Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Annette fragt… Martha Weishaar

Vom Sehen und Smalltalkhalten kannte ich meine aktuelle Interviewpartnerin schon vor meiner Krebserkrankung. Wir wohnen im gleichen Schwarzwaldstädtchen und ein paar ihrer Enkelkinder ein paar ihrer Enkelkinder gingen oder gehen mit meinen Kindern zusammen in den Kindergarten oder die Schule.

Während meiner Krebserkrankung kamen wir dann näher miteinander in Kontakt, weil  sie im Rahmen ihrer Tätigkeit als  Zeitungsartikel über mich verfasst hast.

Für das Interview bei „Annette fragt“ tauschten wir nun die Rollen und ich durfte Martha mit meinen Fragen beehren. Ich freue mich sehr, dass sie auf meinen Blog ihrer Krebsgeschichte teilt. Das tut sie ehrlich, das tut sie offen und absolut authentisch.

Freut euch auf unser Gespräch!

Annette: Liebe Martha, schön, dass du dir heute Zeit für ein Interview nimmst. Lass uns doch ganz sanft hineinstarten….

Kaffee oder Tee? ___Um diese Tageszeit bitte Tee.

Noch einen Dinkelkeks oder lieber ein Stück Schokolade dazu? _Eher einen Dinkelkeks

Bevorzugst du leise Musik im Hintergrund oder absolute Stille? ___Musik lenkt bei Gesprächen häufig ab, also bevorzuge ich Stille.

Welcher Smiley beschreibt deine aktuelle Stimmung am besten? :_)

Annette: Als du mich für die Badische Zeitung interviewt hast, ahnte ich nicht, dass du selbst auch schon Brustkrebs erkrankt warst, was du mir dann im Gespräch so nebenbei gesagt hast.

Erzählst du uns, wann du deine erste Diagnose bekommen hast? Wie hast du deinen Tumor entdeckt und wie wurdest du behandelt?

Martha: Nachdem meine Schwester an Brustkrebs erkrankt war riet mir die Gynäkologin 2008 zur Mammographie. Ich war damals 48 Jahre alt. Dabei wurde Brustkrebs festgestellt.

Rückblickend war für mich der schwerste Moment, es unserer jüngsten Tochter zu sagen. Die war damals 16.

Bis final geklärt war, wie vorgegangen wird vergingen viele Monate, die natürlich von großer Unsicherheit geprägt waren.

Zwischen November 2008 und Januar 2009 wurde ich dreimal operiert, am Ende wurde die Brust abgenommen.

Auf Bestrahlung und Chemotherapie konnte verzichtet werden und mit der Zeit gewöhnte ich mich auch einigermaßen an mein Implantat.

Nach einer gewissen Zeit traute ich mich damit sogar wieder in öffentliche Saunen.

Kurioserweise habe ich mich während all dieser Zeit nie “krank“ gefühlt, habe sogar nahtlos weitergearbeitet.

Annette: Wow, das ist interessant…

Deine Behandlung lief erfolgreich ab und du konntest dich krebsfrei wieder ins Leben stürzen. Und das war (und ist) wahrlich ein sehr aktives Leben. Du warst jahrelang im Gemeinderat, hast seit 1988 als freie Mitarbeiterin für die Badische Zeitung sehr , sehr viele Artikel verfasst, warst ehrenamtlich beim Folktreff,  dem Kulturverein hier bei uns im Ort. Du hast zahlreiche Enkelkinder. Gemeinsam mit deinem Mann reist du gerne mit dem Wohnmobil umher.

War deine Erkrankung in irgendeiner Form noch Thema in deinem Leben oder war diese für dich „abgehakt“? Verzeih dieses Ausdruck…

Martha: Sie war abgehakt. Ich wollte noch nicht mal eine Anschlussreha und hatte keinerlei Interesse am Austausch mit anderen Betroffenen.

Im Januar 2010 folgte eine große Unterleibsoperation, bei der es zu einigen Komplikationen kam. Ich verlor mindestens fünf Kilo Gewicht, fühlte mich total geschwächt. Es war keine Krebserkrankung, aber während dieses Krankenhausaufenthaltes fühlte ich mich zeitweilig sehr “krank“ und hab´ zwischendurch schon mal gedacht, dass es das jetzt wohl war mit dem Leben.

Zwei Monate nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus starteten mein Mann und ich mit dem Fahrrad (OHNE MOTOR) auf den Jakobsweg und sind in gut einem Monat knapp 2500 Kilometer nach Santiago de Compostella geradelt. Das war die beste Reha!

Annette: Oja, das kann ich mir vorstellen. Sehr schön, dass du/dass ihr gemeinsam, deinen/euren ganz eigenen Weg der Reha gefunden habt.

….

Du kennst den Spruch „Eine von Acht“…. Eine von acht Frauen hat Brustrebs. Bei dir in der Familie waren es gleich zwei. Denn deine ältere Schwester erhielt ebenfalls diese Schockdiagnose. War dies ein „dummer Zufall“ des Schicksals oder habt ihr eine genetische Veranlagung?

Martha: Wir haben keine genetische Disposition, das wurde bereits dreimal unabhängig voneinander untersucht.

Ich habe aber einen anderen Verdacht: Unsere Eltern hatten im unteren Linzgau, also im Hinterland des Bodensees, einen Obst- und Gemüsebau. Da wurden natürlich viele Pestizide, Herbizide und Dünger ausgebracht. In den 1960er und 70er Jahren erfolgte das noch ohne jegliche Schutzmaßnahmen und wie das in einem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb so ist, hat immer die ganze Familie zusammengearbeitet.

Ich vermute, dass unsere Erkrankungen damit zusammenhängen. Zumal auch unsere Mutter mit 56 erstmals an Krebs erkrankte und mit 59 daran starb.

Annette: Danke fürs Äußern deines Verdachtes, der sich für mich durchaus plausibel anhört.

…..

Wie war es für dich als Angehörige, die Erkrankung mitzuerleben? Leicht, weil du durch deine eigenen Erfahrungen mitfühlen konntest oder schwer, weil es dich getriggert hat?

Martha: Bei der Erstdiagnose meiner ältesten Schwester dominierte noch ziemliche Hilflosigkeit, wie ich als Schwester damit umgehen kann. Bei meiner eigenen Erkrankung fokussierte ich mich mehr auf meine Kinder und meinen Mann, weniger auf meine Schwestern. Als auch meine weitere Schwester erkrankte, tat mir diese unendlich leid, weil sie Jahre zuvor schon an einem Nierentumor erkrankt war und eher der Typ war „alles in sich reinzufressen“.

Bei ihr verliefen die Diagnose und Behandlung katastrophal. Sie erkrankte nach etwa acht Jahren an einem Rezidiv und litt sehr darunter.

Im Januar haben wir sie beerdigt. Sie starb unabhängig vom Krebs an den Folgen einer aggressiven Form von Parkinson (Progressive Supranukleäre Blickparese).

Annette: Meine liebe Martha, mein herzliches Beileid zum Tod deiner Schwester. Hab vielen Dank für deine so Schilderungen, die mich und alle Leser*innen tief in den Privatleben hineinblicken lassen. Sie sind traurig, diese sind tragisch, aber diese sind authentisch und genau das, was „Annette fragt“ sein soll. Der ehrliche Austausch über den Krebs und alles, was damit zuasmmenhängt. Danke dir, dass du so ehrlich und offenen an diesem Austausch teilnimmst.

….

 Ich bin bei und für Jung und Krebs aktiv. Du hast in deiner Funktion als Zeitungsredakteurin begeistert unser Weg vom Gründen der Gruppe über den Erhalt der Flyer bis hin zu Berichten über einige unserer Aktionen mitverfolgt. Im Privaten kamst du auch mit dem Thema „Selbsthilfe bei Krebs“ in Berührung, denn deine Zwillingsschwerster war viele Jahre lang die Vorsitzende der Frauenselbsthilfe Krebs. Hast du selbst mal an einem Selbsthilfegruppentreffen teilgenommen oder hattest du für dich persönlich nie das Bedürfnis nach Austausch mit anderen Betroffenen?

Martha: Tatsächlich hatte ich nie dieses Bedürfnis, was meine engagierte Schwester vermutlich nie so ganz nachvollziehen konnte. Für sie war die Selbsthilfe sehr wichtig und sie hat sich etwa 20 Jahre stark bei und für die Frauenselbsthilfe Krebs dafür eingesetzt.

Annette: Das finde ich sehr interessant. Aber es zeigt mal wieder: Jeder Mensch ist anders und geht seinen ganz eigenen Weg.

….

Martha, dir ist das passiert, wovor wir Betroffenen uns wohl am meisten fürchten. Der Krebs kam zurück. Du hattest vor einer Weile ein Rezidiv.  Wie wurde dieses entdeckt?  Welchen Therapieweg bist du diesmal gegangen?

Martha: Das Rezidiv wurde 2022, nach 14 Jahren, im Rahmen der jährlichen Nachsorgeuntersuchung festgestellt. Es folgte -dieses Mal sehr zügig- eine Operation, bei der 16 Lymphknoten entfernt wurden. Anschließend 16 x Chemotherapie und 28 Bestrahlungen. Ich folgte den Empfehlungen der behandelnden Ärzte.

Danach hatte ich das Bedürfnis nach einer Anschlussreha. Die tat mir sehr gut. Anschließend fühlte ich mich stark, so als könnte ich Bäume ausreißen.

Die Wirklichkeit holte mich allerdings ein. Im darauffolgenden Winter bildete sich um mein Implantat – vermutlich als unliebsame Folge der Bestrahlung – eine Kapselfibrose. Außerdem verstärkte sich ein Lymphödem im rechten Arm.

Im April 24 wurde bei einer weiteren Operation das Implantat mitsamt Fibrosegewebe entfernt. Verhärtete Narben und ein starkes Lymphödem beeinträchtigen mich seither spürbar.

Jetzt ist- im Gegensatz zur ersten Erkrankung vor 16 Jahren- der Krebs oder besser gesagt sind seine Folgen jeden Tag greifbar. Und das zermürbt mich.

Damit komme ich noch nicht klar. Und gelegentlich schleicht sich der Gedanke ein: „Was machst du, wenn du ein weiteres Mal an Krebs erkrankst?“

Eulenspiegel Glatzkopf
Martha während der Therapie

Annette: Liebe Martha, ich danke dir fürs offene Teilen deiner Ängste. Die kann ich sehr gut nachvollziehen, denn immer wieder taucht genau dieser Gedanke auch bei mir auf… Was mache ich, wenn der Mist erneut zurückkommt?

…..

Einige meiner Interviewpartner*innen unternahmen nach ihrer Krebserkrankung große Reisen, liefen den Jakobsweg oder schrieben eine Bucketlist. Dein Mann und du seid von jeher viel umhergereist und habt euren Traum vom Leben schon immer gut gelebt, wie ich voller Bewunderung sage.

Wurde dieser Lifestyle in irgendeiner Form von deinen Krebserkrankungen beeinflusst oder warst du schon immer so von der Art „Lebe deine Träume“?

Martha: Wir waren immer schon entdeckungsfreudig und hätten auch ohne Krankheit dieselben Reisen unternommen. Am liebsten mit dem Rad, mit dem wir 2012 rund um Deutschland gefahren sind, 2013 über die Alpen und in Etappen den Eurovelo 6 von Nantes nach Budapest.

Jetzt sind wir für solche Abenteuer zu alt und froh, dass wir all das zur rechten Zeit gemacht haben.

Annette: Absolut, absolut. Da hattet ihr mächtig Glück.

…..

„Starksein, Stärke zeigen, dem Krebs in den A. treten und ihn besiegen“…. In Zeitungsartikel wird oft in kriegerischer Art und Weise formuliert, wenn es um den Krebs geht.  Mir stößt das jedes Mal ungut auf und ich vermeide dieses „kämpfen und müssen“ in meinen Texten. Wie geht es dir als Frau der schönen Worte damit?

Martha: Ich mag Begriffe wie “kämpfen“ oder “Krebs besiegen“ nicht. Das unterstellt all denen, die an der Krankheit sterben, dass sie nicht gekämpft hätten.

Wir haben es nicht in der Hand, ob wir gesund werden oder daran sterben.

Wenn ich jogge, geht mir allerdings häufig der Gedanke durch den Kopf: „Du sch….. Krebs bekommst mich nicht!“

Und wenn ich, was gelegentlich vorkommt, keine Lust auf Sport habe, mahne ich mich an, dass ich genau damit dem Krebs die Show vermasseln werde. 

Annette: Durch meinen Blog und meine Aktivitäten in der „Instagram-Krebsbubble“ bin ich ständig am Thema „Krebs“ dran. Aber in der Öffentlichkeit ist er – von den Berichten über Cancersurvivors oder dramatische Krebsgeschichten von Prominenten abgesehen – weiterhin ein großes Tabuthema. Und obwohl jede/r jemanden kennt, die/der Krebs hatte oder man selbst erkrankt war, herrscht das große Schweigen im Walde.

Mich würde interessieren, wie es dir in beruflicher Hinsicht damit ergangen ist. Hast du Texte zu diesem Thema geschrieben, Gespräche mit Krebspatient*innen geführt o.ä. und – was mich noch brennender interessiert – wie war die Resonanz auf solche Texte. „Sehr interessant und wichtig, Frau Weishaar“ oder „Schreiben Sie doch bitte lieber über das Jubiläum des Hundezüchtervereins?“

Martha: Ich habe das Thema beruflich nie aufgreifen wollen, weil ich grundsätzlich nie gerne über mich oder mein Leben geschrieben habe. Von Seiten der Badischen Zeitung wurde ich diesbezüglich nie gegängelt.

Im Gegenteil: Meine Themenvorschläge wurden eigentlich immer für gut befunden.

Annette: Liebe Martha, ich bitte dich, das Interviews so zu beenden, wie es dir am besten gefällt.

Zu welchem deiner Lieblingssongs dürfen wir tanzen?

Den einen Song gibt es nicht. Ich liebe Musik wenn sie gut gemacht ist, von Klassik über Pop, Soul bis hin zu Rock. Und im Sommer im Bierzelt oder an der Fastnacht mag ich auch mal den Böhmischen Traum.

In welche Lieblingsfarbe dürfen wir eintauchen? blau

Welchen Spruch gibst du uns mit in unseren Tag?

Von guten Mächten wunderbar geborgen.

Annette: Liebe Martha, ich danke dir von Herzen für dieses Interview. Ich freue mich drauf, dich bald hier bei uns im Städtle auf einen Kaffee in unserem schönen Josch´de Beck Café zu treffen oder mal eine Runde mit dir spazierenzugehen und uns gemeinsam des Lebens zu erfreuen.

 

Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”

 

 

Ich mag Begriffe wie "kämpfen“ oder "Krebs besiegen“ nicht. Das unterstellt all denen, die an der Krankheit sterben, dass sie nicht gekämpft hätten. Wir haben es nicht in der Hand, ob wir gesund werden oder daran sterben.
- Martha Weishaar

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