Das Leben hinterlässt Spuren: Von Narben und Tattoos
574 Tage trug ich meinen Port über der linken Brust in der Haut. 16 Chemotherapien, 28 Antikörperinfusionen sowie eine Unmenge an Zusatzmedikamenten und unzählige Kochsalzlösungen liefen durch ihn hindurch in mich hinein. Jetzt ist er draußen und eine weitere Narbe erinnert mich an meine Krebsreise. Sie gesellt sich zu ein paar anderen Lebenserinnerungen in Form von Kratzern, Narben, aber auch Sommersprossen und Falten. In diesem Blogtext schreibe ich mir einige Gedanken über das Leben, das Aussehen und die wunderbare Farbenvielfalt unserer menschlichen Wesen von der Seele. Zudem erfahrt ihr etwas über meine Einparkkünste und was es mit blauen Tüchern im Operationssaal auf sich hat und warum ich nicht an Zufälle im Leben glaube. Und als besonderes Schmankerl hab ich wieder einen Buchtipp für euch in den Text reingepackt und aus ein paar Liedern zitiert, die ihr vielleicht aus Soundtrack nebenbei laufen lasst.
Drei große Worte streiten sich
Viele behalten ihren Port nach Abschluss der Akuttherapien als „Regenschirm“, falls nochmal etwas passiert. Ich habe mich dafür entschieden, ihn entfernen zu lassen. Im Moment der Terminvereinbarung war ich mir sicher, dass dies der richtige Weg ist. Schließlich bin ich gesund und meine Tage sind sonnig. Warum sollte ich ihn also unnötig mit mir herumtragen? Und mir noch dazu, zusätzliche Arzttermine aufzuhalsen, weil ich ihn alle paar Wochen durchspülen lassen müsste. Nö, keine Lust darauf!
Aber… Je näher der Termin rückte, desto mehr Zweifel schlichen sich ein: Forderte ich mit dieser Gute-Wetter-Prognose womöglich das Schicksal heraus? Was, wenn der Himmel plötzlich zuziehen sollte und eine Rezidiv-Wolke auftaucht? Für den Fall der Fälle also doch einen Regenschirm behalten?
Drei große Worte tobten in meinem Kopf und lieferten sich einen Dauerschlagabtausch.
GLAUBE
Ich bin Realistin: Krebs ist heimtückisch und auch wenn ich alle Therapien vorschriftsmäßig durchlaufen habe und ich – Stand jetzt – krebsfrei bin, kann er mich jederzeit wieder treffen. Deshalb tue ich mich etwas schwer mit dem GLAUBEN.
Ich GLAUBE, dass ich gesund bin, dass es mir gut geht, dass ich heil bin. Ich GLAUBE aber nicht, dass ausgerechnet ich vor einer erneuten Erkrankung geschützt bin.
LIEBE
Ich LIEBE meinen Mann. Ich LIEBE meine Kinder. Ich LIEBE mich und mein Leben. Und mit und für und wegen dieser LIEBE möchte ich so lange es geht leben.
HOFFNUNG
Gesundes Essen, viel Bewegung und positives Mindset hin oder her. Ich bin mir sicher: Wenn der Krebs zurückkommen will, dann schafft er das. Warum sollte er ausgerechnet vor mir Halt machen? Zu viele, die ich in der Insta-Krebs-Blase kennengelernt haben, erzählen von ihren Rezidiven oder Metastasen. Auch in meinem Bekanntenkreis oder bei meiner Schwiegermutter tauchte das krebsige Wesen erneut auf.
Ich halte mich deshalb an der HOFFNUNG fest. In ihr steckt weniger Druck als im GLAUBEN und etwas mehr Handfestigkeit als in der Liebe. In ihr steckt positives Denken: Ich wünsche mir ein Happy End. In ihr steckt aber auch Realismus: Möglicherweise muss ich mich irgendwann erneut auf eine Krebsreise begeben. Deshalb norde ich mich geistig in einer Schönwetterlage ein:
Ich HOFFE, dass ich krebsfrei bleibe. Ich HOFFE, dass ich keinen Port mehr benötigen werde. Ich HOFFE, dass noch ein langes Leben vor mir liegt.
Wir wissen nie was kommt und das ist auch gut so, sonst könnten wir nicht so beschwingt durch‘s Leben gehen. Ob nun vorbelastet oder nicht. Der Glaube ist immer da und auch die Hoffnung, dass es nicht wieder zurückkommt. So oder so wird uns die Liebe tragen. ❤️
Ich übergab den Wörter-Dreiklang von meinem Kopf in meinen Bauch. Und der sagte mir, dass ich mich von der Hoffnung tragen lassen kann. Ich bin mir sicher, dass es der Port-Entnahme bedarf, um wirklich und wahrhaftig positiv in die Zukunft schauen zu können. Zumal es – ganz pragmatisch gesehen – nervt, wenn er am Badeanzug reibt, beim Rucksacktragen oder Kuscheln im Weg ist… Und überhaupt: Der Knubbel sieht doch einfach doof aus. Deshalb: Weg mit dem Kerl.
Die letzte Gewissheit werde ich sowieso nie haben und möglicherweise taucht mal ein Regentief auf. Deshalb bin ich ganz pragmatisch-realistisch-bodenständig und sage: DIESEN Port werde ich niht mehr brauchen. Vielleicht brauche ich mal einen anderen. Wer weiß das schon? Es ist doch wie bei der Prognose für das Sommerwetter, die anfangs des Jahres abgegeben wird. Mit Sicherheit sagen, ob es ein heißer Jahrhundert- oder ein verregneter Durchschnittssommer wird, können wir sowieso erst im Herbst, wenn alles vorbei ist.
Um für alle Wetterlagen gewappnet zu sein, näht die Romantikerin in mir sich vorsichtshalber aus der Liebe, die mein Mann, meine Kinder und viele andere Menschen mir – live oder virtuell – auf meiner Krebsreise entgegengebracht haben und weiterhin bringen werden, einen unsichtbaren Regenschirm nähen. Dieser Rückhalt wird mich an sonnigen wie an regnerischen, an guten wie an doofen, an gesunden wie an kranken Tagen begleiten.
Dieser Gedanke ist tröstlich, dieser Gedanke tut gut und dieser Gedanke ist praktisch: So werde ich allzeit gerüstet sein. Denn – Hand aufs Herz – ist es euch nicht auch schon so ergangen, dass ihr mit Schirm draußen wart, weil ihr ein Unwetter befürchtetet, das dann ausblieb und standet ihr andersrum nicht schon mal plötzlich ohne Schirm im Regen?
Der Port kommt weg
Juli 2022, gute anderthalb Jahre nach meiner Krebsdiagnose saß ich wieder in der Patientenaufnahme der Helios-Klinik in Titisee-Neustadt und plötzlich war ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich das alles wirklich wollte. War jetzt wirklich der richtige Zeitpunkt? Würde mich die Hoffnung, die ich verspürte, wirklich so gesichert würde tragen können?
Ich füllte mechanisch die zig Zettel aus, aber im Kopf hatte ich Bilder vor Augen, die sich zwei, drei Wochen nach meiner Diagnose auf diesen Klinikfluren abgespielt hatten. In meinen Adern hatte ich ein Gefühl von Chemo, die ich teilweise in dieser Klinik erhalten hatte. In meiner Nase hatte ich wieder ein Corona-Abstrich-Stäbchen und irgendwie schrie der Zweifel-Teufel auf meiner Schulter „Willst du das wirklich machen?“
Wie es der Zufall wollte (oder das Schicksal es geplant hatte), lief mir meine Herzens-Ärztin über den Weg, die mir die Diagnose überbracht, mich operiert und seither in vielen Untersuchungen betreut hatte. Sie wusste, warum ich da war, kam strahlend auf mich zu und meinte fröhlich „So, Frau Holl, schön, dass Sie da sind. Wie geht es Ihnen? Gut sehen Sie aus!“
Plötzlich hatte ich Tränen in den Augen. Sie hatte mich auf dem falschen Fuß erwischt. Der kleine metallisch-schlauchige Kerl über meiner linken Brust hatte das Kopfkinosonderprogramm gestartet. Ich saß auf einem Logenplatz und es lief in Dauerschleife der Horrorschocker „Annette und der Krebs.“ Die Tür des Kinosaals war geschlossen und der Film übertönte in voller Lautstärke und bester Bildqualität meinen Alltag, in dem ich mich doch eigentlich mittlerweile wieder so gut eingefunden hatte.
Gut? Gut!? Gut… Nein, gut war hier gar nichts…. Ich konnte mir noch nicht mal eine Ladung Pocorn oder zumindest einen Becher Wasser aus dem Wasserspender holen. Ich saß (geistig) fest.
Als ich dann aber kurze Zeit später (zum Glück hatte ich keine lange Wartezeit!) zu Herrn Dr. W. gerufen wurde, der mich mit den Worten „Sie wollen etwas loswerden, habe ich gehört.“ empfing und lachte, öffnete sich die Kopfkinosaaltür schon einen Spalt weit und ich sah wieder etwas Licht.
Ich ließ mich über die OP-Risiken aufklären und verließ die Klinik wieder. Zu Hause setzte ich mich an den Schreibtisch und begann diesen Text hier zu schreiben. Ich wusste, dass ich durch das Schreiben wieder zu mir kommen würde. So wie ich vorhatte, den Port loszuwerden, so würde ich durch das Schreiben meine konfusen Gedanken loswerden können.
Ich war aber den ganzen Tag über noch ziemlich durch den Wind, der Kopfkinofilm war zwar leiser gestellt, aber lief dennoch weiter. Am Nachmittag ging ich ins Fitnessstudio, um mich abzulenken und am Abend hatten meine beiden Großen noch ein Flötenvorspiel, das sehr gut ins Ablenkungsprogramm passte und zugleich meinem Mamaherz so wärmend gut tat.
Im Laufe des Abends wurde ich ruhiger und die Nacht, in der ich zwar nicht glückselig schlief, sondern mich einerseits meine Gedanken und andererseits das Goldkind wachhielt, das zu mir ins Bett schlüpfte, weil es „von einem großen Tier träumte“ und der Göttergatte mich mit seinem Schnarchen ebenfalls vom Durschlafen abhielt. Aber genau diese Nacht war wohl nötig, damit ich wieder klarsehen konnte. Der Kopfkinoschocker war zwar noch nicth zu Ende, aber zumidnest war schon mal die Pausetaste gedrückt.
Ich sage „Nein“ zum Port. Ich sage „Nein“ zum Krebs. Ich bin überzeugt davon, dass es jetzt so passt. Eine Sicherheit, nicht mehr zu erkrankenden, gibt es nicht. Aber die gibt es ja für nichts im Leben, oder? Als Sportjournalistin müsste ich für diesen Spruch wohl etwas ins Phrasenschwein werden. Als (ehemalige) Krebspatientin sei er mir verziehen oder glaube man ihm mir sogar.
Ich sage also „Nein“ zu DIESEM Port und zu DIESEM Krebs. Falls das Schicksal etwas anderes mit mir vorhat, dann werde ich „Ja“ sagen und es auch wieder schaffen. Und dann gibt es eben zur Not einen neuen Port.
Ein letztes Mal im Krankenhaus…
Zwei Tage später musste ich erneut im Krankenhaus. Ich sollte um neun Uhr da sein, war aber laut OP-Plan erst um halb drei eingeplant. Somit bestand der Tag aus Warten, warten, warten. Aber ich empfand das nicht als schlimm. Ich hatte meinen Laptop dabei, schrieb an diesem Text hier. Außerdem schaute ich einfach aus dem Fenster in den sommerlich-sonnigen Tag und auf das idyllische Schwarzwaldhaus direkt gegenüber.
Dieser Schritt musste jetzt getan werden. Das war mir sogar durch den mir unbekannten Taxifahrer signalisiert worden, der mich zur Klinik fuhr und auch wieder abholte. In meiner gesamten Chemo-Bestrahlung-Antikörperzeit war ich nämlich fast ausschließlich mit einem Fahrer unterwegs gewesen. Dieser ist mir sehr ans Herz gewachsen und wir stehen weiterhin in Kontakt. Leider konnte er diese letzte Krebsreisetaxitour nicht mit mir machen, weil er selbst einen Termin hatte. Das fanden wir beide sehr schade. Als der neue Taxifahrer dann auch noch eine sehr, sehr unsanfte Vollbremsung hinlegte und meinte, er fahre normalerweise einen Schaltwagen, wusste ich: Das ist ein Zeichen von irgendwo da zwischen Himmel und Erde”
Jetzt ist Stopp, jetzt wird nicht mehr umgeschaltet! Meine Krankengeschichte hat ein Ende.
Nach vielen Stunden Wartezeit auf dem Krankenhausflur– die dazu führten, dass dieser Text hier fast komplett fertig war, als ich wieder nach Hause fuhr – hieß es dann endlich: „Frau Holl, Sie können sich fertig machen.“ Also: OP-Hemdchen anziehen, Ohrringe und auch meine Mut-Armbänder ablegen und dann ging´s in den OP.
Dort war ich mit zwei sehr sympathischen Schwestern und Herrn Dr. W. zusammen. Ich lag rücklings und über mir wurden blaue Tücher ausgebreitet. Dr. W. meinte, ich solle an frühere kuschelige Momente im Zelt bei prasselndem Regen denken. Da ich absolut kein Campingfan bin, war dieses Bild für mich allerdings nicht. Ich nahm es deshalb einfach als blaue Tücher wahr. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass ich mich irgendwie ablenken wollte. Nein, ich wollte diesen Moment ganz bewusst (aber dank Betäbung natürlich schmerzfrei!) miterleben. Der Mittelstürmer hatte zwei Fragen bezüglich Port, Operation, die ich dem Arzt stellte und mir beantworten ließ (Man will die Wissbegierde seines Kindes ja nicht ungestillt lassen.). Insgesamt redeten wir über dies und das und eine Schwester meinte dann: „Passt auf, das kommt dann alles im Blog von Frau Holl vor.“ Ich kann euch allerdings keine weltbewegenden oder besonders ergreifenden Geschichten aus dieser Dreiviertelstunde, die ich im OP verbrachte, berichten. Aber ein lustiges Schmankerl habe ich. Und zwar verlangte Herr Dr. W. merhfach nach einem „Kocher“. Es wurde gewitzelt, dass mir keine Wienerle warm gemacht werden würden, sondern dass es sich dabei lediglich um ein medizinisches Instrument (eine Arterien-Zange, wie ich mittlerweile gegoogelt habe) handelt. Schade eigentlich, denn ich hatte ja den ganzen Tag nüchtern bleiben müssen und hätte vielleicht für kurze Zeit meine vegetarischen Augen zugedrückt…
Anders als geplant dauerte der Eingriff statt 15 Minuten eine Dreiviertelstunde, da mein Port wohl ziemlich verwachsen war. Dann wurde ich wieder aufs Zimmer verbracht, wo noch zwei Stunden lang ein Sandsäckchen auf der Wunde lag. Ich genoss diese ruhigen Momente, schaute aus dem Fenster in den herrlichen Sonnenschein und auf herrliche Schwarzwaldgipfel (Wäre es keine Klinik, würde man gerne länger in der Helios-Klinik einchecken!). Dann holten der Göttergatte, das Teeniemädchen und das Goldkind mich ab und wir fuhren nach Hause.
Wichtig, wichtig, wichtig: Für den Fall, dass Herr Dr. W. und die Schwester, die sich nach meinem Blog erkundigt haben, diesen Text hier tatsächlich lesen, winke ich virtuell ganz doll zu Ihnen hinüber! Und schicke an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle Akteure im und vor dem Operationssaal und auf der Station. Ich fühlte mich gut aufgehoben. Wieder mal hatte ich Glück mit der PatientInnen-ÄrztInnen-Kommunikation und kann erneut ein Loblied anstimmen wie ich es in einem früheren Blogtext schon mal getan habe. Danke, danke, danke!
Der Port ist raus
Und dann: Am 8.7.2022 um 16 Uhr war es soweit! 574 Tage nachdem er mir eingepflanzt worden war (Die Geschichte dazu gibt es in einem Blogtext), hielt ich meinen Port mit leicht vergilbtem Schlauch in der Hand. Er ist weg aus meinem Körper. Ganz weg ist er noch nicht. Ich habe extra eine Dose für ihn gekauft und die steht jetzt erstmal auf meinem Nachttisch. Ich kann ihn noch nicht ganz wegpacke. Aber ich habe vor, ihn irgendwann im Garten zu begraben, ihn bei einer Radtour auf einen Berg zu transportieren und im Wald zu vergraben oder ihn vielleicht im Sommerurlaub an der Ostsee (Es geht nach Fehmarn, juchuh!) loszuwerden.
Die Portsache war – obwohl für meinen Arzt nur ein „miminaler Eingriff“ für mich ein „maximaler Schritt“. Erst im Erleben wurde mir bewusst, wie tief und bedeutsam diese Aktion war. Hier war es eigentlich gar nicht um den Port gegangen. Es ging darum, dass der Krebs plötzlich wieder so im Raum stand. Der passte doch gar nicht mehr in meine krebsgesunde Welt zwischen Familie, Arbeit, Freizeit und Alltag, in der es mir doch gut ging.
Plötzlich wandelte ich wieder auf Krankenhausflure. Das rief mir das Kranksein, das sich-schlecht-Fühlen in Erinnerung. Und ja, es brachte die Angst zurück, dass alles wieder von vorne losgeht. Nun da ich den kleinen Schritt einer ambulanten Operation gemacht habe, die sich innerlich riesengroß anfühlte, bin ich erschöpft (Kann auch an der Betäubungsspritze liegen?), aber unendlich froh, dass ich es getan habe.
Das Aufkleben des Pflasters beendete die Kinovorstellung, das Licht ging wieder an und ich sah das Leben in seinen schönsten Farben.
Ich weiß, dass es immer wieder Kopfkinofilmtage geben wird. Das ist ok. Manche Filmszenen bleiben einem einfach lange im Gedächtnis und es braucht Zeit, bis die Erinnerungen daran verblassen. Aber in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten stürze ich mich erstmal voll rein in den Live-Event-Kracher „Das Leben leben.“
Narben, die bleiben
Eine etwa 5 cm lange Narbe wird mich für immer immer an die Zeit mit meinem Port und mit meinem Krebs erinnern. Genauso wie andere Narben, die an Momente aus meinen Leben erinnern. Da ist die Narbe auf der rechten Brust, wo der Tumor saß. Da ist die Narbe unter der Achsel, wo die Wächterlymphnoten entnommen wurden. Da ist die Kaiserschnittnarbe, die mir meine drei Goldschätze schenkte. Dieses Narben sind alle nicht sehr groß. Aber die Momente im Leben, von denen sie erzählen, waren sehr groß. Aber auch ein paar kleinere Momente. Da ist die ein oder andere Brandnarbe (Als Mama hole ich oft „schnell schnell“ eine heiße Auflaufform aus dem Ofen.). Da ist die ein oder andere Narbe von einem Sturz. Manche Narben sieht man etwas mehr als andere, manche sind lediglich dünne Striche.
So wie die alten Narben nur noch dünne Striche sind, wird es auch mit meinen Krebsreisenarben sein. Sie werden immer mehr verblassen. Innerlich aber werden sie noch eine gaeize Wale bleiben und sicherlich ab und zu schmerzen. Wenn ich sie in Ruhe lasse, weil ich mich mit mir, mit meinem Leben, mit meinem Alltag im Reinen befinde, dann werden sie mich nicht weiter stören. Aber ab und an wird die eine oder andere sicherlich ein wenig weh tun. Denn manchmal – so wie jetzt vor der Portentnahme – kommt das Erlebte mit voller Wucht zurück und dann ist es gut möglich, dass die innerliche Narbe sogar blutet. Manchmal, z.B. wenn das Wetter wechselt, tun meine Narben auch körperlich weh. Aber wenn ich nicht ständig daran kratze, werde ich auf Dauer meinen Seelenfrieden finden. Auch wenn es ab und zu weh tun wird.
Schlussendlich ist es doch auch gut so, dass wir Menschen Narben von unseren Krankheiten und Krisen zurückbehalten, die immer wieder wehtun. So vergesse ich nie, was war. Die Narben und damit gemachten Erfahrungen gehören zu mir. Sie machen mich und meine Lebensreise einzigartig. Ich kann sie mit Stolz tragen. Das wünsche ich auch dir, liebe Leserin oder lieber Leser, wenn du von einem Sturz, einer Krankheit oder einer sonstigen Erfahrung eine Narbe – im äußeren wie im inneren – mit dir trägst: Nimm sie als als deine Lebenszeichen!
Das beschreibt Kendra Zwiefka in einem Instapost so wundervoll. Sie berichtet darin von ihren Unfall- und Krebsnarben und macht allen Frauen, die sich aufgrund ihrer Narben oder ihres Aussehens nicht schön finden, Mut und Hoffnung.
“Du bist der Schmetterling. Wunderschön… auf [deine] ganz eigene Weise. Narben zeichnen uns. Aber jede Narbe erzählt ihre eigene Geschichte. Und ich liebe jede einzelne von ihnen. Das was bleibt, bin ich.”
Geschichten von Narben
Bei der Auswahl eines Titelbildes für diesen Blogtext dachte ich kurz an eine Collage aus Bildern, die die verschiedenen Narben auf meinem Körper zeigen. Zwar habe ich kein Problem damit, auch die unschönen Seiten einer Krebserkrankung zu zeigen (#sosiehtkrebsaus). Aber je länger ich hier schrieb und je mehr ich darüber nachdachte, kam ich zum Schluss, dass das gar nicht zu meinem Text passte. Denn ich kann von Glück sagen, dass meine Krebsnarben alle eher klein und sehr fein sind. Ein Dreifachhoch an dieser Stelle auf all meine operierenden Ärztinnen und Ärzte, die so sorgfältig und filigran gearbeitet haben!
Aber andere Menschen tragen infolge einer Mastektomie, einer anderen Operation oder eines Unfalls weitaus schlimmere Narben mit sich herum. So auch Jessica Wagener, Bloggerin Buchautorin. Sie ist infolge einer Krebserkrankung sowie Operationskomplikationen von Narben gezeichnet und dadurch gehemmt. Sie beginnt ihr Buch mit der Beschreibung ihrer „Narbenbeine“. Diese zieren „vier lange, rosa Schnitte an den Waden, jeder einzelne der 19 Querstiche, auch zweieinahlb Jahre später noch immer sichtbar“. Ihre „Lieblingsnarbe“ ist „22 Zentimeter lang, inzwischen nicht mehr wulstig und violett, sondern ebenmäßig und hell. So ähnlich wie die große Narbe quer über [ihrem] Bauch.“
Am Strand von Rio, an dem sich „mitnichten ausschließlich exakte Exemplare der Gattung Mensch befinden“ wird ihr klar, dass wir Menschen „in allen Formen, Farben und Größen [daherkommen.] Wie eine Tüte Haribo“. Ein wundervoller Vergleich wie ich finde. Und aus diesem Grund ist es mir absolut nicht wichtig, euch meine Narben hier zu zeigen. Es ist mir viel wichtiger, die Farbigkeit, die Buntheit im Blick zu haben. Jede und jeder von euch, die oder der meine Zeilen hier liest, bringt seine eigenen Narben mit – innerlich wie äußerlich – und braucht sich meine nicht zusätzlich anzuzsehen. Iss stattdessen ein paar bunte Gummibärchen!
Es gibt wundervolle Fotoprojekte, die dabei helfen, dass Menschen ihre Narben annehmen können und mit Stolz zeigen. Schaut euch z.B. mal die „Scar Stories“ von der Australierin Jasmine Gailer an, die nach einer Krebs-OP eine lange Narbe an ihrem Bein hatte: https://www.brigitte.de/gesund/gesundheit/fotoprojekt—scar-stories—diese-narben-zeigen-den-triumpf-ueber-den-krebs-10476726.html
Ein tolles Shooting unter dem Motto „Let your scars shine“ hat das Buusenkollektiv in Zusammenarbeit mit Amonea durchgeführt. Dabei wurden die Narben von Brustkrebspatientinnen durch Goldglitzer bewusst in Szene gesetzt und zum Leuchten gebracht. Hier bekommen Instagram-Userinnen und -user einen Einblick.
Unter dem Titel „Narben erzählen Geschichten“ entstanden unter der Regie von YesWeCancer verschiedene Filme über Krebspatientinnen und -patienten. Ihr findet sie teilweiwe bei YouTube und andere auch in der Mutmacher-Rubrik auf der YesWeCancer-Homepage. Schaut euch mal das ein oder andere Video an.
Hier zeigen 100 Leute von ihren Narben und erzählen die dahinterliegende Geschichte.
Bei mir entstand beim Betrachten der Fotos und Videos ein Gefühlt der Demut und Ehrfurcht vor unser aller einzigartiger Schönheit. In Erinnerung an den Strandtag von Jessica Wagener in Rio nehme ich mir so wie sie vor, „immer ein Fetzchen dieses Strandes in sich zu tragen und mich nirgendwo mehr unschön zu finden.“ Eine jede und ein jeder von uns ist wundervoll und das sollten wir uns alle ganz fest und mit einem bunten Stift hinter die Ohren schreiben! Oder wie Johannes Oerding (ICh seh dich bald live, du wundervoller Sänger!) in seinem Song “So schön” ganz laut singen und neben den Narben, die von unserem Leben erzählen auch unsere Falten willkommen heißen, die schlussendlich nicht nur von traurigen, sondern auch von lustigen Momenten erzählen:
Und es ist so schön.
Jede Kurve, jede Ecke, jede Kante,
jede Farbe schau ich mir an.
Du hast viel gelacht
Zumindest sagen die schönen Falten das.
Wieder in den Fluss kommen
Noch trage ich ein Pflaster über der Port-OP-Wunde, noch schmerzt die Erinnerung an die Krebsreise, die wieder hervorgeholt wurde und meine Psyche muss diesen letzten Schritt noch komplett verarbeiten, bis ich mich tatsächlich ganz geheilt fühle.
Zur Unterstützung werde ich mich in den nächsten Wochen und Monaten ein paar Mal in bzw. unter die Hände einer wunderbaren Dame begeben, die ich schon nach meiner ersten (unverhofften, aber äußerst dramatischen) Kaiserschnitt sowie in meiner dritten Schwangerschaft (die unerwartet kam und einiges durcheinanderwirbelte) besucht hatte. Sie wird meine Narben mittels APN-Massage entstören.
Akupunkt-Massage: Der Begründer dieser Methode, die ihre Wurzeln in der der Tradtitionellen Chinesischen Medizin hat, ist Willy Penzel (1918-1985), ein Masseur und medizinischer Bademeister aus Norddeutschland, ging davon aus, dass jede Krise, jede Krankheit, jede Narbe den Energiefluss im menschlichen Körper stört. Bei dieser schmerzfreien Therapie streicht eine Therapeutin oder ein Therapeut mit einem Massagestäbchen über die Körpermeridiane. Spezielle Akupunkturpunkte werden gedrückt/stimuliert. Narben werden dabei besonders in den Blick genommen und „entstört“.. So kommt die Körperengergie wieder in ein gutes Gleichgewicht kommt und alles kann fließen.
Für die eine oder den anderen hier mag diese Behandlung vielleicht eine Art Hokospokus sein. Mir egal! Ich bin überzeugt davon, dass ich diese Behandlung brauche, dass sie mir gut tun wird. Dass sie mir dabei helfen wird, den Krebs wirklich ganz ziehen zu lassen. Dann werde ich auch an Tagen, an denen ein paar Regenwolken aufziehen oder es vielleicht sogar zu tröpfeln anfängt, ohne Regenschirm hinausgehen können. Dann werde ich mich in Gänze mit meinen Narben und der dahinterliegenden Geschichte aktzeptieren können. Ich bin mir sicher, dass in mir mit ihrer Hilfe „[n]ach dem Sturm Frieden [einkehrt]. Mit mir selbst und den Menschen. […] Ich bin eben bloß ich. Nicht mehr, nicht weniger. Genau richtig, immer genug.” (Jessica Wagener: Narbenherz, S. 192). Ich werde sicherlich keine vernarbte Seele zurückbehalten, wenn ich mich deren Wunderschönheit bewusstmache.
Tattoos als Erinnerungshilfe
Neben Narben, Sommersprossen, ein paar Leberflecken und Falten trage ich weitere Spuren auf meinem Körper, die mir ein Leben lang bleiben werden: Meine Tattoos.
Das Stechen meines ersten Tattoos entstand aus einer spontanen Laune heraus. Ich war drei Monate als Sommer-AuPair an der Côte d´Azur. Sommer, Sonne, Strand und Bikinizeit. Da passte so ein Tattoo doch optimal, fand ich als Anfang Zwanzigjährige.
Ein blauer Delfin ist es geworden.
Ich wählte das Motiv – wie ich dachte – ganz zufällig, einfach weil es mir auf dem Poster im Tattoostudio gefiel. Mit dem Abstand von zwanzig Jahren und ein paar Jahren Lebenserfahrung mehr auf dem Buckel bin ich aber überzeugt davon, dass nichts im Leben einfach nur so geschieht. Ich glaube an Schicksal, an irgendwelche Mächte zwischen Himmel und Erde, an die Verbundenheit mit einem anderen Universum.
Wie könnte es sonst sein, dass der Delfin als starker Begleiter für das Leben gilt? Man sagt ihm nach, dass er einem dabei hilft, aus schwierigen Situationen unbeschadet herauszukommen. Vor dem Hintergrund meiner Krebserkrankung produziert das bei mir definitiv Gänsehautfeeling und ich trage den „Engel des Meeres“ seither mit einer ganz anderen Wahrnehmung.
Nach diesem Spontan-Tattoo war das Thema „Tätowierung“ für mich abgehakt. Aber als dann die Krebs-Chemo-Strahlen-Corona-Herausorderung geschafft war, reifte der Gedanke, dieser Krisenzeit ein bewusstes Zeichen setzen.
Das geschah in einem Tattoostudio in der Nähe, das mir ein guter Bekannter empfohlen hatte (Danke, lieber M., du hast mich für immer mit dem Tattoo-Virus iniziert!), da mir die Anfahrt zu meinem ersten Tätowierer in Frankreich doch etwas zu weit war, obwohl derecht cool gewesen war. Aber ich traf auf einen nicht weniger coolen Schwarzwälder Kerl.
Zunächst musste ich die Einpark-Herausforderung in einen recht kleinen mit Mauersteinen begrenzten PKW-Abstellplatz meistern – was für mich Einpark-Null fast größere Herausforderung als die vier roten Chemotherapieinfusionen darstellte. Dann bekam ich in einem einrichtungstechnisch hitverdächtigen Tattoozimmer (Der herrlich geniale altmodische Kamin-Gussofen, der mich an den bei meiner Oma erinnerte, muss erwähnt werden!) mein Souvenir an meine Krebsreise.
Es handelt sich um eine Art „Krisenrezept“ für die großen, aber auch die kleinen Miseren im Leben. Egal, ob es sich um eine lebensbedrohliche Krankheit, einen schlimmen Unfall, eine Trennung, eine Diät oder auch einfach nur einen verkorksten Sommer handelt: Du kommst da nur raus, indem du dich zunächst einmal voll hineinbegibst.
Lieber Fishy, ich nehme dich hiermit offiziell auf in die Riege meiner Ärztinnen und Ärzte, wenngleich ich deine Rechnung nicht bei der Krankenkasse einreichen kann. Ich danke dir vielmals für den herrlich lebendigen Moment, den du mir am Ende meiner Therapiemonate geschenkt hast! Die Pikse hatten – ähnlich der Corona-Impfung – definitiv heilsame Wirkung für mich gehabt. Rockige Grüßle an dich, lieber Fischy!
Zum Herbst hin hatte ich dann das tiefe Bedürfnis, meine drei Goldschätze mit einem Tattoo zu würdigen. In meiner kleinen Welt gab es da noch alle drei Wochen eine Antikörperinfusion und ich schluckte täglich meine Tamoxifen-Tablette, um ein Krebs-Rezidiv zu verhindern. In der großen Welt spitzte sich die Corona-Lage weiter zu. So viel Schönes wurde bgesagt. Das Leben verlor an Qualität und Freude.
Um auch an nicht ganz so rosaroten Tagen, an denen ich traurig bin, Angst habe und mit vielem hadere, nicht zu vergessen, dass es sich lohnt, alles für ein gesundes Leben für und mit meinen Liebsten zu tun, trage ich meine drei Goldschätze von nun an auf meinem linken Unterarm immer bei mir: ihre Geburtsdaten unter einer Herzlinie, an deren Ende ein rotes Herz ist.
Vor ein paar Wochen musste dann ein weiteres Tattoo her. Ich wollte der Partnerschaft zu meinem Mann ein Zeichen setzen.
Die begann als Oberstufenliebe, überdauerte meinen AuPair-Aufenthalt und eine anschließende Fernbeziehung während des Studiums, führte dann zur ersten gemeinsamen Wohnung und Doppelverdienerluxus, um dann ganz klassisch in einer Familie mit drei Kindern zu münden und den Gipfel im Traum vom eigenen Haus fand.
Nein, ich erzähle euch jetzt nichts von zwanzig glückseligen Jahren, in denen die Liebe zu meinem Mann täglich größer wurde und wir am liebsten und immer alles gemeinsam machten. Es gab definitiv Phasen, in denen es kriselte, in denen es fetzte, in denen Sprachlosigkeit herrschte.
Wer Kinder hat, weiß, was es heißt, wenn da plötzlich ein Baby in die traute Zweisamkeit platzt. Wer den Alltag mit Kindern, Haushalt und Berufstätigkeit wuppt, hat die rosa Brille schon abgenommen. Wer ein Haus gebaut hat, weiß, wie viel Nerven, das kostet. Wer mit Kindern die Pandemie erlebt hat, kennt das überlaufende Fass. Und jetzt packt dazu noch eine Krebsdiagnose obendrauf.. Ciao, pinkglitzernder Happy-Insta-Life-Modus -Willkommen bunte Wirklichkeit!
Aber: Der Göttergatte und ich stehen weiter auf festen Füßen gemeinsam in der Welt. Und das symbolisiert seit ein paar Tagen ein neues Tattoo. Mein Nacken ziert jetzt ein schlichtes Unendlichkeitszeichen, das für unsere pure Verbundenheit steht, die auf ewig halten soll. In der Mitte schwebt eine Feder. Denn ich möchte nicht, dass mein Mann und ich aneinander gekettet sind. Jeder von uns soll Raum zum Atmen haben und in der Verbundenheit eigene Wege gehen und eigene Entscheidungen treffen dürfen.
Huiuiu, das hört sich ganz schön pathetisch an. Aber – so what! – so ist das Leben doch oft genug in Schmalzschluchzfilmen – und in diesem Text war ich ja nun lange genug in der Kinowelt unterwegs, um euch zu beweisen, dass ich mich damit auskenne – , warum dann nicht auch mal im echten Leben?
Tatttoos und ihr tieferer Sinn
Rückblickend wird mir klar, dass ich – wie viele andere Krebspatientinnen und -patienten auch -meine drei letzten Tattoos eindeutig als „Bewältigungshilfe für [ein] prägende[s] oder traumatische[s] Erlebnis“ [gewählt habe].“ So schreibt Esther, Tätowiererin aus Berlin (https://www.instagram.com/buntspechttattoos/) in einem Blogtext, der auf einer Semesterarbeit aus ihrem Studium basiert und hat mir damit schlagartig die Augen geöffnet.
„Mithilfe [m]einer Tätowierung kann ein Erlebnis endlich „abgeschlossen“ werden. Auch gewährleistet eine Tätowierung die lebenslange Erinnerung. So kann das „Niemals vergessen“ eines geliebten Menschen oder eines besonderen Erlebnisses verbildlicht und manifestiert werden.“
Wie Esther wünsche ich mir, dass Leute, „die die Tätowierungen anderer bisher belächelt oder verurteilt haben, weil sich ihnen der Sinn dahinter nicht erschließt oder sie die Sinnhaftigkeit in Frage stellen.“ mehr Respekt und Toleranz und vielleicht sogar ein darüber-Nachdenken, warum die Person eine Sonne, ein paar Schriftzeichen, einen Löwen o.ä. auf ihrem Körper trägt.
Ja, sicherlich werden manche Tattoos einfach so aus einer Bierlaune heraus gestochen. Aber ich glaube, hinter den meisten steckt eine Geschichte. Und die geht so tief, dass man bereit ist, dafür Schmerzen in Kauf zu nehmen.
Spoiler: Ich hab schon eine neue Tattoo-Idee, hihi. Aber die bleibt geheim und gestochen wird erst in ein paar Monaten…. Ein Nachtrag unter diesen Blogtext inklusive Foto kommt bestimmt…
Voila – heute, am 6.6.2023, kommt der Nachtrag: Ein neues Tattoo ist gestochen
Ich bin nun wieder ein paar Monate weiter in meinem Leben nach Krebs angekommen. Das Mindset ruckelte ab und zu. Der Alltag hat mich fester im Griff. Das Leben von davor kommt immer mehr zum Tragen. Das ist gut und ich freue mich darüber. Mit ihm kommt aber auch einiges der “alten Annette” zum Vorschein. Der Annette, die plant und hirnt, wenn ein Termin ansteht.
So wie neulich: Ich hatte einen wichtigen Termin, den ich schon Wochen vorher in den Familienkalender eingetragen hatte. Anschließend organisierte ich eine Mitfahrgelegenheit für den einen Goldschatz. Managte, wer den anderen vom Kindergarten abholt. Dann gab es unvorhergesehene Änderungen in der Betreuung beim dritten. Ich koordinierte alles neu. Erklärte dem Göttergatten genau, an was er zu denken hat.
Schließlich war alles perfekt geplant.
Am Tag vor meinem Termin machte du die Wäsche und räumte auf, als ob ich in den Urlaub fahren würde. Und dann…. wurde der Termin kurzfristig abgesagt…
Ich hatte also Stunden im GESTERN verbracht, um das MORGEN zu planen und am Ende kam alles anders.
Noch bevor ich mich darüber aufregte, begann ich zu schmunzeln und dann lauthals zu lachen. Shit happens!
Eigentlich weiß ich doch spätestens, seitdem ich meine Goldschätze habe, allerspätestens seit der Pandemie und allerallerspätestens seit meiner Erkrankung, dass nicht mal das HEUTE planbar ist. Mitten in der Nacht schlägt ein Magendarmvirus zu. Corona-Bestimmungen wechselten von einem zum anderen Tag. Meine Krebsdiagnose kam aus dem Nichts.
Und ich hatte wegen des abgesagten Termins JETZT einen stressfreien Tag mit unverhoffter Me-Time.
Ja, es ist utopisch, in einem Fünf-Personen-Haushalt ohne Terminkalender auszukommen.
Es ist aber trotzdem nicht nötig, HEUTE schon Kinokarten fürs Wochenende zu reservieren. Und warum HEUTE einen Essensplan für die ganze Woche machen? Vielleicht lacht mich MORGEN im Supermarkt der Brokkoli an? Außerdem ändert sich das Ergebnis meiner bevorstehenden Nachsorgeuntersuchung auch durch tagelanges Drübernachdenken im GESTERN nicht.
Deshalb heißt es für mich: Fokus auf das JETZT. Und dessen Unbeschwertheit lasse ich mir nicht von Sorgen und Planungen oder Dingen, die ich ungern mache, stehlen.
In diesem Sinne musste ein neues Worttattoo her: ALLES IST JETZT. Lasst es krachen, ihr Lieben!
Den Krebs ziehen lassen
Der Port ist raus. Meine Krebsreise ist beendet. Wow. Das sitzt. Das trifft. Das geht tief rein. Und das geht hoffentlich ganz lange gut.
Deshalb wünsche ich mir, von dir, liebe Leserin und dir, liebem Leser: Lass so wie ich zukünftig den Regenschirm zu Hause und hoffe auf gutes Wetter! Und wenn es doch anders kommt, wenn es stürmt und prasselt, dann lass uns gemeinsam tanzen zum Song von Sarah Connor „Wie schön du bist“!
Darin reimt sie so herrlich schön das Wort „Farben“ auf „Narben“ und erinnert mich an die bunte Einzigartigkeit einer und eines jeden von uns. Und ich übertrage es auch auf die unfassbare Möglichkeit, unser Leben so farbenfroh wie möglich zu gestalten. Jede Narbe, jedes Tattoo, jedes noch so kleine Erlebnis, jede gemachte Erfahrung, jeder Moment ist ein kleiner bunter Farbenklecks oder ein dicker Pinselstrich auf unserem Lebensreisebild.
Und ist dir mal eher nach einem langsamen Lied, dann wähle „Schmetterling“ von Sophia. Auch sie spielt darin mit der Farben-Methapher und bereitet mir mit ihrer Stimme und mit ihrer Message Gänsehaut pur: Egal ob Glatze, Wuschelkopf, ein paar Kilo zu viel oder zu wenig, still oder extrovertiert, ADHS oder LRS… Du und ich, jede und jeder von uns, sollte doch einfach du, ich, er, sie, es in seinen schönsten Farben sein dürfen, ohne dass andere darüber lachen oder urteilen.
Deshalb lasst uns zukünftig anstelle eines Regenschirmes fortan immer einen Pinsel bei uns tragen. Der ist nicht so schwer, nicht so sperrig und trägt definitiv zu mehr Lebensfreude bei! Und wenn irgendein farbenblinder Mensch mich, dich, uns schief anschaut, dann lachen wir ihm entgegen lächeln ihn einfach an oder tupfen ihm ganz frech einen Klecks Farbe auf die Nase!
Ich bin WUNDERSCHÖN, du bist WUNDERSCHÖN, wir alle sind WUNDERSCHÖN!