Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 05.03.2020: Stressiger Tagesbeginn, Chemozyklus III, keine Krebszellen mehr im CT erkennbar

Der Tag beginnt stressig. Über Nacht kam noch eine Bestellung im Onlineshop rein, die ich zumindest vorbereiten muss. Um 6:30 Uhr geht es daher für mich hoch. Rechnung drucken, Etiketten drucken, Bauteil verpacken, Unterlagen dazu, frankieren, was die meiste Zeit kostet, das die Internetseite der Deutschen Post zur Frankierung von Warensendungen ins europäische Ausland mehr als unterirdisch ist. Viel zu viele unnötige Klicks und unübersichtliche Gestaltung. In der Zwischenzeit läuft Badewasser in die Wanne. Nachdem ich alles soweit bereitgestellt habe ist auch die Wanne voll und die Uhr zeigt 7:08 Uhr. Ich stelle mir einen Badezeittimer von 22 Minuten und halte den Fuß ins Badewasser. Reflexartig ziehe ich ihn zurück – viel zu heiß. Ich ziehe den Stöpsel um etwas von dem heißen Wasser ablaufen zu lassen. Gleichzeitig läuft kaltes Wasser nach. Immer wieder prüfe ich die Temperatur. Es dauert zu lange, so dass ich das Wasser komplett ablasse und beschließe nur den Waschlappen kreisen zu lassen. Pünktlich um 7:55 Uhr steht das Taxi vor der Tür. Ich greife meine Tasche, den Naschibeutel für das Klinikpersonal, meinen Technikrucksack und das Paket und stratze runter. Ich bitte den Fahrer, noch bitte bei Famila zu halten, damit ich mein Paket noch loswerde und Bargeld am Automaten ziehen kann. Keine Warteschlange – Yeah – weder vor der Post, noch vor der cash machine.

In der Klinik angekommen, melde ich mich an. „Einweisungsschein und Krankenkassenkarte, bitte!“. Den Schein habe ich in der Hand. Aber wo ist die KK-Karte? Die hatte ich doch eben auch noch in der Hand. Hab ich wohl in eine meiner Taschen an Jacke oder Hose gesteckt. Jackentasche 1: Nix, außer Kassenbons und Portmonee. Jackentasche 2: Nix, außer Kopfhörer. Jackentasche 3: Nix, Hosentasche 1: Nix, außer Handy und Kopfhörer. Man braucht ja mittlerweile mehrere Kopfhörer, weil das Handy inzwischen eigene Anschlüsse hat… Hosentasche 2: Nix, außer Perso. Ja, ich habe noch den großen Perso. Der passt nicht in mein scheckkartengroßes Portmonee. Und läuft am 31.05.2020 ab. Hoffentlich hab ich bis dahin wieder Bart und Haare. Gesäßtasche 1: Nix. Gesäßtasche 2: Ah, da ist sie ja. Murphy‘s Gesetz. Es ist immer am am Letzten abgesuchten Ort.

Auf Station 3B angekommen, komme ich mir langsam vor wie ein VIP (very important Patient). Alle vom Personal freuen sich, mich zu nehmen und begrüßen mich mit Namen. Ich nehme im Wartebereich Platz. Kurze Zeit später darf ich ins Behandlungszimmer. Ein paar Fragen zu Größe und Gewicht ergeben: ich bin weder gewachsen, noch geschrumpft, habe aber dafür ein wenig abgenommen. Dann gibt’s eine neue Portnadel und zum Funktionstest eine kleine Blutabnahme und Spülung. Danach warte ich noch einmal im Wartebereich. Eine alte Dame kommt rein und fragt, ob noch irgendwo ein Stuhl frei ist. Ist es nicht. Ich stehe auf und sage zu ihr: „Ja, hier!“. Sie bedankt sich und nimmt Platz. Gerade mal 9:nochwas und schon die gute Tat vollbracht. ✅ Die Teamassistentin, die übrigens auch Alex heißt (nicht nur das Team kennt meinen Namen, ich kenne mittlerweile auch die meisten Namen), kommt zu mir und fragt, ob sie mir einen Stuhl bringen soll (VIP treatment halt! ). Ich danke lehnend ab lehne dankend mit den Worten ab: “Ich werde wohl in den kommenden Tagen genug liegen und sitzen. Aber danke!”. Ich werde wohl noch etwas auf mein Zimmer warten. Es werden erst noch 5 Patienten entlassen, danach müssen Betten umgezogen werden, damit wieder reine Männchen- und Weibchenzimmer entstehen. Ist ein bisschen wie in der Zoohandlung. Aus dem gleichen Grund? Frau Dr. K. läuft am Wartezimmer vorbei, entdeckt mich und lässt es sich nicht nehmen, mich mit den Worten zu begrüßen: “Ah, Herr Heckrodt ist auch wieder da! Alles gut? Wir sprechen uns später!”. Da ist es wieder, das VIP-Gefühl. Ich schwanke zwischen Freude und unangenehm. Während ich also auf mein Zimmer warte, unterhalte ich mich mit Christian. Ich schätze ihn auf Anfang/Mitte 40. Beiläufig habe ich mitbekommen, wie Christians Frau im blauen Ratgeber zum Hodgkin-Lymphom blättert. Sie sagt zu Christian: “Du bist zu früh dran! Das Durchnittsalter bei Erkrankung liegt bei 49 Jahren.”. Ich sitze mittlerweile auf einem freigewordenen Stuhl neben den beiden und sage: “An dem Durchschnittsalter dürft ihr euch nicht festhalten! Ich glaube das stimmt nicht. Ich bin auch deutlich jünger.” Dann bekomme ich mein Zimmer zugeteilt. Wie am Flughafen werde ich gefragt, ob am Fenster oder an der Tür. Wieder das VIP-Gefühl. Ich nehme gern den Fensterplatz. Ich übergebe die Naschitüte dieses Mal an Teamassistentin Alex, die die ersten Tage meines letzten Zyklusses nicht da war und so leider nichts von den Süßigkeiten abbekam. Ich hab ihr dann ein bisschen was von meinem Candyvorrat abgegeben. Mein Appetit auf Süßes hält sich ja derzeit in Grenzen. Sie freut sich. Kann ich das als zweite gute Tat verbuchen? Zu Anfang ist nur ein Bett im Zimmer, aber noch während ich meine Sachen auspacke und verstaue wird das zweite Bett reingeschoben. Wenig später kommt auch der dazugehörige Patient ins Zimmer. Es ist: Christian. Willkommen in unserer Hodgkin-WG auf Zeit. Da wir uns im Wartezimmer schon ganz gut unterhalten haben, setzen wir das fort. Es läuft gut. Wir reden viel und müssen teilweise von den Schwestern unterbrochen werden, die einen von uns oder gar uns beide untersuchen möchten. Unser “Freund” Hodgkin ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Christian ist auch Technikfreund, Autoenthusiast und fährt sogar auch einen VW T5. Ebenfalls den 2.5 Liter TDI, auch Silber und ebenfalls mit über 320.000 km. Nur als Multivan und mit kurzem Radstand und 2 Jahre jünger. Aber was für ein lustiger Zufall.

Zyklus III/IV: der Tumor geht, der Humor bleibt!

Zum Schluss wird dann noch der Port ca. 1 Std. lang mit Jonosteril gespült. Alles in allem gehen mit Getränken und den Chemobeuteln heute wieder knapp 5,5 Liter Flüssigkeit in mich rein. Und die müssen auch irgendwann wieder raus. Manchmal wünsche ich mir den Fernseher eher im Badezimmer als am Bett. Bin ich doch am ersten Tag meist auf Toilette.

Den restlichen Tag verbringe ich mit Musik und Ausruhen. Um 22:00 Uhr fallen mir die Augen zu.

Über den ganzen Tag verteilt schickt Alex mir Bilder aus dem Urlaub im Center Parc, den wir ja letztes Jahr schon gebucht und bezahlt hatten, der jetzt aber leider ausfällt. Aber das gute: mein kleiner Neffe konnte meinen Platz einnehmen. Er und seine Cousinen sehen sich für mein Empfinden leider zu selten, so dass das eine schöne Gelegenheit für alle drei Kids ist, ausgiebig Zeit miteinander zu verbringen. Man merkt es auch an den Schlafenszeiten der Kids, dass sie sich richtig schön austoben. Lara schlief heute bis 9:45 Uhr, ihr Cousin J. bis 10:00 Uhr. Nur unsere große Maxima war um 8:00 Uhr schon wach. Dafür schlief sie um 10:40 Uhr wieder.

Ansonsten habe ich noch ein paar Songs in meine Spotify-Playlist bekommen. Bislang sind um und bei 230 Songs zusammen gekommen. Damit könnte ich hier in der Klinik schon eine ganz gute Party feiern. Aber hier tut sich nicht wirklich was. Hier sind zwar überall diese Stangen aufgebaut, getanzt hat da aber bislang noch niemand dran. Ich hab dann mal auf den Gang geluschert, da liefen aber schon eine Menge als Schwestern, Ärztin oder Arzt verkleidete Menschen rum. Vielleicht ist unser Zimmer ja später dran.

Bislang hat da aber noch niemand getanzt.

Ich glaub das war dann tatsächlich alles für heute… Morgen geht’s weiter!

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