Von der Notwendigkeit schriftlicher Verfügungen
Hallo zusammen,
wer füllt schon gerne Formulare aus oder beschäftigt sich mit dem, was vielleicht sein könnte oder später eintritt? Es gibt mittlerweile keine Lebenssituation für die nicht eine Absicherung, eine Versicherung oder eine Finanzierung auf dem Markt angeboten wird. Neuestes Highlight der Finanzbranche die „Krebs-Versicherung“. Doch wie verhält es sich mit dem eigenen Leben bezogen auf Krankheit und Tod? Wer kann mir in meinem Namen helfen, wenn ich zu schwach bin? Wie möchte ich bei auswegloser Krankheit behandelt und betreut werden? Wie kann ich meine Wertvorstellungen bei schwerer Krankheit durchsetzen? Diese Fragen waren vor meiner Krebserkrankung nicht existent, meine Gesundheit erschien mir grenzenlos robust und von Dauer beschieden. Ich glaubte einer Vorstellung nahezukommen, wie mein Körper beschaffen sein sollte: nämlich gesund, schlank, „frisch“ und trainiert, ganz im Sinne des gesellschaftlichen künstlichen Ideals.
Mittlerweile sehe ich dies aus einer anderen, geradezu erschreckenden Realität! Liebe Leser, die Selbstbestimmung kann von heute auf Morgen enden, ohne Vorankündigung und Planbarkeit. Zu jedem Zeitpunkt für mich selbst zu sorgen beinhaltet auch meinen Willen für Behandlungstherapien und meinen Tod festzuhalten. Ich habe eine Patientenverfügung inkl. einer Vorsorgevollmacht vereinbart, notariell beurkundet und „griffbereit“ abgelegt. Vergleichbar mit der Aufnahme im Krankenhaus der Intensiv- und Palliativstation bei der eine aufmerksame Pflegekraft die Antwort auf die Frage, „Im Sterbeprozess möchten Sie geistlich durch einen Pfarrer begleitet werden?“ oder „Möchten Sie die letzte Ölung empfangen?“ (Sakrament der Krankensalbung), in Ihr Notizbuch aufmerksam notiert.
“Ist einer unter euch krank, dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich;
sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben.
Das gläubige Gebet wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten;
und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben.“
Jakobus 5, 14.
Mit einer schriftlichen Patientenverfügung (https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Patientenverfuegung.html )können Patienten für den Fall ihrer Entscheidungsunfähigkeit in medizinischen Fragestellungen im Voraus festlegen, dass in einer bestimmten Situation vorgeschriebene medizinische Maßnahmen durchzuführen oder zu unterlassen sind. Dies stellt sicher, dass der Patientenwille zur Umsetzung gelangt, auch wenn er in der aktuellen Situation nicht mehr geäußert werden kann.
Fehlt ein schriftlich formulierte Patientenwille, sind Ärzte dem Grundsatz verpflichtet, alle denkbaren lebenserhaltenden Maßnahmen einzuleiten. Kommunikative Differenzen über Art und Umfang der Behandlung können so zwischen Angehörigen und medizinischem Fachpersonal entstehen. Ohne Patientenverfügung ist es für Ärzte im Ernstfall nicht möglich, den Behandlungswunsch eines geschäftsunfähigen Patienten zu kennen, denn kein Arzt in Deutschland darf über Leben und Tod entscheiden und die Lebenswürdigkeit eines Patienten nach eigenen Maßstäben beurteilen.
Wie wichtig eine Patientenverfügung ist zeigt sich in nachfolgender Konstellation: können sich – bei besonders folgenschweren Entscheidungen –Vertreter (zumeist Angehörige) und der behandelnde Arzt nicht darüber einigen, ob die beabsichtigte Entscheidung auch tatsächlich dem Willen des betroffenen Patienten entspricht, muss der Vertreter die Genehmigung des Betreuungsgerichts einholen.
Die gesetzliche Grundlage für die Patientenverfügung ist der § 1901a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der die Rahmenbedingungen für den Umgang mit einer Patientenverfügung regelt. Patientenverfügungen sind in Deutschland für Ärzte gesetzlich verpflichtend. Ein Abbruch lebenserhaltender Behandlung auf der Grundlage des Patientenwillens ist nicht strafbar (zum Nachlesen Mitteilung der Pressestelle des Bundesgerichtshofes: https://www.dgpalliativmedizin.de/images/stories/PMBGH.pdf )
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Jahr 2016 die bestehende Rechtsprechung konkretisiert, dass pauschale Formulierungen wie “keine lebenserhaltenden Maßnahmen” nicht ausreichen. Die Ausführungen in der Patientenverfügung sollten möglichst konkrete Anweisungen zu den Themen künstliche Ernährung, künstliche Beatmung, Schmerzbehandlung, Wiederbelebung, Organspende sowie zu weiteren medizinischen Fragen enthalten. Eine passive Sterbehilfe (Therapieverzicht) und indirekte Sterbehilfe (Symptomlinderung begleitet von möglicher Lebensverkürzung) sind erlaubt.
Mit der Vorsorgevollmacht wird eine Vertrauensperson für den Fall der Geschäfts- und/oder Einwilligungsunfähigkeit des Vollmachtgebers für bestimmte Bereiche, z. B. für die gesundheitlichen und finanziellen Angelegenheiten, bevollmächtigt. Mein Bevollmächtigter wird zum Vertreter meines Willens. Er verschafft meinem Willen, falls ich die Einwilligungsfähigkeit verliere, Ausdruck und Geltung.
Hinweis: für manche Rechtsgeschäfte muss eine Vollmacht für ihre Wirksamkeit im Rechtsverkehr beglaubigt oder notariell beurkundet werden. Um einer juristischen Anfechtung des Patientenwillens vorzubeugen, ist es empfehlenswert, dass ein Arzt die unzweifelhafte Einwilligungsfähigkeit des Verfassers der Patientenverfügung mit Unterschrift und Datum bestätigt.
Eine Betreuungsverfügung ist eine für das Betreuungsgericht bestimmte Willensäußerung einer Person für den Fall der Anordnung einer Betreuung. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn ein Patient infolge einer Krankheit seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht mehr selbst besorgen kann, eine Vorsorgevollmacht nicht vorliegt und deshalb ein Betreuer bestellt werden muss.
Ab 1. Januar 2023 tritt eine Gesetzesnovelle in Kraft, die Ehegatten das sogenannte Notvertretungsrecht ermöglicht. Auch wenn keine Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht vorliegt, können Verheiratete dann Entscheidungen über die Behandlung des erkrankten Ehepartners treffen, sofern er bewusstlos oder krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, diese Entscheidungen selbst zu treffen. Das Recht zur Gesundheitsfürsorge ist auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt. Nach Fristablauf wird ein gerichtlich bestellter Betreuer eingesetzt.
Ein selbstständiges Leben verbunden mit Selbstbestimmung und Selbstverantwortung stellt hohe Anforderungen an jeden von uns, ganz besonders aber auch an Menschen mit einer chronischen Erkrankung. Ich glaube je unfreier ein Mensch ist, desto mehr ist seine Gesundheit in Gefahr. Informieren und sprechen Sie aktiv über Ihre Wertvorstellungen, holen Sie Rat bei Ihrem Hausarzt ein (Sicherstellung der medizinisch fachkundigen Basis) und scheuen Sie nicht eine schriftliche Verfügung zu verfassen. Eine Patientenverfügung erhält meine Würde und meine Lebensqualität anstelle eines Überlebens um jeden Preis.
„Was die Würde am Lebensende ausmacht, kann nie ein Dritter entscheiden.“
Dr. Wolfram Proksch
An alle Krebsler: „never give up“!
Euer
Christian
Zur Vertiefung:
https://www.katholisch.de/artikel/26447-warum-die-krankensalbung-mehr-ist-als-die-letzte-oelung
https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Betreuungsrecht.html?nn=6425014#download=1
https://www.bmj.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Patientenverfuegung.pdf?__blob=publicationFile&v=43