Dinge anders anpackst. Wenn du die Kinder mal länger fernschauen lässt, weil du so müde bist. Wenn du der Jüngsten das Tablet in die Hand drückst, um deine Hometrainerrunde absolvieren zu können. Wenn du es nicht kommentierst, dass der Papa mit der Brut das Abendessen vom „goldenen M“ geholt hat. Wenn du lieber einfach mal eine Weile alleine zu Hause bleibst, anstatt den Göttergatten und die Goldschätze auf ihrem Ausflug zu begleiten. Wenn du auch mal laut wirst oder schimpfst. Wenn du einfach mal weinst und über dein Schicksal meckerst.
Lass deine Müdigkeit und deine Hilflosigkeit zu! Deine Kinder werden dir die Ruhe gönnen und dir helfend etwas reichen. Gestehe dir eine kurze Zündschnur zu. Deine Kinder werden es verstehen. Gib Dinge ab! Andere machen sie vielleicht anders, aber deshalb nicht schlechter.
Ich selbst gewann durch meinen Krebs viel an Gelassenheit dazu, was mein Muttersein anbelangt. Das heißt nicht, dass ich mich nicht weiterhin für meine Kinder ins Zeug lege, für gesundes Essen, saubere Klamotten, pädagogische Bücher und Bastelzeit sorge. Dass mir ihre schulischen Leistungen und ihr Instrumentenunterricht egal sind.
Aber ich habe gelernt, Dinge in die Verantwortung meines Göttergattens zu übergeben und nicht zu hinterfragen, Hilfe von anderen einzufordern und auch anzunehmen und insgesamt alles mit etwas mehr Leichtigkeit anzugehen. Ich nehme mir zwischen dem ganzen Chemo-Trubel, den körperlichen Zipperlein und den geistigen Aussetzern sehr viel bewusster Zeit für Umarmungen und Gespräche mit meinen drei Goldschätzen.
Das ist es, was sie später von mir in ihren Erinnerungen haben sollen: Ein warmes Gefühl, ein Gefühl von Ernstgenommenwerden, ein Gefühl vom Zusammensein im Guten wie im Schlechten, in Gesundheit und Krankheit. Ein Gefühl von einer authentischen Mama.
Brauchen wir einen Psychologen?
Schon im Diagnosegespräch drückte mir meine Ärztin den Flyer einer psychoonkologischen Praxis in die Hand und verwies darauf, dass ich nicht nur für mich, sondern auch für den Göttergatten und die Goldschätze jederzeit therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen könne. Ich selbst war schon bei der Dame. Aber halte ich das auch für meine Kinder für angebracht?
Um mein Teenimädchen sorgte ich mich zu Beginn meiner Erkrankung sehr. Diese zieht sich momentan sowieso sehr in sich und ihre eigene Welt zurück und verbringt viel Zeit allein in ihrem Zimmer. Das nicht mehr kleine Mädchen sucht seinen Platz im großen Leben. Ich hatte Angst, dass sie noch stiller und zurückgezogener wird. Denn es ist ja nicht unbedingt ein Glücksgriff für sie, gerade jetzt eine Mutter an Land zu ziehen, die eine Glatze bekommt. In einem Alter, in dem sie am liebsten in der Menge verschwinden und so gut es geht gleich sein möchte wie alle anderen Jugendlichen. Auch möchte sie viel Zeit mit ihren Freundinnen und Freunden verbringen und gerade dann werden wegen der Chemo-Mutter ihre Kontakte in Corona-Mutanten-Zeiten sehr reduziert. Ich hatte Angst, dass sie mir gegenüber ablehnend oder auch sauer und wütend reagieren könnte.
Zum Glück haben sich meine Befürchtungen nicht bestätigt. Die Große und ich haben weiterhin Auseinandersetzungen um ihr Chaoszimmer oder um Termine von Videokonferenzen, von denen ich nichts weiß. Ich schlage die Hände zusammen, wenn ich Klamotten auf dem Boden und nicht im Wäschekorb platziert finde oder ärgere mich, wenn sie beleidigt wegrennt, anstatt mit uns Eltern über ihren Standpunkt zu diskutieren. Aber hey, sind das nicht die ganz normalen Diskussionen, die jede Mutter mit einem pubertierenden Mädchen führt?
Das krebsige Familienmitglied kam dem Teenimädchen längere Zeit etwas suspekt vor und sie hat es – zumindest nach außen hin – nicht beachtet oder erwähnt. Ich habe sie dahingehend auch nie bedrängt, wenngleich es mich schon traurig machte oder ein Stückweit auch verletzte, dass sie so wenig Interesse zeigte und ihre eigenen Befindlichkeiten (vermeintlich) über meine stellte.
Ich nehme mir immer wieder bewusst Zeit, um mich nach ihren Themen zu erkundigen oder auch mal allein eine Runde mit ihr rauszugehen. Vor allem auch über unsere regelmäßigen Film-Abende, bei denen der Mittestürmer und sie für die Filmauswahl zuständig sind und ich für die chipsig-bärig-schokoladigen Beilagen und die coole Fanta sorge, kann ich sie aus ihrem Zimmer locken und auch mal einen Arm um sie legen. Das ist toll!
Ich merke auch, wie das Teeniemädchen sich dem Krebs mehr und mehr öffnet: Sie hat zwischenzeitlich mehreren Leuten davon erzählt und sie fragt mich ab und zu etwas dazu. Und wie groß war meine Freude, als sie mir von sich aus über meine kurzen Härchen streichen wollte, die seit ein paar Tagen wieder wachsen.
Beim Mittelstürmer liegt der Fall anders: Der war von Anfang an sehr interessiert, wollte alles genau wissen, wäre am liebsten live im OP-Saal dabeigewesen und hat viel im Sachbuch „Wie ist das mit dem Krebs“ gelesen. Ich warte eigentlich nur darauf, dass er seinen Lehrer mal fragt, ob er in der Schule eine Präsentation zum Thema „Krebs“ machen darf. In der Anfangszeit kam er sehr oft auf meinen Schoß oder sagte mir ganz bewusst „Tschüss und gute Besserung!“ beim Weggehen. Das hat sich aber zwischenzeitlich wieder normalisiert und ein kurzes „Tschüss, ich geh jetzt.“ als Zuruf von irgendwoher au sdem Haus reicht ihm wieder. Er scheint sich wohl sicher zu sein, dass die Mama beim Heimkommen auch noch da ist. Und das kann er auch!
Das Goldkind zeigt keine sonderlichen Auffälligkeiten, die ich auf die Krebserkrankung zurückführen würde. Sie ist ein normales Kleinkind, das sich in ihrer Trotzphase auslebt. Der Krebs ist für sie da, sie benennt ihn und seine Umstände klar („Heute hat die Mama Chemo.“. „Heute muss die Mama wieder aufs Sofa.“) oder begründet Dinge mit meinem Krebs: „Die Mama braucht keine neuen Skier, die hat ja Krebs“. Super auch, dass sie ganz klar weiß, dass es noch Schlimmeres gibt als meine Erkrankung: „Mama, du bist doch nicht tot. Du hast doch nur Krebs!“
Nein, ich habe bisher absolut nicht das Gefühl, dass meine drei Goldschätze therapeutische Hilfe benötigen. Sie gehen eigentlich sehr lässig um mit der Tatsache einer krebsigen Mama.
Um ihnen zu zeigen, dass mir ihr Wohlergehen nach wie vor am Herzen liegt, auch wenn sich sehr viel um mich und meine Zipperlein dreht, und weil ich von der heilenden Wirkung dieser Behandlung überzeugt bin, kamen meine Kinder aber schon in den Genuss einer energetischen Fußmassage und der nächste Termin ist schon im Kalender fixiert. Der körperliche Zugang bringt einen zu sich, beruhigt und lässt Ängste oder Sorgen loslassen. Zudem ist er eine angenehme Wohltat, die ich meinen Dreien von Herzen gönne. Wir kennen die Dame und ihre heilenden Hände schon von früheren Behandlungen, so dass keine Berührungsängste bestanden.
Liebe Leserin, lieber Leser: Vielleicht läuft es in deiner Familie nicht ganz so „rosig“ ab wie bei uns hier (Wobei wir oft alles andere von rosarot entfernt sind, glaube mir!). Vielleicht machst du dir Sorgen um dein/e Kind/er? Tritt eines oder mehrere dieser Warnzeichen länger als zwei Wochen auf, dann ist es angebracht, für dein Kind Hilfe bei eurer/m Kinderarzt/in, einer/m Therapeutin/en oder Sozialarbeiterin/er suchen.
- Möchte dein Kind überhaupt keinen Kontakt mehr zu seinen Freundinnen und Freunden?
- Zieht es sich häufiger in sein Zimmer zurück, als vor deiner Erkrankung?
- Hat es Probleme beim Einschlafen?
- Träumt es häufiger schlecht?
- Nässt es vielleicht (wieder) ein?
- Leidet es unter Appetitverlust?
Lacht lauter!
An dieser Stelle bleibt mir nur eins zu sagen: Obwohl das Schicksal in den letzten Monaten alles andere als gnädig zu mir war, obwohl das Leben mit Krebs und drei Kindern in einer Pandemie alles andere als ein Spaziergang ist, bin ich unendlich froh, dass ich meine drei Goldschätze habe. Für sie lohnt sich jede Narbe, die ich jetzt habe, jede Nebenwirkung, die ich ertrage und jede Erschöpfung, die ich spüre. Für sie und meinen Göttergatten ziehe ich diese Krebsreise bis zum Schluss durch!
Und eins lasst euch gesagt sein: Wagt es nicht, mir zuliebe immer brav zu sein, nicht mehr zu streiten, nicht mehr zu toben, nicht mehr zu kleckern oder nicht mehr zu lachen! Im Gegenteil: Lacht umso mehr, lacht umso lauter! Zeigt mir, wie schön das Leben ist. Danke, dass es euch Drei gibt.