Erleichterung vs. Belastung
Iss keinen Zucker. Alternative und supportive Therapieansätze bei Krebs
Ich stehe auf Kriegsfuß mit alternativen Therapien.
Das hat nichts damit zu tun, dass ich überzeugt bin, dass die Schulmedizin der einzig richtige Weg und alles andere Blödsinn ist. Ganz im Gegenteil: ich glaube sogar, dass für manche Betroffenen alternative Ansätze sehr sehr wertvoll sind.
Das Problem, das ich mit jeder Art alternativer Krebstherapie habe ist eher in der Intention und den dafür werbenden Menschen zu finden.
Die allermeisten Menschen sind sich, auch ohne Krebserkrankung, darüber im Klaren, dass ein gesunder Lebensstil eben gesund ist. Wir wissen, dass Alkohol und Zigaretten uns schaden, dass verbranntes Krebs erzeugt, dass wir zu viel Zucker essen und uns zu wenig bewegen. Wir wissen, dass uns Stress schadet, dass wir mehr frische Luft und weniger direkte Sonne brauchen.
Die allermeisten Menschen haben viele viele Jahre Zeit um so viel Kurkuma zu essen wie sie möchten, Himmbeeren und Schwarzkümmelöl in ihrem Speiseplan zu etablieren, regelmäßig Sport zu machen und hochverarbeitete Lebensmittel weitestgehend zu vermeiden und das alles ganz ohne oder eben lange vor der Krebsdiagnose.
Genau diese Menschen sind es aber, die selbst keinen Krebs haben, aber mit schlauen Hinweisen dazu nicht zögern sobald jemand in ihrem Umfeld Krebs bekommt.
Da wird dann nach Ursachen und Verantwortlichkeiten gesucht und dem Betroffenen suggeriert er hätte sein Leben anders leben müssen.
Meiner Meinung nach sollte jeder Mensch an diesem Punkt Mal vor allem auf sich selbst schauen.
Ich bin absolut überzeugt, dass ich meinen Krebs mit meiner Ernährung Mal so gar nicht beeindrucken kann. Aber wenn irgendjemand von etwas anderem überzeugt ist, warum zieht er nicht seine Schlüsse daraus und verbindert so seine eigene zukünftige Krebserkrankung?
Ich denke das ist Verlegenheit. Die Menschen um mich herum wissen, dass ich sehr krank bin und sie wollen helfen. Also greifen sie nach jedem Strohhalm. Und statt zu sagen “ich bin für dich da” fällt ihnen nichts ein als unwissenschaftliche Ratschläge die mir das Gefühl geben meine Erkrankung wird in ihrer Aggresivität überhaupt nicht ernst genommen. Stattdessen sucht man die Verantwortung für mein Pech in meinem (früheren) Verhalten.
Viele Ansätze sind einfach widerlegt, die meisten versprechen überhaupt keine Wirkung auf die Krebserkrankung.
Die meisten supportiven Therapieansätze wollen vor allem Nebenwirkungen schulmedizinischer Therapien lindern. Und das tun sie unter Umständen sehr gut.
Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Beispielsweise fühlt man sich mit Sicherheit besser, wenn man sich jeden Tag aufrafft und spazieren geht, vorher einen gesunden Smoothie trinkt und auf Industriezucker verzichtet. Vermutlich fühlt sich jeder Mensch dann besser.
Das ist sicher keine schlechte Idee.
Nur für viele Krebspatienten ist die Erkrankung so einnehmend, dass die individuelle und oft aufwändige Anpassung des eigenen Lebensstils vor allem Kraft und Kapazitäten kostet die sie nicht übrig haben. Viele Krebspatienten wollen gute Tage genießen, das Essen worauf sie Lust haben, ohne schlechtes Gewissen auf der Couch liegen, wenn es ihnen nicht gut geht. Denen hilft es dann nicht ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen, weil sie vermeintlich ungesund leben.
Und das ist es was Aussenstehende tun. Sie bauen Druck auf. Jeder aus einer anderen Richtung. Es gilt nicht nur zu entscheiden ob man supportiv tätig werden will, es gilt auch zu entscheiden wie.
Um sich ein umfassendes Bild zu machen bedarf es vieler Stunden Recherche. Was könnte mir tatsächlich gut tun? Was kann ich auch tatsächlich in meinen Tagesablauf integrieren?
Bei der Recherche fällt dann oft schnell auf, das es auch um viel Geld geht. Nahrungsergänzungsmittel und Bücher die unterschwellig große Versprechen machen sind absolut an der Tagesordnung. Da geht es um die “Stärkung des Immunsystems” und darum welche Lebensmittel Krebszellen töten können. So ein Buch kostet Mal schnell 15-20€. Sein Inhalt zeigt dann vor allem was wir längst wissen: gesunde Ernährung ist gesund.
Kein Lebensmittel tötet unseren Krebs und schaut man genau hin behaupten auch die Zahlreichen “Fachbücher” das nicht. Viel eher geht es um Vorbeugung und einen guten Allgemeinzustand unter schulmedizinischer Therapie.
Ich kann unmöglich auf jede supportive oder alternative Idee in der Krebsmedizin eingehen, aber ich möchte mir drei Themen vornehmen um meine Meinung verständlich zu machen:
Zucker:
Ich denke so ziemlich jeder Krebspatient kennt die Aufforderung: verzichte auf Zucker. Krebszellen brauchen Zucker.
Die Aussage ist so wahr wie sie falsch ist.
Wie jede Zelle braucht auch eine Krebszelle Zucker (Energie). Selbstverständlich.
Da Krebszellen sich (unter anderem) dadurch von gesunden Zellen unterscheiden, dass sie sich sehr schnell vermehren brauchen sie in der Regel auch sehr viel davon. Deshalb kostet uns Krebs viel Kraft. Krebs zehrt an den Energiereserven und insbesondere, wenn der Krebs große Teile des Körpers eingenommen hat verlieren Krebspatienten oft merklich an Gewicht und eben an Kraft.
Der These, dass Krebszellen Zucker brauchen muss man also nicht und sollte man nicht wiedersprechen.
ABER: Krebszellen haben keinen Zugriff auf unseren Mageninhalt. So funktioniert der menschliche Organismus einfach nicht.
Krebszellen werden, wie alle anderen Zellen, über das Blut mit Nährstoffen versorgt.
Um dem Krebs also den Zucker zu entziehen müssten wir unseren Blutzuckerwert also drastisch und vor allem dauerhaft senken.
Dass das weder gesund, noch vernünftig ist ist schnell klar. Außerdem ist es schwierig.
Ein konstanter Blutzuckerspiegel im unteren Normbereich ist gesund. Ein gesunder Körper (ohne Diabetes) reguliert den Blutzuckerspiegel sehr gut. Unser Einfluss ist gering. Es spielt hier auch kaum eine Rolle welche Art Zucker (Energie) wir konsumieren. Ob wir Schokolade essen oder Brot (Kohlenhydrate = Energie) spielt nur vorübergehend für die Frage wie schnell der Blutzucker kurzfristig steigt und wieder abfällt eine Rolle. Um einen ernsthaften Effekt zu haben müsste wir also nicht auf Industriezucker (das wird oft gefordert) verzichten, sondern auf alle Kohlenhydrate. Kein Obst, kein süßes Gemüse, kein Gebäck. Ein einfacher Verzicht auf Süßigkeiten wäre nicht von Erfolg gekrönt.
Aber halten wir uns das Mal vor Augen: ein Krebspatient, der viele sehr giftige Medikamente bekommt und jede Kraftreserve brauchen kann die er hat soll seinem Körper so viel Energie entziehen wie möglich?
Das kann unmöglich Gesund sein.
All unsere Zellen, auch diejenigen die wir dringend brauchen (und die teilweise auch von den Therapien getötet werden), brauchen Energie.
Ein Körper im Energienotstand wird seine Kraft kaum darauf verwenden gegen mutierte Zellen in den Krieg zu ziehen. Viel zu sehr ist er mit der reinen Erhaltung der Lebensfunktionen beschäftigt.
Ich lehne mich noch ein bisschen weiter aus dem Fenster und behaupte ein Körper in dem Krebs wächst kann von schnell verfügbarer Energie profitieren. Vielen hilft hochkallorisches Essen beim Erhalt des Körpergewichts und damit einer gewissen Konstitution, wenn der Appetit unter der Therapie verschwindet.
Ich möchte jetzt aber auch nicht falsch verstanden werden: Schokoriegel sind nicht gesund. Limonade ist nicht gesund. Seinen Körper mit schnell verfügbarer Energie und anschließendem Energienzug zu beanspruchen ist nicht gesund. Aber das hat eben nichts mit dem Krebs zu tun.
Deshalb meine Empfehlung: Esst so gesund und ausgewogen wie es euch möglich ist. Zwingt euch zu nichts, hört auf euren Körper. Es ist nicht die Zeit für große Ernährungsumstellungen. Es ist die Zeit seinem Körper all das zur Verfügung zu stellen das er braucht um den Kampf gegen den Krebs möglichst effektiv zu kämpfen.
Schwarzkümmelöl
In den letzten Tagen wurde mir von mehreren Menschen unabhängig voneinander Schwarzkümmelöl empfohlen, deshalb nutze ich es hier als Beispiel.
Mir bereitet diese Empfehlung Magenschmerzen. Googelt man Schwarzkümmelöl findet man vieles, aber nichts was Nahe legt es könne gegen Krebs helfen (jedem steht Google offen…).
Schwarzkümmelöl ist sehr gesund. Es gilt noch viel zu erforschen, aber es gibt gute Gründe es nicht einfach links liegen zu lassen. Klinische Studien (die sehr verschieden aussagekräftig und wissenschaftlich sind und waren) legen nahe, dass Schwarzkümmelöl gegen Überreaktionen des Immunsystems helfen kann und es wird schon lange bei Entzündungen im Mundbereich angewendet. Hinweise findet man auch, dass es sich blutbildverbessernd bei Chemopatienten auswirken kann. Auch ein eventuell besseres Ansprechen einer Therapie mit Tamoxifen (bei hormonellem Brustkrebs) sollte weiter erforscht werden.
Es gibt jedoch keine Daten die nahelegen, dass irgendeine Prognoseverbesserung eintritt durch die Einnahme oder den Konsum von Schwarzkümmelöl.
Es ist also eine ganz individuelle Entscheidung. Das Öl kostet Geld, es schmeckt wohl ziemlich bitter und die Wirkung ist im besten Fall eine auf den eigenen Allgemeinzustand (solange keine Entzündungen oder Allergien damit behandelt werden, was aber nicht in Zusammenhang steht mit der Frage, ob es gegen Krebs hilft).
Was bereitet mir also Magenschmerzen?
Schaut man sich die Namen der Websiteen an, die auf den ersten drei Seiten bei Google gelistet werden, wenn man “Schwarzkümmelöl Krebs” googelt ist das Ergebnis erschreckend.
Die Seiten heißen “Schwarzkümmelöl” oder “Selbstheilung durch Natur” oder “Heilpraktiker XY”.
Seitenweise findet man pseudowissenschafliche Quellen, die allesamt vor allem eins tun: Geld mit Schwarzkümmelöl (und anderen Nahrungsmitteln oder Ähnlichem) verdienen. Quellen auf die man vertrauen kann finden sich schlichtweg keine. Studien werden erwähnt, manchmal wird auch erwähnt, dass sie nicht an Menschen durchgeführt wurden oder dass der entsprechende Heilpraktiker selbst XY viele Patienten behandelt und seine Ergebnisse dokumentiert hat. Es wird jedoch keine einzige Wissenschaftliche Studie irgendwo benannt, die tatsächlich eine Wirkung von Schwarzkümmelöl auf Krebs bei Menschen nachweist.
Leise wird immer Mal wieder erwähnt, dass es zu Wechselwirkungen mit anderen Nahrungsmitteln und zu Magenproblemen bei falscher Einnahme kommen kann.
Meine Empfehlung deshalb: wie bei allen Nahrungsmitteln bitte unbedingt mit den behandelnden Onkologen besprechen! Wenn die grünes Licht geben spricht nichts dagegen. Macht euch aber klar, dass es nicht gegen Krebs hilft. Vielleicht hilft es euch euch besser zu fühlen.
Sport
Sport ist ein ganz anderes Thema. Körperliche Betätigung senkt nachweisbar das Risiko einer Krebserkrankung. Sie senkt auch das Risiko für Rückfälle und kann unter der Therapie für mehr Lebensqualität sorgen (insbesondere in Hinblick auf das Fatigue-Syndrom).
Dennoch sollte man mit Empfehlungen für Sport vorsichtig sein. Für Krebspatienten ist sportliche Aktivität oft ein enormer Kraftakt. Jeder Schritt kann unglaublich anstrengend sein. Als Aussenstehender Druck aufzubauen und dem Patienten zu suggerieren er müsse sich “nur bewegen” um gesund zu werden oder gesund zu bleiben, oder gar er “hätte sich nur bewegen müssen” um gar nicht erst krank zu werden, hilft keinem weiter.
Wenn ein Krebspatient heute, morgen oder auch die ganze Therapie hindurch keine Kraft aufbringt wandern zu gehen, dann gilt es gemeinsam die Sonnenstrahlen zu nutzen und ein paar Schritte ohne Druck und ohne große Anstrengung zu tun. Unterstützung statt Druck muss hier die Devise lauten.
Ein Krebspatient der sich einfach ins Bett legt und bedienen lässt ist auch ok. Es werden auch wieder andere Tage kommen.
Es gibt tolle Angebote für Rehasport und supportive Sporttherapien unter (Brust-) Krebstherapien. Patientinnen sollten von ihren Mitmenschen darüber meiner Meinung nach besser in Kenntnis gesetzt werden. Die Entscheidung für oder gegen solche Angebote sollte aber ganz frei erfolgen.
Mein Tipp an alle Aussenstehenden: Gemeinsame Angebote machen, Absagen akzeptieren, keinen Druck aufbauen!
- Abschließend möchte ich einen Link mit euch teilen. Der Beitrag ist kurz und prägnant und erschreckend (wie ich finde):
https://www.mimikama.at/aktuelles/fake-news-krebs/