Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Geteiltes Leid ist halbes Leid – was eine gute Zimmernachbarin ausmachen kann

Die ersten Tage hatte ich eine Zimmernachbarin – sie war gerade in Rente gegangen, als sie ihre Diagnose bekommen hat (auch Leukämie, aber eine andere Art als ich – insofern unterscheiden sich unsere Therapieschemen/Dauer/Prognosen – sie bekommt zum Beispiel ganz andere Medikamente als ich) …sie ist (mit ein paar Tagen Heimbesuch) seit November hier, also ein alter Hase, der mir viele Tipps gegeben hat, wie es hier so läuft und was ich alles beachten soll.

Ein Nachteil wenn man nicht alleine im Zimmer ist, ist natürlich, dass es ständig piept und jemand reinkommt, auch mitten in der Nacht, dann immer Licht an….Hier der absolute Geheimtipp: Schlafmaske!!! Da nervt zumindest das Licht nicht so. So richtig zur Ruhe kommt man auf jeden Fall nicht – die eine Nacht war wegen mir Halligalli, die andere Nacht wegen ihr.

Aber wenn die Chemie stimmt, dann ist es Gold wert, wenn man nicht alleine ist!

Am zweiten Abend im Zweibettzimmer wollte ich eigentlich ein bisschen früher schlafen gehen – es wurde dann aber doch etwas später – hab zwar schonmal ganz entspannt mit Schlafmaske und geschlossenen Augen  dagelegen, kam aber dann noch mal mit meiner Zimmernachbarin ins Gespräch. Wenn man so gemeinsam Ähnliches durchmacht verbindet es einen irgendwie und wir hatten tolle Gespräche über Gott und die Welt. Sie ist Sozialpädagogin und ich denke, wir haben in vielen verschiedenen Bereichen die gleichen Ansichten und Interessen (Corona, Klimakrise, Flüchtlinge, Interesse an anderen Kulturen und Ländern, Wertvorstellungen….) ich bin sehr froh, dass sie meine Zimmernachbarin ist und wir haben an dem Abend auch noch viel gemeinsam gelacht- in unserer aktuellen Situation hilft Galgenhumor 😉😃

Nach einer gemeinsamen Wochen wurden meine Zimmernachbarin und ich morgens ein bisschen überrumpelt – die “Wahlleistungsstation” macht heute wieder auf – sie als ehemalige Beamtin hat da ein Anrecht drauf und immer von dieser Station geschwärmt… „ Das ist was ganz Anderes. Das ist ein bisschen wie zu Hause sein, statt Krankenhaus!“ Die Zimmer sollen sehr schön sein, ähnlich wie ein Hotelzimmer, der Service wäre wohl viel besser (immer dieselbe Putzfrau und dasselbe Service-Personal, wo, man sich sein Essen täglich quasi fast á la Carte zusammenstellen kann) – und vor allem: mehr Pflegekräfte auf weniger Patient*innen. Die Station war jetzt wohl einige Wochen geschlossen, wegen Pflegepersonalmangel. Corona-Patienten gibt es aktuell anscheinend gerade kaum welche im Diak (nur 1-2), aber es mangelt eben an Pflegepersonal.

Keine 3h, nachdem wir davon erfahren haben, wurde Sie verlegt – ich glaube, gerade Sie wusste gar nicht so recht, wie sie sich fühlen sollte – auf der einen Seite Freude, dass sie wieder auf die “Luxusstation” darf – aber irgendwie hatten wir uns schon so aneinander gewöhnt und zu Zweit ist vieles ja doch einfacher. Wir haben unsere WhatsApp-Nummern ausgetauscht und uns versprochen, uns gegenseitig zu Besuchen (sind ja nur 2 Stockwerke) – und die Station muss ich mir auf jeden Fall mal anschauen! Hab ihr ein paar Plastik-Blumen aus meinem Plastikstrauß (auf dem Zimmer dürfen wir keine echten Pflanzen haben, wegen den Keimen) geschenkt – ich habe ihre Gourmet-Saft-Sammlung vererbt bekommen (die in ihrem Service enthalten ist) und dann war ich hier allein und es war ganz still…. Ihr Lebensgefährte ist Italiener, er war jeden Tag ab ca 2 da – auch ein ganz Netter!, und sie haben sich hauptsächlich auf Italienisch unterhalten – ich hab in der Woche echt immer mehr verstanden – hatte mich schon gefreut, dass ich hier auch noch einen Gratis-Italienisch-Kurs bekomme! Die Beiden haben ein Haus in der Toskana (wohin sie übrigens gerade unterwegs waren, als bei ihr im November der Anruf ihrer Hausärztin kam „was, Sie sind auf der Autobahn nach Italien? Drehen Sie sofort um und kommen Sie zu mir in die Praxis! Das überleben Sie sonst nicht!!!“) Ich war mal so frei und hab mich selbst in die Toskana eingeladen – wenn wir das beide dann mal überstanden haben!

Tatsächlich schreiben wir nach wie vor jeden Tag per WhatsApp, mittlerweile hat sie mich ein paar Mal besucht, ich hab ihr Kraniche nach oben geschickt, damit ihr Zimmer schöner wird und war, als ich dann wieder durfte auch mal “oben” bei ihr und hab mir die “Wahlleistungsstation” angeschaut – schon schick….
Und ich bin ihr wirklich dankbar für die ersten Tage, wo sie mich auch ein bisschen an die Hand genommen hat und mir gezeigt hat, wie es hier so läuft.

Dann war ich ein paar Tage alleine im Zimmer. Ich habe mir wenigstens gleich den Fensterplatz gekrallt – da kann ich vom Bett aus die Sonne sehen und ich habe noch die Fensterbank als Ablage. Ich habe übrigens auch eine Premiumsicht auf den Hubschrauberlandeplatz – allerdings ist bisher noch keiner gelandet. Eigentlich gut so – aber wäre natürlich schon spannend, das mal mitzubekommen… Was im Ersten Moment hart war: Ich hab aber auch den Blick auf den Weg, wo es zum Kreissaal geht….und wo dann die frisch gebackenen Eltern (wie mein Mann und ich vor gut 1 ½ Jahren….) ihre Lieblinge mit der Babyschale abholen, um nach Hause zu gehen… Freud und Leid liegt oft so nah beieinander……

Mit. meiner 2. Zimmernachbarin hatte ich dann nicht so viel Glück – irgendwie stimmt die Chemie nicht. Am 30.01.2022 habe ich in meinem 1. Blog (https://leukaemut.blogspot.com/) gepostet:

Meine neue Zimmernachbarin (Ü70) kommt mit ihrer aktuellen Situation und der Diagnose noch nicht wirklich klar – irgendwie auch total verständlich! Sie kam letzte Woche ins Krankenhaus, auch erst Verdacht AML, dann wurde wohl auch gleich mit Chemotherapie gestartet – bei AML hat man keine Zeit zu verlieren. Im Laufe der Genetikuntersuchungen kam wohl raus, dass sie eine Unterform der AML hat, die APL (akute Promyelozyten-Leukämie)! Prinzipiell eigentlich erstmal gute Neuigkeiten – die Prognosen bei einer APL sind nämlich ziemlich gut! Das ist bei ihr aber glaube ich (Nachtrag: Immer!) noch nicht angekommen – für sie war es jetzt eher so: „Jetzt habe ich erstmal die falsche Chemotherapie bekommen, und davon fallen mir jetzt auch noch die Haare aus! Und jetzt wieder irgendwas Neues! Ob das dann überhaupt was bringt“. Die Therapie ist somit nämlich eine andere als bei der klassischen AML. Tragischerweise wurde erst 2019 Brustkrebs bei ihr diagnostiziert, der gerade überstanden war…

Prinzipiell ist sie schon nett, aber man merkt, dass Sie gerade sehr mit dieser Diagnose hadert – Frieden hat sie definitiv noch nicht mit gefunden. Und wenn man dann auch nicht vom Fach ist, also nicht versteht, was genau da gerade mit einem passiert und wieso – das macht es sicher nicht einfacher, da bin ich klar im Vorteil (wobei zu viel Wissen manchmal auch beängstigend sein kann…)
Mittlerweile glaube ich aber auch, dass sie schon vor der Diagnose ein Typ war, der eher negativ eingestellt war – der Hälfte der Anrufer, die Sie bekommt unterstellt sie hinterher, dass die nur wegen Tratsch anrufen, wenn ihre Familie daheim wohl was Gemeinsames plant, motzt sie, sie sollen es lassen und blos vorsichtig sein – aber ich glaub insgeheim ist sie neidisch, dass sie nicht dabei sein kann… Und generell ist es glaube ich schwierig für sie zu akzeptieren, dass das Leben in ihrer Familie gerade auch ohne sie funktioniert. Ihr Mann ist wirklich liebevoll zu ihr, wenn er da ist, streichelt er sie die ganze Zeit beruhigend und versichert ihr, dass sie auch ohne Haare schön sein wird – sie sind seit über 50 Jahren verheiratet! 8 Enkel hat sie auch! Und dann hat sie die Leukämie-Form mit der besten Prognose! Die Mischung aus Motzen und Heulen ist zwar bis zu einem gewissen Grad absolut nachvollziehbar in unserer Situation, aber es ist wahnsinnig anstrengend – auch für mich, wenn sie immer so eine „Schlechte Stimmung“ verbreitet… Gerade anfangs habe ich versucht, ihr gut zuzureden, aber ein bisschen Optimismus und Wille muss von ihrer Seite schon auch kommen. Ich kann (und will) nicht für uns beide kämpfen!
Gerade die letzten Tage, wo es mir selbst nicht so gut ging – plötzlicher Schüttelfrost mit Fieber, beides kam (und ging aber auch wieder) aus dem Nichts… Dann haben die letzten 3 Thrombozyten-Konserven nichts gebracht (vielleicht kam auch davon der Schüttelfrost und das Fieber?!) – die ersten 2 waren gestern vom selben Spender, heute Morgen war es eigentlich ein anderer – aber meine Thrombozyten sind jetzt bei 0…. Bin also gerade das „Rohe Ei“ – darf nicht mal alleine aufs Klo…
Und dann hör ich halt, wie meine Zimmernachbarin zu ihrem Mann sagt – „Ihr geht es so schlecht – das kommt auch noch alles auf mich zu“ und fängt an zu heulen… Und schafft es tatsächlich, mir damit ein schlechtes Gewissen/Gefühl zu machen, was mich gleichzeitig wahnsinnig wütend macht!!!

Ich versuche mir immer wieder vor Augen zu halten, dass wir hier im Krankenhaus sind und nicht im Urlaub – und ich froh sein kann „nur zu zweit“ im Zimmer zu sein. Sie könnte auch aggressiv sein, oder die ganze Zeit stöhnen vor Schmerzen – schlimmer geht immer! Und wie meine aktuelle Situation in einem anderen Land ohne Krankenversicherung (zB USA, Zimbabwe) wäre, will ich mir gar nicht ausmalen – wahrscheinlich hätte ich das schon nicht überlebt.

Aber eins ist sicher: alleine (oder mit meiner ersten Zimmernachbarin) war es leichter… (und ich glaube auch für sie ist es nicht unbedingt gut, mit mir im Zimmer zu sein, weil sie so schön vor Augen hat, was noch alles kommen kann – und sie wie gesagt immer nur alles Negative sieht…)
Jetzt versuche ich halt, mich so gut es geht für die noch kommende Zeit mit ihr zu arrangieren – und versuche, ihre negative Stimmung nicht an mich ran zu lassen.

Mittlerweile haben wir uns ganz gut arrangiert. Beste Freundinnen werden wir nicht, aber es geht! Mir ging es dann ja auch wieder besser und sie ist, finde ich, nicht mehr allzu negativ – vielleicht habe ich ja doch ein bisschen abgefärbt?

 

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