Krebszellen sind kleine Assis
Still und heimlich geschieht es im Inneren, es ist nicht spürbar, die Katastrophe auf die man zusteuert. Leider gibt es gerade bei jeglichen Blutkrebserkrankungen keine Möglichkeit der Früherkennung.
1,5 Jahre blieb MDS ein händelbarer Begleiter, der mich meinen Alltag und vor allem mein Leben großteils normal weiterleben ließ. Dann und wann gab es blaue Flecken, wenn ich zuviel Stress ausgesetzt war, Atemnot wenn ich es beim Sport übertrieben habe oder Erschöpfung wenn die Tage zu voll waren. Ich schenkte ihm nicht die große Aufmerksamkeit und Bühne, denn immerhin stand noch immer ich im Mittelpunkt meines Lebens und das ließ ich mir sicher nicht von so einem Syndrom nehmen. Einmal in der Woche ging es zur Blutbildkontrolle ansonsten weigerte ich mich mein Leben und vor allem meine Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung durch ein unaussprechliches Syndrom kontrollieren zu lassen.
Während ich also beschäftigt war mit dem was man “Kontrolle über das eigene Leben behalten”, bezeichnen würde, entschied sich mein Körper dazu, dass ich noch immer nicht kapiert habe, was wirklich zählt im Leben (Kleine Lektion fürs Leben war also vorprogrammiert). Allen, die denken eine schwere Diagnose lässt das Leben schlagartig auf Pause stellen, möchte ich hiermit sagen, dass immer ihr selbst die Fernbedienung in der Hand habt und wieder auf Play drücken könnt. 1 Jahr nach meiner Diagnose stand ich da mit einem Masterabschluss in der Hand, einer Traumhochzeit in weiß und einer Abenteuerreise ins ferne Mexiko. Die graue Wolke über mir war immer da und keine Frage, sie lässt sich nicht einfach wegschieben, denn wer Sonne will, muss auch mit den Regenwolken klarkommen können. Ich war schon immer eine Meisterin der Ablenkung und dieses Jahr 2022 war voll damit und ließ mich diesen dysplastischen Sch*** zwar immer wieder mal vergessen, aber er holte mich ein. Als all die Aufregung, Anspannung und der Stress der Lebensziele für dieses Jahr verflogen waren, stand ich wieder vor der Zukunftsfrage: “Wie kann so ein Leben mit diesem grauen Schatten über mir aussehen?”
Die besten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben und wahrscheinlich auch der Krebs. Diese kleinen Assizellen hatten die Antwort auf meine Fragen und Sorgen und haben unterdessen beschlossen sich auszubreiten, es sich gemütlich zu machen und immer mehr von meinem gesunden Ich im Inneren wegzutreiben.
Ihr müsst wissen, ich bin ein echtes Unikat (*Sarkasmus), denn neben meiner Fähigkeit eine Erkrankung des Alters und überwiegend der männlichen Bevölkerung zugehörig, zu erlangen, habe ich nochmals beim Universum aufgezeigt und wollte unbedingt zu den ca. 20 bis 25% jener MDS Patient*innen gehören, die eine Akute Myeloische Leukämie (AML) entwickeln (Germing & Gattermann, 2019, S.31). Meine ausgezeichneten Erfolge zu Schul- und Ausbildungszeiten setzte ich scheinbar nun auch in meinem Krankheitsprozess fort.
28.März 2023, mein 29. Geburtstag: Ich sehe der aperolfarbenen Flüssigkeit dabei zu, wie sie über einen zentralen Zugang an meinem Hals langsam in meine Venen tropft um die kleinen Assis in meinem Knochenmark (die Leukämiezellen) zurückzutreiben. Es ist passiert, der Krebs hat die Kontrolle über mich an sich gerissen, mich aus dem Beruf gekickt, zur Patientin gemacht und mir jegliche Selbstbestimmung geraubt. Aber was diese Assis in mir drinnen können, kann ich schon lang. Die Kampfansage wird also von mir erwidert.
Quelle:
Germing, U. & Gattermann, N. (2019). MDS – MYELODYSPLASTISCHE SYNDROME INFORMATIONEN FUR PATIENTEN UND ANGEHORIGE. Stiftung Deutsche Leukämie- & Lymphom-Hilfe (Hrsg.). 10. Auflage. https://www.leukaemie-hilfe.de/fileadmin/user_upload/dlh-broschueren/DLH_Broschu%CC%88re_MDS_A5_web.pdf