Erleichterung vs. Belastung
Fast schon “Erleichterung” über meine Diagnose AML
In meiner WhatsApp-Gruppe habe ich am 15.01.2022 folgendes geschrieben, nachdem ich einen aktuellen Lebenslauf von mir gepostet hatte, weil in der Gruppe auch viele alte Bekannte in der Gruppe waren, und man sich dann die letzten Jahre (gerade auch wegen Covid) doch kaum gesehen/gehört hatte, manche sogar seit Schulzeit/Studium nicht mehr:
Zu meinem Lebenslauf und dass ich geschrieben habe, dass ich darauf auch stolz bin:
Tatsächlich hatte ich letztes Jahr im Sommer/Herbst das Gefühl, dass ich auf dem Höhepunkt meines Lebens bin – alles lief so verdammt gut: Ich hab einen tollen Mann, eine wunderbare, zuckersüße, gesunde Tochter, wir haben uns unser kleines wunderschönes Eigenheim geschaffen, mit tollem Garten inklusive Sauna und Hottub – auch der Gedanke, dass wir an Haus und Garten so viel selbst gemacht haben, hat mich stolz gemacht. Ich war stolz, dass ich trotz Schwangerschaft und dann als Mutter, nebenher meine Promotion sehr erfolgreich abschließen konnte, und als ich dann noch den Deutscher Studienpreis der Körber-Stiftung (2. Preis in der Sektion Natur- und Technikwissenschaften): für meine Promotion für deren „exzellente Qualität und gesellschaftliche Relevanz“ bekommen habe, war das das Sahnehäubchen! https://www.koerber-stiftung.de/deutscher-studienpreis/preistraeger/2021
Beruflich war ich dann ein bisschen hin- und hergerissen, wie es weitergehen sollte: auf der einen Seite hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt auch nach der Auszeichnung mit dem Studienpreis nicht „einfach“ wieder zurück in die öffentliche Apotheke gehen kann – auf der anderen Seite war mir klar, dass ich wegen Familie, nicht 100% arbeiten und auch nicht weit pendeln wollte……und dann wurde mir die für mich perfekte Lösung einfach in den Schoß gelegt: Mein Doktorvater fragte mich, ob ich es mir vorstellen kann, in Zukunft den Kurs „Pharmacy in Global Health“ der Uni Tübingen zu organisieren und gemeinsam mit ihm zu Leiten – ehrlich gesagt hatte ich mir schon seit längerem insgeheim erhofft, da involviert zu sein – Organisieren, Lehren, neue Ideen einbringen und das zu einem absoluten Herzensthema von mir – das ist GENAU mein Ding! Auch sonst hat mir mein Doktorvater immer wieder das Gefühl gegeben, dass er meine Mitarbeit und meinen Input sehr schätzt, was mir sehr geholfen hat, indem es mir das Gefühl gegeben hat, dass ich jetzt nicht einfach „nur“ noch Mutter bin, sondern immer noch geschätzte Akademikerin. Danke! Gemeinsam haben wir dann auch den Projektantrag für eine 4-Jährige Hochschulkooperation zwischen den Pharmazeutischen Instituten der Uni Tübingen, Malawi und Ruanda gestellt – vorgesehen war, dass ich dabei die Projektverantwortliche bin, geplant waren Workshops, Konferenzen, Doktoranden/Studierenden-Austausche – wieder genau mein Ding. Und das Beste: meine Hauptaufgabe wäre die Koordination gewesen- das meiste hätte ich im Homeoffice machen können! Nebenher haben meine Kollegin mein Doktorvater und ich noch ein Buchkapitel zu Handel mit minderwertigen und gefälschten Arzneimitteln für einen Sammelband geschrieben, herausgegeben von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – eine Große Ehre! Ich war also auf einem absoluten Höhenflug!
Daneben dann noch die Sache, dass wir von der Corona-Pandemie (im Vergleich zu anderen) kaum Einschränkungen hatten, zum Teil sogar profitiert haben: Wir waren in einem Abschnitt, wo uns die ganzen Einschränkungen kaum im Alltag beeinträchtigt haben: Wir hatten beide sichere Jobs, die wunderbar im Homeoffice funktionieren. Feiern, Weggehen – diese Phase hatten wir schon hinter uns, Essen gehen und sonstige Besuche auf Veranstaltungen war eh nie richtig unser Ding gewesen – im 1. Lockdown waren wir froh, dass die Baumärkte offen waren und wir in Ruhe an unserem Haus und Garten rumwurschteln konnten. Ich hatte alle meine Daten für meine Doktorarbeit und musste nur noch zusammenschreiben. Die gemeinsame Zeit im Homeoffice (ich zu der Zeit schwanger mit meiner Tochter – eine wirklich schöne, unkomplizierte Schwangerschaft!) haben wir nach den 3 Jahren Wochenendbeziehung (weil ich unter der Woche für meine Promotion immer in Tübingen gewesen war) in vollen Zügen genossen. Ich war froh, dass wir noch nicht in der Phase mit älteren Kindern waren – der Spagat zwischen Arbeit im Homeoffice, Homeschooling, die psychische Belastung für Kinder und Familie…..meinen größten Respekt an alle, die das durchmachen mussten (und immer noch durchmachen!)
Kurzum: All das Glück, dass alles so absolut perfekt bei uns gerade läuft – das hat mir plötzlich Angst gemacht! Wie kann das sein, dass es uns so gut geht – da muss doch was kommen! Ich habe tatsächlich ein bisschen darauf gewartet, dass irgendwas passiert. Und hatte Angst, was. Fast alle um mich herum hatten irgendwie auch noch ein Päckchen zu tragen – nur ich anscheinend nicht.
Insofern, so verrückt es auch klingt: ich bin fast ein bisschen erleichtert über mein Diagnose AML!
Als könnte ich jetzt ein bisschen aufatmen!
Ich bin irgendwie „froh“, dass es AML ist, und das ich die habe (und das jetzt aber tatsächlich der Ausgleich für all unser Glück ist – ich hoffe, das Universum/Gott/was auch immer sieht das auch so).
Ich hatte irgendwie immer so Angst, dass irgendwas mit meiner Tochter oder meinem Mann passiert…..
Ich nehme dieses Päckchen also gerne an und bin mir durchaus bewusst, dass es noch viel schlimmer hätte kommen können und ich absolut privilegiert bin, diese Krankheit hier in Deutschland, im Diak, zu einer Zeit, wo es so viele Behandlungsmöglichkeiten gibt (mit immer besseren Prognosen) bekämpfen zu dürfen – ich fühle mich hier in den Besten Händen!
- Was wäre gewesen, wenn ich nicht in Deutschland mit unserem Krankenversicherungssystem, wäre? In Zimbabwe hätte man mir wahrscheinlich nicht mal eine Infusion gegeben, wenn ich die nicht im Voraus bezahlt hätte!
- Was wäre gewesen, wenn ich diese Krankheit vor 10-20 Jahren bekommen hätte? In dieser Zeit hat sich so wahnsinnig viel getan, um die Behandlung zu verbessern (wirksamer, weniger Nebenwirkungen, bessere Heilungsaussichten…) Als ich zum ersten Mal die Diagnose gehört habe hatte ich erstmal so Angst vor dem was kommt – Schmerzen, Übelkeit…… Ich bin unendlich dankbar für die Forschung – bisher vertrage ich die Chemotherapie wirklich sehr gut!
- Was wäre gewesen, wenn ich diese Krankheit in 2 Jahren bekommen hätte? Dann hätte meine Tochter das voll mitbekommen – es ist mir so ein Trost, zu wissen, dass sie aktuell in einem Alter ist, wo sie sich später wohl kaum an diese Zeit erinnern wird.
- Was wäre gewesen, wenn wir nicht so einen absolut tollen Familien- und Freundeskreis hätten? Das wissen, dass sich gerade so viele Leute um meine Liebsten kümmern hilft!