Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

27 Monate

Ich erinnere mich wie heute. Mein Weg zur Notaufnahme. Der Schlaganfallverdacht. Die Untersuchungen. Der Zugang, das Kontrastmittel, die Aufnahme im Computertomographen. Das alles geschah am 29. September 2021. Ein Datum, das Stillstand in meinem Leben markiert und zugleich einen tiefgreifenden Wandel bedeutet. An diesem Tag wurde nach einer Reihe von Zufällen in meiner Lunge der Tumor entdeckt. Das Ohnmachtsgefühl, das mit dieser Erfahrung einhergeht, können Betroffene wahrscheinlich nachvollziehen. Bis heute verfolgt mich dieser Tag.

Bei jeder Nachsorge, insbesondere wenn wieder eine CT-Aufnahme auf dem Plan steht, kommen die Bilder zurück. Erinnert sich mein Hirn an die tödliche Botschaft, die mit einer solchen Untersuchung einhergehen kann. Ich versuche, die Angst wegzuatmen, was nur zum Teil gelingt. Ich kann die Augen schließen, um wesentliche Sinneseindrücke auszublenden. Und doch scheint das Körpergedächtnis stark zu sein. Der Säbelzahntiger lauert hinter dichtem Blattwerk.

Steif liege ich da. Es dauert, bis eine passende Vene gefunden wird. Zweiter Versuch. Beim dritten klappt es endlich. Dann lege ich die Arme überkopf, presse die Augenlider aufeinander, atme ruhig und möglichst gleichmäßig, während ich in die Röhre gefahren werde. „Tief einatmen und die Luft anhalten. Ganz normal weiteratmen.“ Die Stimme aus dem Lautsprecher klingt routiniert, metallisch. Dann kommt das Kontrastmittel. Spätestens jetzt übernimmt mein inneres Programm. Mir laufen die Tränen über die Wangen. Der Unterkiefer bebt. „Tief einatmen und die Luft anhalten. Ganz normal weiteratmen.“ Und nochmal: „Tief einatmen und die Luft anhalten. Ganz normal weiteratmen.“ Dann ist es geschafft.

Ich werde wieder aus der Röhre gefahren, darf mich hinsetzen. Und zittere am ganzen Körper. Der Verstand weiß, dass sich meine Chancen von Quartal zu Quartal bessern. Das damals abgespeicherte Gefühl hingegen sagt: „Es ist wie bei einer Tombola und es sind immer weniger Lose im Topf.“ Wann also werde ich wohl die Niete ziehen?

Faktisch habe ich heute – 27 Monate nach der Lungen-OP – einen weiteren wichtigen Meilenstein hinter mich gebracht. Der Krebs ist nicht zurück. Die meisten Metastasen bilden sich innerhalb der ersten 24 Monate nach Ende der Behandlung. Und doch bleibt die Euphorie aus. Mein Tumor war ein langsam wucherndes Gewächs. Bis sich aus so einer Zelle eine sichtbare Mikrometastase bildet, kann es dauern. Nach zwei Jahren ist also noch lange nicht alles vorbei für Kalle und mich.

Und selbst wenn er sich auf Nimmerwiedersehen verabschiedet hat, was ich hoffe, so bleibt die Erinnerung. Die Erschütterung hat Spuren hinterlassen. Das Vertrauen in den Körper kehrt nur langsam zurück. Und während sich mein Umfeld über die guten Nachrichten freut, bin ich vor allem eines: erschöpft. Die mentale Belastung der vergangenen Tage fordert ihren Tribut, selbst bei guten Nachrichten.

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