Du bist was du isst
Pia Krüger: Mama stimmt’s, du hast Arschbrüste?!
Pia Krüger steht mitten im Leben, arbeitet, ist Mutter und hat mit Brustkrebs zu tun. Die Schwester dieser Frau stirbt mit 32. Zwar ist es bei Pia Krüger das BRCA1-Gen und sie lässt sich ihre Brust vorsorglich entfernen, ich hingegen hatte Brustkrebs und durchlief das komplette Therapieprogramm. Zwar hat sie zwei, ich hingegen drei Kinder. Zwar stand sie am Grab ihrer Schwester, ich hingegen an dem meines Bruders. Unsere Lebensumstände sind also leicht anders, aber irgendwie doch recht ähnlich.
Grund genug für mich, Pia Krügers Buch zu lesen. Da es mich absolut begeistert hat, auch Grund genug, es in meine Krebsbestsellerliste mit aufzunehmen.
Lasst euch unbedingt ein auf die Sätze von Pia Krüger, die ihrer Schwester am Sterbebett verspricht „nicht am selben Scheiß – [dem Krebs] – zu sterben!“
Ich empfehle das Buch für alle,
die es aushalten können, dass es darin nicht heia-poppeia-mäßig zugeht. Genetischer Brustkrebs ist nun mal genetischer Brustkrebs mit all seinen wenig charmanten Auswirkungen auf das Leben jetzt und in der Zukunft, auf das eigene und das Leben der Angehörigen. Und der der Tod eines nahen Verwandten ist für uns alle ein schwerer Schicksalsschlag. Außerdem ist fast keine Operation frei von Schmerzen, irgendwie gearteten Komplikationen und Schamgefühl. An all dem lässt sich nicht rütteln, an all dem lässt sich nichts beschönigen. Dennoch lege ich euch dieses Buch ans Herz. Denn die Auseinandersetzung mit der Frage „Was wäre, wenn ich wüsste, dass ich nur noch ein paar gesunde Jahre habe?“ lohnt sich doch eigentlich für jede und jeden von uns. Pias Zeilen führen einem vor Augen, worauf es im Leben wirklich ankommt: die Glücksmomente.
Kurz und knapp: Um was geht´s?
In Pias Familie ist Brustkrebs von jeher ein Thema: ihre Großmutter starb an Krebs., ihre Mutter erkrankte mit 39 an Brustkrebs und hat einige Rückfälle, ihre Schwester Manja erkrankt als junge Frau ebenfalls an Brustkrebs und stirbt mit 32 daran.
Pias Buch ist eine liebevolle Hommage an ihre verstorbene Schwester, von der sie in Rückblicken erzählt und deren Präsenz im gesamten Buch zu spüren ist. Pia erzählt ihre Geschichte vom Verdrängen der Möglichkeit, Genträgerin zu sein über den Gentest mit dem Ergebnis BRCA-1-Genträgerin zu sein und mit 86%iger Sicherheit vor ihrem 30. Geburtstag auch an Brustkrebs zu erkranken. Sie erzählt schonungslos offen von zig Operationen auf dem Weg zu neuen Brüsten, zu deren Wiederaufbau schlussendlich Eigengewebe aus dem PO anstelle von Silikon verwendet wird (Spoiler: Klingelt es bei der einen oder dem anderen eventuell schon an dieser Stelle, was es mit dem Buchtitel auf sich hat? …. PO = Ar…). Außerdem geht es um das Wagnis, das Pia und ihr Mann sich trotz eines minimalen, aber dennoch vorhandenen Rests an Krebsgewebe, für ein zweites Kind entscheiden.
Ich mag das Buch, weil…
Pia es schaffte, mich von der ersten Seite an komplett mitzunehmen. Ich konnte mich in ihre Gedankenwelt eindenken, fühlte die Liebe zu und Trauer ihrer Schwester absolut mit, verstand ihre Zerrissenheit „Test oder nicht“ und konnte mich voll auf ihre Freude über ihre unerwartete Schwangerschaft einlassen. Ich musste beim Lesen weinen, aber auch zigfach schmunzeln und ich kam ins Grübeln: „Was hätte ich in Pias Situation getan? Test? Auf das zweite Kind verzichtet?“ Ich weiß es nicht…
Als eingefleischter Sarah-Connor-Fan liebe ich die Textstelle, bei der Pia vorm Spiegel steht und das Lied „Wie schön du bist“ grölt und ihre körperlichen und seelischen Narben betrachtet und um ihre Schwester und sich selbst trauert und am Ende der Szene doch lacht, weil sie an ihre „haarige Pohaut in der Brust“ denken muss.
Unschlagbar ist Pias (Galgen-)Humor, der an so vielen Stellen in diesem Buch, von dem man vom Inhalt her gesehen sehr viele traurige, ängstliche und mutlose Zeilen erwartet, durchbricht. Egal, ob auf der Liege bei der Frauenärztin, in einer E-Mail an ihren Arzt, angesichts eines sehr straff sitzenden Oberteils oder zu enger Jeans und nicht zuletzt bei der Wahl des Buchtitels: Pia entschärft so manche unschöne Situation mit einem lockeren Spruch, wird dabei aber nie oberflächlich.
Pia hat eine scharfe Beobachtungsgabe. So hatte ich das das Gefühl, live mit ihr im Wartezimmer zu sitzen (Liebe Pia, ob der Wartezeit zu stöhnen liegt mir nicht und mit lautstarken Erzählungen über mein Schicksal würde ich dich wohl auch nicht nerven. Ich bin wie du der Typ „in einer Zeitschrift blättern und mich auf den neusten Stand von Klatsch und Tratsch bringen.), litt mit ihr mit, als ihr nach einer Operation einfach nur schlecht war und war zwischen Interesse und Ablehnung, als ich las worüber man sich im Wartezimmer bei einem Plastischen Chirurgen unterhält (Ich sag nur „kleiner Apfel“ oder „riesige Wassermelone“…).
Sie schafft es, einen die Liebe zu ihrer Familie, ihrem Mann Johannes und den zwei Mädels, Emma und Leni sowie Theo, den Sohn ihrer verstorbenen Schwester spüren zu lassen, ohne dass es zu kitschig-romantisch wird. Danke, Pia, dass es auch bei euch Streit, Krach und quengelnde Kinder gibt.
Ich ziehe meinen Hut vor Pia. Sie ist ein wahres Stehauf-Weiblein, das das Leben (an) wie es kommt, auch wenn es auf diesem 174-seitigen Ausschnitt ihres Lebens ganze fünf Operationen für sie bereithält. Sie möchte ihren Leser*innen mit ihrem Buch „ein positives Lebensgefühl mitgeben“, auch wenn sie alDas gelingt ihr in meinem Fall absolut und tausendprozentig.
Ich würde mich sehr, freuen wenn die eine oder der andere hier, nach dem Lesen meiner Rezension auf den Bestellen-Button klickt und mit Pias wundervolle Erkenntnis Bekanntschaft macht: „Das Leben läuft nicht wie im Fernsehen, schön, planbar und rosig. Es ist verrückt, unklar, faltig, schön und irgendwie auch immer gut.“
Zusatz-Gimmicks:
- Jedes der 27 Kapitel plus Einleitung und Danksagung hat eine Überschrift, der ich als Grundschullehrerin Applaus geben würde. Entweder etwas humorig wie z.B. „Fleischbeschau“ (Titel für das Kapitel, in dem Pia einen Beratungstermin in der Plastischen Chirurgie hat), „Brüste bauen“ (Kapitel über Pias Brustaufbau) oder „Quadratisch-praktisch“ (Kapitel über die Nachwirkungen ihrer ersten Brust-OP), kurz und bündig wie „Auszeit“, „Dreißig“ oder „Kinderwunsch“ oder knackig-klar wie „Der geschwollene Lymphknoten“ oder „Gendefekt und was nun?“ – jeder einzelne Titel hat was.
- Im Kapitel „Zeit, Abschied zu nehmen“ beschreibt Pia die Trauerfeier für ihre Schwester. Sie beschließt es mit einem Gedicht von Henry Scott-Holland, das sie für Manja vorgelesen hat, weil es „mir etwas Trost [spendete] und meine Hoffnung war, dass auch andere Trost in den Zeilen finden. Denn ich fand, dass auch meine Schwester es hätte sagen können.“
LESEPERLEN aus „Mama stimmt´s, du hast Arschbrüste?“
Herrlich ehrlich!
Das Gemeine am Leben ist, es geht einfach weiter. Es nimmt keine Rücksicht auf meine Situation, entschleunigt nicht und vor allem kann eine Krise nach der anderen über mich hereinstürzen. Ich frage mich inständig, wo der Pausebutton ist oder ich zumindest das Leben in einer guten Phase kurz speichern könnte.
Genauso ist es…
Erst in ein paar Tagen habe ich meinen Frauenarzttermin und kann erst da erfahren, was Sache ist [Pia hat einen geschwollenen Lymphknoten]. Nicht mal den Fernseher einschalten kann man, ohne mit dem Thema konfrontiert zu sein. Selbst eine Zeitschrift zu kaufen, entwickelt sich zur Tortur. Es gibt immer mindestens eine, die das Thema Krebs auseinandernimmt. Natürlich auch mit hetzerischen Überschriften. (…) Kurz google ich auch (…). Demnach hätte ich gleich eine Diagnose, die allen meinen Befürchtungen entsprochen hätte.
Sprachliche Fundstücke
Wirbelwindkinder = Als Pia einen geschwollenen Lymphknoten entdeckt, ist sie froh um jede Ablenkung. Leni und Emma, ihre beiden Töchter, halten sie (zumindest tagsüber) gut auf Trab und sie kann ihre Ängste beiseiteschieben.
Arschbrüste = Anders als geplant, ist es mit einer der Brustabnahme und dem Wiederaufbau ihrer Brüste nicht getan. Pia verträgt das Silkon nicht und so muss ihr Eigengewebe aus dem Po in die Brust implantiert werden. Pias ältere Tochter bekommt das mit und macht sich wohl ihren eigenen Reim darauf. Als Pia sie eines Tages vom Kindergarten abholt, ruft Emma ihr von Weitem zu: „Stimmt’s Mama, du hast Arschbrüste?“ Während die Erzieherinnen sich beschämt wegdrehten, fand Pia diesen Ausdruck genial und machte später daraus den Titel für ihr Buch. (Zusatzhinweis: Pia kreiert auch den Ausdruck „Plauzenbrust“ für eine Brust, die mittels Bauchfett aufgebaut wird.)
Superheldenumhang = Wer meine anderen Rezensionen kennt, der kennt die Geschichte von Ines Gillmeister und ihrem Mann Simon und ihre Star-Wars-Superhelden-Methapernwelt. Deshalb muss ich diesen Ausdruck auch in dieser Rezension unbedingt übernehmen. Pia wünscht sich einen solche Umhang, wenn sie wegen ihrer Narben oder Brüste angesprochen oder schlimmer noch, wenn beispielsweise im Schwimmbad hinter ihrem Rücken darüber getuschelt wird („Da ist wohl die Schönheitsoperation schief gegangen!“ – Hardcore-heftig, oder?). Dann ist sie, die eigentlich „immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat (…) einfach sprachlos und verletzt“ und „versucht, so zu tun, als hätte [sie] es nicht gehört.“. Sie würde sich dann gerne mit einem Umhang tarnen, um „klug, witzig und geschickt zu kontern“
Fastpatientin = Pia macht im Internet einen Arzt ausfindig, von dem sie sich Hilfe bei ihren schmerzhaften und optisch unschönen Nachwirkungen ihrer Brust-OPs erhofft . Nach zahlreichen negativen Erfahrungen mit Kliniken, Ärzt*innen und Kommentaren im Alltag ist sie allerdings recht frustriert und auch gehemmt. Sie macht sich darüber lustig, dass durch sie „die Anklickzahl der Seite rapide gestiegen ist“.
Supermario = So nennt Pia den Arzt, der bei ihrem Termin nicht nur lächelt und sie tatsächlich mit ihrem Namen anspricht, sondern sich auch noch richtig Zeit für ein Gespräch mit ihr nimmt.
Keksle = So bezeichnet Pia ihre Bauchbewohnerin Leni während ihrer zweiten Schwangerschaft.
Die Zeit heilt einen Scheißdreck: Nachdem die Krankenkasse eine weitere OP von Pia ablehnt und sie kurz vor ihrem 30. Geburtstag steht, überkommt sie der Schmerz um den Verlust ihrer Schwester und sie sinniert in einem Kapitel mit diesem Titel über das Sprichwort von der Zeit, die doch angeblich alle Wunden heilt. Denn manchmal hat man einfach das Gefühl, dass das absolut und nullkommannull stimmt. Und dann „wäre jedoch gerade jetzt das größte Geschenk eine Umarmung“ von der Person, die für immer aus dem Leben verschwunden ist.
Zu-Tisch-Frau = So nennt Pia die zuständige Beraterin der Krankenkasse, auf die sie auch nach „fünf Anrufen und 17 Weiterleitungen“ immer wieder verwiesen wird. Diese hat die Bewilligung für die Kostenübernahme für eine Operation abgelehnt, die zwei Wochen später stattfinden soll. Angeblich ist die Dame aber mehr als zwei Stunden lang in der Mittagpause bzw. wie vornehm ausgedrückt wird „zu Tisch“. (Spoiler: Der Rückruf kommt. Die OP wird abgesagt.)
Goldene Regel: An ihrem 30. Geburtstag erspäht Pia einen Karton, in dem definitiv etwas zum Anziehen drin ist. Diese Art von Geschenk verbietet sie allerdings seit ihrem 15. Geburtstag aus Angst vor der falschen Kleidergröße (und anschließendem Frust, weil zu klein). Ihr Mann Johannes hält sich nicht daran und überreicht ihr ein
Gruselgeschenk: Sie packt Regenjacken in den falschen Farben und den falschen Größen aus, lacht laut los und packt sie ohne sie anzuziehen zurück in den Karton.
Anti-Aging-Cremes und Oma-Bauch-weg-Schlüpper: Pia denkt darüber nach, was ihre Schwester ihr wohl zum 30. Geburtstag schenken würde. Dabei fallen ihr die Geschenke zu ihrem 18. Geburtstag ein.
Klöpse-Möpse = Am Tag vor ihrer vorstationären Aufnahme für eine weitere Operation ist Pias Familie bei Pias Eltern zu Abend. Es gibt Königsberger Klopse. Auf ihrem Teller „sind diese Mopsklöpse irgendwie meine Brüste (…) und es ist seltsam, sie zu essen“. Aber auch in dieser Situation zeigt Pia Humor, denn sie kann sich „das Lachen kaum verkneifen, zumal die Kapern wie Nippel aussehen.“
Chi-Chi-Operation: So nennt Pia die Operation, die “nur” aus optischen Gründen stattfindet, weil eine Brust wie eine „Dolly-Buster-Brust“ wirkt. (Spoiler: Sie misslingt und Pia hat auch im Anschluss noch „eine Arsch- und eine Plauzenbrust“.)
Humor statt Tumor
Eigentlich ist es tatsächlich eine Zeit, in der ich mich lieber unter Bergen von Decken und Kissen begraben möchte [Pias Mutter hat die dritte Krebsdiagnose erhalten, ihr selbst steht eine weitere Brust-OP bevor, sie steckt mitten in einem Umzug]. Doch ganz ehrlich, Sorgen- und Ärgerfalten sehen nicht nur furchtbar aus, sondern werden wohl jahrelange Botoxbehandlungen nach sich ziehen.
Gänsehautmoment
(…) Arzttermin. Überglücklich erzähle ich von meiner frischen Schwangerschaft und da psassiert es: „Haben Sie schon mal über Abtreibung nachgedacht? Sie wollen doch ihr Kind nicht der Gefahr [GenträgerIn zu sein] aussetzen?“Mir gefriert das Blut, der Atem und stockt unweigerlich greife ich mir an den Bauch. Ich muss mein Kind schützen… In Panik verlasse ich das Arzttzimmer. (…) Als ich auf der Straße stehe, zittert mein ganzer Körper los. Ich habe es nicht mehr unter Kontrolle. (…) Habe ich zu blauäugig entschieden? Aber ich liebe mein Kind schon jetzt.“
Positive Brillengläser:
Und wenn alles geschafft ist, kaufe ich einen BH. Einen ganz schicken. Ich bin glücklich, dankbar und zufrieden. Das Leben ist schön!
Insider-Wissen:
Pia engagiert sich bei Pink Ribbon und hat 2022 das erste Pink Kids Camp mitorganisiert und war als Betreuerin vor Ort mit dabei. Dieses Camp bietet Kinder von an Brustkrebs erkrankten Müttern die Möglichkeit eine Auszeit. Mehr Infos zu diesem tollen Projekt gibt es auf der Homepage von Pink Ribbon, direkt bei den Pink Kids und in den Story-Highlights von Pia.
Mehr über die Autorin:
Pia auf Instagram
Pia zusammen mit Christina von Pink Ribbon zu Gast im Podcast „Krebs als zweite Chance“
Ein Artikel über Pia auf Sächsische.de
Pia stellt sich auf Cancer Unites kurz vor.
Pia als Teilnehmerin bei der Glow-Up-Kampagne von Pink Ribbon und ZDF neo
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