Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Annette fragt… Beate Mäusle

Vor einer Weile blieb ich auf Instagram am Bild einer Frau hängen, die zwischen Büchern stand, auf deren Titelbild in einer großen Brustkrebsschleife Bilder aus fernen Ländern zu erkennen waren. Der Name der Autorin stach mir sofort ins Auge und ließ mich schmunzeln, war unser Teeniemädchen doch lange Zeit unsere „Maus“ oder noch liebevoller unser „Mäusle“. Zudem ließ die Endung „le“ meine Schwäbinnenherz frohlocken. Nicht zuletzt weckte der Titel „Tot sein kann ich morgen noch“ meine Neugier.

So kam eins zum anderen, ich bestellte mir ein Buch und las es mit großer Begeisterung. Ich nahm Kontakt zu Beate auf und lernte eine sehr inspirierende Persönlichkeit kennen, die ich unbedingt für #annettefragt gewinnen wollte.

Freut euch auf ein herrlich ehrliches, herrlich positives, herrlich zuversichtliches Interview mit Beate, die zeigt wie es gelingen kann, sich im Leben für das Glück und die Lebensfreude zu entscheiden, anstatt sich halb tot die Zeit vor Augen zu halten, die täglich verrinnt.

Annette: Liebe Beate, 2015 katapultierte eine Brustkrebsdiagnose dich raus aus deinem Leben als Ehefrau und berufstätiger Mutter eines Sohnes. Erzähl doch mal, wie wurde dein Tumor entdeckt? Welche Therapien hast du durchlaufen? Und wie geht es dir aktuell?

Beate: In Deutschland bekommt jede Frau ab fünfzig Jahren eine Einladung zur Mammographie. Meine Geburtstagsparty war eben vorbei, als ich die Einladung bekam. Ich fühlte mich gut, gesund und geliebt und ich habe die Einladung in den Papierkorb geworfen, ganz nach dem Motto “Krebs bekommen doch die anderen. Ich doch nicht.”

Gut, dass dieses Programm so hartnäckig ist, denn ich bekam noch eine Einladung. Ich ging dann also ein halbes Jahr später zur Untersuchung. Hierzu brauchte ich tatsächlich zwei Anläufe, einmal hatte ich die Versichertenkarte nicht dabei und das andere Mal hatten die Krankenschwestern den Termin falsch eingetragen und das Gerät war schon ausgeschaltet. Sie haben aber auf die Untersuchung bestanden und sie abends noch durchgeführt. Zum Glück. Denn ich hatte schon aufgegeben und dachte: „Es soll wohl nicht sein.”

Und da war er dann: Der Krebs. Ein halbes Jahr früher hätte man den Tumor wahrscheinlich noch nicht entdeckt. Zufall?…

Annette: Hui Beate, das ist sehr spannend, denn bei mir war die Verschiebung meines Vorsorgetermins um ein halbes Jahr aufgrund des Lockdowns im Nachhinein gesehen auch meine Rettung. Früher wäre mein Tumor nicht zu sehen gewesen… Ich glaube, da steckt mehr dahinter als Zufall… Aber lassen wir das…. Erzähl du weiter!

Beate: Es folgten dann eine Mastektomie, Chemotherapie, Antikörpertherapie und Antihormontherapie.

Nach dem Sturm geht es mir wieder sehr gut. Einige Chemoandenken sind geblieben, aber ich finde ich kann diese vernachlässigen. Ich spiele sogar wieder Tennis, was ich bei einer Mastektomie als kleines Wunder betrachte.

Annette:  „Ich räumte mich gesund.“ Dieser Satz ist mir beim Lesen eines Artikels von dir im Gedächtnis geblieben. Was meinst du damit?

Beate: Während meiner Chemo ging es mir schlecht und ich konnte nicht viel tun. Ich habe begonnen auszumisten, was schon lange auf meiner To Do Liste stand. An manchen Tagen schaffte ich nur eine Schublade. Manchmal auch gar nichts. Und doch hatte ich das Gefühl, wenigstens minimal etwas Sinnvolles zu tun. Erst später habe ich die Psychologie dahinter verstanden: Durch Aufräumen können wir Ordnung in uns selbst schaffen. Äußerer Ordnung folgt innere Ordnung.

Annette:  Wer wie du und ich an Krebs erkrankt war, weiß, dass diese Zeit sehr viel mit einem macht. Wenn die Therapien beendet sind, man wieder Haare hat und langsam wieder im Job Fuß fasst, ist der Heilungsweg noch nicht zu Ende. Irgendwie ist man gesund, aber irgendwie stimmt da doch noch ganz viel nicht. Mit welchen Problemen, körperlich wie geistig, hattest du zu kämpfen?

Beate: Da war erstmal die Angst vorm Rezidiv. Während der Therapie fühlte ich mich sicher, dann wurde ich wieder ins Leben entlassen. Das war eine schwierige Phase, die mein Umfeld nicht wirklich verstanden hat. Ich musste mit der Angst fertig werden, um mein Leben wieder lebenswert zu machen. Die ganzen Therapien bieten ein Stückweit und eine Zeitlang auch einen Schutzraum.

Ich konnte mich nicht konzentrieren, war schnell müde und hatte mit den Nebenwirkungen von Tamoxifen zu kämpfen. Die einjährige Antikörpertherapie schlauchte mich auch ganz schön. Mit Neuropathien an Händen und Füßen kämpfe ich heute noch. Ich musste auch lernen, Nein zu sagen, um nicht wieder in eine solche Überlastung wie vor der Krankheit zu kommen.

Annette:  Du warst gerade in der Wiedereingliederung, als dein Chef dich mit einem „Luxusgeschenk“ konfrontiert: Du hattest während deiner Krankheit 80 Tage Urlaub angesammelt. Was waren deine ersten Gedanken, als du gehört hast, dass du nun gleich wieder zu Hause bleiben sollst?

Beate: Naja, erst schlug man mir vor, den Urlaub abzubauen, d.h. einen Tag die Woche freizunehmen. Wäre ziemlich arbeitgeberfreundlich gewesen. Für mich aber hätte sich nichts geändert,. Ich hätte wohl die Arbeit von fünf Tagen in nur vier gemacht und wäre gleichzeitig Hausfrau und Mutter gewesen.

Das wollte ich nicht. Nach so einer schlimmen Zeit, fand ich, dass ich mal dran wäre. Ich muss sagen, dass mein Sohn zu dem Zeitpunkt ja auch fast schon erwachsen war. Mit kleinen Kindern wäre das sicherlich anders gewesen.

Eigentlich liebte es, wieder einen normalen Alltag zu haben. Nicht mehr wie ausgespuckt daheim zu sitzen und anderen beim Leben zuzuschauen. Mein erstes Wochenende habe ich gefeiert. Meine 80 Tage dann einfach so zu verbummeln und wieder daheim zu hocken, war eine schlechte Aussicht für mich. Als dann noch eine Kollegin sagte, da könnte oder sollte man fast eine Weltreise machen, begann es in mir zu arbeiten.

Annette:  Ich bin kein großer Fan von Bucket Listen (siehe mein Blogtext), weil sie für mich was von „abarbeiten“ und immer einen Beigeschmack von Tod haben. Du hast dir für deine vier Monate Urlaub eine solche Liste geschrieben. Allerdings nennst du sie deine „Liste der Lebensfreude“. Was meinst du damit?

Beate: Das geht mir genauso. Das Leben abarbeiten? Ändert es was, wenn du auf dem Sterbebett sagen kannst, dass du in der Arktis in einem Eisloch gebadet hast?

Deshalb nannte ich sie “die Liste der Lebensfreude“. Ich erfüllte mir Wünsche, die mich glücklich machten und meine Heilung unterstützten. Da ich reisen mehr liebe als Handtaschen, sind eben die drei Abenteuer herausgekommen. Den Tod habe ich ausgeblendet und es sind keine Wünsche, die ich unbedingt vor meinem Tod erledigt haben muss. Auf meiner To-Do- Liste steht „Lebensfreude“. Ich möchte einfach weiterleben.

Annette:  Während deines „Luxusproblems der besonderen Art“ hast du drei Reisen unternommen. Eine Sprachreise in Venedig, eine Ayurvedakur in Indien und eine Pilgerreise auf dem Jakobsweg. Mit denen hast du dich, wie du sagst, „innerlich aufgeräumt.“ und bist „in deinem Herzen angekommen.“ Was meinst du damit?

Beate: Wieder habe ich im Nachhinein festgestellt, dass ich meine Reisen intuitiv wählte. Das Passende zum richtigen Zeitpunkt.

Italien gab mir die Lebensfreude zurück und der Unterricht schulte meine kognitiven Fähigkeiten. Die Panchakarmakur in Indien entgiftete meinen Körper von den vielen Medikamenten und gab mir Kraft. Das Pilgern half mir mein Inneres aufzuräumen. Pilgern ist Meditation. Weg mit alten Glaubenssätzen, Verletzungen und schlechten Beziehungen. Im laufe meines Lebens hat der Verstand die Oberhand eingenommen, es war an der Zeit wieder auf mein Herz zu hören und den Verstand auf seinen Platz zu verweisen.

Beim Pilgern habe ich so viele unglaubliche Herzensmenschen getroffen, wie z.B. Antonio, den Priester im Ruhestand. Das kann man sich gar nicht ausdenken.

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Annette:  Ich liebäugele schon länger damit, ein Buch über meine Krebsreise bzw. das Leben nach dem Krebs zu schreiben. Du hast es getan, Glückwünsch zu deinem Mut! Wie kam es dazu?

Beate: Beim Pilgern habe ich für meine Lieben einen Blog geschrieben, damit sie immer wussten, wo ich bin und wie es mir geht. Der hat große Kreise gezogen und meine Leser*innen haben mich ermuntert, daraus ein Buch zu machen. Dass ich dann noch einen Verlag und eine Literaturagentur gefunden habe, ist ein großes Glück.

Und ja, es ist mutig, sein Inneres zu teilen. Ich habe es nicht bereut. Es sind so viele tiefe Begegnungen daraus entstanden. So viele Rückmeldungen habe ich erhalten und von Leuten erfahren, wie spannend, lustig und berührend sie meine Reise fanden. Das ist das Schönste für mich.

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Annette:  Du schreibst: „Es gibt so viel zu leben, zu entdecken und zu lernen. Ich bin noch lange nicht am Ende meiner Lebensreise.“ Um das noch zu unterstreichen, nennst du dein Buch „Tot sein kann ich morgen noch.“ Nicht jede/r ehemaligen Krebspatient/in gelingt es, so lebensfroh zu leben. Woher nimmst du diese Zuversicht und welche Tipps kannst du Betroffenen geben, die in der Angst vor einem Rezidiv feststecken?

Beate: Das war und ist eine ganz bewusste Entscheidung. Nach meinem Chemoaufklärungsgespräch, das für mich ziemlich schrecklich war, habe ich ein Wochenende lang durchgeweint. Montags habe ich dann beschlossen, dass damit nun Schluss ist.

Ich weiß nicht, wieviel Zeit ich auf dieser Welt noch habe. Das weiß keiner. Soll ich mir die Zeit, die ich noch habe auch noch vermiesen? Dann bin ich ja schon halb tot.

Ich habe das Glück gewählt. Ich sage mir jeden Tag: was für ein Glück, dass ich noch lebe. Ich arbeite viel mit Affirmationen und programmiere mein Unterbewusstsein.

So wie ich bewusst entscheide, welche Lebensmittel in meinen Körper dürfen, entscheide ich auch, welche Gedanken sich bei mir ausbreiten dürfen und welche eben nicht. Das ist ein Weg und ich werde immer besser darin, schlechte Gedanken wegzuschicken. Ich habe mir für alles vorgenommen, mich erst aufzuregen, wenn der schlimme, vorstellbare Fall tatsächlich eintritt. Davor sind es nur Gedanken. Die meisten Szenarien, die man in seinem Kopf bewegt, passieren nie.

Dann ist da noch die “gute alte Dankbarkeit”. Jeden Tag zähle ich mir zehn Dinge auf, für die ich dankbar bin. Das funktioniert.

Annette:  Liebe Beate, ich freue mich, dass ich eine der Begegnungen war, die durch dein Buch entstanden ist.  Du hast mir mit deinem Buch und deinem Interview Mut gemacht, meinen Wandertraum nun endlich einmal in die Tat umzusetzen! Alles Gute für dich. Bleib gesund!

 

Mehr zu Beate findet ihr hier:

Beate auf Instagram

Beate auf Facebook

Beates Homepage

Gastbeitrag von Beate bei Prinzessin ufm Bersch

Beate in einem Zeitungsartikel des Schwarzwälder Boten

Beate über ihr Buch in einem Interview mit dem Parlez Verlag

Beate in der Landesschau im SWR-Fernsehen am 15.2.2023

Hier geht’s zu den anderen schon veröffentlichten Interviews aus der Reihe “Annette fragt…”

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