Annette fragt… Anna Farris
Es wird immer mehr
Das da oben auf dem Foto, das bin ich, verewigt mit der Hand meines vierjährigen Neffen. Das Bild wurde mir vor kurzem feierlich übergeben, als wir uns endlich, nach etwas mehr als zwei Jahren, wieder sahen. Klar, er muss noch an den Proportionen arbeiten, zumindest kommt es mir so vor, jedoch traf er mit seiner Zeichnung ins Schwarze.
So wie er mich zeichnete, so fühle ich mich zurzeit. Meine Beine sind nicht so lang (da würde selbst die Klum vom Neid erblassen), aber der Rest dürfte passen. Die Körperformen verschwinden zusehends, die Arme werden langsam, aber sicher, zu kurz, und ich kann mich kaum noch bücken. Beinahe ein Luftballon eben.
Eins möchte ich gleich am Anfang sagen: Eigentlich dachte ich, das Thema Gewicht wäre für mich erledigt. Eigentlich. Wenn ich jedoch daran denke, was in den letzten Monaten mit meinem Körper passiert (Figur kann ich fast nicht mehr dazu sagen), kann ich unmöglich das sein lassen und nicht darüber sprechen.
So weit ich mich erinnern kann, war ich immer schon etwas kräftiger. Es gab eine kurze Phase in meinem Leben (aus den Fotos ersichtlich), in der ich normalgewichtig aussah, jedoch sonst begleiteten mich immer ein paar Kilos zu viel. Manchmal wurde ich deswegen von anderen Kindern (solchen, die mich nicht kannten) gehänselt (heute würde man wohl sagen “gemobbt”), jedoch konnte ich das immer ganz gut wegstecken, zumindest tat ich so. Es hat mich natürlich verletzt, jedoch auch stärker und widerstandsfähiger gemacht.
Ich träumte immer davon, abzunehmen. Und so ging das, auf und ab. Jedes Mal, als ich abnahm, kam wieder etwas mehr dazu. Mich hätte damals niemand adipös genannt, jedoch war es genug, um eine Teenagerin unglücklich zu machen. Dann, mit 21 gelang mir endlich das, was ich mir jahrelang vornahm. Irgendwie fand ich den Weg abzunehmen, schaffte das und hielt das Gewicht jahrelang. Mal nahm ich wieder zu, die Kilos gingen aber schnell wieder runter.
In meinen späten Dreißigern fühlte ich mich endlich wohl in meiner Haut, hatte nicht zu viel und nicht zu wenig auf den Knochen, und dachte mir so, ich war noch nie ganz schlank, werde sicher auch nicht sein, und das ist gut so. Ich schloß den Frieden mit mir und war im Reinen mit meinem Körper. Bis zu meinem Herzinfarkt.
Der veränderte einiges, es kamen ein paar Kilos wieder dazu im Laufe der Jahre, aber nicht zu viel. Vier Kilos in sechs Jahren für eine Frau über vierzig finde ich nicht zu viel. Da mag jemand eine andere Meinung haben (es steht ihm/ihr auch zu), jedoch ich fühlte mich weiterhin gut in meiner Haut, war zufrieden, hörte auf zu rauchen und versuchte mein Leben, so gut es geht, eingeschränkt wegen der Krankheit, weiter zu leben.
Und dann kam die Diagnose Brustkrebs in mein Leben. Dass sie so viel mit meinem Körper machen wird, das dachte ich nicht. Am Anfang war der Gedanke, ok, mit einem blauen Auge davon gekommen, kein Chemo notwendig, nur die Operation, Strahlentherapie und Antihormontherapie. Das war und ist immer noch beruhigend für mich, wobei: Ich würde alles machen, was notwendig ist, vor acht Monaten und heute. Ich bin da. Lebe.
Nur: Auf der Waage wurde immer mehr. Aus dem Spital wurde ich nach vier Tagen entlassen mit drei Kilo mehr. Hä? Wie geht denn das? Sie haben mich nicht gemästet. Laut meiner Ärztin durch die Narkose. Menschen fahren in die Reha und nehmen dort ab. Ich ließ meine Portionen reduzieren und kam wieder mit zwei Kilos mehr zuhause an. Meine erste Reaktion auf der Waage war fluchen und ich bin nicht stolz darauf.
Vor vier Tagen stellte ich mich nach meinem Urlaub auf die Waage. Wieder zwei Kilo mehr. Und wenn ich lese wie viel andere Frauen durch die Antihormontherapie auch zugenommen haben, wird mir nicht leichter ums Herz, weil ich frage mich, wie weit soll das noch gehen. Es geht mir schon lange nicht um das Aussehen oder die Schönheit. Wie gesagt, ich bin mit mir im Reinen und auch dessen bewusst, dass Medikamente ihre Nebenwirkungen haben, was sich durchaus aufs Gewicht schlagen kann.
Es geht mir um meine Gesundheit. Es geht um das Herz. Jedes zusätzliche Kilo ist für mein Herz schlecht. Die Kilos sollten runter und nicht rauf. Deshalb macht mich diese Gewichtszunahme manchmal verzweifelt. Manchmal sage ich auch einfach, ach, pfeif drauf, Hauptsache leben, und dann wieder, gleich im nächsten Moment, macht sich die Verzweiflung breit, weil ich nicht mehr weiß, wie es weiter gehen soll.
Vielleicht sind das Luxusprobleme für jemanden. Möglicherweise wird sich jemand denken, diese Probleme möchte ich haben. Der wird dann aber mit Sicherheit nicht wissen, dass Übergewicht eines der häufigsten Risikofaktoren bei verschiedenen (lebensbedrohlichen) Krankheiten ist.
Mir ist das Thema überaus wichtig und deshalb beschloß ich, ein paar Worte darüber zu schreiben, bevor ich weiter erzähle, wie es bei meiner Operation fortging.
Als ich nach meiner Operation erfuhr, dass ich für einige Zeit mit dem Sport besser Pause machen und meinem Körper Zeit geben soll, sich zu erholen, dachte ich mir, ok, zuerst die Behandlung und dann kümmere ich mich um die Kilos.
Eines ist klar: Mit meiner vorhandenen Herzinsuffizienz (auch Herzschwäche genannt) ist viel Sport im Moment nicht drin. Und die zusätzliche Antihormontherapie, die mir für einige Jahre lang erhalten bleiben wird, erleichtert auch nicht die Sache wirklich. Eher erschwert. Ich brauche sie aber und will auch nicht auf sie verzichten. Wenn ich Sport mache, darf der Puls nicht zu hoch sein. Das heißt, Abnehmen gestaltet sich bei mir etwas schwierig, aber ich bleibe dran, denn das bin ich mir schuldig.
Jetzt ist es so weit. Ich versuche wieder den Fuß zu fassen, nur klappt es noch nicht so, wie ich das will. Die Erschöpfung ist da, und wenn ich am Vormittag einen Termin habe, ist der Tag für mich erledigt, also fällt das Training flach, aber zumindest einmal in der Woche im Studio zu sein, ist das Ziel. Vielleicht schaffe ich dann bald auch zweimal in der Woche. Darauf arbeite ich hin. In der Zwischenzeit heißt es, bewege dich im Alltag, so gut es geht und 10 000 Schritte sind das Ziel.
In meinem Leben haben sich zwei schwierige Erkrankungen eingenistet und ich versuche, so gut es eben geht, mit beiden zu leben. Eine Erkrankung beeinflusst leider die andere und es gilt herauszufinden, was kann ich jetzt noch machen. Die Katze beißt sich ein bisschen in den Schwanz. Die Hoffnung, beide unter einem Hut zu bekommen, die lebt. Sonst wäre das nicht ich.
Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Mal
Miri