Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Es ist eh nur Brustkrebs

Wir alle haben es schon von einem oder anderer gehört…. “Es ist nur Brustkrebs, zum Glück..” Zum Glück? In solchen Momenten frage ich mich, ob ich mich verhört habe oder dieser (kann auch ein ähnlicher sein) Satz tatsächlich gefallen ist.

Und ich verstehe natürlich, woher er kommt und wieso er gesagt wird. Es ist vor allem der Versuch, jemanden zu trösten. Nur, ganz ehrlich, wenn jemand nichts besseres zu sagen hat, wäre es besser zu schweigen. Was bedeutet “.. eh nur Brustkrebs ..” in dem Fall?

Dazu sage ich Folgendes: Vor ein paar Tagen fiel mir eine Frage ein. Eine ganz simple Frage, die mich jedoch wirklich nicht in Ruhe ließ. Wieso heißt Krebs Krebs? Wieso heißt er nicht anders, zB Ziege oder Pferd? Schlange könnte auch in Frage kommen. Vielleicht wäre Elefant viel passender? Das fragte ich mich allen ernstes.  Und da dachte ich mir, Google wird das sicher wissen. Ich gab die Frage in die Suchmaske ein, dh. nicht mal ganz, schon nach “wieso heißt kr..” kam der Vorschlag “wieso heißt krebs krebs”. Der Gedanke, aha, es gibt anscheinend jede Menge anderer Menschen, die sich das auch fragen, war sofort da. Als ich die Antwort las, staunte ich.

“Die Krankheit Krebs hat ihren Namen tatsächlich von dem Tier, dem Krebs: Die Bezeichnung geht zurück auf Hippokrates (460 bis 370 vor Christus), den berühmtesten Arzt des Altertums. Ihm wurde später auch der Hippokratische Eid zugeschrieben.
Hippokrates wurde auf der griechischen Insel Kos geboren und praktizierte dort viele Jahre als Arzt. Bei Untersuchungen von verschiedenen Organen hatte er bösartige Geschwulste entdeckt. Als er die Brüste von älteren Frauen untersuchte, entdeckte er häufig Schwellungen und bezeichnete sie als „karkinos“ – weil sie ihn an die Krebse erinnerten, wenn sie sich in den Sand eingraben.” (Quelle: https://www.bayerische-krebsgesellschaft.de/informationen/fakten-ueber-krebs/was-ist-krebs/?L=0)

Da sind wir also. Eine heimtückische Krankheit, vor der ein jeder wirklich Angst hat, trägt ihren Namen nur deshalb, weil sie häufig in der Brust älterer Frauen entdeckt wurde. Und doch fallen diese Sätze, die den Brustkrebs als weniger gefährlich beschreiben. Es ist nicht “nur Brustkrebs”. Es ist Krebs. In seiner ganzen Gefährlichkeit und Bedrohung.

Mir ist es bewusst, dass es viele Arten von Krebs gibt, die noch gefährlicher sind. Damit meine ich, dass sie viel leichter andere Organe befallen oder zu spät entdeckt werden. Das kann jedoch auch bei Brustkrebs passieren. Auch ein ganz kleiner Knoten, für den es auf den ersten Blick vielleicht eine gute Prognose gibt, kann sich auf einmal herausstellen als das, was er von Anfang an war. Als Krebs. Der schon einige Metastasen produziert und einen großen Schaden angerichtet hat.

Er kann auch schon vom Anfang an sehr aggressiv sein und auch sehr schnell wachsen. Wenn das Brustgewebe etwas  dichter ist, kann er auch unentdeckt bleiben und großen Mist anrichten.

Diese Verharmlosung in der Gesellschaft ist teilweise allgegenwärtig. Ich hörte schon oft, dass sich an Brustkrebs erkrankte Menschen (überwiegend Frauen), solche Aussagen anhören müssen. Es hätte schlimmer kommen können. Natürlich. Aber wie meinst du das, muss ich dich fragen. Für mich ist das schon schlimm genug.

Mir selbst ist vor ein paar Tagen passiert, dass ich auf ein “wie geht es dir” mit “gut, es gibt schlimmeres” antwortete und in diesem Augenblick meinte ich es auch so. Nur, in dem Moment, als der Satz draußen war, fragte ich mich, was erzählst du hier für einen Blödsinn? Die Erklärung ist ganz simpel: Mir ging es gut. Es gab schlimmeres auf der Welt in dem Moment. Und: Ich lebe immer nur Tag für Tag, seit meiner Wiederbelebung. Last, but not least: Meine Antwort betraf nur mich und ich bezog mich darauf, dass ich noch da bin, obwohl dies nicht so ganz selbstverständlich ist. Für mich hieß das, ich lebe noch.

Das ist meine Orientierung. Mein Hafen, wenn man so sagen will. So lässt es sich für mich leben. Andererseits würden mich wahrscheinlich Ängste auffressen. Und so lange der Gedanke “wieso sich Sorgen über die nächste Woche machen, wenn ich nicht mal weiß, ob ich diese überlebe” da ist, ist es für mich leichter, durch mein Leben zu gehen. Es heißt jedoch nicht, dass dieses “es gibt schlimmeres” jeden Tag oder gar für jede am Brustkrebs erkrankte Person gilt.

Es gibt nichts schlimmeres. Nur Tod. Für jede Frau oder jeden Mann (ja, Männer können auch Brustkrebs bekommen), die/der diese Diagnose bekommt, hört die Welt auf, sich zu drehen. Es stellen sich die Fragen auf wie “was kann ich noch machen”, “war das jetzt mit meinem Leben”, “erlebe ich das noch”, “werde ich meine Kinder noch aufwachsen sehen” oder “werde ich überhaupt Kinder haben können”? Nur einige Beispiele. Sie kann und endet auch zu oft tödlich.

Ich will jedoch nicht aus den Augen verlieren wie weit die Wissenschaft heute schon fortgeschritten ist. Die Therapien werden ständig verbessert, es kommen immer bessere Medikamente. Viele Frauen aus meinem näheren Umfeld, die diese Erkrankung vor Jahren hatten, sind noch immer da. Das weiß ich. Das gibt mir Zuversicht.

Apropos Wissenschaft: Wenn mal die Frage geklärt ist, ist es Krebs oder doch nicht, und wenn ja, welche Art davon und welche Therapie dafür die geeignete ist, und eine Frau diesen Zustand irgendwie begreift, dann fangt eine andere Sorte von Fragen die erkrankten Frauen zu beschäftigen. Vielleicht nicht alle Frauen, aber die meisten. Wie werde ich aussehen? Wie wird meine Brust aussehen? Wie wird mich mein Partner sehen? Wird er mich noch begehren? Bin ich noch begehrenswert? Werde ich überhaupt wieder einen Partner finden? Und falls eine Mastektomie (eine Amputation der Brust) notwendig ist: Was mache ich? Was ist das beste? Mit Aufbau oder ohne? Und wenn Aufbau, sofort oder erst später? Lieber Silikon oder doch Eigengewebe? Das sind nur einige Fragen, die sich aufstellen. Es gibt viele mehr, ob ihr mir glaubt oder nicht. Wenn eine Patientin Glück hat bzw. alles läuft wie gewünscht und es auch laufen soll, dann wird sie auch von ihren Ärzten sehr gut beraten. Wenn nicht, dann passiert die Aufklärung zwischen  Tür und Angel. Aber es ist “eh nur Brustkrebs”

Ich habe aber auch in letzten Monaten einige Frauen gehen gesehen, vor denen ich mich nur in meinen Gedanken oder mit ein paar Sätzen in unseren Foren verabschiedete. Jeder dieser Verluste hat weh getan. Und es zeigt umso mehr: Es sterben viel zu viele Frauen daran, um diese Diagnose zu verharmlosen. Der Tod ist bei dieser Krankheit oft zu Gast.

Irgendwelche Statistiken sind ganz sicher nicht mein Leben und eines werde ich sicher nicht tun, nämlich zu googeln wie hoch die Sterberate von irgendwelcher Erkrankung ist, aber sogar mir ist es zu Ohren gekommen, dass angeblich 87% der Erkrankten nach der ersten fünf Jahren nachdem Brustkrebs diagnostiziert wurde, noch leben. Das finde ich nicht verachtenswert, aber ich bin eine, die auch erkrankt ist, und aus diesem Grund finde ich, ich darf das sagen. Und es betrifft wieder nur mein Leben.

Ich werde mich davor hüten, zu jemanden, der auch Diagnose Brustkrebs erhalten hat, zu sagen “Es ist eh nur Brustkrebs”, “Es hätte schlimmer kommen können” oder “Den oder die hat es viel schlimmer erwischt”. Jede, ausnahmslos jede Krebsart, kann mit dem Tod enden. Egal, wo er sich eingenistet hat. Und er kann mal weg sein, nur damit er nach ein paar Jahren oder Jahrzehnten wieder kommen kann. Besonders gerne als Rezidiv in der Brust. Oder in der anderen Brust, was dann als eine neuerliche Erkrankung gilt. Oder in Form von Metastasen.

Was mich selbst betrifft: Ich versuche mich damit nicht zu sehr zu belasten. Es gilt, wozu sich Sorgen machen über etwas, was eh nicht in meinen Händen liegt. Ob ich mich sorge oder nicht, das ändert gar nichts an den Tatsachen, es vermindert nur meine Resilienz. Und das ist etwas, was ich gar nicht gebrauchen kann. Psychische Widerstandskraft dagegen schon.

Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Mal

Miri

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