Erleichterung vs. Belastung
Mein größte Herausforderung
Mein letzter Blog Eintrag ist bald 1 Jahr her. Was sich alles in diesem Jahr getan hat – Wahnsinn! Ziemlich kurz nach meinem letzten Eintrag hat sich herausgestellt dass meine Schmerzen in den Gelenken keine chronische GvHD, sondern Osteonekrosen waren – im August ist mir der rechte Hüftkopf dann eingebrochen und ich habe als Notfall eine Hüft Totalendoprothese (TEP) bekommen. Dank umbuchen auf Business Class und Rollstuhl konnten wir trotzdem noch zur Hochzeit meiner besten Freundin nach Kanada fliegen und hatten 2 wunderschöne Wochen dort, die ich und wir als Familie dringend gebraucht haben. So konnte ich auch nochmal Kraft tanken für die kommenden Monate, die wirklich hart waren: im Oktober kam die 2. Hüfte, im November die linke Schulter und im Februar 2024 die rechte Schulter. Die OPs haben alle komplikationslos geklappt, allerdings hieß es jedes Mal vom Operateur, dass er so ein kaputtes Gelenk noch nie gesehen hat… Die Schultern sind eine langwierige Geschichte, komplett wie vorher wird es eher nicht mehr sein, und ich rechne mit 9-12 Monaten, bis der Bewegungsradius nicht mehr eingeschränkt ist. Auto fahren geht aber seit Ende April wieder und dass ist eine wahnsinnige wiedererlangte Freiheit! Die Hüften waren einfacher, da konnte ich nach 2 Wochen wieder recht gut laufen, nach 2 Monaten wieder längere Strecken, Bus /Zug fahren, etc. Die rechte Seite ist komplett schmerzfrei, die linke Seite hat von Anfang an immer wieder Probleme gemacht (links wurde vor 10 Jahren aber auch das Kreuzband gemacht, vielleicht spielt das mit rein). Gerade Ende Mai hatte ich wieder ziemlich Schmerzen, sodass wir erst befürchtet haben dass die Prothese locker ist… Ein paar sehr unschöne Tage – nachdem es wochenlang Aufwärts ging, so ein physischer und vor allem psychischer Rückfall. Mitte Juli hab ich noch mal ein MRT (frühester Termin) um es sicher abzuklären, aber der Operateur ist sicher, dass es eher muskulär oder eine Schleimbeutelentzündung ist und man erstmal konservativ behandelt (und das MRT abwartet). Wird langsam auch wieder besser. Aber das hat mir absolut den Wind aus den Segeln genommen. Mich wieder in ein absolutes Loch gestürzt. Und es tut mir so leid, vor allem für meine Familie. Wir sind alle so müde von den letzten 2.5 Jahren. Würden so gerne all das hinter uns lassen und einfach nur positiv nach vorne schauen. Sieht ja eigentlich auch ganz gut aus. Aber ich habe tatsächlich verdammte Angst vor dieser nach außen hin rosigen Zukunft. Angst, meinen “offensichtlich schwer krank” Status zu verlieren. Angst wieder in die Welt der Gesunden Menschen zu kommen und nicht mithalten zu können. Die Angst vor der lockeren Prothese hat gezeigt wie fragil diese rosige Zukunft ist. Wie fragil ich bin. Ich habe Angst, den normalen Alltag nicht bewältigt zu bekommen. Als es die letzten Wochen aufwärts ging, hatte ich nach so langer Zeit endlich wieder das Gefühl, auch geben zu können, nicht nur nehmen. Das hat so gut getan. Und dann kommt wieder so ein Absturz. Ich fühle mich wie gelähmt, am schlimmsten ist es zu Hause, wo es am offensichtlichsten ist, was ich alles nicht hinkriege. Dabei liebe ich doch mein zu Hause und meine Familie. Und trotzdem fühle ich mich zu Hause wie eine Versagerin. Auch wenn man es mir nicht mehr so direkt ansieht, bin ich verdammt verletzlich. Ich lese gerade das Buch “Ethik der Verletzlichkeit” von Giovanni Maio. Sehr interessante Gedanken. Ich ertappe mich selbst dabei, wie ich jahrelang Verletzlichkeit als rein negativ empfunden habe. Dabei ist Verletzlichkeit nicht nur Gefährdung sondern auch Befähigung zur Entfaltung und Entwicklung. Vorausgesetzt wir leben in einer Sorgekultur, so Maio. In der Krebsbubble war sie da, diese Sorgekultur. Ich war ganz klar Teil einer vulnerablen Gruppe, auf die besonders Rücksicht genommen wurde. Umso mehr habe ich Angst, wieder in den ganz normalen Alltag zu kommen, raus aus der Krebsbubble. Auf der anderen Seite will ich so gerne wieder ein bisschen Alltag und Routine wieder haben. Ich will Leichtigkeit und Antrieb. Appetit auf das Leben und auf das Essen. Kochen und gut Essen war immer so wichtig für mich und auch für uns als Paar. Nachdem ich wochenlang auch wieder Lust darauf hatte und zack 5kg zugenommen hatte ist es jetzt seit Ende Mai wieder extrem schwankend und, zack, 3kg wieder runter…zum ersten Mal in meinem Leben würde man mich denke ich als schlank bezeichnen, über 15kg weniger als vor der Diagnose. Das ist schon schön. Ich sehe wirklich gut aus. Der Preis ist aber ziemlich hoch. Und der Weg dahin nicht freiwillig und empfehlenswert. Erschafft ein äußeres, gesundes Bild, dass so gar nicht mit meinem Inneren zusammenpasst. Eine Zwickmühle. Das Schlimmste an der Appetitlosigkeit ist aber die Unlust zu Kochen. Da fällt ein großer Teil meiner Identität weg. Da fällt bei uns echt Paarzeit weg. Und ich würde so gerne mit Kochen was zu unserem Alltag beitragen… Mit dem Krebs und auch den Osteonekrosen bin ich recht gut zurecht gekommen. Das konnte ich handeln. Die Depression (oder ein Mix aus Depression /Rekonvaleszenzphase/Fatigue) ist meine größte Herausforderung. Als erstes hatte ich da “Endgegner” statt “größte Herausforderung”. Passt auch ganz gut. Aber ich versuche bewusst, der Situation nicht so viel Macht und Bedrohlichkeit zu geben. Damit ich mich traue, diese Herausforderung anzunehmen. Die liebe Annette https://www.influcancer.com/blogs/blog-autoren/eulenspiegel/ hatte dazu ein paar sehr schöne Gedanken – Danke für deine Inspiration! https://www.influcancer.com/blog/ein-ewiger-kampf-ein-stetes-muss-krebsmetaphern-auf-der-spur/Ich habe tatsächlich keine Angst vorm Tod. Ich habe sehr viel schönes in meinem Leben erlebt. Aber ich habe verdammt viel Angst vor der Depression. Wie sie meine Identität raubt. Wie viel Leid sie bringt, auch für das Umfeld. Ich kenne die Depression schon lange als Angehörige und weiß wie toxisch sie ist, nicht nur für die betroffene Person sondern auch für ihr Umfeld. Wieviel Wut ich hatte und habe. Ich habe Angst, dass ich mit meiner Depression jetzt so viel Wut und Leid in die Welt bringe. In das Leben meiner Tochter. Und als Angehörige weiß ich wie hart und lange dieser Weg aus der Depression ist. Sie wiederkommen kann. Und ich fühle mich doch so erschöpft. Ich weiß, dass ich nicht alleine bin – laut dem Kurvenkratzer-Artikel “Doppelbelastung aus der Hölle – Depression und Krebs”https://www.kurvenkratzer.com/magazin/depression-krebs/ leiden bis zu 46% der Krebserkrankten an einer Depression. Ich habe die Checkliste “Selbstwirksam aus dem Sumpf” https://www.kurvenkratzer.com/wp-content/uploads/2023/02/depression-Aus_der_Depression_Checkliste.pdf von Kurvenkratzer (ihr seid echt toll). Schreiben tue ich gerade. Teile meine Gedanken und Gefühle. Tausche mich Online und in Selbsthilfegruppen aus. Bin in psycho(onko)logischer Behandlung. Am “nicht so hart mit mir sein” muss ich definitiv noch arbeiten. Um wieder zur “Ethik der Verletzlichkeit” zu kommen: ich will lernen, auch diese Depression und die damit verbundene Verletzlichkeit als Chance und Befähigung zur Entfaltung und Entwicklung zu sehen. Ich hoffe auf eine Sorgekultur. Für nicht so offensichtlich vulnerable Gruppen. Eigentlich für alle Menschen. Die stark genug ist diese kommende harte Zeit auszuhalten und aufzufangen. Um mich herum geht das Leben weiter. Ich will auch daran teilhaben und mein Mantra #focusonthegood (das ich von der lieben Inga https://www.instagram.com/kre.bs.ative/ und https://www.influcancer.com/blog/annette-fragt-inga-herrmann/hab) wieder wirklich spüren. Ich will wieder die Kraft haben, Teil der Sorgekultur zu sein und nicht nur Empfängerin.