Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Nicole Staudinger: Brüste umständehalber abzugeben

Brustkrebs mit 32, uff, da fällt einem wohl erstmal die Kinnlade herunter, man verfällt in Angst, Wut und Ohnmacht. Eine Nicole Staudinger bleibt allerdings nicht lange in diesem Schockstarre verhaften. Sie kämpft sich mit viel Galgenhumor zurück ins Leben. Diesen Weg beschreibt sie in ihrem herrlich-ehrlichen Buch.

Ich empfehle das Buch für alle, 

die mit Sarkasmus in Krisenzeiten umgehen können, erfahren möchten, wie man sich gute Tage inmitten von Chemo und Co. schaffen kann und dennoch ehrlich wissen möchten, wie es ist, eine Chemotherapie zu machen.

Kurz und knapp: Um was geht´s?

Nicole Staudinger erkrankte mit 32 an Brustkrebs, hatte eine Mastektomie und trägt das BRCA-Gen in sich. Ihr Buch, das sie während ihrer Chemotherapie zu schreiben begann und auch mit der letzten Chemo endet, ist herrlich unverfroren-offen und sehr mitreißend. Er ist mit viel Sprachwitz geschrieben, geht die Krebsthematik mit positivem Blick, aber dennoch ehrlich an. Frau Staudinger, die nicht umsonst „die Schlagfertigkeitsqueen“ genannt wird, berichtet mit durchaus positivem Blick, aber auch schonungslos direkt und ehrlich von ihrer Therapiezeit und der Gefühlsachterbahn einer jungen Krebspatientin mit kleinen Kindern.

Ich mag das Buch, weil… 

mir der Schreibstil und die direkte, unverfrorene Art von Frau Staudinger total gefällt. Sie ist ehrlich, aber nicht zu drastisch, sie erzählt witzig, aber macht nichts lächerlich. Sie hat es geschafft, mich schmunzeln zu lassen, meine Zipperlein weniger ernst zu nehmen und mit Tunnelblick in Richtung „positiv, aber nicht dauergrinsend“ zu fahren.

Außerdem ist es wundervoll, wie pragmatisch, aber nicht verniedlichend Nicole ihre Situation annimmt und welch sinnvolle Lösung sie für sich – und alle, die ihr Buch lesen – aus dem Mist zieht: “Na klar kann [der Krebs] wiederkommen. Vielleicht werde ich aber auch morgen vom Bus überfahren.” Sie setzt ihren Fokus immer auf das Heute. Und “heute geht es uns gut und das müssen wir ausnutzen”. Recht hat sie, oder?

Es steckt sehr viel Liebe für ihre Eltern in Nicoles Buch. Ihre Mutter begleitet Nicole zu sämtlichen Chemos, ins Krankenhaus, packt ihr Lunchpakete, hält ihre Hand. Ihr Vater muss sich einer OP unterziehen lassen und sie ist mit viel Emotion dabei.

Ich musste zigfach schmunzeln, wenn Nicole zur Ablenkung, Belohnung oder einfach so zu Shoppingtouren loszog. Dabei ist es für sie eine “Frage der Konfektionsgröße”, ob sie Klamotten, Handtaschen oder Dekoartikel kauft. Zu cool! Sie ist der Meinung, dass man ja nicht “unmodisch sein muss, nur weil man Krebs hat.” Und diesem Sinne: Gönnt euch doch einen neuen Nagellack, auf wie viel Fläschchen kommt ihr mit diesem Kauf? Frau Staudinger hat eine “beachtliche Sammlung” von “weit über 50 Farben”!

Sehr bewundernswert fand ich, dass Nicole es geschafft hat, die guten Tage, die man während der Therapiezeit immer bewusst als solche zu sehen und für sich, den Mann und ihre zwei (damals noch kleinen) Söhne zu nutzen. Spielplatz, Ausflüge, Planschbeckenaufstellen, Kuchenbacken, gemeinsame Zeit. Eine sehr reife, sehr erwachsene, sehr bewundernswerte Haltung, die viel Stärke beweist.

LESEPERLEN aus “Brüste umständehalber abzugeben”

Herrlich ehrlich…

[Ich empfinde eine] Mischung aus Trauer, Wut und der bitteren Erkenntnis: Ich habe Krebs. Ich habe scheißblöden, saudoofen Krebs. Und der passt jetzt mal so gar nicht in mein Leben. (…) Ich wollte noch so viel machen, aber ich wollte doch jetzt, bitte, keinen Krebs. Irgendwie ahne ich, dass [meinen Tumor] das jetzt so gar nicht interessiert.

Genau so ist es… 

Ansonsten kann ich nur hoffen – und das Leben genießen. Denn schlimme Dinge passieren leider nicht seltener, nur weil wir uns Sorgen machen. Und sie passieren auch nicht, weil wir glücklich sind. Ich versuche, das Leben zu genießen und setze mich dann mit Problemen auseinander, wenn sie da sind, und nicht, weil sie vielleicht in fünf Jahren kommen könnten. Denn vielleicht ist morgen schon alles vorbei. Vielleicht werde ich morgen vom Bus überfahren.

Sprachliche Fundstücke

Karl Arsch = so nennt Nicole ihren Tumor

der camparirote Cocktail = die roten Epirubicin/EC-Chemoinfusion

Hase = Kosewort für ihren Mann, den sie als ihren “Fels in der Brandung”, “großartigen und noch dazu kompetenten Vater” beschreibt

Kindheitsheld = ihr Vater, der mit ihr die Dirty-Dancing-Hebefigur im Schwimmbad geübt hat und um den sie während ihrer Chemozeit bei einer OP bangen muss

die “Es-ist-ja-nur-Brustkrebs-Party” = nach ihren Staginguntersuchungen weiß Nicole, dass der Krebs nicht gestreut hat und sie keine Metastasen hat. Wie der Arzt meint, ist das “doch Pillepalle” und sie feiert dies gemeinsam mit ihrem Mann am Abend des WM-Spiels USA gegen Deutschland, was den beiden im Gegensatz zu vielen anderen, herzlich egal ist.

Altlast= so nennt Nicole ihre ehemalige Sportlehrerin am Gymnasium, Frau P., die sie schikanierte, weil sie weder Handstand noch Radschlag noch Bocksprung konnte. “Rein zufällig” traf diese Dame einmal ein Volleyball mitten auf die Nase und zertrümmerte deren Brille. Diese Situation, in der sie Kräfte mobilisiert, weil ihr etwas zuwider war und nicht passte, steht für Nicole stellvertretend dafür, dass sie auch “einen ebenso brillanten Wurf in Richtung Karl Arsch” schaffen kann

Nacht mit Alfred-Hitchcock-Dramaturgie = Nächte nach ihrer Diagnose

anders ist spitze = Nicoles Mann übernimmt während ihrer Erkrankung vieles im Haushalt, mit den Kindern. Sie lernt, dass es anders läuft, aber dass es super klappt, auch wenn es anders läuft

Krebs-Mutti = so nennt sich Nicole, die wegen des Krebses (logischerweise) kein Seminare mehr anbietet und “nur noch” zu Hause ist

der Mädchenklassiker = Hunger und Kältegefühl bei der Chemotherapie

Karl-Arsch-freier-Tag = Nicoles Sohn wird einen Tag vor ihrer dritten EC-Chemotherapie eingeschult. Sie ist glücklich, dass sie so einen “wundervollen Tag” während ihrer Erkrankung erleben kann

Elend mit Ankündigung = der Abend vor der Chemotherapie

medizinischer Klein-Kongress = Nicoles Zimmernachbarin im Krankenhaus fachsimpelt mit ihrem Mann darüber, dass diese Glück hatte, weil sie “nur” bestrahlt werden muss und ja nicht so einen “gemeinen Krebs” hat wie Nicole.

Chemo-Moppel = nach ihrer ersten Chemo bekommt Nicole schlagartig Kreibslaufbeschwerden und ihr Mann muss auf Ansage ihrer Mutter “pumpen”, d.h. ihre Beine bewegen, was nicht so leicht ist, da sie zu der Zeit kein “magersüchtiges Topmodel” ist

Humor statt Tumor

Was zieht man eigentlich zu einer Chemotherapie an? Bereit zwei Stunden bevor das Taxi mich abholt, beschäftige ich mich mit dieser wichtigen Frage, finde aber leider keine passende Antwort.

Gänsehautmoment

Max [ihr Sohn, der seinen Kindergartenabschied feiert] so groß zu sehen (…) raubt mir jegliche Fassung. So große Sonnenbrillen gibt es gar nicht, die das verbergen könnten. Also lasse ich meinen Tränen still und ein wenig abseits einfach ihren Lauf. In ihnen steckt nicht nur die Traurigkeit, dass die Kindergartenzeit unwiederbringlich vorbei ist, in diesen Tränen steckt so viel mehr. Angst, Wut, Trauer, Verzweiflung und unglaublich viel Liebe. Die Angst, bei Constantins [jüngerer Sohn] Abschied schon nicht mehr dabei sein zu können und die Angst, dass unsere gesamte Familie für immer ihre Unbeschwertheit verloren haben könnte. 

Positive Brillengläser 

Ab und zu hadert man mit seinem Schicksal und ab und zu ist man in einem ganz tiefen Loch. Wichtig, ist, dass man immer einmal mehr heraus krabbelt, als dass man drin sitzen bleibt. 

 

Insiderwissen: Frau Staudinger hat zwischenzeitlich acht Bücher geschrieben. Ihr aktuelles nennt sich „Läuft schon“ und ich habe gerade darin zu lesen bekommen. Darin erzählt sie wie sie zur Läuferin wurde und auch hier zeigt sie sehr viel Humor und das Vermögen, über sich selbst zu lachen:„Ich laufe, weil ich es heute kann. Okay, auch, weil ich gerne esse.”

In ihren Büchern geht es nicht in erster Linie um ihre Krebserkrankung, sondern es handelt sich grob gesagt um „Lebens-Ratgeber“, die in locker-flockiger Art daherkommen und einfach Lesefreude bereiten. Aber ihre Erkrankung – und mittlerweile weitere Schicksalsschläge – hat und haben sicherlich viel zur Message beigetragen, die all ihre Büchern transportieren: Nimm das Leben nicht allzu schwer. Es lohnt sich. Es ist schön.

Ihr Buch „Stehaufqueen“ steht ebenfalls bei mir im Bücherregal und ich finde es genial. Neben zahlreichen wertvolle Tipps für den Umgang mit einer Brustkrebserkrankung hat es mir viele gute Hinweise für meine Herangehensweise an so manche Lebenssituation gegeben. In einem Blogtext habe ich schon mal eine Mini-Rezension dieses Buches veröffentlicht. Lest gerne mal rein!

Mehr über die Autorin: 

Homepagehttps://www.nicolestaudinger.de

Instagram-Account: http://(https://www.instagram.com/the_kwien_of_schlagfertigkeit/

Podcast von Nicolę Staudinger: https://www.podcast.de/podcast/915501/scheiter-heiter-gelassen-durch-die-krise-mit-nicole-staudinger

Frau Staudinger ist gern gesehener oder gehörter Gast in Fernsehsendungen oder Podcasts. Hier eine kleine Auswahl:

Zu Gast bei SWR1https://www.swr.de/swr1/swr1leute/nicole-staudinger-104.html

Podcast-Interview von Jutta Ribbock „Selbstbestimmt und im Jetzt leben”https://www.einfachganzleben.de/leben-balance/podcast-41-nicole-staudinger

Jetzt teilen