Du bist was du isst
Martina Racz: Eine von Acht.
Kurz und knapp: Um was geht´s?
Martina Racz erhielt, als zweifache Mutter im Juli 2019 die Diagnose Brustkrebs, triple negativ. So wie dies statistisch gesehen einer von acht Frauen passiert. Sie durchlief eine Chemotherapie, hatte eine Mastektomie und beendete ihre Akuttherapiephase genau mit dem Beginn der Corona-Pandemie. Das Buch hatte sie ursprünglich als Erinnerung für sich selbst und später dann auch für ihre Kinder geschrieben und dann an einen Verlag geschickt, der es tatsächlich sofort drucken ließ. Sie schildert sehr ehrlich und schnörkellos das emotionale Auf und Ab während ihres Krebsjahres. Sie spricht offen über ihre Ängste und Sorgen, über die Auswirkungen auf ihre Familie und erzählt, wie es denn so war, als eigentlich alles vorbei war und irgendwie doch nicht „gut war“. Nebenbei erklärt sie viele medizinische Begriffe und informiert über Behandlungswege.
Zusatz-Gimmick: Den einzelnen Kapiteln sind sogenannte „Krebs-Weisheiten“ vorangestellt, die sich Frau Racz im Laufe ihrer Erkrankung von Außenstehenden anöhren musste. Wer selbst an Krebs erkrankt ist oder war, wird sicherlich einige davon, die der selbst schon zu hören bekommen haben und sich beim Lesen an die Stirn fassen.
Ich empfehle das Buch für alle,
die gerade mit einer Krebsdiagnose aus ihrem Leben als arbeitende Mutter herausgerissen wurden. Frau Racz schafft es, wie eine Freundin von ihrer Situation zu berichten und einem Mut zu machen, weil sie einem zeigt, dass es ihr genauso ging wie einem selbst.
Ich mag das Buch, weil…
Martina darin sehr ehrlich und mitreißend von ihrem Krebs-Jahr berichtet (ich las das Buch quasi in einem Rutsch durch) und sich entschieden gegen das Pinke und Glitzernde wehrt, das dem Brustkrebs in den Medien oft anhaftet („Nichts an meinem vergangenen Jahr war pink.“). Sie benennt ganz klar ihre Schmerzen, ihre Eheprobleme, ihre Ängste, erzählt aber auch, was sie aus ihrer Erkrankung an Positivem herausziehen konnte, ohne die Krankheit zu glorifizieren. Außerdem gefällt mir, dass die Autorin in Alltagssprache statt Fachchinesisch medizinische Fakten erklärt. Und nicht zuletzt finde ich es lustig, dass es mir genauso geht wie Frau Racz, die sich wundert, dass sie „mittlerweile über 400 FollowerINNEN [hat] und darüber, dass es Menschen gibt, fremde Menschen, die sich für mich interessieren. Dafür, was ich schreibe. Dass ich so viel Unterstützung von dieser Community erfahre, von Menschen, die ich noch nie in der Realität gesehen habe (…). #instaverbindet.
LESEPERLEN aus „Eine von Acht. Mein Leben mit Brustkrebs”
Herrlich ehrlich!
In unserer Ehe holpert es. (…) Wir haben viel zu wenig miteinander gesprochen, Ängste nicht geteilt, vielleicht auch um uns gegenseitig zu schützen. Wir haben beide funktioniert (….) Manchmal habe ich mich sehr alleine gefühlt. Das hat uns voneinander entfernt. Zum jetzigen Zeitpunkt weiß ich nicht, ob wir das als Paar überstehen werden.
Genau so ist es…
Ich war und bin die Achte. Diese eine von acht Freuen, die im Laufe ihres Lebens Brustkrebs bekommt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Schicksal, blöder Zufall, Pech – wie auch immer man es nennen möchte .(…) Statistik, einfach so. Der Zufall hatte mich ausgewählt und das war nun eben so. Ich würde die Diagnose auch nicht der Frau neben mir wünschen.
Sprachliche Fundstücke
krebsmüde = Zustand gegen Ende der Chemotherapie, wenn die Patientin/der Patient (und auch deren Familienangehörige) körperlich ermattet und seelisch ausgezehrt sind
agieren auf Augenhöhe = ein Gespräch, bei dem die Patientin/der Patient sich von ihrer Ärztin/ihrem Arzt ernst genommen und ausreichend und verständlich informiert fühlt
Ich-kann-mich-nicht-hängen-lasssen-Gefühl = Zustand einer krebskranken, erschöpften Mutter, die für ihre Kinder weiterhin den Alltag aufrechterhalten lässt und dadurch psychisch nicht zu tief in eine Krise rutscht
Krebs light halt/Brustkrebs ist eh ein guter Krebs = ironische Anspielungen der Autorin auf die landläufige Meinung, dass Brustkrebs zu den „harmloseren“ Krebsarten zählt, weil er zu einem hohen Prozentsatz geheilt werden kann (ein Affront für metastasierte Patientinnen oder Angehörige, die eine Person kurz nach der Diagnose verlieren)
Dämpfer für meine Sturheit = die Autorin hatte sich vorgenommen, auch während ihrer Chemotherapie zu joggen, was leider nicht hinhaute, weil ihr Kreislauf zu schwach war
Entrümpel- und Wegwerfneigung = Eigenschaft der Autorin, der während der Chemozeit angeschaffte Klebewimpern und -augenbrauen zum Opfer fallen
Humor statt Tumor
Für die Augenbrauen hatte ich einen Plan: Ich hatte mir im Internet Augenbrauen zum Aufkleben bestellte. Ursprünglich fand ich die Idee grandios. (…) Im Internet wurden sie als „sehr natürlich“ beschrieben – ich erinner mich noch ganz genau – und darum bestellte ich diese Modell, ich wollte ja nicht auf den Broadway damit. Als die bestellten Brauen dann ankamen, schwankte ich zwischen Verzweiflung und endlosem Lachkrampf. Diese Augenbrauen waren furchtbar. Ich sah grauenhaft aus. „Natürlich wären sie wohl nur für Donald Trump gewesen, niemand hätte den Unterschied zhu seinen echten Brauen bemekrt. Nun hat Donald Trump wohl viele Anhänger, arum auch immer, aber de wenigsten werden ihn wohl wegen seine Aussehens so bewundern. Habe ich zumindest noch nie gehört. „Du, der Trump. Was ist das für ein schöner Mann! Und die Augenbrauen erst!“ Nein, dann doch eher ohne Brauen.
Gänsehautmoment
Niemand liebt meine Kinder so sehr wie ich. So bedingungslos. Niemand weiß, dass die eine immer kalte Füße hat beim Schlafen, dass ihr aber eigentlich warm ist. Niemand weiß, dass die andre immer frech wird, wenn sie Angst hat. Niemand weiß so genau wie ich, wie sie ihre Nudeln am allerliebsten essen und welche Hosen sie total ungerne tragen. Wenn ich sterbe, dann singt ihnen niemand so schief vor wie ich. Niemand wird beim Frühstück, wenn die Morgenmuffeligkeit überhandzunehmen droht, zu schlechter Musik im Radio mit Kakao in der Hand tanzen. Und sie damit zum ersten Lächeln des Tages bringen. Niemand wird sie je so gut kennen wie ich. Mit ihren Eigenheiten und Spleens und ihrer großartigen Einzigartigkeit. Dies ist meine Riesenangst. UND DIESE ANGST IST GRAUFENHAFT, SIE IST EISKALT UND GRAUSAM UND TUT EINFACH NUR WEH. Diese Gedanken auch nur zu denken, tut unfassbar weh.
Positive Brillengläser
[Ich überlegte mir], mit wem ich am liebsten tauschen würde. Ich musste erstaunlicherweise lange nachdenken. (…) Auch wenn ich liebend gern die Gesundheit anderer Menschen haben würde, würde ich nie und nimmer tauschen wollen, mit niemanden. Mein Leben war – während der ganzen Therapie, mit meiner Familie, meinen Kindern und meinem Umfeld – IMMER so lebenswert, dass ich es nicht gegen ein Leben ohne Krebs eingetauscht hätte. Für nichts auf der Welt. (…) Ich war und bin so reich, auch wenn ich gerade nicht gesund bin. Ich habe so viel, dass ich sehr schätze und das andre Menschen in der Form nicht besitzen.
Spoiler: Sicherlich wird es etlichen Leserinnen nach der Lektüre des Buches so gehen wie mir und wie die Autorin es in ihrem Vorwort beschreibt. Man beginnt um sich herum nach der achten Frau Ausschau zu halten…
Mehr über die Autorin:
Auf https://www.instagram.com/p/CUp_2-PgH8g/ erzählt Martina Racz unter der Überschrift „Tell your story Tuesday“ sehr offen von ihrer Erkrankung und zeigt sich sehr mutig barbußig auf einem wunderschönen Schwarzweißfoto.
Die Autorin auf Instagram: https://www.instagram.com/all_about_martina/
Hier geht’s zu meinem Artikel mit den Links zu meinen anderen Buchrezensionen: https://www.influcancer.com/blog/der-krebs-durch-die-lesebrille-betrachtet-lese-highlights/