Krebs und Mut
ICH HABE ANGST. Wie oft denken wir diesen Satz, wie oft begleitet er unseren Alltag? Er ist ständig da, noch vor der Diagnose, während der Behandlung und auch dann, wenn sie schon längst abgeschlossen ist.
Ich habe Mut. Haben wir diesen Satz schon laut ausgesprochen? Wohl eher selten, oder besser gesagt, ganz selten. In meinem Fall fast nie, außer, wenn die Panikattacken so nahe sind, dass mir nichts anderes übrig bleibt, als mich auf diese Weise zu beruhigen. Aber ich greife vor. Gehen wir wieder zurück, zu der Zeit vor der Diagnose. Um über den Mut, den man auch mit der Diagnose Krebs schöpfen kann, wahrscheinlich umso mehr, weil die Krankheit schon da ist, zu schreiben, muss ich mich zuerst mit der Angst beschäftigen.
Knapp fünf Monate vor meiner Diagnose fingen bei mir, man könnte sagen, aus heiterem Himmel, meine Panikattacken an. Was sie auslöste, weiß ich noch heute nicht. Ich stand unter der Dusche (schon wieder) und hatte einen Gedanken, wie schon so oft in meinem Leben, und um mich war es geschehen. Von diesem Moment an konnte ich mich nicht mehr beruhigen.
Egal wo ich war, spürte ich Angst. Wenn ich zuhause war, fürchtete ich mich raus zu gehen. Wenn ich auf dem Gehsteig war, bangte mir vorm Gehen. Auf dem Weg nach Hause machte mir der bloße Gedanke daran Angst. Auf dem Sofa Angst, in der Küche Furcht, im Bad auch. Schlafen konnte ich auch ganz schlecht, manchmal gar nicht. Weil ich die ganze Zeit zitterte.
Als es dann endlich so weit war, dass ich schlief, wachte ich mit pochendem Herzen auf, voller Adrenalin, mit einem unbeschreiblichen metallischen und bitteren Geschmack im Mund. Er war permanent da, 24 Stunden täglich.
Nach knapp zwei Wochen hielt ich diesen Zustand nicht mehr aus und ging zu meiner Hausärztin. Sie verschrieb mir gleich etwas Pflanzliches für jeden Tag, aber auch ein stärkeres Medikament, falls ich einen richtigen Anfall bekommen sollte. Ich bin ihr heute noch dankbar dafür, weil ich ohne dieses Arzneimittels damals nicht im Stande wäre, mich in die U-Bahn zu setzen.
Meine Kardiologin verschrieb mir dann letztendlich etwas für die längere Sicht und ich lebte so dahin. Drei Monate später kam die Diagnose. Brustkrebs. Bamm. Und so kurios sich das anhört, sie holte mich aus dieser Starre raus. Ich war gedanklich eine Gefangene meines Alltags. Die Pandemie schränkte mich mit meiner chronischen Herzerkrankung ein Jahr extrem ein, mein Rehhageld wurde mir entzogen und ein Gerichtsprozess stand an. Die Fragen über meine Zukunft, gesundheitlich und beruflich, drehten sich unablässig in meinem Kopf. Und dann noch Krebs.
Aus heutigen Zeitpunkt betrachtet, denke ich Folgendes: In der ersten Stunde, nach dem mir meine Diagnose mitgeteilt wurde, im Gespräch mit der Psychoonkologin, die mir sofort bei Seite stand, fasste ich Mut. Da fing ich an etwas gerader zu gehen. Nur kommt der Mut immer leider auf den leisen Sohlen und die Angst wird mit den Trompeten angekündigt. Heißt nichts anderes als, die Angst, die mich begleitete, nahm ich weiterhin wahr, den Mut fast gar nicht.
Ich wurde zur OP gerollt und fürchtete mich. Wollte nur weg. Lag auf dem Tisch und dachte, lieber Gott, ich habe angst. Verständlich, wird mancher sagen, und ich zu jemandem anderen auch. Ich hätte aber auch sagen können, toll, du bist jetzt schon hier, wirst in Kürze operiert und dann ist er draußen. So viel hast du schon geschafft, das schaffst du auch. TRICK 1
Bei meiner Strahlentherapie hatte ich Angst, ich könnte von der Liege runterfallen. Wie blöd kann man noch sein. Weiß ich, aber ich hatte sie, und konnte mir nicht helfen. Und wieder so eine Situation, in welcher ich mir denken könnte, du bist so mutig, weil du dich hier hinlegst, obwohl du dich fürchtest. TRICK 2
In der U-Bahn fürchtete mich, irgendetwas könnte passieren, anstatt zu denken, toll, du hast so viel angst und trotzdem sitzt du da, du bist ganz schön mutig. TRICK 3
Das sind nur einige der Beispiele, die ich mir heute denke, wenn mich meine Angst überkommt. Und mein Lehrer war Krebs. Mir wäre es viel lieber, wenn er nicht da wäre und wenn ich diese Erkenntnis auf eine andere Art und Weise erlangt hätte, aber dem war nicht so. Irgendwann, mittendrin, dachte ich mir, du hast Krebs. Mal ehrlich, wovor solltest du noch angst haben, wenn es um dich, deinen Zustand und deine Gesundheit geht?
Dieser Gedanke befreite mich. Es ist mir jetzt etwas leichter ums Herz. Sicher, ich spüre immer noch Angst, etwas anderes wäre auch nicht natürlich. Ich bin mir jedoch auch bewusst, dass zu dem, was mich in den letzen knapp sieben Jahren begleitet, auch eine Menge Mut dazugehört. Nur ist es leider so, dass uns öfters im Leben gesagt wird, dass wir da oder dort aufpassen sollen, weil sonst etwas passieren könnte und deutlich seltener, wie mutig wir sind. Also ist Angst unsere treue Begleiterin und Mut ein seltener Gast, obwohl wir ganz schon viel davon haben.
In dem letzten Jahr lernte ich, etwas mehr Mut meinerseits wahrzunehmen, mich auch für gewisse Erfolge zu belohnen, damit ich auch weiß, das war jetzt ein mutiges Erlebnis.
Und wenn du immer noch an deinem Mut zweifelst, dann habe ich hier ein paar Notizen für dich. Du bist mutig, weil:
- du dich in die Röhre legst, obwohl du schon (fast) eine Panikattacke hast
- weil du zu deiner Chemotherapie gehst, obwohl du nicht weißt, was dir mehr angst macht, ob sie oder die Erkrankung
- weil du an morgen denkst, obwohl du auch angst davor hast
- weil du angst hast, wieder zu erkranken und trotzdem (oder gerade deshalb) zu deinen Nachsorgeterminen gehst
- weil du durch deinen Tränenschleier lachst
- weil du an das Gute glaubst
- weil du aufstehst und weiter machst, auch wenn du am liebsten von hier manchmal verschwinden würdest
- weil du auf ein “wie geht es dir” mit “gut” antwortest
- weil du “es sind nur Haare, sie wachsen wieder” sagst, obwohl dein Herz zu zerspringen droht
- weil du weißt, es wird nie mehr so sein, wie es mal war und trotzdem alles dafür tust, hier bleiben zu können
Ich denke, das ist ziemlich viel Mut, wobei das nur zehn Sätze sind. Es könnte ewig so weiter gehen. Der Mut ist da. In uns. Er fängt im Kopf an, wie das so schön heißt. Ich werde diesen Augenblick nie vergessen, als ich die Brustkrebs-Broschüre der Krebshilfe Österreich in die Hand nahm und auf der Seite 9 las “Angst beginnt im Kopf. Mut auch.”
Inge sagte das. Also sei wie Inge, versuche deine Angst in Mut umzuwandeln, wenn sie wieder kommt. Werde dir bewusst, dass die beiden eine Quelle haben, und sie heißt deine Gedanken. Wenn sie im Stande sind, Angst zu produzieren, dann geht das auch mit Mut. Vielleicht brauchen wir ein bisschen Übung, jedoch mit der Zeit werden wir sicher besser. Wenn dich nächstes Mal deine Angst packt, dann sag “Ich bin mutig”, statt zu denken “Ich habe angst”.
Außer, du stehst einem Löwen, Bären oder Tiger gegenüber und es gibt keinen Gitter dazwischen. Dann renne weg 😉
Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Mal
Miri
P.S. Das Bild habe ich in Schönbrunn aufgenommen. Es ist ein Ort, der mir sehr viel Kraft gibt. Immer, wenn meine Gedanken durchgepustet werden müssen, gehe ich hin. Als ich meine Panikattacken hatte, ging ich auch hin, es half leider nicht. Dieses Bild entstand nach meiner zweiten Brust OP, als ich wieder dort war und diesmal alles wieder genießen konnte. Es bedeutet Mut für mich.