Unter dem Motto „talk about cancer“ beschäftigen wir uns mit den vielen Facetten einer Krebserkrankung.hello@kurvenkratzer.at

Nichts mehr aufschieben

Wenn du dich eine Weile beobachtest, wirst du vielleicht feststellen, dass eine ganze Menge Konjunktive dein Leben begleiten: „Ich könnte mal“, „Ich sollte vielleicht“ und „Ich müsste eigentlich“. Apropos „eigentlich“, das ist noch so ein Wort, das dich fernhält von wahrhaftigen Erfahrungen – und letztlich von dir selbst.

Ich bilde mir ein, in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren schon eine Menge dieser bequemen Ausreden aus meinem Leben verbannt zu haben. Kalle lehrt mich, dass trotzdem noch einige übrig sind, die ich jetzt angehen möchte. Und das macht der Typ echt gut. Im Marie-Kondo-Style frage ich mich, ganz ehrlich, mit Blick auf Beziehungen, Lebensumstände und auch Materielles: Macht mich das glücklich? Falls nicht, heißt es loslassen. Und das lässt mich oft regelrecht durchatmen.

Im ersten Corona-Winter 2020 habe ich ein Online-Jahrescoaching-Programm begonnen, das mir 52 Wochen lang fast täglich neue Impulse lieferte. Der Coach, um dessen Programm es sich handelt, hat jede Menge Videos aufgenommen. Dazu gab es ein Workbook und die Möglichkeit, verschiedene Aufgaben zu beantworten.

Die zentralen Fragen im Programm waren die folgenden:

  1. Was will ich wirklich und von Herzen?
  2. Welche Schritte sind notwendig, um meine Ziele zu erreichen, und welche Gewohnheiten helfen mir dabei?

In gewisser Weise hat mich das Training auf den Krebs gut vorbereitet, nur wusste ich das damals noch nicht. Ich entwickelte ein Vision-Board, auf dem ich meine Wünsche und Prioritäten visualisierte. Das Leben ist darauf unterteilt in verschiedene Säulen, zum Beispiel Abenteuer, Beruf/Karriere, Familie/Freunde, Partnerschaft und auch Aktivität beziehungsweise Gesundheit. Letztere war für mich nicht unwichtig, ich hatte sie allerdings nicht immer gut im Blick. Im Nachhinein aber muss ich sagen, dass ich vieles als selbstverständlich und gegeben hinnahm. Mir ging es gut und es gab keinen Anlass zur Sorge.

Nach der Diagnose unterbrach ich das Coaching-Programm für drei Monate und nahm es nach meiner Anschlussheilbehandlung wieder auf. Danach war vieles anders. Nun steht die Gesundheit plötzlich an allererster Stelle. Dann kommt lange nichts. Körper und Seele genießen jetzt also meine volle Aufmerksamkeit, zumindest meistens. Und das ist eine feine Sache.

Frag dich doch mal: Inwiefern profitiere ich von der Erkrankung? Die Frage stammt nicht von mir, sondern von Stephanie Matthews sowie Carl O. Simonton. Und sie erscheint auf den ersten Blick vielleicht sehr provokativ. Sie hilft jedoch, den Fokus weg von Defiziten zu lenken und der Krankheit auf einer anderen Ebene auf den Grund zu gehen.

Wenn ich mir diese Frage stelle, habe ich sofort meine veränderte Perspektive im Sinn. Bei anstehenden Entscheidungen frage ich mich stets: Was tut mir gut? Was brauche ich jetzt? Welche (negativen) Konsequenzen hat es, wenn ich mich so oder so entscheide? Und dann sehe ich relativ schnell klar.

Das Vision-Board hängt noch immer an meiner Wohnzimmertür, ich habe es allerdings umgestaltet. Und dieses Jahr habe ich mir mit einer Traumreise einen echten Herzenswunsch erfüllt. Ich dachte nicht mehr über die Gründe nach, die dagegen sprechen. Stattdessen fragte ich mich: Wie ist es möglich, diesen Wunsch Realität werden zu lassen? Und dann tat ich die notwendigen Schritte. Ohne Kalle hätte ich das sicher nicht so schnell in die Tat umgesetzt. Dabei sind es für mich vor allem zwei Sachen, die im Leben Tiefe erzeugen: (gemeinsame) Erlebnisse und erfüllte Beziehungen. Beides hält mich gesund und gibt mir neue Lebensenergie.

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