Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 13.02.2020: Zweiter Chemozyklus, eine Tüte voller Süßigkeiten, Pippie vergessen und ein suboptimaler Start.

Heute ist es soweit. Es geht wieder stationär in die Klinik, denn der zweite Zyklus der Chemotherapie möchte bestritten werden. Um 08:00 Uhr bin ich, wie gewünscht, in der Klinik. Vorher war ich um 6:20 Uhr wach und auf Toilette. Meine große Tochter auch. Also habe ich mich danach noch einmal mit ins Kinderzimmer geschlichen und mit meinen beiden kleinen Mäusen die Kuschelakkus noch einmal aufgeladen. Meine kleine Tochter Lara sagte: „Du musst dann wieder Pippie mitnehmen. Der hat beim letzten Mal auch gut auf dich aufgepasst und sorgt dafür, dass du gesund wirst!“. Also habe ich ihr zugesichert, dass Pippie mitkommt. Als wir dann alle fertig waren, ging es für uns alle los. Erst noch schnell die Kids an der Schule rauslassen. Lara dreht sich noch einmal zu mir um und sagt: „Ich möchte dir noch ein Küsschen geben, wenn ich nachher nach Hause komme, bist du ja nicht mehr da.“. Da ist er wieder – der Herzschmerz. Ich gebe ihr einen Kuss, dann steige ich wieder ins Auto. Und dann geht es los. Ich fange an zu heulen. Alex fragt: „Was ist denn los?“ Ich kriege nur rausgeschluchzt: „Das ist halt all das, was jetzt rauswill, was ich nicht rauslassen kann, wenn die Kids zuhause sind! Ist gleich wieder gut.“

Dazu muss ich sagen, dass wir zuhause versuchen, so normal wie möglich zu leben. Klar, die Kinder kriegen mit, das mir die Haare und der Bart ausfallen und das ich öfters ins Krankenhaus muss und das ich krank bin. Allerdings haben wir vor ihnen noch nie das K-Wort ausgesprochen. Ist das notwendig? Sollte man so detailliert seine Kinder einweihen? Wenn sie 13 und 15 wären vielleicht. Aber mit 7 und 9? Habt ihr Erfahrungen damit? Dann lasst einen Kommentar da. Ich bin für jeden Input dankbar. Aktuell ist ihr Wissensstand der, das ich ihnen erklärt habe, das manche meiner Körperzellen stärker gewachsen sind, als sie hätten sollen. Und das die Ärzte mit den ganzen Medikamenten jetzt versuchen, diese Zellen wieder zu normalisieren.

Bevor es zur Klinik geht, halten wir noch kurz beim Bäcker. Nochmal schnell was Leckeres gönnen bevor es wieder 14 Tage nur Klinikhappa kriege. Beim Auspacken stelle ich fest, dass ich die Hälfte vergessen habe:

  • Handtücher
  • Fieberthermometer (nach der Neutropenie vom ersten Zyklus bin ich da vorsichtig geworden und wollte nicht immer nach dem Pflegepersonal klingeln.
  • Mein kleines buntes Kissen, dad ich immer zwischen Kopf und Schulter lege, damit letztere nicht einschläft.
  • Pippie (na klasse, wer passt jetzt auf mich auf?)

Ich bin nicht abergläubisch, aber das war ein holpriger Start in Zyklus II. Dann ging es los. Erstmal Portnadel setzen. Diesmal nur eine 25 mm lange Nadel statt der 38 mm langen vom ersten Durchgang. Dann spülen, Blut abgeben und um 10:00 Uhr geht es los. Erst festes „Frühstück“:

Meine „Hardware“ für heute.

  • Emend
  • Dexamathason
  • Procarbizin
  • Prednisolon
  • Calcium

Und die dazu passende „Software“.

Danach kommt der Saft:

  • Cyclophosphamid (1 Std Durchlaufzeit)
  • Doxorubicin (45 min Durchlaufzeit)
  • Etoposid (45 Min Durchlaufzeit)
  • 2x Mesna (jeweils ca. 15 Min Durchlaufzeit)
  • Granisetron (ca. 15 Min Durchlaufzeit)
  • Jonosteril (1 Std. Durchlaufzeit)

Zwischendurch gibt es Hühnchengulasch mit Nudeln und gemischtem Salat.

Alex schickt mir eine Sprachnachricht mit einem Radiomitschnitt von Peter Fox‘ „Haus am See“. Darunter steht: bald ist es soweit, unser Haus am See! Dazu ein paar Bilder des Center Parcs im Allgäu. Das motiviert.

Ich liege übrigens mit einem älteren Mann auf dem Zimmer. Auf jeden Fall ist er gesprächiger als der alte Mann beim letzten Mal. Und er kämpft auch gegen Lymphknotenkrebs. Langsam kommt mir die Krankheit nicht mehr so selten vor, wie es im Internet behauptet wird.

Gegen 14:00 Uhr geht es los. Ich muss langsam laufend auf die Toilette. Neben den 2,6 Litern Chemoflüssigkeit fließen noch 1 Liter Wasser, 1 Liter Multivitaminsaft und 1 Liter Pfefferminztee in meinen Körper. Macht summa summarum, wenn ich das Rechnen nicht verlernt habe, insgesamt 5,6 Liter liquid input. Und das muss halt irgendwann wieder raus.

Gegen 17:00 wird mir allmählich etwas schlecht. Die Schwester reicht mir ein neues „Antikotzmittel“. Es wirkt nur mittelmäßig.

Zwischen 19:00 Uhr und 21:00 schlafe ich. Dann werde ich wach und fühle mich warm. Hätte ich doch nur mein Fieberthermometer hier… nach der kritischen Neutropenie bin ich dahingehend vorsichtiger geworden. Also klingel ich nach dem Pflegepersonal. Eine Schwester, die im ersten Zyklus sehr nett zu mir und meinem Zimmernachbarn war, mit einer herrlich erfrischenden „Kodderschnauze“ gesegnet ist, wie man hier im Norden sagt und immer einen frechen Spruch auf Lager hat, fragt, wie es mir ginge. Ich sage: „soweit gut, bisschen wenig los auf Kopf und am Kinn, sonst gut. Bis auf die Temperatur. Ich fühle mich, als ob ich glühe. Würdest du bei mir mal die Temperatur messen!“. Sie misst. Und dann das: 38,9 Grad Celsius. Fieber! Sie ist nicht begeistert. Ich bin nicht begeistert. Sie fährt eine Armada an Fläschchen, Spritzen, Desinfektion und Tabletten auf. „Du musst Blut abgeben. Aus der Vene und aus dem Port, damit wir sehen, woher die fieberhafte Reaktion kommt!“. Also dann: der rote Saft, fließt aus dem Portschlauch. Wegen des Desinfektionsmittelgeruchs dreh ich meinen Kopf vom Portanschluss weg. „Kannst das nicht sehen?“ fragt die Schwester. Ich pariere: „ich war 4 Jahre beim Bund. Ich hab krassere Sachen gesehen. Nur der Desi-Geruch stößt mich momentan ab. Und Nadeln setzen im Arm kann ich nicht ab, oder wenn der piekende sagt: ‚piekt kurz!‘. Einfach rein und gut ist.“. „Ok. Hast du gute Venen?“ „all deine Kollegen waren bisher begeistert!“, sage ich. „Na gut!“ sagt sie und sticht zu. Und dann? Nix. Kein Tropfen läuft. Sie dreht die Nadel in meinem Arm, dann beginnt es zu laufen. Ich sage: „was ist das? Luftbläschen im Blut? War ich tauchen? Hab ich die Taucherkrankheit?“ Sie sagt: „kann auch sein, weil ich die Ader nicht richtig getroffen habe!“ ‍♂️ Was solls. Von 20 mal pieken einmal nicht optimal getroffen, das macht eine Fehlerquote von 5 %. Das ist für mich okay. Danach kriege ich noch Ibuprofen gegen das Fieber und MCP gegen die wieder aufkeimende Übelkeit. Diesmal hilft es. Danach darf ich noch in einen Becher pieschen. Ich nutze die Gelegenheit und übergebe noch die Tüte mit den Süßigkeiten als Dankeschön für die gute Betreuung während Zyklus I.

Um 22:45 Uhr nochmal Temperatur messen. Jetzt nur noch 37,9 Grad. Kein Fieber mehr. Nur noch erhöhte Temperatur. Wenn ich mich vorher noch mal melde, messen wir nochmal. Ich werde mich jetzt um 00:24 Uhr nochmal melden. Aber nur, weil der Pipibecher hier noch steht. Den können die Fachleute mal noch analysieren. Danach werde ich mich schlafen legen und dann ist der erste gruselige Tag geschafft. Kann morgen, bzw. mittlerweile heute ja nur besser werden.

Update 04:00 Uhr: 36,9 Grad Celsius.

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