Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Krebs und Herz

Habt ihr euch vielleicht mal gefragt, was schlimmer ist, Krebs oder Herzinfarkt? Besser nicht. Diese Antwort ist keine leichte. Ich würde niemanden vor diese Wahl stellen. Mit der Wahl meine ich die Frage, nicht die Krankheiten an sich. Wie soll man sich da entscheiden? Einfache Antwort: Gar nicht. Beides ist schlimm. Beides ist lebensbedrohlich. Das eine kann in der Sekundenschnelle passieren, das andere Jahre andauern.

Ich will diese Frage nicht beantworten und ich kann das auch gar nicht. Wobei ich keine Wahl habe, ist, mit diesen beiden Krankheiten zu leben. Was den Herzinfarkt betrifft, ist vielleicht besser zu sagen, mit den Folgen. Denn, sie sind geblieben. Welches Glück ich damit hatte, dass ich keine Chemotherapie brauchte, wird mir erst jetzt Stück für Stück klar. Ich wusste gleich, und das sagte ich auch sofort, ich kam mit einem blauen Auge davon, nur das Ausmaß war mir nicht bewusst. Erst jetzt sehe ich wie das eine das andere beeinflusst. Und mein Herz ist bereits beschädigt vom Herzinfarkt. Eine Chemotherapie wäre ein zusätzliches Risiko bei einer vorhandenen Herzinsuffizienz. Nichtsdestotrotz hätte ich sie gemacht, wenn sie notwendig gewesen wäre.

Als ich am 21. Oktober 2015 aus dem Bett aufstand, war das für mich ein Tag, an dem ich mit meinem Neffen nach Zagreb fuhr. Ich war im Urlaub und hätte mir jemand gesagt, du wirst heute einen Herzinfarkt haben und wirst wiederbelebt, ich hätte ihn für verrückt erklärt. Wahrscheinlich. Als die Schmerzen anfingen, waren wir gerade unterwegs zum Mittagessen. Am Vormittag erledigte er seine Anliegen, und damit hatten wir den Rest des Tages für uns. Später wollten wir noch seine Freundin abholen, die noch ein paar Stunden arbeiten musste.

Nur ist es dazu nicht gekommen. In der Tiefgarage wurde mir klar, daraus wird nichts. Ich sagte zu ihm, wir sollen nach Hause fahren. Die Schmerzen waren schlimm, sehr schlimm. Wenn jemand ein Lehrbuch aufschlägt und nach Symptomen sucht, ich hatte sie alle. Es war eine Explosion, die nur aus Schmerzen bestand. Ich vermutete was es ist, sagte meinem Neffen jedoch nichts davon, da er noch fahren musste. Es sind immerhin 60 km und ich wollte ihn nicht aufregen.

Zuhause legte ich mich dann gleich hin, er holte meinen Bruder und meine Schwägerin. Sie wollten mit mir ins Spital fahren, nur ging das nicht. Ich konnte nicht mehr aufrecht sitzen und so entschieden wir, die Rettung zu rufen. Wieso ich nicht gleich ins Krankenhaus fuhr? Denn das konnte ich ja. Ich war dumm und dachte, wenn ich nach Hause komme und mich hinlege, hört alles auf. Ladies and Gentleman, so dumm war ich. Wie Stroh.

Als die Rettung kam, sagten sie, sie nehmen mich mit und fragten, ob ich aus dem ersten Stock zum Auto schaffen werde oder sie mich tragen sollen. Ich, stark wie ich bin, nicht zugebend, dass es mir nicht gut geht, antwortete: aber ja, das schaffe ich. Und dann schloss er noch EKG an und sagte: nein, das werden Sie nicht, wir werden Sie tragen. Ich wurde in den Wagen verfrachtet und hörte nur noch: mach die Sirene und das Licht an, fahr auf die Autobahn und wir fahren in die Klinik Magdalena. Da wusste ich sofort, meine Vermutung war richtig.

Dort angekommen, wurde ich sofort aufgenommen und für Herzkatheter vorbereitet. Ich bekam auch Morphium gegen die Schmerzen. Das war eine Erlösung. Ich war high, aber schmerzfrei. Ein paar Minuten später war ich schon im Saal und wurde von zwei sehr netten und liebenswürdigen Ärzten begrüßt. Sie erklärten mir wie der Eingriff sein wird und was der Sinn dahinter ist. Ich sollte die ganze Zeit wach bleiben. Nur entschied sich mein Herz dabei nicht mitzumachen. Während der nette Arzt mir erzählte, dass sein Bruder auch in Wien wohnt, und auch er hier studierte, verabschiedete ich mich. Auf einmal war da ein Gefühl als würde ich mich verlieren. Ich war da und doch nicht, und dann gar nicht mehr.

Das nächste was ich mitbekam, waren Stimmen. Eine hatte ich gekannt, und da wusste ich sofort wo ich bin. Eine Verwandte arbeitete damals auf der Intensivstation. Ihre Stimme hat mir Orientierung gegeben zu wissen, wo ich mich befinde. Der Tubus war auch ziemlich eindeutig. Dieses Gefühl werde ich nie vergessen. Der Körper wehrt sich automatisch dagegen. Bald darauf wurde ich dann wach und ein Arzt stand neben meinem Bett. Seine Worte:

Frau Juric, es war knapp, sehr knapp. Wir haben Sie wiederbeleben müssen und viele schaffen es nicht. Sie haben es geschafft und können ab heute Ihren zweiten Geburtstag feiern.

Ich blieb zwei Tage auf der Station und wechselte dann auf Kardiologie 1. Insgesamt war ich eine Woche im Krankenhaus. Im Idealfall bekommt man beim Herzinfarkt gute medizinische Hilfe und kann ein paar Monate später wieder sein Leben leben. Im schlimmsten Fall stirbt man. Ich befinde mich dazwischen. Der Schaden, der blieb, ist groß, jedoch lebe ich. Mein Leben ist in einigen Bereichen ziemlich eingeschränkt, jedoch lernte ich im Laufe der Jahre wie weit ich etwas machen kann und wo meine Grenzen sind.

Und dann kam Krebs, und ich dachte mir nur, wirklich, also wirklich, habe ich denn noch nicht meine Schuld beglichen? Nicht “wieso ich” und nicht “das kann doch nicht wahr sein”. Meine Ärztin sagte mir sofort, ich solle nicht vergessen, dass ich eine Vorerkrankung schon mitbringe. Damals wusste ich nicht wie recht sie damit hat. Heute weiß ich es.

Denn: Ich habe meine Rechnung ohne den Wirten gemacht. Ich dachte, ok, ich habe jetzt Krebs, aber den werde ich auch rocken. Das wird schon. In meinen Gedanken war die Vorstellung, wenn die ganze Akuttherapie vorbei ist, knüpfe ich dort an, wo ich vor der Diagnose stehen blieb. Wie falsch diese Annahme war, wurde mir spätestens in der Reha klar.

Ich wusste ja noch bevor ich hinfuhr, ich bin um einiges weniger leistungsfähig als vor einem Jahr, nur, dass ich so wenig kann, das wurde mir erst dort bewusst. Auf einmal konnte ich mich gar nicht mehr erholen und war ständig erschöpft, hatte Kopfschmerzen. Sicherlich trug auch Fatigue dazu etwas bei, aber die hatte ich auch schon vorher. Diese Erschöpfung begleitet mich seit meinem Herzinfarkt, nur wusste ich nicht all diese Jahre, dass es dafür einen Namen gibt. Ich versuchte es nur immer wieder zu erklären, wie viel davon verstanden wurde, weiß ich heute noch nicht.

Die Zeit in der Reha verging und so waren schon zehn Tage vorbei. An diesem Sonntag war auch alles wie immer. Bis zum Nachmittag. Da erfuhr ich wie das so ist, wenn man sich aus Erschöpfung übergeben muss. Ich muss dazu sagen, ich weiß schon seit über sechs Jahren, wie es ist, wenn man so erschöpft ist, dass einem im sitzen schwindelig wird. Oder übel. Oder man nach 15 Minuten konzentriert sein solche Kopfschmerzen bekommt, dass man am liebsten den eigenen Kopf halbieren würde, dort wo der Schmerz sitzt. Nur konnte ich das bis jetzt immer im Griff halten. Dort nicht mehr. Dort war Schluss. Die Übelkeit gepaart mit den Rückenschmerzen hatte mich völlig für sich.

Nach etwa anderthalb Stunden rief ich beim Stützpunkt an und sagte was die Sache ist. Die Hilfe kam sofort, die Pflegerin, die an dem Abend dienst hatte, kümmerte sich so rührend um mich, brachte Tee und Zwieback sowie Tropfen gegen die Übelkeit auf mein Zimmer. Sie sagte auch, ich solle nicht zögern, sie zu rufen und ihr am nächsten morgen bescheid geben, wie die Nacht war. Die Übelkeit hat sich mit den Tropfen Gott sei Dank beruhigt und so konnte ich am nächsten Tag wieder etwas machen. Nicht alles, weil ich mich ziemlich kraftlos fühlte, jedoch musste ich den Tag nicht im Zimmer verbringen und deswegen war ich sehr glücklich. Für die restlichen elf Tage schaltete ich ein oder sogar zwei Gänge zurück.

Und da sind sie wieder. Die Kompromisse. Wenn mich jemand fragt, wie die Reha war, antwortete ich sehr gut. Ich konnte nicht alles machen, was ich machen wollte, besonders in der zweiten Hälfte, aber diese Zeit hat mir schon wieder meine Grenzen gezeigt. Es ist nicht so, dass ich mich über diese Grenzen freue. Mache ich ganz gewiss nicht. Mir wäre am liebsten, ich könnte wieder alles so machen wie vor sieben Jahren. Nur geht das nicht und das muss ich akzeptieren. Das ist für mich der Grund wieso ich lerne mit der Krankheit umzugehen und mit ihr zu leben.

Jetzt fängt dieser Lernprozess von neuem an. Sagen wir so: Ich befinde mich wieder dort, wo ich schon mal nach meinem Herzinfarkt war. Mein Leben muss wieder neu ausgerichtet und manche neuen Ziele gesteckt werden. Und sie sind ganz klein. Man wird bescheiden, wenn das Leben einem immer wieder die Grenzen zeigt. Mein Wunsch ist es zumindest wieder den Zustand vor meiner Diagnose zu erreichen. Ob ich das schaffen werde, das weiß ich nicht. Das hängt von meinem Körper ab. Und auch von meinem Herz.

Was einen größeren Einfluss auf meinen Zustand hat, ob Krebs oder Herz, das weiß ich nicht.  Der Siegrud Waldemar ist herausoperiert und die Brust mitsamt der Achsel bestrahlt. Ich weiß nur, es gibt weniger gute und gute Tage. Ein guter Tag ist, wenn ich weiß, ich kann raus gehen und Sachen erledigen, die so anfallen, oder einen Spaziergang oder gar zum Training. Ein weniger guter Tag ist, wenn ich mich frage, ob ich einkaufen gehen kann oder doch lieber auf einen anderen Tag verschieben soll, weil ich mich zu schwach fühle. Es ist ein Körper. Mein Körper. Und er kann nicht auseinander dividiert werden. Die zwei Krankheiten haben sich getroffen.

Ob ich ein Opfer bin? Ganz sicher nicht! Ich bin ein schwer kranker Mensch. Das bin ich. Und doch gibt es Zeiten, vor allem im Krankenhaus oder in der Reha, aber auch im Alltag, wenn ich Menschen sehe, da habe ich den Beweis, wie gut es mir geht. Und obenauf, es ist viel wichtiger, sich zu fragen, was kann ich als sich vor der Nase zu halten, was ich alles nicht kann. Ich spreche jetzt jedoch nicht davon, dass man ständig positiv denken muss und schon wird alles gut. Ich habe auch meine schwere Zeiten, sonst würde sich das nicht ausgehen.

Für mich zählt einfach, dass es ganz anders hätte sein können. Und ich frage mich nicht, was wäre wenn. Es nutzt nichts. Ich lebe. Wer lebt, kann krank werden. Das war schon immer so. Der Arzt, der mit mir auf der Intensivstation redete, lebt nicht mehr. Als ich von seinem Tod erfuhr, war das ein ziemlicher Schlag für mich. Es schmerzt heute noch. Der Mensch, der mein Leben rettete, verlor sein eigenes.

Und wenn dann die Tage da sind, an denen ich mich am liebsten verkriechen würde und mir denke, wozu das alles noch, dann kommt da immer ein Gedanke geschossen, komm, jemand hat alles von sich gegeben, damit du heute hier sein und atmen kannst, dein Herz schlägt. Damit du weiterhin lebst. Und da fange ich immer von neuen an.

Ganz liebe Grüße und bis zum nächsten Mal

Miri

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