Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Die Reaktionen der anderen

Es gibt Sätze, die haben sich eingebrannt. Ich weiß noch bis heute, wie ich kurz vor meiner Besprechung zum OP-Termin am Bahnhof stand, um mich von Angehörigen zu verabschieden. Zu diesem Zeitpunkt bestand laut Tumor-Konferenz hochgradiger Verdacht auf ein Karzinom. Endgültig bestätigt war die Diagnose noch nicht, das sollte durch die Gewebeentnahme geschehen. Nun stand ich dort also, mit Kloß im Hals, und wusste nicht, was alles auf mich zukommen sollte.

Und dann kam er, dieser Satz: „Mein größter Wunsch ist es, dass du zu meinem Geburtstag kommen kannst.“ Interessant, dachte ich. Das ist dein größter Wunsch? Meiner wäre ja, dass ich keinen Krebs habe. Und falls doch, dass ich möglichst schnell wieder gesund werde. Aber klar, meine Teilnahme an deinem Geburtstag hat natürlich Priorität. Während der gesamten Zugfahrt zu mir nach Hause liefen die Tränen.

Wie das Umfeld reagiert

Nach einer Krebsdiagnose ist das Umfeld häufig überfordert und viele Zugehörige wissen nicht, was sie sagen sollen. Manche schweigen, bevor sie etwas Falsches sagen. Andere wollen das Thema möglichst schnell abhaken und wieder zum Alltag übergehen, weil sie es nicht ertragen, darüber zu sprechen. Es triggert ihre eigenen Ängste.

Wieder andere hauen Sprüche raus, bei denen dir schwindelig wird. Das kann extrem verletzend sein. Doch all das ist menschlich und in den meisten Fällen gar nicht böse gemeint. Gleichzeitig stellt es eine zusätzliche Belastung dar, mit der du dich auseinandersetzen musst.

Wenn der Tod an die Tür klopft und Angst dominiert, ist es nicht immer leicht, den Zynismus dann noch außen vor zu lassen und konstruktiv mit der Situation umzugehen. Mir war bereits in der oben beschriebenen Situation klar, dass der Person meine Gesundheit ganz und gar nicht egal war. Sie war überfordert und suchte nach den richtigen Worten.

Trotzdem tat es höllisch weh, so etwas zu hören. Überfordert war ich schließlich ebenfalls. Und aufgrund meiner Situation verständlicherweise emotional sehr instabil. Das merkte ich auch zwei Monate nach dem Eingriff, als ich mich – nur wenige Wochen nach meiner Reha – auf die berufliche Wiedereingliederung vorbereitete.

Verarbeitung braucht Zeit

Zu diesem Zeitpunkt stand aufgrund der Gewebeanalyse fest, dass keine weiteren Krebstherapien mehr angezeigt waren. Der Tumor, der sich als Adenokarzinom herausgestellt hatte, war mutmaßlich vollständig entfernt worden. Ich hatte großes Glück gehabt.

Gleichwohl war ich mental stark erschüttert und durch die Lobektomie körperlich verändert. Und erst langsam sickerte die Erkenntnis, was ich da eigentlich alles erlebt hatte. Mal abgesehen davon, dass mir niemand den weiteren Verlauf garantieren kann. Was wird mir künftig körperlich noch möglich sein? Kehrt der Krebs eines Tages zurück? Ich wusste es nicht.

Die Angst vor einem Rezidiv begleitet mich bis heute und ich reagiere nach wie vor oft sensibel. Es ist ja auch gerade mal eineinhalb Jahre her. Und auch, wenn mit der Zeit eine gewisse Nachsorge-Routine eingetreten ist, hat sich mein Vertrauen in den Körper und die eigenen Abwehrkräfte verändert. Die Erkrankung war und ist ein herber Einschnitt.

Es dauert, das Gefühl von Sicherheit wieder aufzubauen. Und es braucht Zeit, den Schock einer solchen Diagnose sowie das Trauma des körperlichen Eingriffs zu verarbeiten. Auf welche Weise das geschieht, ist individuell. Mich erfasste nach der Reha eine bislang unbekannte Erschöpfung. Ich hatte Flashbacks und Angstzustände.

Vorsicht vor Relativierungen

Doch statt einfach für mich da zu sein, mir zuzuhören und mir Trost zu spenden, fragte eine damalige Freundin nur zwei Monate nach der OP in verständnislosem Ton: „Warum geht es dir eigentlich immer noch schlecht, deine Prognose ist doch gut?“ Klar, wenn es doch so einfach wäre. Schalter im Hirn umlegen, Tagesordnung, lächeln, fertig. Für Außenstehende wäre das möglicherweise einfacher. Tja, sorry, not sorry.

Es folgten meine Wiedereingliederung sowie weitere Regeneration, gezielt durch Sport und lange Ruhephasen. In manchem machte ich große Fortschritte, an anderer Stelle erlebte ich Stagnation. Ich lernte andere Betroffene kennen und lotete für mich aus, was ich zu erwarten hatte. Welche körperlichen Einschränkungen würden wahrscheinlich bleiben, wo konnte ich mich verbessern und mit welchen Maßnahmen genau? Was half bei der mentalen Verarbeitung?

Ich kann kaum noch zählen, wie oft ich von verschiedenen Seiten in dieser Zeit (und bis heute) zu hören bekam: „Also wenn ich zu dir in den vierten Stock steige, schnaufe ich auch.“ Oder: „Dein Körper wird das sicher vollständig kompensieren.“ Interessanterweise habe ich das von meinem Lungenfacharzt so bislang noch nie gehört. Ist nämlich auch nicht der Fall.

Der Körper kann vieles kompensieren, ja. Aber nicht alles und auch nicht ohne meine Mitarbeit. Und der Unterschied zwischen dir und mir ist möglicherweise, dass du es einfach nicht gewohnt bist, täglich vier Stockwerke zu bewältigen. Ich war das schon. Vor dem Eingriff kam ich dort meist sehr gut ohne Schnaufen hoch. Dass ich jetzt langsamer Treppen laufe, ist kein Drama. Es hat sich aber etwas verändert und das möchte ich benennen dürfen, ohne dass es relativiert wird.

Was dir helfen kann

All diese Äußerungen, und es waren nicht die einzigen, können sehr verletzend sein. Sie müssen es nicht. Bei dir mögen andere Sprüche einen wunden Punkt getroffen haben. Dennoch erkenne ich aus vielen Gesprächen mit Betroffenen einen roten Faden. Manchen Außenstehenden fehlt schlicht das Verständnis dafür, wie stark eine Krebsdiagnose erschüttert, Angst macht und verändert.

Daneben scheinen Themen wie Krebs und der damit verbundene drohende Tod weiterhin Tabuthemen zu sein, über die „man“ nicht gerne spricht. Sie triggern bei Menschen eigene Ängste. Viele fühlen sich hilflos und ohnmächtig. Darum wollen sie das Thema möglichst schnell abhaken und zum Alltag übergehen. Anderen fehlt schlichtweg die notwendige Empathie, sich in Erkrankte hineinzuversetzen. Wie aber kannst du mit ihren Reaktionen umgehen?

1. Die Motive entschlüsseln

Vor ein paar Wochen stolperte ich auf den sozialen Netzwerken über ein Reel von Babett von @krebs_campus. Sie ist Biologin sowie Medizinpädagogin und gab den Tipp, auf Ratschläge deines Umfeldes grundsätzlich mit Wohlwollen zu blicken. „Ich glaube, die tun das, weil sie Angst haben, uns zu verlieren und weil sie sprachlos sind, genau wie wir“, sagt Babett. Hintergrund ihres Postings sind die vielen oft gut gemeinten, deswegen aber noch lange nicht immer angebrachten Ratschläge aus dem Freundeskreis und der Verwandtschaft.

Da werden Nahrungsergänzungsmittel empfohlen ohne Kenntnis möglicher Wechselwirkungen. Andere raten zu bestimmten sportlichen Aktivitäten, als seien sie plötzlich medizinische Fachleute geworden. Dabei kennen sie sich mit den Zusammenhängen deiner Krebserkrankung nicht mal annähernd so gut aus wie du. Das kann nerven und sogar wütend machen.

Babett schlägt einen Perspektivwechsel vor. Statt sich über die Übergriffigkeiten zu ärgern, sich nicht ernst genommen zu fühlen und in Rechtfertigungsdruck zu geraten, könnte es helfen, sich auf die Absicht zu fokussieren, die dahintersteckt: Liebe. Das gilt meines Erachtens auch für die von mir genannten Beispiele. Ich bin sicher, keine einzige der Äußerungen war verletzend gemeint. Versetze ich mich in die Lage anderer, verstehe ich ihre Motive besser und nehme Reaktionen weniger persönlich.

2. Eigene Gefühle hinterfragen

Apropos nicht persönlich nehmen: Deine emotionale Reaktion auf die Äußerungen anderer hat immer auch mit deinen eigenen Themen zu tun. Werden durch sie wunde Punkte von dir getroffen, verstärkt das in der Regel die emotionale Resonanz darauf. Beispiel: Du wünschst dir Trost, weil du dich in der Situation allein fühlst, und erntest stattdessen Unverständnis? Dann kann deine Reaktion sehr heftig ausfallen, wenn das Gefühl, dich nicht ernst genommen zu fühlen, aus Kindertagen tief in dir verwurzelt ist.

Je höher deine derzeitige Belastung ist, desto stärker werden diese emotionalen Muster in dir wirken. Dir fehlt schlicht die Kraft, einer Kränkung dann noch viel entgegenzusetzen. Und eine Krebserkrankung, darin sind wir uns vermutlich einig, stellt eine enorme Belastung dar.

Wer die eigenen emotionalen Muster kennt, wird seine*ihre Gefühle in Reaktion auf Äußerungen anderer besser einordnen können. Es lohnt sich daher immer, zwischendurch Zeit zur Reflexion zu nutzen und genau hinzuschauen, was an der erlebten Situation eigentlich gerade so verletzend war und warum.

Wenn du erkennst, welchen Anteil an deinem Erleben du selbst hast, kann dir das helfen, den Schmerz zu lindern und deine eigenen Bedürfnisse künftig klarer auszudrücken.

3. Das Gespräch suchen

Deine Bedürfnisse benennst du am besten in einem persönlichen Gespräch. Dort kannst du zum Ausdruck bringen, dass du Anteilnahme zu schätzen weißt, und gleichzeitig sagen, wie manche Äußerungen bei dir ankommen. Damit das gelingt, ist allerdings die Offenheit aller Beteiligten erforderlich.

Ich selbst habe viel Verständnis, aber auch ein, zwei heftige verbale Attacken erlebt, nachdem ich nicht so dankbar und erfreut auf manches Gesagte reagierte, wie erwartet. Auch dein Gegenüber hat seine*ihre Themen, fühlt sich dann gegebenenfalls nicht gesehen oder nicht ernst genommen. Im besten Fall könnt ihr diese Knoten im Gespräch gemeinsam auflösen.

4. Den Fokus verändern

Manchmal aber hilft das alles nichts und dir fehlt einfach die Kraft, dich noch weiter zu erklären. Oder das Verhalten anderer abzupuffern. Dann ist es in Ordnung, ein wenig in deinem Umfeld aufzuräumen. Ich schaue zunehmend genau, mit wem ich meine Zeit verbringe, wem ich mich anvertraue und was mir guttut.

Das muss nicht in jedem Fall bedeuten, gleich den Kontakt zu Menschen abzubrechen. Aber selbst das ist erlaubt, wenn der Kontakt deinem Wohlbefinden dauerhaft abträglich ist. Manchmal hilft es vielleicht auch einfach, die wichtigen Dinge lieber mit wenigen Personen zu besprechen, die unterstützend und konstruktiv damit umgehen.

Daneben solltest du dich auf alles konzentrieren, das dir Kraft gibt und (Lebens-)Energie spendet. Das kann gesunde Nahrung sein, eine Psychotherapie oder ausreichend Bewegung, aber auch ein schönes Hobby und ausreichend Schlaf. Wer entspannter ist, reagiert in der Regel auch gelassener auf vermeintliche „verbale Angriffe“. Wichtig ist, dass du dich und deine Genesung jetzt ganz oben auf die Prioliste setzt. Denn da gehören sie hin.

Wie Zugehörige unterstützen können

Wenn du diesen Text bis hierhin als Angehörige oder als Freund gelesen hast und dich fragst, wie um alles in der Welt du denn stattdessen reagieren solltest, so fallen mir folgende Tipps ein:

  1. Mache dir klar, in welcher Ausnahmesituation sich ein Mensch befindet, der eine solche Diagnose erfährt. Signalisiere Betroffenen daher deutlich, dass ihre Behandlung und Genesung oberste Priorität haben. Dass auch du davon betroffen bist und dich sorgst, steht außer Frage. Der*die Betroffene ist in der Akutphase allerdings die falsche Person, um dich zu trösten oder deine Bedürfnisse zu erfüllen. Suche dir für deine persönlichen Belange Unterstützung an anderer Stelle, zum Beispiel bei engen Freund*innen oder bei einer psychoonkologischen Fachkraft.
  2. Stelle die Wahrnehmung deines Gegenübers nicht in Frage. Es gibt genau eine Person, die beurteilen kann, wie es ihr mit der Erkrankung geht, auch Monate danach: der*die Erkrankte selbst. Höre zu und stelle Fragen, um seine*ihre Lage besser zu begreifen. Gehe dabei aber bitte empathisch vor und zeige Verständnis.
  3. Meide Relativierungen. Auch wenn etwas wie „Ich komme die Treppe auch nur schwer hoch“ vielleicht als Trost gemeint ist und du damit eine empfundene Belastung lindern willst: Wie schwer es für eine Person ist, mit der Behandlung, mit Ängsten sowie den Folgen der Therapie umzugehen, kann nur sie selbst beurteilen. Stattdessen könntest du also fragen: „Wie geht es dir damit? Was hilft dir dabei?“ So erfährst du besser, was in deinem Gegenüber vorgeht und welche Reaktion angebracht ist.
  4. Überhaupt sind Fragen ein wirkungsvolles Tool, nutze es. Die einen Betroffenen wollen gerne nach der Diagnose abgelenkt werden, andere haben vielleicht das Bedürfnis, über ihre Ängste zu sprechen. Finde also am besten im Gespräch heraus, wie du unterstützen kannst, indem du danach fragst. Ungebetene Ratschläge können hingegen schnell ein Gefühl von Bevormundung hervorrufen.
  5. Lass Betroffene nicht im Regen stehen. Ja, auch für dich kann die Situation sehr belastend sein. Und ja, natürlich ist es legitim, dass du gut auf dich aufpasst und deine eigenen Energiereserven nicht aus den Augen verlierst. Gleichzeitig hilft es immens, wenn man als betroffene Person weiß, dass man nicht allein durch all das durch muss. Du kannst sie beispielsweise zu Arztterminen begleiten, um sie emotional zu unterstützen. Du kannst außerdem Tätigkeiten im Haushalt übernehmen oder einkaufen. Auch hier zählt eine gute Kommunikation. Wichtig ist, die Betroffenen entscheiden zu lassen, was sie selbst erledigen möchten und was nicht.

Sicher gibt es noch weitere Tipps, was du tun kannst. Ich berichte hier aus meinem persönlichen Erleben. Über Nachrichten und Ergänzungen freue ich mich.

Klar ist, für niemanden ist der Umgang mit einer Krebserkrankung leicht. Das gilt natürlich für Betroffene, aber auch für ihre Zugehörigen. Verletzungen und Missverständnisse vollständig zu vermeiden, wird in einer solchen Situation wohl kaum möglich sein. Ein besseres Verständnis füreinander aber ist eine gute Grundlage, die herausfordernde Zeit gemeinsam durchzustehen.

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