Annette fragt… Anna Farris
Cannabis in der Onkologie
Hallo zusammen,
die schwarze Komödie Grasgeflüster aus dem Jahr 2000 zeigt wie einfach der Anbau von Marihuana (weiblicher Hanf) ist. Selbst in Töpfen liebt die einfach zu kultivierende Hanfpflanze PH basisches wässriges Erdreich und Sonnenlicht; lateinisch Cannabis Sativa L, gehört botanisch gesehen zur Familie der Hanfgewächse, der Cannabinaceae. Die medizinische Verwendung von Cannabis, seit der Antike anerkannte Heilpflanze, hat in den letzten Jahren in Europa und Nordamerika an Zuwachs gewonnen. Cannabinoide (THC, CBD) sind sowohl als Fertigarzneimittel als auch in Blüten- und Extraktform verfügbar. Nichtsdestotrotz scheint der medizinische Umgang ebenso wie eine suffiziente Einordnung der verfügbaren und stetig wachsenden wissenschaftlichen Daten/ Studien viele Ärzte zu erschrecken. Meine Recherchearbeit gestaltet sich schwierig, zeitaufwendig, ein Dschungel voller Informationen und Daten, im Dickicht die Überraschung, was für Möglichkeiten und Ergebnisse mittlerweile mit Cannabis erzielt werden.
Die ältesten antiken ägyptischen Artefakte, in denen Cannabis als Medizin erwähnt wird, finden sich im Ramesseum Papyrus aus dem Jahr 1700 v. Chr. Im Ramesseum III Papyrus wird Cannabis als Hilfe bei der Behandlung von Glaukomen, Grauem Star, Hämorrhoiden, Vaginalblutungen und sogar als Hilfe zur Linderung der Krebssymptome erwähnt.
3707 Jahre später der Erkenntnisdurchbruch: „Der Nutzen einer Therapie mit Cannabinoiden ist für einige medizinische Indikationen durch kontrollierte Studien dargestellt worden, in denen überwiegend standardisierte und/oder synthetische Cannabinoidpräparate verwendet wurden. Der Einsatz dieser Präparate kann demnach bei Patienten, die unter einer konventionellen Behandlung keine ausreichende Linderung von Symptomen wie Spastik, Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen oder Appetitmangel haben, sinnvoll sein“ (Quelle: Stellungnahme der Bundesärztekammer, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zu den Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Medizinische Verwendung von Cannabis erleichtern“ vom 27. 11. 2007 und der Fraktion Die Linke „Cannabis zur medizinischen Behandlung freigeben“ vom 25.06.2008. Ausschussdrucksache 16(14)0420(9). Deutscher Bundestag, Ausschuss für Gesundheit)
Im Mai 2011 wurde mit der Verkündung der 25. Verordnung zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften im Bundesgesetzblatt, Cannabis legalisiert, sofern es für die Zubereitung von Arzneimitteln verwendet wird; eine verkehrsfähige und cannabishaltige Fertigarzneimittel ist verschreibungsfähig. Seit dem 10. März 2017 können Ärzte in Deutschland darüber hinaus ihren Patienten auch Cannabisblüten und Cannabisextrakte verschreiben. Mit der kleinen aber wesentlichen Einschränkung, dass die Krankenkassen die Kosten nur unter gewissen Umständen (unüberwindbare Hürden – zweifelhafte Rolle des medizinischen Dienstes) übernehmen.
Die Behandlung mit Cannabis und seinen Wirkstoffen sollte aus meiner Sicht Standard in der komplementären und palliativen Onkologie sein. Offizielle Zahlen zum gesamten medizinischen Cannabis-Konsum in Deutschland gibt es leider seit 2017 nicht, seltsam wird doch in Deutschland eigentlich alles statistisch erfasst.
„Mach das Beste das Du kannst aus dem indischen Hanfsamen und säe ihn überall.“
George Washington (1732-1799)
Erstmals wurden im Jahr 2017 vorläufige Ergebnisse einer Studie veröffentlicht, die zeigte, dass Cannabis nicht nur im Tierversuch, sondern auch beim Menschen das Krebswachstum hemmen und das Überleben verbessern könnte. Im Frühjahr 2018 wurde eine Studie aus Israel veröffentlicht. Etwa 3.000 Krebspatienten waren zwischen 2015 und 2017 mit Cannabis behandelt worden. Das Ergebnis zeigt, dass Cannabis viele Symptome lindern kann, die bei einer Krebserkrankung auftreten können, darunter Schlafstörungen, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Schwächegefühl und Schmerzen. (Quelle: DZO Deutsche Zeitschrift für Onkologie 04/2018). Die palliative Therapie von AIDS und Krebserkrankungen mit cannabisbasierten Medikamenten ist aufgrund der klinischen Datenlage weitgehend akzeptiert.
In Cannabis wurden bisher mehr als 500 chemische Verbindungen entdeckt. Cannabinoide, die von Pflanzen wie der Cannabispflanze hergestellt werden, heißen auch Phytocannabinoide. Allen gemeinsam ist ein charakteristisches chemisches Grundgerüst (C21H30O2). Die Cannabinoide, die neben THC und CBD am häufigsten vorkommen, sind Cannabinol (CBN), Cannabigerol (CBG), Cannbichromen (CBC). Phytocannabinoide können im menschlichen Körper an bestimmte Rezeptoren, die Cannabinoidrezeptoren, andocken und auf diese Weise biochemische Prozesse auslösen.
- Typ-1-Cannabinoid-Rezeptoren (CB-1) im zentralen Nervensystem.
- Typ-2-Cannabinoid-Rezeptoren (CB-2) im Immun-, Verdauungs- oder dem Fortpflanzungssystem sowie in Knochen, Haut, Lunge, hormonalen Drüsen oder in den Augen.
Je nachdem, welche Rezeptoren angesteuert werden und welche biochemische Reaktion dadurch verursacht wird, sind die Wirkungen vielfältig.
Liebe Krebsler ihr kennt die Schmerzen, die der Tumor und geschädigte Nervenzellen entsenden. Besonders im fortgeschrittenen Stadium, haben wir oft mit den Nebenwirkungen der Therapie und erheblichen Schmerzen zu kämpfen, die Opiate (Tilidin, Dehydrocodein, Morphin, Oxycodon, Buprenorphin, …) allein nicht mehr lindern können. Über die Nebenwirkungen der Opiate möchte ich gar nicht erst berichten. Auch haben nur wenige Tumorpatienten immer gleich starke Schmerzen. Das ist dann der Startschuss für medizinisches Cannabis, welches den Vorteil hat, dass die Suchtgefahr sehr gering ist und auch die Wirksamkeit bei Langzeittherapien erhalten bleibt. Liebe Leser das ist die Theorie, die Praxis zeigt ein anderes Bild. Vorurteile und Mythen verhindern einen offenen Umgang mit Cannabis. Oft wird Cannabis erst eingesetzt, wenn die klassischen Lösungen die Schmerzen nicht (mehr) lindern können und die aktuelle Behandlung keinen Erfolg verspricht. Aus meiner Sicht ein viel zu später Zeitpunkt. Der behandelnde Arzt muss des Weiteren belegen, dass der Cannabiseinsatz beim jeweiligen Patienten eine Verbesserung der Beschwerden auslösen kann. Erst nach Genehmigung der Krankenkasse ist es dann möglich Krebspatienten Cannabis in medizinisch reiner Qualität in verschiedenen Varianten zu verschreiben.
„Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen.
Unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen.“
Marie von Ebner-Eschenbach (1830-1916)
Ganz ohne Nebenwirkungen kommt der Cannabisgebrauch nicht aus. Häufig treten in Abhängigkeit von der Dosis Wirkungen auf das zentrale Nervensystem auf, wie bspw. Stimmungsänderungen (Euphorie ebenso wie Dysphorie), Gedächtnisstörung, verschwommenes Sehen und Schwindel. Allerdings ist das Risiko für Arzneimittelinteraktionen der verschiedenen Zubereitungen aus medizinischem Cannabis und Cannabinoiden gering.
Liebe Krebsler sprecht frühzeitig das Thema Cannabis mit Hausarzt und Onkologe an. In jedem Therapiekonzept sollte der Einsatz von Cannabis geprüft werden. Lehnen Sie keine schulmedizinische Therapie ab, dies verhindert eine Kostenübernahme. Und ohne eine fundierte ärztliche Begründung wird der Antrag mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Krankenkasse abgelehnt.
Hinweis: https://www.aerzteblatt.de/archiv/127598/Das-therapeutische-Potenzial-von-Cannabis-und-Cannabinoiden
Wichtige Richtlinien/Grundlagen für Begutachtungen und Qualitätsprüfungen Cannabinoide durch den MD der Krankenkasse: https://md-bund.de/richtlinien-publikationen/richtlinien/grundlagen-fuer-begutachtungen-und-qualitaetspruefungen/cannabinoide.html
An alle Krebsler: „never give up“!
Euer
Christian
Quellen:
Cannabis und Cannabinoide als legale Arzneimittel – Eine Übersicht aus pharmazeutischer Perspektive: https://www.ppt-online.de/heftarchiv/2020/03/cannabis-und-cannabinoide-als-legale-arzneimittel-eine-ubersicht-aus-pharmazeutischer-perspektive.html
WHO Stufenplan für Schmerzen: https://www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/palliativtherapie/schmerzen-wirksam-bekaempfen/stufentherapie-gegen-den-schmerz.html
Cannabissorten in Deutschland und ihre Inhaltsstoffe: https://www.arbeitsgemeinschaft-cannabis-medizin.de/2019/03/07/cannabissorten-und-ihre-thc-und-cbd-gehalte/
Dr. Gunnar Sperveslage, Dr. Katharina Stegbauer: Papyrus Ramesseum III. In: Science in Ancient Egypt. URL: https://sae.saw-leipzig.de/de/dokumente/papyrus-ramesseum-iii?version=33
Elbaz M, Nasser MW, Ravi J et al (2015): Cannabidiol inhibiert den EGF/EGFR pathway, Molecular oncology 9:906 919
Murase R, Kawamura R, Singer E et al (2014): Cannabidiol reduziert die Metastasen und verlängert das Überleben, Br J Pharmac 171:4464 4477
Takeda S et al (2012): Cannabidiolic acid verhindert Zellmigration, Toxical Lett 15;214(3):314 319
Farsabdaj N, Ghahremani MH, Ostad SN (2012): Cannabinoide und Vanilloid Rezeptoren bei der Invasion von human breast carcinoma cells, J Envir Patho Tox Oncol 31(4):377 387