Annette fragt… Anna Farris
Kraft tanken zwischen den Zyklen
14.02.2022:
Für heute ist eigentlich meine Entlassung vorgemerkt (für ein paar Tage, bevor es in die 2. Runde geht). Hängt natürlich von meinen Werten ab und letztendlich von der Entscheidung des Chefarztes.
Die Blutwerte habe ich seit heute morgen, ca 10.00 Uhr. Das Entzündungshormon, CRP, ist in den letzten Tagen deutlich gesunken (gut), Thrombozyten und Erythrozyten steigen (gut), Leukozyten sind deutlich abgefallen (schlecht) – aber ich kriege ja auch seit 3 Tagen keine Granozyte© mehr, insofern ist das wohl nicht ungewöhnlich laut Pfleger*innen.
Ich trau mich nicht, zu packen. Zu groß wäre die Enttäuschung, wenn es dann doch nicht klappt. Ich denke, schlecht stehen die Chancen nicht – mein Bett wurde vorhin zum Beispiel auch nicht gemacht – die Pfleger*innen gehen wohl schon davon aus, dass es klappt mit dem Heimgehen. Ich fühl mich eigentlich auch gut, gut genug um für ein paar Tage heimzugehen.Offiziell beginnt um 11.00 Uhr die Visite. Heute ist sogar Chefarztvisite. Dass 11.00 Uhr sehr theoretisch ist, wusste ich bereits – gegen 11.00 Uhr kommt der Chefarzt auf Station (Betonung liegt auf GEGEN), dann wird erstmal besprochen, bevor die eigentliche Visite beginnt. Ich merke, wie ich immer unruhiger werde. Diese Warterei ist grausam. Gegen 13.00 Uhr hab ich die Pflegerin gefragt – aktuell sind die Ärzte wohl noch in Besprechung – und sie gebeten, ob sie, wenn möglich, dafür sorgen kann, dass bei mir angefangen wird. Sie hat mir versprochen, dass sie tut, was sie kann. Mittlerweile ist es 13.30 Uhr und ich kann nicht mehr ruhig bleiben, die Tränen laufen. Wie gesagt – diese Ungewissheit macht einen fertig. Vielleicht hätte ich früher schonmal ein Statement verlangen sollen – darf ich heute heim – ja, oder nein. Genaueres kann man ja dann normal bei der Visite besprechen. Aber man will ja nicht nerven. Auf der anderen Seite: ich habe heute eine Email bekommen von einem entfernt Bekannten, der auch als Arzt in der Onkologie tätig ist. Er hat mir unter anderem geschrieben, dass mein Blog nicht nur Bekannten, Angehörigen oder anderen Betroffenen hilft, sondern auch Ärzten wie ihm – das ganze einmal aus der anderen Perspektive zu sehen. Liebe Ärzte und Ärztinnen, die das jetzt lesen: ich weiß, dass ihr, gerade im Krankenhaus und in der Pandemie wahnsinnig viel leistet und viel um die Ohren habt. Aber bitte vergesst nicht vor lauter Laborwerten und Befunden, dass wir Patient*innen Menschen mit Sorgen und Ängsten sind. Redet mit uns. Hört uns zu. Diese kurze Zeit, die ihr euch dafür nehmt ist für uns wahnsinnig wichtig, gibt uns Sicherheit und das Gefühl, dass wir ernst genommen werden. Und es ist auch möglich: es gibt eine Assistenzärztin – bei der fühlt man sich tatsächlich als Mensch und nicht als Patient. Sie hört einem zu, man fühlt sich bei ihr in den besten Händen, kann sich (soweit das mit der Diagnose möglich ist) entspannen. Sie hat mir sogar einen Kranich gefaltet, nachdem ich ihr von den 1000 Kranichen erzählt habe – ich kann gar nicht beschreiben, wieviel mir das bedeutet! Und trotzdem fühlt man sich auch medizinisch gut aufgehoben bei ihr – weil sie eben auch die Werte und das Befinden der Patient*innen im Blick hat und man sicher sein kann, dass sie sich „lang“ macht und kümmert, wenn etwas aus dem Ruder laufen sollte.
Die Visite war dann übrigens kurz nach 14.00 Uhr bei mir – und ja, ich durfte heim!!! (die Nachricht, dass ich nach Hause darf, hätte ich wohl schon gegen 10 haben können – da war wohl kurz ein Arzt im Zimmer, ich war da aber spazieren…..dumm gelaufen! Aber ich lerne aus dieser Situation: werde in Zukunft früher und konkret nachfragen!!!!)
Das Wiedersehen mit meiner Tochter war zum Glück sehr unkompliziert und wahnsinnig schön – und ich genieße die Zeit jetzt zu Hause!!!!
Die erste Nacht war noch ein bisschen komisch: irgendwann ist meine Tochter aufgewacht, mein Mann hat sich dann um sie gekümmert. Sie war letzte Woche ein bisschen erkältet – tagsüber merkt man jetzt nichts mehr, aber nachts kommt als noch der Husten. So lag ich also im Bett und hab meine Tochter schrecklich husten hören – und in meinem Kopf ging es los: „darf ich da jetzt rüber? Oder ist das jetzt zu gefährlich für mich, weil ich ja gerade unbedingt vermeiden soll, dass ich mir einen Infekt – egal welchen- einfange….?!“ Als sie dann auch noch bitterlich zu weinen angefangen hat und mein Mann sie offensichtlich nicht beruhigen konnte, hab ich es nicht mehr ausgehalten und bin rüber zu meinen Zwei – sie war sofort ruhig und wir haben zu dritt gekuschelt. <3
Ich gehe, wie empfohlen viel Spazieren – und es geht von Tag zu Tag mehr! Gestern hatte ich meine Knochenmarkpunktion – da hat es dann 3 Anläufe gebraucht – und selbst beim 3. Mal kam nicht wirklich Flüssigkeit….Eine Aussage über den bisherigen Erfolg meiner Chemotherapie kann man daraus nicht schließen, es bedeutet allerdings, dass die Diagnostik somit wohl ein bisschen länger dauert. Mit den ersten Ergebnissen kann ich Anfang nächster Woche rechnen, die komplette Diagnostik wird aber wieder ca 2 Wochen dauern. Aber wenigstens haben wir alles versucht, um an genug Material zu kommen! (Dank lokaler Betäubung empfinde ich die Knochenmarkpunktion zwar als sehr unangenehm, aber durchaus aushaltbar – kann mir viel Schlimmeres vorstellen!!!) Meine Blutwerte steigen – und das merke ich wie gesagt auch!!! Bin gerade deutlich fitter als Anfang Januar, bevor ich in Krankenhaus kam! Dennoch bin ich froh, dass meine Tochter tagsüber bei meinen Eltern oder Schwiegereltern sein kann, ein bisschen Ausruhen am Nachmittag brauche ich schon noch!
Dienstag hab ich einen Termin zur Vorstellung für eine allogene Stammzelltransplantation – noch ist es nicht sicher, ob ich die überhaupt brauche – aber man will schonmal alles in die Wege leiten, das dauert nämlich wohl ein bisschen, bis man alle notwendigen Untersuchungen hat, gegebenenfalls muss man nochmal einen Spender-Aufruf starten… (Oder ihr registriert euch jetzt direkt bei der DKMS!!! Ganz easy!!! https://www.dkms.de/aktiv-werden/spender-werden)
Donnerstag ist dann Vorstellung für die geplante Gallenblasen-OP – die war ja im letzten Zyklus mal entzündet, hatte sich zum Glück von selbst wieder beruhigt, aber wird jetzt als potentieller Infekt-Herd angesehen – und eine Not-OP während eines Chemozyklus, wo mein Immunsystem und auch die Blutgerinnung nicht richtig funktioniert, will man unter allen Umständen vermeiden!!! Deswegen ist eine prophylaktische Entfernung wohl nicht unüblich. Heißt halt nochmal zusätzlich 2-3 Tage Krankenhaus für mich, auch wenn es laparoskopisch erfolgt, also ein recht kleiner Eingriff ist und dann eben keine Gallenblase mehr – viele Leben wohl ohne Einschränkungen ohne Gallenblase, aber manche haben gerade bei fettem Essen dann später Probleme – vielleicht sollte ich vorher nochmal die wahnsinnig guten gesmokten Spareribs von meinem Mann genießen….Wer weiß, ob ich die später noch vertrage…
Und wenn dann alles soweit passt, geht es Mitte der Woche darauf dann los mit Runde 2: Chemotherapie…..Gestärkt und mit der positiven Einstellung und Hoffnung dass alles gut wird! Und der Überzeugung, dass diese Erkrankung zumindest nicht „umsonst“ ist – öffnet sie doch Möglichkeiten (zB diesen Blog und die positive Rückmeldung diesbezüglich bisher, manche haben sich mittlerweile bei der DKMS registrieren lassen, andere waren Blut spenden – nachdem sie meinen Blog gelesen haben und damit helfen sie anderen! Danke!). Der Zusammenhalt und die Unterstützung ist wunderbar – mittlerweile haben wir übrigens fast 700 Kraniche gemeinsam gefaltet!!! Und es erdet einen. Mein Name „Nhomsai“ ist übrigens Ndebele (wird u.a. in Teilen Zimbabwes gesprochen, wo ich geboren bin) und bedeutet „Sei dankbar“ – passt gerade ziemlich gut, finde ich!