Zyklus 6: Nochmal alles zusammenkratzen…
Zyklus 6: Nochmal alles zusammenkratzen…
- Woche:
Ich kratze das letzte Mal alles an Motivation, Energie und Kraft zusammen, um die Chemotherapie und die dunklen Tage danach zu überstehen. Ich habe mich in der letzten Woche gut ausgeruht und meine Psyche hat sich stabilisiert. Und mit der Gewissheit der Beruhigungstabletten geht es mir auch besser.
Ich spreche bei der Visite die Polyneuropathie in meinen Händen an und die Onkologin will sich ansehen, inwieweit eine Dosisreduktion helfen kann. Gegen den ekligen Geschmack im Mund kann sie mir leider auch keinen Tipp geben (zumindest keinen, den ich nicht schon kenne).
Sie hat eine gute Nachricht im Gepäck: Ich kann davon ausgehen, dass keine Bestrahlung mehr notwendig sein wird; aber endgültig lässt sich das erst nach dem Abschluss-PET-CT im Jänner sagen; aber wenn es doch notwendig wäre, dann könnte ich so mit 15 Tagen Bestrahlung rechnen. Man würde es auf jeden Fall nur dann machen, wenn unbedingt notwendig, um das Gewebe auch rundherum nicht unnötig zu beschädigen.
Wie bisher werde ich wieder auf Eigenverantwortung daheim schlafen können. Die Onkologin verabschiedet sich augenzwinkernd mit dem Satz, dass Sie mir für die nächsten Tage gern ein Büro einrichten würde, falls notwendig 😊Tja, mittlerweile kennt man mich auf der Station schon. Ich habe immer den Laptop im Gepäck und nutze die Zeit des Wartens mit Fotos sortieren, Fotobücher gestalten, Notizen schreiben, sonstigen Bürokram oder telefonieren.
Ich bekomme Besuch, die Zeit vergeht mit quatschen. Meine Zimmerkollegin ist heute mal wieder äußerst mitteilungsbedürftig und erzählt nur über sich. Das ist so anstrengend und nervig. Der Höflichkeit halber unterhalte ich mich ein bisschen mit ihr – also höre zu – danach helfen nur mehr Ohrstöpsel und ein Hörbuch.
Am Abend ist mir leicht schlecht, aber mit den Medikamenten geht’s. Der letzte Montag ist geschafft! Ich habe wieder viele schöne Nachrichten bekommen!
Dienstags habe ich eine nette Internistin als Patientin im Zimmer, wir unterhalten uns gut und sie gibt mir Tipps bzgl. Bauchweh von meinem Sohn. Die Onkologin kommt zur Visite, sie hat die Dosis von einem Zytostatikum reduziert, um die Polyneuropathie in Grenzen zu halten. Sie informiert mich darüber, dass ich das Antibiotikum, welches ich bereits seit Anfang der Therapie täglich nehme, noch einige Wochen bis Monate nehmen muss, als Prophylaxe vor einer Lungenentzündung, die von Pilzen ausgelöst wird.
Es ist wohl Schicksal – als ich an meinem letzten Therapietag ins Zimmer komme, sehe ich ein bekanntes Gesicht im Nachbarbett: es ist dieselbe Dame, die ich während meiner ersten Therapie im Zimmer hatte. Sie hat Bauchspeicheldrüsenkrebs und war bei unserem Kennenlernen voller Optimismus und Euphorie. Leider sind ihre Aussichten nicht so gut. Bei der Visite bekommt sie die niederschmetternde Info, dass der Tumor an ihrer Bauchspeicheldrüse nur minimal kleiner geworden und – entgegen aller Erwartungen – schwer bis unmöglich zu operieren ist. Sie wird also mit dem Krebs leben müssen. Ihr Psychotherapeut holt sie ab, um sie aufzufangen. Sie kommt zurück – gefasst, aber niedergeschlagen. Ihr Therapeut hat ihr klar und deutlich gesagt, sie dürfe das Thema Sterben nicht verdrängen. Sie muss sich damit auseinandersetzen. Sie tut mir so leid. Ich hoffe so sehr, dass ihr noch viele gute Jahre geschenkt werden!
Mir wird mal wieder bewusst, welch glückliche Lage ich doch habe. Ja, ich habe Krebs, aber ich kann davon ausgehen, wieder ganz gesund zu werden. Ich habe die Chance, diese Station zu verlassen und nie mehr wieder zurückkehren zu müssen.
Bei der Visite ist die für mich zuständige Onkologin da. Wir besprechen alles durch. Es könnte sein, dass sich meine Leberwerte nicht mehr so gut erholen werden und eine Fettleber zurückbleibt. Die Schweißausbrüche, die ich ständig habe (vor allem nachts) sind wohl hormonbedingt (die Therapie hat auch meinen Eierstöcken zugesetzt und mich erstmal in den Wechsel-Modus geschickt…). Wir sehen uns das nächste Mal zur Befundbesprechung nach dem Abschluss-PET-CT und dann erklärt sie mir noch alles zu den Nachsorgekontrollen. Sie weist mich darauf hin, dass in den nächsten Tagen mein Immunsystem nochmal in den Keller rauscht, also rund um Weihnachten heißt es noch ein letztes Mal aufpassen und nicht mit kranken Menschen in Kontakt kommen.
Ich bin schon sehr in Aufbruchstimmung und freue mich so sehr, dass ich endlich die Station verlassen kann. Am 12.08. ging ich das erste Mal rein, 23 Tage lange war ich dort und am 18.12. verlasse ich die Station. Ich erstelle eine What‘s-App Story und bekomme viele schöne, berührende Nachrichten. Meine Familie holt mich ab, ich verabschiede mich von meiner Zimmerkollegin (und verdrücke Tränen) und den Schwestern auf der Station – auf nimmer wiedersehen!!
Zuhause erwartet mich so ein schöner Empfang! Ein Plakat an der Haustür, eine Fotocollage, Blumen, Gebasteltes von den Kids, ein Armband, ein T-Shirt und alkoholfreier Sekt. Wir stoßen an und hey, es schmeckt gar nicht mal so schlecht! Mein Gesicht ist aufgeschwemmt und kugelrund, ich fühle mich aufgebläht und habe Angst vor den nächsten Tagen, aber ich bin auch so überglücklich! Ich kann es noch gar nicht glauben! Ich habe die Therapie geschafft!!!!!
Am Donnerstag und Freitag arbeitet mein Mann von zuhause aus und sorgt so dafür, dass ich nicht alleine bin. Ich komme mit den bekannten Nebenwirkungen nur so halb zurecht, meine größte Sorge gilt meiner Psyche – die bleibt aber halbwegs stabil. Meine Ärztin ruft mich von Mittwoch bis Samstag jeden Tag an, fragt wie es mir geht und gibt mir Tipps. Hin und wieder wird es mir zu viel, aber ich schaffe es nicht, es ihr zu sagen.
Es sind die üblichen Nebenwirkungen: Müdigkeit, Erschöpfung, aufgebläht sein, Ekel im Mund, Brennen im Mund, später Hals- und Rachenschmerzen, die Haut schmerzt, der Körper fühlt sich vergiftet an und ich fühle, wie die Medikamente im Körper wirken – auch am Sonntag noch. Am Samstag kommen die tauben Finger wieder dazu. Doch insgesamt empfinde ich die Nebenwirkungen bei diesem Zyklus als etwas weniger stark. Dennoch sehr mühsam und ich muss viel Geduld aufbringen, um sie zu ertragen. Andererseits helfen alle rund um mich so mit und geben ihr Bestes, da kann doch ich nicht aufgeben?
Ich merke es ganz deutlich, die Kraft geht aus. Sonntags habe ich Herzrasen und etwas Atemnot, ich brauche viel Ruhe und kann den Lärm der Kinder schwer aushalten.
- Woche:
Das Klo ist mein Place-to-be, ich bin ständig am Rennen, meine Blase hält nichts aus und all die Flüssigkeit, die sich in meinem Körper aufgestaut hat, muss raus. Endlich! Die Blutkontrolle am Montag ist der volle Erfolg; die Leukozyten sind fast auf Normalwert! Keine Ahnung wie die das geschafft haben! Das bedeutet, die nächsten Tage bin ich nicht ganz so gefährdet wie befürchtet, mein Körper kann sich gegen Infekte wehren – eine äußerst gute Nachricht, steht doch Weihnachten vor der Tür!
Ich arbeite die Wäsche auf und habe wieder einen Überblick über die Vorräte im Kühlschrank – ein Gefühl, dass ich in den letzten Monaten lieben gelernt habe! Es bedeutet für mich, die Kontrolle zurückzubekommen. Überhaupt habe ich am Montag schon Tatendrang und bin einfach nur glücklich!
Am Dienstag ist der 24. Dezember. Ein Tag, auf den ich seit Monaten hinarbeite. Ein Tag, der auch für die Kinder ein besonderer Tag ist – in vielerlei Hinsicht. „Bis Weihnachten wird es mühsam, aber dann wird es geschafft sein“ – das haben wir den Kids zu Beginn der Therapie gesagt. Und nun ist es tatsächlich wahr. Es ist geschafft. Nach dem 5. Zyklus wollte ich aufgeben. Ich habe den Gipfel bereits gesehen, aber der Weg dorthin wirkte so steil, dass ich am liebsten umdrehen wollte. Aber zum Glück hatte ich meine Wegbegleiter, die mich das letzte Stück zum Gipfelkreuz getragen haben. Und so lässt sich das Gefühl beschreiben, dass ich habe, während ich, den Perückenkopf auf meinem Esstisch geklemmt, meine Haare für den Heiligen Abend style: ich fühle mich getragen.


