Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 20.08.2020: Es geht los. Die Reha beginnt.

Lange gab es hier nichts zu lesen. Der Grund? Ich gehe davon aus, dass ihr hier eher an meiner Krankheitsgeschichte und dem damit verbundenen Werde- und Genesungsgang interessiert seid und nicht, was bei mir so beim HomeSchooling passiert und ob mir die (uralte) Badehose beim Versuch ein StandUp-Paddelboard zu besteigen reißt. 😀

Dennoch ein kurzes Update seit dem letzen Eintrag. Seit unserem Urlaub haben wir, soweit möglich, unsere Zeit gemeinsam genossen. Meine süße Alex musste zwar kurz nach dem Urlaub wieder arbeiten, aber wir haben dennoch viel Zeit in unserem Schrebergarten verbracht. Auch weil es in unserer Dachgeschosswohnung gut und gerne mal 28 Grad Celsius und mehr werden wollen. Ausserdem möchte der Grill im Garten ja auch artgerecht gehalten werden.

Jetzt wird hier aber wieder langsam etwas mehr Leben einkehren, denn es geht los. Die Reha ist genehmigt und startet heute. Meine Sachen habe ich am Montag schon begonnen zu packen. Also sind sie ruckzuck im Auto verstaut. Eines meiner Räder packe ich in unseren Truppentransporter familiärer Art – für mich ist der T5 Bus immer noch das „Sports Utility Vehicle“ schlechthin, statt der anderen motorisierten Öfen, die diesen Namen führen, denn nirgendwo sonst kriege ich zwei Räder, ein SUP, Strandspielzeug, Gepäck und mindestens 6 Leute unter -, dazu meinen Koffer, meinen Rucksack, einen Stoffbeutel und eine Tragetasche. Dann geht es los. Ich soll nach Möglichkeit nicht vor 8:30 Uhr anreisen und am besten auch nicht nach 9:30 Uhr. Das ist doch ein Zielkorridor mit dem ich arbeiten kann. Zum Glück ist die Anreise nicht weit. Viele haben gesagt: „Was? Es geht *nur* nach Ratzeburg? Das ist aber nicht weit weg. Da kommst du ja garnicht richtig raus!“. Dazu meine Frage: Ist das der Sinn einer Reha? Durch die halbe Republik zu gondeln und sich den Stress einer langen An- und Abreise antun? So bin ich knapp eine Stunde von daheim entfernt und kann am WE meine Mädels sehen, wenn sie hier vorbeikommen. Darüber hinaus ist Ratzeburg eine schöne kleine Stadt, die alles bieten kann, was man braucht. Seen (kleine Radrunde mit ca. 5 km und die große Runde um den großen Ratzeburger See mit knapp 33 km), eine vom Focus Magazin ausgezeichnete onkologische Reha-Klinik, ausgedehnte Wald- und Wiesenwege zum Wandern, aber auch, wie ich befürchte, zum „Schnecken-Stechen“. Das steht mir wohl in Kürze hier bevor. Mit „Schnecken-Stechen“ meine ich natürlich Nordic Walking.

Alles dabei, was man für eine erfolgreiche Reha braucht: mich (im Vordergrund), mein Rad (im Mittelgrund), mein Gepäck (nicht im Bild) und jede Menge Papierkram (im Hintergrund).

Am ersten Tag passiert aber noch nicht viel. Aufnahmegespräch bei der Assistenzärztin, um 12:30 Uhr Mittagessen (ich entscheide mich für den Kabeljau, statt der Königsberger Klopse entschieden, da ich meinen Schweinefleisch-Konsum hier in den 3 Wochen ein wenig einschränken möchte.) und anschließender Erstkontakt mit dem Chefarzt, mit dem ich am Montag aber bereits einmal telefoniert habe, da ich unsicher war, wie es mit meiner Anreise mit Erkältungssymptomen steht. Dazu noch ein kleiner Exkurs:

Am Sonntag stelle ich fest, dass ich mich beim dauernden Hin und Her zwischen warmen und kalten Temperaturen wohl erkältet haben muss. Ich habe Halsschmerzen. In meinem Einladungsschreiben steht, dass man sich vor Anreise im Falle von Erkältungssymptomen mit der Klinik in Verbindung setzen soll. Dies tue ich und bekomme den Chefarzt der AMEOS Klinik ans Telefon. Er rät mir, vor Anreise noch einen COVID-19-Test durchführen zu lassen. So könne ich, sofern dieser negativ sei, am Donnerstag (also heute) beruhigt anreisen. Anderenfalls müsste man den Test in der Reha-Klinik durchführen und mich für die Zeit bis zum Ergebnis isolieren. Das könnten im schlimmsten Fall 24 Stunden sein. Nicht sonderlich interessant für mich. So kontaktiere ich also am Montag meinen Hausarzt. Am Dienstag früh soll ich direkt zwischen 8:00 und 8:30 Uhr in die Praxis kommen. Dies tue ich. Nachdem ich „COVID-19-Test“ gesagt habe, werde ich direkt in ein separiertes Wartezimmer geschleust. In kürzester Zeit kommt Herr Dr. dazu. Er erinnert mich an einen Fachmann vom Bombenräumkommando. Schutzkittel, Atemschutzmaske, darüber eines dieser Plastikschilde, Handschuhe. Der Gesichtschutz ist wahrscheinlich dafür da, damit Hr. Doktor meine Viren nicht abbekommt, falls ich beim Abstrich explodieren sollte. Durchtrennt man dabei in meinem Hals eigentlich irgendwelche Kabel? Hab nicht gefragt. Der ganze Spuk dauert vielleicht 15 Minuten, danach kann ich wieder gehen. Bereits um 16:26 Uhr klingelt das Telefon. Testergebnis: negativ. Also für mich positiv.

Zurück in die Zukunft! Wieder Donnerstag, zurück in der Reha-Klinik. Um kurz vor 3 steht noch die Pflegeanamnese an. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Ich sitze mit der diensthabenden Schwester im Dienstzimmer, bekomme einige Fragen gestellt. Obwohl, eigentlich sind es Feststellungen. Nach meinen fast vier Monaten in der Klinik während der Chemo, habe ich mir angewöhnt, den Schwestern direkt das „Du“ anzubieten. Das macht die Sache entspannter und ich fühle mich nicht so alt. A propos alt. Ich belege vermutlich einen der vorderen Top10 Plätze der jüngsten Rehabilitanden zur Zeit in der Klinik. Stört mich aber nicht. Ich bin ja hier um wieder fit zu werden und auf Vordermann gebracht zu werden und nicht um hier abends Skat mit Günter, Heinrich, Egon und Willi zu kloppen. Ich schweife ab… mal wieder. Die Schwester legt los. Es folgt ein Gedächtnisprotokoll.

Schwester: „Ich muss Ihnen, sorry, dir jetzt noch ein paar Fragen stellen. Bzw. kann ich mir die Antworten aber eigentlich auch denken, aber legen wir los. Du machst nicht den Eindruck als bräuchtest du Hilfe beim Waschen und Anziehen?“
Ich: „Nein!“
Schwester: „Medikamente oder Alkohol?“
Ich: „Nein, ich bin clean.“
Schwester: „Irgendwelche Wunden, die wir versorgen müssen?“
Ich: „Nein, oder warte, doch! Ich habe eben beim Hände desinfizieren gemerkt, dass ich eine offene Stelle an der Hand habe. Das brennt ganz schön!“
Mit einem ironischen Grinsen zeige ich die garstige Wunde. Es handelt sich um einen ca. 2 mm langen oberflächlichen Kratzer am Daumen.
Schwester: „Oh…. Das sieht so aus als müssten wir das amputieren!“
Ich: „Oh, Amputation? Wenn das so ist, brauche ich da eure Hilfe nicht. Das kann ich auch selbst im Auto machen. Hab eine Gartenschere dabei. Ist zwar etwas rostig, aber Sepsis ist ja eh überbewertet!“
Schwester: „Gut, dann haben wir es. Ach nee, Moment. Ich schreibe dir noch unsere Nummer auf. Das ist die Durchwahl zum Schwesternzimmer. Wenn irgendwas ist, du Schmerzen hast, oder sonstwas, kannst du hier anrufen!“

So schnell habe ich noch nie eine Telefonnummer abgestaubt. 😀

Ich fürchte aber, dass ich die Nummer nicht brauchen werde. In 3,5 Monaten Klinikaufenthalt habe ich exakt 2x nach einer Schwester geklingelt und Schmerzmittel gebraucht. Das wird hier wohl nicht passieren. Somit muss ich die Schwester leider von hier aus Grüßen – frei nach Heidi Klum: „Ich habe heute leider keinen Anruf für dich.“

Die Nummer vom Schwesternzimmer. Ich denke aber, dass ich sie nicht brauchen werde.

Um 15:15 Uhr gibt es eine Hausführung. Was soll ich sagen? Ich bin erschlagen von der Weitläufigkeit des gesamten Komplexes. Jedes Gebäude besteht aus vier oberirdischen Geschossen und mindestens einem unterirdischen und jedes Gebäude ist irgendwie mit einem anderen verbunden. Von allen Einrichtungen, die wir gezeigt bekommen, vergesse ich 75 % wahrscheinlich direkt wieder. So kommt es, dass ich mich am ersten Abend durch die Katakomben schlage, auf der Suche nach dem Wasserlager um mich noch mit ein paar Wasserflaschen einzudecken. Denn mehr Trinken ist hier auch eine meiner Prämissen. Ich schaffe heute insgesamt etwas über 3 Liter.

Anschließend begebe ich mich auf eine erste Erkundungsfahrt mit dem Rad. Danach heißt es erstmal nur noch ankommen und ein bisschen auf dem Balkon chillen.

Mein helles und freundliches Appartement in der AMEOS Klinik Ratzeburg.

Ja, ihr seht richtig. Einen Fernseher sucht man in den Zimmern vergeblich. Man kann sich einen bei einem örtlichen Elektroladen mieten und bekommt ihn dann ins Haus gebracht. Derzeit läuft aber nichts im TV was für mich die 1,50 € bis 2,00 € Mietgebühr pro Tag rechtfertigt. Dagegen sind die 10,-€ für das recht schnelle WLAN für 21 Tage durchaus empfehlenswert und für mich deutlich besser investiert. Denn damit finde ich dann immer was bei Netflix und Co. wenn ich mich denn medial berieseln lassen möchte. Und habe natürlich immer Zugriff auf den Blog und kann euch auf dem Laufenden halten.

Soviel vom ersten Tag! Morgen geht es weiter!

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