Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Angst, lass nach

Und da war ich dann, also. Frisch operiert, zweimal sogar, konnte ich kaum erwarten, endlich von meiner Ärztin zu hören, dass ich weiter zu Bestrahlung kann. Mich lernten meine zwei Erkrankungen großer Geduld, wenn es um die Wartezeiten geht. Ich verbringe heute Stunden und Stunden mit Warten, ohne dass mich das irgendwie aufregt. Mit einem Buch in der Hand oder Tasche, warte ich so, bis ich dran bin. Sogar wenn die Menschen vor mir aufgerufen werden, die sich nach mir angemeldet haben. Es wird sicher einen Grund geben, weshalb sie früher dran sind. Passiert bei mir auch manchmal. Geduld ist eine Tugend. Nur hätte ich nie gedacht, dass ich eines Tages so einen Zustand erreichen werde.

Von Natur aus bin ich sehr ungeduldig. Wenn etwas gemacht oder zu Ende gebracht werden muss, dann hätte ich am liebsten, dass das sofort und jetzt und am besten noch gestern (vorgestern wäre noch besser) passiert. Mich macht verrückt, wenn sich etwas verzögert. Und da hat sich verzögert. Zuerst war nur von einer Operation die Rede, und dann kam doch noch eine zweite dazu. Wie ich bereits schrieb, schon dieses Ereignis warf mich ein bisschen aus der Bahn.

Und als es dann endlich so weit war, ich für die Strahlentherapie freigegeben und mein Vermessungs-CT gemacht wurde, kam heraus, dass mein Defibrilator im Strahlenfeld ist. Das heißt, die Batterie selbst nicht, sondern die Sonde, die gegebenenfalls schocken würde. Oh, Maria. Da hieß dann, wir wissen nicht, ob durch die Strahlentherapie nicht ein “Fehlalarm” ausgelöst wird und dadurch auch Herzrhythmusstörungen hervorgerufen werden. Ich müsste das im AKH abklären. Gesagt, getan.

Es ist für mich heute noch überraschend, wie schnell manches funktioniert, wenn es um unser Gesundheitssystem geht. Ich musste zwar ein paar Tage warten, weil in der Defiambulanz niemand war, aber als ich dann gleich am Montag anrief und sagte um was es ging, da bekam ich einen Termin ohne wenn und aber sofort für den nächsten Tag. Somit konnte das geklärt werden und ich, eine Woche später als geplant, meine Strahlentherapie anfangen.

Manch einer würde vielleicht, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar, beim Gedanken, dass er im nächsten Moment einen Herzinfarkt bekommen könnte (Gott behüte), in Panik ausbrechen. Ebenso verhält sich mit dem Krebs. Ich nicht. Mir ist es durchaus bewusst, dass beides reale Bedrohungen sind, jedoch lässt mich das kalt.

Ab und zu denke ich daran, jedoch verzweifle ich nicht deswegen. Beide gehören zu meinem Leben. Wenn ich aber an eine andere Situation denke, dann wird mir sofort mulmig. Wie zB. eine Untersuchung. Dabei meine ich nicht die Befunde. Klar mache ich mir Gedanken darüber, und ebenfalls wünsche ich mir, dass die Befunde gut sind. Am liebsten “ohne Befund”, wie man das so schön sagt. Ich denke viel mehr darüber nach, dass mir auf der Liege irgendetwas passieren könnte. Besser gesagt, ich habe Angst, dass ich vielleicht (totale Blödsinn, ich weiß), womöglich runter fallen könnte.

Weshalb schreibe ich das jetzt? Um euch mein Gefühl zu vermitteln, als ich an die Strahlentherapie dachte. Wieso ich mir darüber mehr Sorgen machte, wieso mir das mehr ausmachte, als meine Krebsdiagnose und mein Herzinfarkt zusammen, weiß der Geier.

Ich wurde operiert, nur war meine kleinste Sorge, wie die Operation verlaufen wird, sondern viel mehr, dass mein Herz sein Rhythmus beschleunigen und ich das über Monitor mitbekommen könnte. Diese Gedanken sind absurd, denn weder werde ich von der Liege runter plumpsen, noch hautnah Kammerflimmern erleben.

Und trotzdem beschäftigen sie mich. Sie drehen sich um mich, als wäre ich in einem Wirbel gefangen. Deshalb habe ich seit ein paar Wochen eine Strategie. Zumindest denke ich das. Ob sie tatsächlich funktionieren wird, das wird noch die Zeit zeigen.

Ich denke, der Gedanke “ich bin zu nichts gezwungen”, könnte dabei tatsächlich helfen. Alles, jede Untersuchung, jeder Eingriff, passiert freiwillig. Es wird gemacht, damit es mir besser geht. Damit werde ich jetzt versuchen da durchzukommen.

Schon bald werde ich wieder die Gelegenheit haben, das auszutesten. In ein paar Wochen wird nämlich meine Defibatterie ausgetauscht. Da wird sich das zeigen. Ich habe ein sehr ambivalentes Verhältnis zum AKH. Mir ist es bewusst, dass das für mich (meine Herzerkrankung) der sicherste Ort überhaupt ist, trotzdem fühle ich mich dort extrem unwohl. Es macht mir Angst.

In letzter Zeit fällt mir jedoch auf, da ändert sich etwas. Der Gedanke selbst, daran, dass ich hingehen werde, ist nicht mehr so angsteinflößend, wie er das mal war. Schauen wir mal. Es wird sich herausstellen.

Jedenfalls fand ich heraus, es ist hilfreich, sich selbst zu sagen “ich schaffe das”. Egal wie klischeehaft sich das anhört, es bringt einen weiter, selbst dann, wenn diese Stimme ganz leise und zerbrechlich ist, und die andere, die uns zuflüstert “du hast Angst” viel lauter und stärker.  Es kommt immer auf einen Versuch an. Die wichtigste Kunst überhaupt jedoch ist, in dem Moment, in dem in uns alles drunter und drüber geht, darauf zu kommen. Ich versuche es immer wieder und finde langsam heraus, es funktioniert. Mir ist es bewusst, dass solche Veränderungen nicht über Nacht passieren, aber das müssen sie auch nicht. Gut Ding braucht Weile, wie man das so schön sagt.

Schließlich “überstand” ich auch die Strahlentherapie. Wenn ich daran denke, wie ich mich bei der ersten Therapie fühlte, wundert mich heute noch, dass ich liegen blieb. Wenn sich im Gehirn die ganze Zeit nur der Satz “ich will hier weg” dreht, dann macht das schon etwas mit einem.

Ein Glück für mich waren die Menschen, die dort arbeiten. Die sind alle insgesamt sehr nett gewesen und behandelten mich sehr gut. Es gab keinen Tag, an dem sie nicht fragten, wie es mir geht. Am ersten Tag sagte ich, dass ich ein bisschen mit Panik kämpfe, wenn ich auf der Liege bin, und sie gingen immer darauf ein. Wir haben herausgefunden, dass mich die Musik beruhigt, und so schalten sie immer sofort diese ein, als ich dran war.

Ich verbringe viel mehr Zeit in den Ambulanzen und Spitälern, als mir das lieb ist und ich mir überhaupt je vorstellen könnte. Das hat jedoch andere Dinge bei mir verändert. Während ich früher öfters dachte “soll ich das überhaupt fragen” oder “blamiere ich mich, wenn ich diese Frage stelle”, schreite ich heute selbstbewusst mit einem Fragenkatalog herein. Anders geht es bei mir nicht. Nach dem ich einige Male rauskam und ein paar Minuten später begriff, was ich alles vergaß zu fragen, beschloss ich, die Fragen aufzuschreiben und so ausgestattet, hinzugehen. Früher herrschte bei mir immer die Einstellung, “ah, die paar Fragen, die werde ich mir schon merken”. Kaum war ich drin, war mein Gehirn wie leergefegt.

Und wenn ich daran denke was ich in seit meine Diagnose alles erlebt und gelernt habe, bin ich sicherer denn je: Es gibt keine negative Erfahrung ohne positive Veränderungen. Ob ich meine Krebserkrankung salopp eine “negative Erfahrung” nennen kann? Ja. Es ist schließlich keine positive. Und es ist mein Krebs. Ich darf das.

Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Mal

Miri

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