Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Verliere ich meine Haare?

Sind wir uns ehrlich…wir sind alle oberflächlich. Und ich ganz besonders.

 

Ich habe es vorab schon geahnt, aber im Nachhinein kann ich es mit 100 prozentiger Sicherheit sagen: Sämtliche Nebenwirkungen der Chemo konnte ich problemlos meistern. Egal ob Verstopfung oder die sich beinahe ablösenden Fingernägel, unter denen der Eiter hervorquoll (Ja ich weiß, schön umschreiben geht anders, aber ich bin eher die Kategorie „Immer schön ehrlich“). Aber dann war da das haarige Problem.

 

Nach Chemo zwei bemerkte ich, dass das Haarewaschen irgendwie anders war. Ich hatte das Gefühl meine lange Haarpracht, die mich beinahe mein ganzes Leben lang begleitet hat, war tot. Nach Chemo drei war es schließlich so weit. Als ich versuchte meine Haare zu kämmen, war die Bürste voll. Mir vielen sie nicht in Klumpen aus, wie man das so oft sieht, aber bei jedem Bürstenstrich gingen mehr und mehr Haare aus. Und auf einmal war das ganze Waschbecken voller Haare – und ich meine wirklich voll, mein Zopf dafür nur noch halb so dick. Da wusste ich, der Gang zum Friseur war unausweichlich. Vorab habe ich mir schon eine Perücke organisiert, war aber nur minimal begeistert. Erstens war das gute Stück mit über 700 Euro sehr teuer – ja, ich habe von der Krankenkassa einen Teil rückerstattet bekommen – und nicht wirklich up-to-date. Bei meiner Erstdiagnose war ich 29 und das Perückenangebot ist doch eher für eine Zielgruppe jenseits der 60. Dementsprechend viel auch mein Enthusiasmus aus.

 

Der Tag der Rasur war dann logischerweise alles andere als schön. Zwar hatte ich die Möglichkeit zu einem befreundeten Friseur zu gehen, der mich nicht in den Salon holte, wo mir dann schön die ganzen Welt dabei zusehen konnte, wie ich den ultimativen Krebs-Stempel bekam, sondern wo ich in privaten Ambiente ganz allein mit meinem Schicksal fertig werden durfte. Und mein Schicksal schrie mir ganz laut ins Gesicht „Du bist hässlich“. Hut ab vor jeder Frau, die die Courage hat, „oben ohne“ rauszugehen oder ihre Perücke halbwegs gerne trägt. Aber ich gehörte nicht dazu. Ich fühlte mich furchtbar und blieb am liebsten einfach nur daheim. Dabei hatte ich noch „Glück im Unglück“. Da meine haarlose Zeit im Winter war, konnte ich das Modell „Oma hat langes Haar“ gekonnt mit einer Haube kombinieren und für den Außenstehenden war wirklich kaum zu erkennen, dass das nicht meine Haare sind. Trotzdem. Ich wusste es, und das reichte mir.

 

Bei meiner zweiten Chemo hatte ich das Glück, dass meine Haare zwar dünner wurden – ehrlich gesagt ließ mich dies auch verzweifeln – aber nicht ausfielen. Ich wäre aber trotzdem besser gewappnet gewesen. Und zwar mit einem Haarband. Selbst eine Krebs-Überlebende, setzte sich die Firmengründerin zum Ziel, eine attraktive Alternative zu den verstaubten Perücken zu kreieren. Und das ist ihr gelungen.

 

Ich möchte mich hier weder als armes Hascherl hinstellen, das so eine harte Zeit ohne Haare hatte, noch Werbung für jenes Haarband machen. Was ich aber machen möchte ist die Industrie wachrütteln. Krebs ist scheiße, oh ja. Und er wird noch beschissener, wenn man sich mit Dingen herumschlagen muss, die eigentlich kein Problem darstellen sollten. Altersgerechte Perücken zum Beispiel. Obwohl es in einer finanziell angespannten Situation ein ziemliches Loch ins Budget reißt, sind viele dazu bereit Geld für den Haarersatz auszugeben. Ehrlich gesagt, würde ich es angemessen finden, wenn sich die Krankenkassa hier ein wenig spendabler zeigt, aber das ist dann einen eigenen Eintrag wert, aber okay, wenn das Resultat passt, zahle ich. Aber durch die Welt zu stapfen und auszusehen wie von der Brady-Family? Nö, das ist nicht so prickelnd. Der Blick in den Spiegel jeden Morgen ist hart genug. Keine Augenbrauen, keine Wimpern, keine Haare. Da sollte man sich doch ein bisschen besser fühlen, wenn man sich das Haupthaar umschnallt. Denn sich ein halbes Jahr völlig von der Welt zu verstecken – so wie ich es tat – und sich zu fühlen wie der Glöckner von Notre Dame ist absolut unnötig.

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