Tage wie in Trance
Tage wie in Trance
Donnerstag, 08.08.2024
Die letzten Tage waren unwirklich, wie in Trance. In jeder freien Minute las ich im Internet nach. Ich wollte so viel wie möglich erfahren. Je mehr ich wusste, desto weniger Angst hatte ich, desto ruhiger wurde ich – zumindest für eine Weile.
Wir haben unsere Familien eingeweiht, unsere Eltern und Geschwister. Manche von ihnen hatten sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Die Reaktionen waren gemischt, von gefasst bis geschockt und komplett neben der Spur. Wer rechnet auch mit so einer Nachricht? Ich hatte das Bedürfnis, zu trösten und viel Positives zu sagen.
Ich schlief schlecht, meine Gedanken spielten verrückt. Morgens war ich platt und wachte nervös auf. Wenn ich nicht abgelenkt war, hatte ich Herzrasen und zitterte. Es war eine Gratwanderung zwischen „ich möchte in Tränen ausbrechen und alles herausschreien“ und „ich bestimme über meine Gedanken und ich lasse keine negativen zu!“ Die Kids haben mich abgelenkt, waren aber auch herausfordernd. Es war Ferienzeit, sie erwarteten Entertainment. Die Zeit verging sehr langsam.
In meinem Kopf drehte sich alles um organisatorische Dinge: wie lange wird es dauern, was wird gemacht, wie sieht der Therapieplan aus, kann ich arbeiten, kann ich die Kinder versorgen, kann ich die Haare behalten, was muss noch erledigt werden, bevor die Therapie beginnt, etc. Was nicht in meinen Gedanken vorkam, war: was, wenn ich nicht geheilt werde. Sobald so eine Angst aufkam, erstickte ich sie im Keim und sagte bestimmt zu mir, dass nur ICH über meine Gedanken bestimme! Und ich sagte, dass ich alles schaffe und geheilt werde! Nein, geheilt bin!
In der Arbeit verhielt ich mich so unauffällig wie möglich. Ich packte meine persönlichen Sachen zusammen, checkte was noch unbedingt gemacht gehört. Es fühlte sich nach aufräumen an. Und eigentlich war es das ja auch….
Ich kontaktierte die Krebshilfe mit der Bitte um einen Beratungstermin. Das nächstgelegene Büro war leider nicht besetzt, erst im September wieder. Ich konnte aber nicht bis September warten.
Meine Ärztin rief mich an und erkundigte sich, wie es mir geht, ob ich was brauche. Wieder telefonierten wir 40min und ich schickte daraufhin meinem Mann eine WhatsApp: „Kann sie bitte bei uns einziehen?“ Es tat so gut mit ihr zu sprechen, sie klärte mich auf und nahm sich Zeit. Ich fragte sie, wie realistisch es sei, dass wir in den Urlaub fahren können und sie brachte mir behutsam bei, mich mit dem Gedanken anzufreunden, möglicherweise nicht fahren zu können. Welche Angst ich hätte? Die Enttäuschung der Kinder? Ist Ihnen das Meer wirklich so wichtig? Oder nur uns? Wäre es ihnen nicht lieber, einfach nur mit mir zusammen zu sein?
Nach dem Gespräch fühlte ich mich einerseits getröstet, andererseits aufgewühlt, weil ich wieder mit den Ängsten und Sorgen konfrontiert wurde, geweint habe und mir wieder bewusstwurde, dass es keinesfalls sicher ist, dass ich „vom Schlimmen das Beste“ hatte.
Ein paar Tage später bekam ich spontan einen Termin bei der Krebshilfe in einem anderen Bezirk. Die Dame am Telefon hörte sich sehr nett, ich notierte mir ein paar Fragen:
- Mit was werde ich mich auseinandersetzen müssen?
- Wie sag ich’s den Kindern? Wie generell mit den Kindern umgehen?
- Was ist an den Tagen, wo ich mich nicht um Haushalt/Kinder kümmern kann?
- Psychologische Begleitung?
- Finanzielle Unterstützungen?
- Muss immer jemand bei mir sein?
- Kann ich zwischendurch arbeiten?
- Wie funktioniert die Abwicklung mit der Arbeit?
- Schule und Kindergarten Bescheid geben – wie?
Wie geht eigentlich Krebs haben?
Das Gespräch war sehr hilfreich. Wir bekamen viele Broschüren und noch mehr Informationen. Mir war wichtig, zu fragen, wie wir mit den Kindern umgehen sollten: Jedenfalls nichts verheimlichen, alle Fragen beantworten aber auch nicht mehr Infos geben als Fragen von den Kids kommen. Sagen, dass keiner Schuld hat, dass die Krankheit nicht ansteckend ist.
Gleich darauf rief mich das Krankenhaus an. Sie haben meinen Fall im Tumorboard besprochen und wollen mich stationär aufnehmen. Ich war von den Socken, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich sollte am Montag um halb 8 kommen und bis Mittwoch bleiben. Na bumm. Es würden einige Untersuchung auf mich zukommen. Und wieder war es da, dieses Herzrasen, dieses nervöse Gefühl im Bauch, diese Unruhe.
Dennoch: ich hatte innerlich die Herausforderung bereits angenommen! Ich wollte den Weg gehen, ich wollte kämpfen und alles dafür tun, wieder gesund zu werden!