Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Dir sieht man aber gar nicht an, dass du krank bist

Fotocredit: Österreichische Krebshilfe/Face it with a Smile/Foto: Sabine Hauswirth

Na, diesen Satz schon gehört? Falls nicht, dann hoffe ich, du erfreust dich guter Gesundheit, denn das Gegenteil will ich dir natürlich ersparen. Falls ja, dann sage ich nur: I feel you.

Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich zum ersten Mal diesen Satz hörte. Was ich weiß, ist, dass ich schon immer viel jünger geschätzt wurde, als ich tatsächlich war. Und natürlich freute ich mich darüber, wer würde das nicht. Wessen Seele würde sich nicht geschmeichelt fühlen, wenn man auf Anfang oder Mitte Zwanzig geschätzt wird und dabei schon fast 40 ist? Da ging es mir nicht anders, obwohl ich mich nicht als eitel beschreiben würde. Mir ist nur wichtig, dass ich nicht vernachlässigt ausschaue. “Wie ein Sandler”, sagt man in Wien. Also, dass ich gepflegt und sauber bin, und obendrauf nicht ungut rieche.

Aber sonst, who cares. Ich bin schon immer Verfechterin der Aussage “Eine Frau sollte genug Selbstvertrauen haben, um ungeschminkt auf die Straße zu gehen.” gewesen. Und das hat sich noch immer nicht geändert. Wer mich kennt, weiß, dass ich meistens nur mit einer Pflegecreme rausgehe, selten geschminkt. Und wenn geschminkt, dann ist das für mich ein bisschen Lidschatten, Kajal, Mascara und Lippenstift.

Jetzt wird vielleicht jemand sagen, na gut, und was geht mich das an? Den Schmarr’n will ich mir nicht antun, und aufhören zu lesen. Das wäre Schade, weil es hat durchaus damit zu tun, worüber ich schreiben will. Und das ist ein Thema, das uns Erkrankte (egal ob Krebs oder eine andere Erkrankung, die einem sehr zusetzt) ziemlich auf die Palme bringt.

“So krank schaust du (oder schauen Sie) gar nicht aus.”

Als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte, verschlug mir fast die Sprache. Da dachte ich mir, WTF, wie soll ein Mensch ausschauen, der krank ist? Gebrechlich? Dick? Dünn? Blaß? Rot? Gelb? Schwarz? Im Rollstuhl sitzend? Im Bett liegend? Wie bloß? Oder alles zusammen?

Meine Antwort war, damals noch ziemlich blauäugig und gutgläubig, ich weiß. Was ich heute noch schlimmer finde: Ich fing an, mich zu rechtfertigen, zu erklären wieso und weshalb und was ich denn habe (damals “nur” die Herzerkrankung). Das hat sich glücklicherweise geändert. Wenn mich heute jemand zB. fragt, was ich beruflich mache, dann sage ich einfach, dass ich zurzeit arbeitsunfähig bin.

Und damit finde ich die Geschichte erledigt. Ich denke mir im Stillen, es ist nicht meine Aufgabe jemanden von etwas zu überzeugen. Ich brauchte selbst etliche Jahre, bis ich es selbst akzeptierte, wie kann ich dann davon ausgehen, dass jemand anderer die Sache in ein paar Sätzen versteht?

Und was hat mein “frisches” Aussehen damit zu tun? Eine Menge. Weil ich nicht so ausschaue, als würde mir irgendetwas fehlen, werde ich oft mit diesem Satz konfrontiert. Oder auch mit einem Blick angeschaut, der deutlich zeigt, dass der gegenüber das nicht versteht. Und es geht nicht nur mir so. Wir, die das betrifft, sind viele. Und, außer, dass wir alle schwer krank sind, haben wir noch eine Gemeinsamkeit: Dieser Satz löst eine Art psychischen Schmerz aus, fühlt sich an wie eine Beleidigung. Er ist beleidigend.

Als ich früher zum Arzt ging, legte ich immer etwas Farbe auf mein Gesicht. Sagen wir so: Ich wollte frisch aussehen. Heute lasse ich es sein. Es ist nicht so, dass meine Ärzte mir nicht glauben würden. Diese Frage stellt sich gar nicht. Die Diagnosen, die auf meinen Befunden stehen, sprechen von sich, eine sehr klare Sprache. Sie wissen, dass ich krank bin.

Was ich nicht will, ist, dass während ich von der Erschöpfung und Schwierigkeiten sich zu konzentrieren spreche, mir gegenüber jemanden sieht, der vor vermeintlicher Gesundheit nur so strotzt. Um eine ärztliche Gutachterin zu zitieren: “Für mich schaut es eher so aus, als können Sie nicht aufhören zu reden.” BUMM. Und das während ich ihr erzählte, dass ich mit Wortfindungsstörungen, Konzentrationsmangel und Gedächtnisstörungen sehr zu kämpfen hätte. Ein paar Monate später wurde mein Brustkrebs diagnostiziert.

Also, ich saß da, mir ging es nicht gut, die chronische Herzerkrankung im Gepäck und Krebs am Vormarsch. Aber ich schaute nicht so aus. Und das reichte schon, um mich abzustempeln. Da schwor ich mir, bei solchen Gelegenheiten nur noch zu reden, wenn ich gefragt werde.

Ein anderes Beispiel: Mir wurde von meinem Freundeskreis immer wieder nahe gelegt, einen Antrag auf Pflegegeld zu stellen, während ich mich irgendwie die ganze Zeit dagegen sträube. Auch im Wissen, dass ich es wahrscheinlich nicht bewilligt bekommen werde. Nichtsdestotrotz, als sich eine Gelegenheit ergab, diese Frage zu erläutern, besprach ich sie mit einer Sozialarbeiterin. Da war auch schon der Krebs diagnostiziert, die Akuttherapie jedoch beendet.

Ich merke, dass meine Kraft langsam, aber stetig, nachlässt. Wenn es um putzen oder einkaufen geht, hat sich da schon sehr viel geändert. Und deshalb dachte ich, es wäre gut, falls es die Möglichkeit gäbe, etwas Extrageld zu haben, eine Hilfe zu holen. Und dann fiel der Satz: Sie können das Pflegegeld beantragen, aber Sie werden es nicht bekommen. Ihre Diagnosen lesen sich imposant, aber dafür schauen Sie zu gesund aus.

Was bleibt? Es so zu akzeptieren wie es ist. Ich will auch meine Selbstständigkeit nicht aufgeben und von jemanden abhängig werden, und vor allem will ich nicht mit Mitleid angeschaut werden. Mein Aussehen stört mich auch nicht. Um mit den Worten meines Bruders zu sagen, als ich mich über ein Foto beschwerte: Du kannst nicht auf einem Foto schöner sein, als du es tatsächlich bist. Damals galt das, heute hat sich das auch schon geändert, aber ich bin mit mir und meinem Aussehen im Reinen.

Ich will mich nur, wie so viele andere auch, nicht dafür rechtfertigen müssen, dass ich krank bin, jedoch nicht so ausschaue. Eine Situation hat mir besonders zugesetzt. Vor etwa vier Jahren wurde ich von einer älteren Frau in der Straßenbahn gebeten, ihr beim Aussteigen zu helfen. Ich entschuldigte mich und sagte, ich könne das leider nicht und weshalb.

Ob sie es verstand oder nicht, weiß ich nicht. Und selbst wenn nicht, es ist nicht mein Problem. Sich jedoch in solchen Situationen zurecht zu finden, schon. Es ist schwer nein zu sagen, wenn du siehst, dass dich dein gegenüber ungläubig anschaut.

Wir können nicht nach anderen Maßstäben leben und aussehen. Die Gesellschaft ist jedoch so. Für alles gibt es eine Norm. Und wenn etwas in dieser Norm nicht passt, dann kommen oft Sachen zum Vorschein, die das Leben noch zusätzlich erschweren. Nur weil ich 49 Jahre alt bin, heißt es nicht, dass meine Erkrankungen nicht für mich herausfordernd sind. Oder unzählige anderen Menschen, die ich im Zuge dessen kennenlernen durfte. Es dauert oft eine lange Zeit, meistens Jahre oder sogar Jahrzehnte, zu akzeptieren, dass man nicht mehr kann wie früher. Und dieses Früher beschreibt bei uns die Zeit vor der Erkrankung.

Mir ist es bewusst, dass unsere Mitmenschen nichts dafür können. Meistens ist das auch mehr wie eine Aufmunterung gemeint, ein Wohlwollen. Der Satz soll höchstwahrscheinlich sagen, man halte sich gut. Nur soll man das dann auch so sagen. Oder auch “das hätte ich mir jetzt aber nicht gedacht”.

Damit ist es viel leichter umzugehen, zumindest für mich. Weil: Du kannst hundert Mal sagen, ich würde nicht so ausschauen. Es hilft mir nicht, sich besser zu fühlen. Der Satz bringt mich in Not, mich bei dir erklären zu müssen. Wenn ich höflich bleiben will. Sonst gäbe es auch andere Aussagen, nur wollen wir niemanden beleidigen.

Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Mal

Miri

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