Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Schritt für Schritt in Richtung Chemoglatze

Ich konnte seit der Diagnose alle Nebenwirkungen gut akzeptieren und hatte keine Angst davor. Aber die Tatsache, dass ich meine langen Haare verlieren werde löste in mir Panik aus. Die Vorstellung bald mit einer Glatze herum zu laufen – schrecklich. Dabei läuft es mir noch immer kalt den Rücken hinunter.

Wie oft habe ich die Aussage von Menschen gehört: “Es sind ja NUR die Haare.“ Ich würde mit so einem Satz auch bei anderen Betroffenen vorsichtig umgehen, denn die Haare sind für viele Personen sehr wichtig, ich denke gerade für Frauen. Mir war natürlich auch während der ganzen Therapie am Wichtigsten, dass ich wieder gesund werde aber dennoch löste der Haarverlust einiges in mir aus. Panik, Trauer, Wut und Verzweiflung kamen dabei in mir hoch.

Bevor ich überhaupt mit dem ersten Zyklus begonnen hatte, war es mir wichtig, dass ich eine schöne Perücke habe, mit welcher ich mich identifizieren kann. Eine Pflegerin von der hämatologischen Tagesklinik, gab mir den Tipp HOBI zu kontaktieren. HOBI ist eine hämatologische und onkologische Pflegeambulanz im AKH Wien. Diese stellen eine Ergänzung zum Gespräch mit den Ärzt*innen dar und dieses Angebot kann kostenfrei in Anspruch genommen werden. Hier der Link für weitere Informationen dazu: https://www.ccc.ac.at/patientinnen/pflegeambulanz/ueber-die-pflegeambulanz/

Somit kontaktierte ich HOBI und eine Pflegerin von diesem Team kam zu mir auf die Station. Sie stellten den Kontakt zu einer Firma, welche Perücken in Wien anbietet, her und vereinbarte mit ihnen einen Termin, dass sie zu mir auf die Station kommen.

Diese Firma kontaktierte mich, ich schickte ihnen Fotos wie meine Haare normalerweise aussehen und welche Wünsche ich bezüglich der Perücke habe. Somit kamen sie mit einigen Perückenmodellen, welche ich probieren konnte. Und tatsächlich war eine passende Perücke für mich dabei. Ich hatte bei dem Termin Unterstützung von der Freundin meines Bruder, welche für mich auch eine sehr gute Freundin und Unterstützerin ist. Gemeinsam haben wir eine Perücke ausgesucht, welche mir auch jetzt noch immer gefällt. Es war mir ziemlich egal was die Perücke kostet, hauptsache sie gefällt mir gut. Ich habe mich dabei für eine handgeknüpfte Kunsthaarperücke entschieden. Ein Teil der Kosten wurde von der Krankenkasse übernommen.

Die Perücke auszusuchen war für mich ein komisches aber auch erleichterndes Gefühl. Zu dem Zeitpunkt hatte ich ja noch meine eigenen Haare und insgeheim hatte ich bis zum Schluss die Hoffnung, dass mir die Haare vielleicht doch bleiben.

Schritt für Schritt in Richtung Chemoglatze

Diese Hoffnung wurde mir dann eine Woche nach dem ersten Zyklus Chemotherapie genommen. Es war ein Dienstag und ich kann mich noch ziemlich genau daran erinnern. In der Früh waren mehr Haare, als üblicherweise am Kopfpolster. Es war ein Riesenschock für mich meine langen Haare zu verlieren. Wenn ich darüber nachdenke war der Haarverlust für mich schlimmer, als die Tatsache, dass ich Krebs habe. Ich hatte empfunden, ab dem Moment wo ich meine Haare verliere, ist es wirklich offensichtlich, dass ich Krebs habe.

Am ersten Tag, wo ich mehr Haare am Kopfpolster hatte, sagte ich zu niemandem etwas davon. Ich schluckte es hinunter. Es kam mir vor wie ein schlechter Traum. Dann am Mittwoch wieder ein Haarbüschel am Kopfpolster. Ich erzählte es meinen Eltern und musste schrecklich anfangen zu weinen. Ich war maßlos überfordert mit der Situation. Meine Mama weinte mit mir, das tat gut. Da ich mich kurzzeitig so sehr in diese Situation hineinsteigerte, musste ich erbrechen. Danach ging es mir wieder besser.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mit meiner Schwester telefoniert habe und ihr erzählte, dass der Haarausfall startet. Wir haben beide am Telefon fürchterlich geweint und benötigten Zeit, bis wir uns beruhigten. Wenn ich diese Zeilen schreibe, drückt es mir wieder die Tränen hoch.

Eigentlich wollte ich meine langen Haare dann sofort abschneiden. Ich habe aber glücklicherweise auf den Rat meiner Mama gehört und noch etwas gewartet.

Am 12.7.2022, also 2 Wochen nach dem 1. Zyklus, startete der Haarausfall dann richtig. Jeden Morgen der Blick auf den Kopfpolster mit einem Büschel langer Haare. Horror. Das tat einfach nur weh. Ich wollte nicht, dass die Krankheit für alle Menschen ersichtlich wurde.

Ich brauchte mir nur mit den Händen durch den Zopf fahren hatte ich wieder ein Büschel Haare in den Händen. Meine Kleidung war voller Haare, wie ein haarender Hund habe ich mich teilweise gefühlt. Jedes Mal wenn mir jemand von meiner Familie und meinen Freunden näher kam hatte ich Angst, dass sie an meinen Haaren ankommen und wieder welche ausfallen. Am liebsten hätte ich sie gar nicht mehr gewaschen, denn bei jeder Haarwäsche verlor ich exstremst viele Haare und meine Kopfhaut wurde immer leerer.

Dann kam der Punkt an dem ich mich dazu entschied meine Haare kurz schneiden zu lassen. Die Therapeut*innen im Krankenhaus haben mir dazu geraten, da es so oft leichter zu verkraften ist. Und es war auch für mich der richtige Schritt. Meine langen Haare haben wir zu kleinen Zöpfen zusammen gebunden und abgeschnitten. Somit habe ich meine Haare heute noch immer zu Hause in einer Kiste aufbewahrt. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals davon trennen kann.

Sogar mit den kurzen Haaren hatte ich schon das Gefühl, jeder starrt mich an, obwohl es wahrscheinlich nicht mal so war. Aber ich konnte mich mit der Kurzhaarfrisur nicht richtig identifizieren. Ich bekam zwar viele Komplimente, was aber nichts daran änderte, dass ich meine langen Haare sehr vermisste. So pflegeleicht die kurzen Haare waren, ich kann es kaum erwarten wieder lange Haare zu haben. Schließlich kann ich damit auch meine Narben am Hals verdecken.

Kurz nach meinem 3. Zyklus wollte ich dann meine letzten Haare abrasiert bekommen. Die Haare waren einfach schon sehr, sehr dünn und ich spürte, dass jetzt für mich der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Ich war bereit für die Glatze, denn es war einfach nur mehr nervig, aufgrund des Haarausfalls, überall Haare kleben zu haben. Meine Hämatologin war sogar verwundert, dass ich überhaupt noch so lange nach Chemotherapiestart einige Haare hatte.

Am 12.8.2022 durften dann meine beiden Neffen, welche 7 und 4 Jahre alt sind, Frisöre spielen. Sie haben für mich die Situation leichter gemacht und es hat sogar Spaß gemacht. Zu Beginn hatten die beiden Burschen etwas Angst, dass sie mich schneiden könnten. Meine Mama zeigte es ihnen und dann waren sie begeistert bei der Sache. Es war mir sehr wichtig, dass Simon und Victor mir die letzten Haare abrasieren. Ziemlich bald nach der Diagnose habe ich mit den Beiden ausgemacht, dass sie mir die Glatze rasieren dürfen, wenn sie das wollen. Von Anfang an wussten meine beiden Neffen über die Erkrankung und die möglichen Nebenwirkungen Bescheid, sie wurden kindgerecht darüber aufgeklärt und das war auch die richtige Entscheidung. Kinder nehmen einen wie man ist und sagen auch immer die Wahrheit.

Zu Beginn waren sie etwas skeptisch, aber dann erzählten sie schon herum, dass sie bei mir Frisör spielen dürfen. Ich kann gar nicht sagen, wie stolz ich auf meine beiden Neffen bin. Sie sind einfach bewundernswert. Danke auch an meine Mama und meine ganze Familie, dass sie mich einfach immer zu 100% unterstützen.

Simon, mein größerer Neffe hat erst vor kurzem zu mir gesagt:“ Goli, du bist einfach die schönste Glatzenfrau“.

Das Video, wo ich meine Glatze bekomme, findest du unter folgendem Link:

https://www.instagram.com/p/CmBiNt9qaSU/

 

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Dann war es soweit, ich hatte die Chemoglatze. Die Erkrankung war ersichtlich. Ich wurde angestarrt und das oftmals nicht unauffällig. Den Mut mich anzusprechen, hatten viele Menschen nicht. Sie haben lieber gestarrt. Es war für mich sehr unangenehm. Ich habe mich gefühlt wie eine Aussätzige, wie ein Schauobjekt. Mir ist bewusst, dass es für viele Menschen nicht einfach ist, Menschen mit Krebs anzusprechen, weil sie nichts falsch machen wollen, aber zu starren macht es für kranke Menschen nicht leichter.

Meine Familie und Freunde haben mich zum Glück so genommen wie ich bin. Da Sommer war, hatte ich meine Perücke nie auf. Wenn ich in die Sonne ging entschied ich mich für ein Tuch, einen Hut oder eine Kappe. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, die auch hübsch aussehen können. Zu Hause bin ich einfach immer mit Glatze herum gelaufen. Die ersten Wochen setzte ich, wenn Besuch kam, immer ein Tuch auf, mit der Zeit verzichtete ich auch darauf.

Meine Perücke kam erst im Herbst in Verwendung, als es nicht mehr so heiß war. Wenn ich Essen ging, hatte ich oftmals zum Selbstschutz die Perücke auf, um nicht angestarrt zu werden. Es war für mich einfach angenehmer.

Im nächsten Beitrag schreibe ich über eine ganz besondere Überraschung, welche ich bekommen habe.

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