Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Leben mit meinem Dobermann

Ich habe ziemlich lange nichts von mir hören lassen. Warum? Verschiedene Gründe: Es war mir zu anstrengend – vor allem weil ich sehr perfektionistisch bin und so ein Blog-Eintrag nicht ohne mehrmaligem Gegenlesen (inhaltlich und sprachlich) veröffentlicht wird. Und weil ich mir schwer tue, weiterhin so positiv zu schreiben. Aber wie heißt es so schön? „Egal wie du über Krebs sprichst, Hauptsache du tust es!“
Das letzte Jahr war kein Zuckerschlecken, ist es immer noch nicht.

Ich hatte letzte Woche Geburtstag. Manche lieben ihren Geburtstag ja, mir war er irgendwie nie besonders wichtig. Dieses Jahr fand ich ihn sogar eher blöd. Klar, Geschenke sind schon schön, auch dass sich so viele Leute melden. Aber irgendwie erwartet man, dass man an seinem Geburtstag gut drauf ist. Diese Erwartungen. Von anderen, aber auch von einem selbst. Und wenn man diese Erwartungen dann nicht erfüllen kann, fühlt man sich schlecht, undankbar, wie eine Versagerin. Ich zumindest. An einem normalen Tag sind die Erwartungen nicht so hoch und somit ist die Gefahr des „Versagens“ geringer.
Auch die Sätze „du siehst wieder richtig gut aus!“ oder „man sieht die gar nicht mehr an, dass du krank warst/bist“ sind sicherlich nicht böse gemeint, aber erzeugen bei mir ehrlich gesagt auch eher Druck als ein gutes Gefühl. Nach Außen mag vielleicht alles wieder gut erscheinen, aber das ist es einfach nicht. Körperlich nicht und psychisch auch nicht.
Ich habe ziemliche Probleme mit einer chronischen GvHD (Graft vs Host disease, die neuen Stammzellen greifen meinen eigenen Körper an). An sich nicht unüblich, ca 50% der Transplantierten entwickeln eine GvHD. Bis zu einem gewissen Grad wird eine GvHD auch gerne gesehen – der Beweis, dass das neue Immunsystem funktioniert und was tut. Die Gefahr, dass die Leukämie zurück kommt ist damit deutlich geringer. Schön. Aber der Preis ist ziemlich hoch. Bei mir sind es vor allem Gelenke und Muskeln/Faszien, die schmerzen und in ihrer Bewegung stark eingeschränkt sind. Geht gerade einmal durch meinen Körper durch, angefangen hat es im März mit der linken Leiste. Aktuell sind es beide Schultern/Oberarme und die rechte Leiste. Seit gestern zwickt es auch ein bisschen im rechten Knie. Schmerzmittel hab ich bald alles durchprobiert (und ich bin ja vom Fach als Apothekerin), aber nichts will so richtig wirken. Der Erfolg mit Prednisolon ist auch nicht so groß als dass man die UAWs (unerwünschten Arzneimittelwirkungen) auf Dauer in Kauf nehmen möchte (für die ich ja extrem empfänglich bin, wie die Vergangenheit gezeigt hat – und ja, ich habe meine UAWs beim BfArm gemeldet). Das Immunsuppressivum Jakavi nehme ich in der Maximaldosis. Besser wird es irgendwie nicht. Wäre es ohne schlechter? Weiß man nicht….Physiotherapie tut gut, aber leider bekomme ich es nicht so häufig wie ich es bräuchte, meine Physiotherapeutin ist ziemlich ausgebucht. Sollte ich wechseln in eine Praxis, wo ich mehr Termine bekomme? Ich finde meine jetzige Physiotherapeutin echt gut und meine Erfahrungen mit anderen waren bisher eher mäßig. Das ist auch ein Punkt, der in der Akutphase irgendwie „einfacher“ war. Man hat sich in die Hände von Fachpersonal begeben. Darauf vertraut, dass sie das Richtige für einen entscheiden. Jetzt liegt mehr Verantwortung bei mir selbst. Auf der einen Seite natürlich schön. Aber manchmal psychisch auch sehr belastend. Was ist das Richtige? Nach so einer langen Krankengeschichte mit diversen Aufs und Abs, unvorhergesehenen Auswirkungen von Medikamenten und Aktionen, sowohl im positiven als auch negativem Sinne, ist es nicht einfach, eine Entscheidung zu treffen. Zumal auch oft die Kraft fehlt überhaupt etwas zu tun.

Anfang Juli hatte ich mal wieder eine Knochenmarkpunktion zur Kontrolle, 1 Jahr nach der Stammzellentransplantation. Gestern habe ich das Ergebnis der Histologie bekommen: meine Stammzellen bestehen zu 100% vom Spender, insofern war die Transplantation ein voller Erfolg. Man hat auch keinerlei Blasten (unreife weiße Blutkörperchen, die bei einer Leukämie erhöht sind) im Knochenmark gefunden, die Leukämie scheint überstanden zu sein.

Dafür halt die GvHD.
Es ist wirklich verrückt – wahrscheinlich hat die Stammzellentransplantation mein Leben gerettet und ich weiß, dass ich wahnsinnig privilegiert bin, dass ich die Möglichkeit dieser Behandlung hatte. Dass ich die Behandlung überlebt habe.
Meine Onkologin hat mal gesagt, dass natürlich jeder gerne ein neues Immunsystem Typ Schäferhund hätte. Der schützt gut und macht, was man ihm sagt. Keiner will Typ Pinscher (kläfft nur und schützt nicht richtig) oder Dobermann (schützt zwar gut, aber schnappt auch gerne mal nach dem Frauchen). Ich hab wohl den Dobermann erwischt. Besser als gar kein Schutz. Vor Infektionen scheint mein Dobermann mich ziemlich gut zu schützen, was im Alltag mit Kita-Kleinkind wirklich ein Segen ist. So können wir unserer Tochter ein recht normales Leben ohne große Einschränkungen ermöglichen. Und auch ich kann mich mittlerweile bezüglich Infektionen recht gut entspannen und traue mich auch unter Menschen zu gehen. Die Maske ist als Backup immer mit dabei, aber ich traue mich in den Supermarkt, auf Feste, Konzerte.
Somit sind die Auswirkungen meiner GvHD hauptsächlich auf mich beschränkt, meine Schmerzen sind zum Glück nicht ansteckend und schränken das Leben meiner Liebsten nicht direkt ein, nur indirekt. Dafür bin ich sehr dankbar, dass dies mir und vor allem meinen Liebsten erspart bleibt.  Auch so ist es schon anstrengend genug. Ich versuche eher nach unten als nach oben zu schauen, meine Erwartungen eher runterzuschrauben. Was habe ich heute schon geschafft? Was ist besser geworden? Auch wenn es nicht viel ist, was ich an manchen Tagen machen kann, ist es besser als gar nichts.
Eine weitere Aussage meiner Onkologin: Besonders die, die vor der Stammzellentransplantation sehr aktiv waren, mitten im Leben standen, haben nach einer Stammzellentransplantation oft mehr zu kämpfen, vor allem auch psychisch. Der Unterschied zwischen davor und danach ist so viel größer. Wenn man davor schon eher eine ruhige Kugel geschoben hat, nicht mehr gearbeitet hat, dann fällt es oft leichter zu akzeptieren, dass nach der Transplantation nicht mehr so viel geht. Fällt vielleicht sogar kaum auf. Wie recht sie hat.

In der Gesprächsgruppe haben wir den Tipp bekommen, das Wörtchen „noch“ in unsere Sätze einzubauen. Ich kann noch nicht….Anstatt ich kann nicht. Ich versuche es umzusetzen und mir den Unterschied bewusst zu machen. Die aktuelle Situation ist nicht gut, aber es muss nicht bedeuten, dass es für immer so bleibt. Es darf ruhig wieder besser werden. 😉

„Wer mich ärgert, entscheide immer noch ich!“ ist der erste Satz der „50 Sätze, die das Leben leichter machen“ von Karin Kuschik. Gefällt mir gut. Ich habe die Wahl, wie ich mit einer Situation umgehe.  Wo ich meinen Fokus lege. Bis zu einem gewissen Grad zumindest.

Und so versuche ich nach wie vor, das Glas eher halb voll zu sehen als halb leer. „Schlimmer geht immer!“ ist eines meiner Mantras. Und davon bin ich nach wie vor überzeugt. Aber es dürfte auch mal wieder besser werden. Und das ein bisschen dauerhafter.

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